Martenstein | Der Titel ist die halbe Miete | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 74088, 176 Seiten

Reihe: btb

Martenstein Der Titel ist die halbe Miete

Mehrere Versuche über die Welt von heute
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-641-01157-4
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mehrere Versuche über die Welt von heute

E-Book, Deutsch, Band 74088, 176 Seiten

Reihe: btb

ISBN: 978-3-641-01157-4
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der neue Glossenband des beliebten ZEIT-Journalisten

Harald Martenstein weiß, worauf es ankommt. Seine Texte bringen das Wesentliche immer auf den Punkt. Auch im neuen Band sind Kolumnen versammelt, die sich um die Widrigkeiten des Alltags drehen: Probleme, die die Menschheit seit Urzeiten mit sich herumschleppt oder welche, die manchmal nur so kurz aufblitzen, dass sie nur von Harald Martenstein verewigt werden können.

In seinen Gedankenlabyrinthen kann man sich kichernd verlieren oder auch stirnrunzelnd Zeitgeistanalyse betreiben. Auf Martenstein ist Verlass. Immer.

»Der Titel ist die halbe Miete« – eine grundlegende Weisheit von Verlagsleuten und Buchhändlern darf endlich beweisen, dass sie den Praxistest besteht.

Martensteins Roman »Heimweg« wurde mit dem Corine-Preis ausgezeichnet.
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Mir ist ein Trend aufgefallen. Seit Jahren kommt ein Buch nach dem anderen auf den Markt, das im Titel das Wort »Anleitung« führt. In jüngerer Zeit sind unter anderem erschienen: Anleitung zum Unschuldigsein, Anleitung zum Männlichsein, Anleitung zum Alleinsein, Anleitung zum Zukunfts-Optimismus, Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit, Anleitung zum Mächtigsein, Anleitung zum Misserfolg, Anleitung zum Philosophieren, Anleitung zum erotischen Fesseln, Anleitung zum Dickwerden, Anleitung zum Müßiggang, Anleitung zum Jagdhornblasen, Anleitung zum Zickigsein, Anleitung zum Faulsein, Anleitung zum Flechten mit Weiden, Anleitung zum Selbstbetrug sowie die Anleitung zum Leben als Bodhisattva.
Diese Anleitungsbücher sind zum Teil von bekannten Autoren verfasst worden, ein paar von ihnen sind Bestseller. Einige sind vermutlich gut, andere nicht.
Das erste Anleitungsbuch, quasi die Anleitung zur Verfertigung von Anleitungstiteln, stammt, wenn ich nicht irre, von Paul Watzlawick. Es heißt Anleitung zum Unglücklichsein.
Ein nicht geringer Teil der Anleitungstitel ist ironisch gemeint, weil sie zu etwas anzuleiten vorgeben, worauf normalerweise kein Mensch Wert legt (Unglücklichsein, Misserfolg). Eine zweite Gruppe meint es mit dem Anleiten wahrscheinlich ernst (Flechten mit Weiden, sexuelles Fesseln). Die dritte Sorte von Titeln schillert in ihrer Aussage, denn das Faulsein oder der Selbstbetrug haben, nach meiner Lebenserfahrung, sowohl Licht- als auch Schattenseiten, man kann beides, je nachdem, wie man gestrickt ist, verdammen oder verteidigen. Ähnliches gilt für das Jagdhornblasen. In Untergruppe vier würde ich jene Anleitungsbücher einsortieren, die zu etwas anzuleiten vorgeben, was sich eigentlich gar nicht lernen lässt, zum Beispiel Unschuldigsein. Dies ist ebenfalls Ironie, aber eine andere Art von Ironie als bei Gruppe eins.
Vor einiger Zeit musste ich mit Verlagsleuten über einen Buchtitel diskutieren. Jemand sagte: »Bei einem Buch ist der Titel die halbe Miete.« Da schlug ich spontan als Titel vor: Der Titel ist die halbe Miete. Die Verlagsleute meinten, so eine Art von Ironie würde nicht verstanden werden. Wenn das Buch aber tatsächlich unter diesem Titel herauskommt und ein Erfolg wird, dann werden sehr bald Bücher erscheinen, die Der Titel zumindest ist schon mal ziemlich geil heißen oder Buch ohne Titel, aber mit umso interessanterem Text.
Andererseits wird nicht jeder Bestsellertitel kopiert. Nach Der Schwarm ist ja keineswegs ein Roman herausgekommen, welcher Das Rudel hieß, auf Das Parfum ist nicht Das Shampoo gefolgt. Susanne Fröhlich aber hat an ihr Gewichtsproblembuch Moppel-ich sogleich das Faltenproblembuch Runzel-ich drangehängt, als Nächstes dürften das Gehproblembuch Wackel-ich und das Vergesslichkeitsbuch Schussel-ich herauskommen.
Da habe ich begriffen, dass es sich, damit man sie kopieren kann, bei der Titelidee um ein klares, einfaches Prinzip handeln muss. Den größten Ehrgeiz bei der Titelfindung haben bekanntlich die Friseure, das Schreiben über drollige Friseurnamen wie »Haarem« oder »Mata Haari« ist fast schon ein eigenes journalistisches Genre. Folgende Friseurnamen habe ich persönlich erfunden und erhebe Copyright: »Haarmageddon«, »Haary, hol schon mal den Wagen«, »Haarminia Bielefeld«, »Haarabische Liga« sowie speziell für den Salon von Susanne Fröhlich: »Zottel-ich«. Mehr davon finden Sie in meinem Bestseller Anleitung zum Friseurnamenerfinden.

