E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: Historischer Kriminalroman
Marschall Verrat am Kaiser-Wilhelm-Kanal
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96041-341-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: Historischer Kriminalroman
ISBN: 978-3-96041-341-7
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das historische Kiel im Zentrum der Weltpolitik.
Kiel, 1896: Während die geheimen deutsch-russischen Bündnisverhandlungen zwischen Kaiser und Zar in vollem Gange sind, gerät Kommissar Hauke Sötje zwischen die Fronten der Geheimdienste. Er soll einen Verräter beschützen und erkennt zu spät, dass er in eine Falle geraten ist. Erst der mysteriöse Tod eines Dienstmädchens, das im Kaiser-Wilhelm-Kanal treibt, bringt Hauke der Wahrheit näher – einer Wahrheit, für die er bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. KAPITEL Bekanntmachung. Die am 1. ds. Mts. in Kraft getretene Polizei-Verordnung des Herrn Oberpräsidenten vom 20. Februar 1896 über die äußere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage ist diesseits durch den Druck vervielfältigt worden und wird zum Preise von 10 Pfg. pro Exemplar im Polizeibureau, Zimmer Nr. 9 abgegeben. Die Polizeibehörde, H. Lorey. Originalauszug: Kieler Neueste Nachrichten, 1896 Es war ein baumlanger Kerl aus dem Mecklenburgischen, der an diesem frühen Morgen an Deck des Frachtewers »Berta« stand und seinen Priem in die Wange steckte. Sie hatten die Schleuse in Holtenau kurz nach Sonnenaufgang passiert, um am anderen Ende des Kanals Fracht aufzunehmen. Der Kaiser-Wilhelm-Kanal, wie man ihn seit der Eröffnung im letzten Jahr nannte, war eine ganz feine Sache, wie der Matrose fand. Gemächlich begann er zu kauen, während die »Berta« Richtung Brunsbüttel tuckerte, eine lange Rauchsäule hinter sich herziehend. Er beobachtete Nebelschwaden, die lautlos über das Wasser zwischen den Ufern glitten. Sie erinnerten ihn an die Gespenstergeschichten seiner Kindheit. Kurz schauderte es ihn. Das liegt an diesem verdammten Dunst, ging es ihm durch den Kopf. Da bekommt jeder irgendwann ein ungesundes Gemüt. Dabei hatte er in den vergangenen Jahren schon oft solche Schleier am Kanal gesehen. Damals hieß all das hier noch »Nord-Ostsee-Kanal« und war kaum mehr als ein tiefer Graben zwischen Kiel und Elbe. Eigentlich hatte der Name ja bleiben sollen, aber dann war dem Kaiser wohl eingefallen, dass »Kaiser-Wilhelm-Kanal« doch besser sei. Na ja, dachte der Matrose und schob den Priem in die andere Backentasche, dann soll das wohl so sein. Dennoch gefiel ihm der neue Name nicht recht. Klang es doch so, als hätte der Kaiser höchstselbst mit angefasst, den Spaten in die kleiige Marsch gerammt und seinen hoheitlichen Schweiß mit dem Ärmel aus den Augen gewischt. Nein, für all jene, die jahrelang hier geschuftet hatten, blieb das hier der Nord-Ostsee-Kanal. Kaiser kommen und gehen, aber der Kanal bleibt. Das war seine Überzeugung, auch wenn er sie niemandem sagte. Er dachte an die Zeit, damals, als sie am Ufer des leeren Kanals in Baracken schliefen, bei Wind und Wetter sich Meter um Meter tiefer gruben. So mancher von ihnen ließ dabei sein Leben. Aber das Essen war gut. Und wie sie dann feierten, als alles vorbei war. Die Letzten von ihnen hatte man nach Hause geschickt, nachdem die Schleusen, die Fähranleger und die stählernen Brücken fertig waren. Doch zurück nach Strelitz, auf den Hof seiner Eltern, hatte