E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Penhaligon Verlag
Martin / Dozois / Abraham Planetenjäger
Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-641-19293-8
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Penhaligon Verlag
ISBN: 978-3-641-19293-8
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Daniel Abraham hat Kurzgeschichten in Magazinen ('Issac Asimov's SF Magazine', 'Realms of Fantasy', 'The Magazine of Fantasy & Science Fiction') und Anthologien ('Vanishing Acts', 'Bones of the World', 'The Dark') veröffentlicht und gemeinsam mit Gardner Dozois und George R. R. Martin den Kurzroman 'Shadow Twin' verfasst. Seine Kurzgeschichte 'Flat Diane' wurde für den 'Nebula Award' nominiert. Abraham ist verheiratet, hat eine kleine Tochter und lebt in New Mexico. 'Sommer der Zwietracht' ist sein erster eigener Roman und der Auftaktband der Tetralogie 'Die magischen Städte'.
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Ouvertüre
Ramón Espejo erwachte und schwebte in einem Meer aus Dunkelheit. Einen Augenblick lang trieb er friedlich dahin, entspannt und unbekümmert, dann kehrte seine Identität behäbig und wie ein unerwünschtes Anhängsel zurück.
Nach dem tiefen, warmen Nichts war es kein Vergnügen, sich zu erinnern, wer er war. Obwohl er nicht richtig wach war, spürte er, wie sein eigenes Gewicht auf sein Herz drückte. Verzweiflung und Wut und die ständig nagenden Sorgen dröhnten in seinem Kopf. Für eine selige Weile war er niemand gewesen, und jetzt war er wieder er selbst. Mit seinem ersten bewussten Gedanken leugnete er die Enttäuschung, die er darüber verspürte zu leben.
Er war Ramón Espejo. Er arbeitete als Prospektor außerhalb von Nuevo Janeiro. Er war … er war … Ramón Espejo.
Da er nun erwartete, dass sich die Einzelheiten seines Lebens wieder einstellten – was er gestern Abend gemacht hatte, was er heute vorhatte, auf wen er wütend war, was ihn kürzlich geärgert hatte –, blieb der nächste Gedanke einfach aus. Er wusste, dass er Ramón Espejo war, aber nicht, wo er war. Oder wie er hierhergekommen war.
Beunruhigt wollte er die Augen öffnen und bemerkte, dass sie längst offen standen. Wo auch immer er sich befand, an diesem Ort gab es überhaupt kein Licht, es war dunkler als die Nacht im Dschungel, dunkler als die tiefen Höhlen in den Sandsteinklippen bei Schwanenhals.
Vielleicht war er auch blind.
Der Gedanke löste einen Anflug von Panik aus. Da gab es diese Geschichten über Männer, die sich mit billigem, synthetischen Moscatel oder Sweet Mary abgefüllt hatten und blind aufgewacht waren. War das passiert? Hatte er die Kontrolle verloren? Ein winziges Rinnsal Angst zog kalt über seinen Rücken. Aber er hatte keine Kopfschmerzen und auch kein Brennen im Bauch. Er schloss die Augen, blinzelte mehrmals kräftig und hoffte gegen alle Vernunft, seine Sehkraft wieder zum Leben zu erwecken. Das hatte lediglich zur Folge, dass helle, pastellfarbene Kügelchen auf seinen Retinae explodierten, dahinhuschende Farben, die irgendwie noch beunruhigender waren als die Dunkelheit.