Über Aphorismen

Für die Zugfahrt zur Documenta hatte ich ein Buch des neuerdings bei Intellektuellen hoch angesehenen, christlich-konservativen Denkers Nicolás Gómez Dávila gekauft. Es handelt sich um christlich-konservative Aphorismen.
»In demokratischen Epochen verbringt alles Überlegene die Zeit damit, sich zu entschuldigen.«
»Das Kunstwerk ist ein Pakt mit Gott.«
So gehen Aphorismen von Dávila. Nun einige Aphorismen aus meiner Produktion.
Der Irrtum der Konservativen besteht darin, dass man Hochmut nicht essen kann.
Der Sozialist glaubt an den Fortschritt. Der Konservative glaubt an handgenähte Maßschuhe.
Gute Kunst drückt komplizierte Gedanken auf einfache Weise aus. Schlechte Kunst drückt einfache Gedanken auf komplizierte Weise aus.
Bei der Documenta traf ich dann zufällig Kurt Beck. Er machte einen Rundgang, hinterher sagte er in ein Mikrofon: »Ich habe mir diese Dichte an Eindrücken so nicht vorgestellt.«
Er war erstaunlich dünn. Angeblich ist Kurt Beck im Urlaub 80 Kilometer am Tag Rad gefahren. Wie Scharping.
Schon wieder ein SPD-Vorsitzender, der exzessiv Rad fährt und den die Partei killt.
Radfahren ist der Extremismus der linken Mitte.
In der Halle, die Kurt Beck besichtigt hatte, waren Fotos einer älteren Dame zu sehen, Jo Spence, sie fotografiert häufig sich selber mit nackten Brüsten, auf eine ihrer Brüste hatte sie geschrieben: »Eigentum von Jo Spence.« Ein einfacher Gedanke, einfach ausgedrückt. Daneben standen etwa ein Dutzend E-Gitarren auf dem Boden, die abwechselnd einen Akkord spielten, immer den gleichen. Ein Mann fragte seinen Begleiter: »Da brauchst du viel Platz. Wer kauft so etwas?« Der andere Mann, ein Galerist, erklärte, es gäbe zwei Sorten Kunst, erstens Kunst für den Privatverbrauch, zweitens Museumskunst. Früher hätten die Museen aus der Gesamtmasse der Kunst herausgekauft, was als besonders gut oder typisch galt, heute würden viele Künstler direkt fürs Museum produzieren, zum Beispiel dieser Typ mit den Gitarren. Weil die meisten Museen immer geringere Anschaffungsetats hätten, sei die Museumskunst in der Krise und würde vielleicht sogar wieder verschwinden.
Ich bemerkte, dass die meisten Kunstwerke der Documenta darauf abzielten, einen Denkanstoß zu geben. Das Problem bei Denkanstößen besteht darin, dass sie nur ein Mal funktionieren, wie Chinakracher. Sobald man kapiert hat, was das Werk sagen will, kann man es abhaken.
Es gibt drei Arten von Kunst. Vieldeutige Kunst, dekorative Kunst und schlechte Kunst.
Auffällig war ein Maler, der riesige Bilder herstellte, auf denen jede Person, unabhängig von ihrem Geschlecht, einen erigierten Penis besaß, in Rot oder Lila. Die Personen taten so dies oder das, ihre Penisse waren ausnahmslos damit befasst, zu ejakulieren. Auf einem Bild war die Jungfrau Maria zu sehen, selbstverständlich ebenfalls mit einem ejakulierenden Penis versehen.
Die provokative Kunst ist ebenso gedankenarm wie die röhrenden Hirsche, die es früher im Kaufhaus gab.
Ich schaute, wie der Maler hieß. Manno, der hieß ebenfalls Davila! Juan Davila! Ich habe mir sofort ein Familiendrama vorgestellt. Der alte, elitäre Davila schnarrt »Das Kunstwerk ist ein Pakt mit Gott«, worauf der junge, provokative Davila sofort lila Penisse an alle Heiligenbildchen seines Vaters malt.
Juan Davilas Kunst ist ein Pakt mit dem Penis.


Martenstein, Harald
Harald Martenstein, 1953 geboren in Mainz, ist Autor zahlreicher Sachbücher und Romane, unter anderem »Ansichten eines Hausschweins«, »Nettsein ist auch keine Lösung« und »Heimweg«. Seine Kolumnen im ZEIT Magazin, in der WELT am Sonntag, im NDR und auf Radio Eins haben Kultstatus. Er wurde unter anderem mit dem Henri-Nannen-Preis, dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Theodor-Wolff-Preis und zuletzt 2024 mit dem Medienpreis für Sprachkritik ausgezeichnet und unterrichtet an Journalistenschulen. Martenstein lebt in Berlin und in der Uckermark.



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