er nicht gewollt. Also war er am Kanal geblieben. Überall dort, wo man einen starken Mann brauchen konnte, nahm er Arbeit an. Mal pflügte er auf den Feldern der reichen Marschbauern für eine Mark am Tag. Manchmal schleppte er im Hafen von Kiel bei den Speichern Säcke oder fuhr bei Ernst Meuser auf der »Berta« Fracht hin und her. So wie heute. Seit acht Jahren war der Kanal nun schon sein Zuhause, und weg von hier wollte er nicht mehr. So bald als möglich wollte er ein anständiges Mädchen finden, es heiraten und mit ihm eine Familie gründen. Sie sollte rund und drall sein, mit einem Stupsnäschen und lachenden Augen. Mit der Zunge beförderte er den Tabakklumpen in seinem Mund auf die andere Seite. Dafür aber musste er mehr sein als nur ein Tagelöhner. Ein Schipper, das wäre fein. So wie der Kapitän der »Berta«, der Ernst Meuser. Schipper auf einem Kanalewer schien ein einträglicher Beruf zu sein, denn der Ernst hatte immer Geld, und viel arbeiten musste er auch nicht. Ihm war mehr als einmal aufgefallen, dass der Ernst in den Spelunken am Hafen oft mit großer Hand Geld ausgab. So viel Geld konnte man als Matrose nie und nimmer verdienen. Aber als Schipper mit einem eigenen Kahn, da war das schon eine andere Sache. Er blickte sich zu den kinderkopfgroßen Steinen im Laderaum um. Die würde er in Rendsburg abladen müssen. Danach sollte es weiter nach Brunsbüttel gehen, wo er dreitausend Ziegelsteine an Bord zu schaffen hatte. Und während er schuftete und schnaufte, würde der Ernst mit den Kanallotsen und Hafenmeistern ein Schwätzchen halten. Ja, doch, ein Leben als Kanalschipper könnte etwas für ihn sein. Er seufzte. Bis dahin aber musste er auf der »Berta« jede Woche zwei Touren Ziegelsteine nach Kiel bringen und ausladen. Seit man die Stadt zum Kriegsmarinehafen erklärt hatte, wurde ihr Hunger nach rot gebrannten Mauersteinen täglich größer. Und es waren Leute wie er, die auf ihrem Rücken das Material herbeischleppen mussten, während andere damit eine Menge Geld verdienten. Wie zur Bestätigung seines Ärgers durchfuhr ein Schmerz seinen Rücken. Er stemmte die Faust in die Lende und reckte sich. Wenigstens hatte der Ernst ihm die letzten Tage freigegeben, damit er seinen Rücken auskurieren konnte. Das war anständig, fand er. Umso schlechter fühlte er sich, weil er in Wahrheit rüber nach Ellerbek gelaufen war, um sich dort einen Ewer anzuschauen. Sein Schiff würde nicht so lang sein wie die »Berta« und auch nicht so viel Fracht aufnehmen können. Und eine Dampfmaschine würde es auch nicht haben, aber für den Anfang würde es reichen. Auch die Ladung müsste er sich erst beschaffen, davon aber gab es genug auf dem Kanal, keine Frage. Hundert Mark fehlten ihm nur noch, dann konnte er endlich sein eigener Herr sein. Irgendwann musste er es dem Ernst aber sagen. Und davor graute ihm ein wenig, denn mit dem war nicht zu spaßen. Der Kapitän der »Berta« hatte eine verschlagene Art, die dem Matrosen unheimlich war. Nachdenklich blickte er zu den Nebelgeistern hinüber, wie sie sich sirenengleich vom Wind über das Wasser treiben ließen. Hauchdünne Fetzen, Geister einer anderen Welt. Wieder zogen Gedanken an die Spukgestalten der Kindheit durch seinen Kopf. Verärgert spuckte er den Priem ins Wasser. Lange her. Er wandte sich ab, wollte gerade nach achtern gehen, weil er hier am Bug nicht gern allein stand, mit all den Wiedergängern dort drüben, als er etwas im Wasser treiben sah. Er blieb stehen, zögerte. Immer wieder ersoffen Kühe im Wasser, weil sie zu dicht an die Uferböschung kamen und den meterhohen Hang hinunterrutschten, sich dabei die Beine brachen und ins Wasser fielen. Doch das, was dort auf ihn zukam, schien kein Tier zu sein. Er beugte sich ein wenig über die Reling. Mit leicht zusammengekniffenen Augen stierte er hinüber, konnte es erst nicht erkennen. Dann aber sah er, was es war. »Maschine stopp!