Die Lethargie fiel von ihm ab, und er wollte schreien. Sein Mund bewegte sich langsam, aber er hörte nichts. War er etwa auch taub? Er versuchte, sich herumzuwälzen und aufzusetzen, konnte es jedoch nicht. Also ließ er sich ins Nichts zurückfallen, schwebte wieder, kämpfte nicht mehr dagegen an. Nur seine Gedanken rasten. Jetzt war er hellwach, doch noch immer erinnerte er sich nicht, wo er war oder wie er hierhergekommen war. Vielleicht war er in Gefahr: Seine Starre war gleichermaßen vielsagend und unheilschwanger. War er in einer Mine verschüttet worden? Hatte ihn ein Bergrutsch erwischt? Er konzentrierte sich auf seinen Körper und richtete seine Sinne auf sein Inneres, um schließlich zu entscheiden, dass er kein Gewicht und keinen Druck spürte, keinerlei Einschränkungen. Du würdest auch nichts spüren, wenn dein Rückenmark durchtrennt wäre, schoss es ihm voll kaltem Schrecken durch den Kopf. Aber nachdem er kurz nachgedacht hatte, war er von seinem Irrtum überzeugt: Er konnte sich ein wenig bewegen, nur wenn er sich aufsetzen wollte, hielt ihn etwas fest und zog ihn an Armen und Schultern nach unten. Es war, als würde er sich in Sirup bewegen, nur arbeitete der Sirup gegen ihn, hielt ihn sanft fest und schob ihn unnachgiebig zurück.
Auf seiner Haut spürte er keine Feuchtigkeit, keine Luft, keinen Hauch, keine Hitze und keine Kälte. Auch schien er nicht auf einer festen Unterlage zu liegen. Offensichtlich hatte ihn sein erster Eindruck nicht getäuscht. Er schwebte, war in der Dunkelheit gefangen, starr an einer Stelle. Er stellte sich vor, er sei ein Insekt, das in Bernstein saß, in einem klebrigen Sirup, der ihn einhüllte, in dem er vollständig untergetaucht war. Aber wie konnte er dabei atmen?
Gar nicht, begriff er. Ich atme nicht.
Panik ließ ihn zerspringen wie Glas. Alle Reste klarer Gedanken lösten sich auf, und er kämpfte wie ein Tier um sein Leben. Er krallte sich in das allgegenwärtige Nichts und versuchte, sich irgendwie durch eingebildete Luft nach oben zu ziehen. Er versuchte auch zu schreien. Zeit hatte keine Bedeutung mehr, der Kampf nahm ihn völlig gefangen, deshalb konnte er nicht sagen, wie lange es dauerte, bis er sich erschöpft zurücksinken ließ. Der Sirup brachte ihn sanft, aber entschieden wieder genau in die Anfangsposition zurück. Eigentlich hätte er schnaufen müssen, eigentlich hätte sein Puls in seinen Ohren dröhnen sollen und sein Herz heftig klopfen – aber nichts. Kein Atem, kein Herzschlag. Keine brennende Lunge, die nach Luft schnappt.
Er war tot.
Er war tot und trieb durch ein riesiges, trockenes Meer, das sich in alle Richtungen bis zur Unendlichkeit ausdehnte. Selbst blind und taub spürte er die Unermesslichkeit dieses unfassbaren mitternächtlichen Ozeans.
Er war tot und im Limbus, dem Limbus, den der Papst in San Esteban beharrlich leugnete, und er wartete in der Finsternis auf das Jüngste Gericht.
Bei dem Gedanken hätte er fast gelacht – das war besser als das, was ihm der katholische Priester in der winzigen Lehmziegelkirche in seinem Dorf in den Bergen Nordmexikos versprochen hatte. Vater Ortega hatte ihm oft versichert, dass er direkt ins Feuer und die Qualen der Hölle gehen würde, wenn er ohne Beichte sterben würde – doch er konnte den Gedanken nicht abschütteln. Er war gestorben, und diese Leere, die unendliche Dunkelheit, unendliche Stille, diese Gefangenschaft allein mit seinem eigenen Verstand, hatte ihn sein Leben lang erwartet, ungeachtet der Segnungen und Salbungen der Kirche, ungeachtet der Sünden und gelegentlich nur halb aufrichtigen Buße. Unzählige Jahre lagen vor ihm, in denen er nichts anderes zu tun hatte, als sich mit seinen Sünden und Verfehlungen zu beschäftigen. Er war gestorben, und die Strafe bestand darin, für immer und ewig dem unversöhnlichen, unsichtbaren Auge Gottes ausgesetzt zu sein.
Aber wie war es passiert? Wie war er gestorben? Seine Erinnerungen wirkten träge wie der Motor eines Traktors an einem kalten Wintermorgen – schwer zu starten und schwer in Gang zu halten, ohne ihn abzuwürgen.
Er fing an, sich vorzustellen, was ihm am stärksten vertraut war. Elenas Zimmer in Vila Diego mit dem kleinen Fenster über dem Bett und den dicken Wänden aus gestampfter Erde. Die Hähne am Becken, die bereits rosteten und uralt aussahen, obwohl die Menschheit erst seit vierzig Jahren auf dem Planeten war. Die winzigen roten Flitzerlinge, die über die Decke huschten und deren mehrfache Beinreihen sich drehten wie Ruder. Die scharfen Gerüche von Eiswurzel und Ganja, vergossenem Tequila und gebratenen Paprika. Das Dröhnen der Transporter, die über ihn hinwegflogen und sich durch die Luft hinauf in den Orbit mühten.
Langsam nahmen die jüngsten Ereignisse seines Lebens wieder Form an, wenn auch verschwommen wie eine schlecht fokussierte Projektion. Er war bei der Segnung der Flotte in Vila Diego gewesen. Es hatte eine Parade gegeben. An einem Stand hatte er gebratenen Fisch und Safranreis gegessen und sich das Feuerwerk angeschaut. Der Rauch hatte ihn an den Geruch des Tagebaus erinnert, und die abgebrannten Feuerwerkskörper zischten wie Schlangen, wenn sie ins Meer fielen. Ein in Flammen gehüllter Riese hatte vor Schmerzen mit den Armen gefuchtelt. War das echt? Der Geruch von Limonen und Zucker. Der alte Manuel Griego hatte über seine Pläne gesprochen, als die Enye-Schiffe schließlich aus dem Sprung zur Planetenkolonie São Paulo auftauchten. Als ihn die Erinnerung an den Duft von Elenas Körper plötzlich überwältigte, errötete er. Aber das war, bevor …
Es hatte einen Kampf gegeben. Er hatte mit Elena gekämpft, ja. Der Klang ihrer Stimme – schrill und vorwurfsvoll und garstig wie ein Pitbull. Er hatte sie geschlagen. Daran erinnerte er sich. Sie hatte geschrien und mit den Krallen nach seinen Augen gehackt und versucht, ihm in die Eier zu treten. Und danach hatten sie sich wie immer versöhnt. Später hatte sie über die Narbe von der Machete auf seinem Arm gestrichen, während er zufrieden einschlief. Oder war das eine andere Nacht gewesen? So viele ihrer Nächte hatten so geendet …
Es hatte einen anderen Kampf gegeben, noch davor, mit jemand anderem … Aber die Gedanken daran scheuten zurück wie ein Maultier vor einer Schlange.
Er war beim ersten Licht gegangen, hatte sich aus ihrem Zimmer geschlichen, in dem der schwere Geruch von Schweiß und Sex gehangen hatte, während sie noch schlief, sodass er nicht mit ihr reden musste und die kühle Morgenbrise auf der Haut spürte. Plattpelzer waren vor ihm davongehuscht, während er die schlammige Straße entlangging. Ihre Alarmschreie klangen wie Oboen in Panik. Mit seinem Transporter war er zur Ausrüsterstation geflogen, denn er würde verschwinden … ehe sie ihn erwischten …
Wieder verweigerte sich sein Verstand. Diesmal war es nicht die abstoßende Vergesslichkeit, die seine Welt verschlungen zu haben schien, sondern etwas anderes. Es gab da etwas in seinem Kopf, an das er sich nicht erinnern wollte. Er biss die Zähne zusammen und zwang sein Gedächtnis, sich seinem Willen zu beugen.
Er hatte den Tag damit verbracht, zwei Auftriebsröhren im Transporter neu auszurichten. Jemand war dabei gewesen. Griego, der hatte über Teile gemeckert. Dann war er ins Ödland geflogen, in die Wildnis, ins Terreno Cimarrón …
Aber sein Transporter war explodiert! Oder? Plötzlich erinnerte er sich an die Explosion, aber er sah sie aus der Ferne. Er war nicht drin gewesen; trotzdem ging mit der...