«, schrie er, riss die Arme hoch und fuchtelte über den Lärm hinweg Ernst zu, der Pfeife rauchend am Ruder stand. »Steuerbord! Da schwimmt was!« Dann lief er an der Reling nach achtern, griff nach dem Bootshaken und stolperte zurück. Schnell kam der Körper im Wasser näher. Als er längsseits an der Schiffswand vorbeitrieb, versuchte der Matrose, ihn mit dem schmiedeeisernen Haken zu erwischen. Doch immer wieder glitt der Haken an dem aufgeplusterten Rock ab. Der Körper drehte sich, wälzte sich im Wasser herum, wie ein Ball. Plötzlich war da das Gesicht einer Frau. Teigig weiß, mit offenem Mund und aufgerissenen Augen, starrte sie ihn an. Er japste auf, stolperte zurück. Kurz fluchte er auf, um sich Mut zu machen. Dann versuchte er ein weiteres Mal, die Leiche aus dem Wasser zu holen. Sie hatten die Tote nicht an Bord hieven können. Ernst hatte es nicht gewollt. »Dod is dod«, hatte er gesagt und seine Pfeife dabei geraucht, während ein paar Fischer herbeiruderten, um zu helfen. Die Tote aus dem Wasser zu holen gelang aber erst, als ein Seemann, der zufällig am Ufer entlangging, ins Wasser sprang, die Frau ergriff und an Land zog. Jetzt legten die Männer die Tote schweigend auf die Steine der Uferböschung. Ihr Gesicht war von einer tiefen, blutleeren Schramme gezeichnet, die vom Bootshaken herrühren mochte, mit dem er sie aus dem Wasser fischen wollte. Der herbeigeeilte Seemann wischte sich das Kanalwasser aus dem Gesicht, kniete sich zu der Toten hinunter und griff nach ihrem Handgelenk. In ihrer Handfläche steckte ein langer Splitter aus Holz. Dann sah er etwas Weißes unter ihrem Ärmel hervorlugen. Vorsichtig schob der Seemann den Ärmel hoch. Ein Stück Stoff kam zum Vorschein. Es war mehrmals um den Unterarm der Toten gewunden und mit einem Band verknotet. Gerade wollte einer der Männer etwas fragen, als über ihren Köpfen die Gestalt eines Uniformierten auf einem Pferd erschien. »Was in Kaisers Namen hat das hier zu bedeuten?«, schrie der Polizist. Die Männer blickten die Böschung hinauf. Keiner sagte etwas. Schweigend wiesen sie zu der Toten. Der Beamte, dessen gewienerter Helm im Morgenlicht glänzte, erhob sich in den Steigbügeln zu seiner ganzen Größe, um besser sehen zu können. »Schon wieder eine tote Person?« Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Diese vermaledeiten Brücken sind nichts weiter als gemeingefährlich.« »Ich habe die Frau im Wasser treiben sehen. Bekomme ich dafür eine Belohnung?«, fragte der Matrose. Der Polizist schnaubte verächtlich und zwirbelte seinen mächtigen Bart. »Ist sie eine bekannte Verbrecherin?« Unsicher schaute der Angesprochene zu den anderen Männern. »Oder ist sie die Zofe der Kaiserin? – Nein? Na, dann wird das wohl nichts mit einer Belohnung!« Brüllend lachte der Polizist auf. »Hat sie wenigstens Papiere bei sich?« Der Seemann, der zu Hilfe gekommen war und jetzt mit klatschenassen Kleidern neben der Leiche kniete, erhob sich. »Nein, weder in ihrer Jacke noch in ihrem Rock. Sie hat eine schwere...