E-Book, Deutsch, 164 Seiten
Marry / Schäfer Das ABC der Paarberatung
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-9107-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Teil 2 - Praktische Modelle für die Beratung
E-Book, Deutsch, 164 Seiten
ISBN: 978-3-7562-9107-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit diesem Buch ergänzen Sabine Schäfer und Edouard Marry ihren ersten Band um einige selbstentwickelte Modelle, mit denen sie in ihrer beinahe vierzigjährigen Erfahrung als Beratende Paaren in kurzer Zeit geholfen haben, Störungsursachen ihrer Beziehung bewusst zu machen. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis zeigen sie auf, wie mit Hilfe dieser Modelle, Verstrickungen, die die Beziehung belasten, sichtbar gemacht, analysiert und schließlich behandelt werden können. Da sie selbst sich weniger als Forschende auf dem Gebiet der Paarberatung sehen als viel mehr als Praxisbezogene auf der Suche nach pragmatischen Lösungen, legen sie hierbei großen Wert darauf, dass die Ratsuchenden auch nach Beendigung der Beratung in der Lage sind, ihre Beziehung mit dem erworbenen Wissen weiterhin zu pflegen und zu schützen. Mit diesem Buch möchten sie daher nicht nur Fachleute inspirieren, sondern auch Paare ermutigen, die eigenen Ursachen für ihre Probleme sichtbar machen und bekämpfen zu können - für die Rettung ihrer Liebe.
geboren 1945 in Ägypten. Dipl.-Psych., seit 1973 freiberuflicher Psych. Psychotherapeut, leitete 38 Jahre lang die Ehe- Familien- und Lebensberatungsstelle des Caritasverbandes Berlin. Mentor und Supervisor (Kath. Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung). Ausbilder des Muslimischen Seelsor-getelefons und bei der Telefonseelsorge Berlin. Vorsitzender der Offenen Tür Berlin.
Autoren/Hrsg.
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2. Kommunikation und Wahrnehmung
Bei der Kapitelaufteilung orientieren wir uns an unserem ersten Band »Das ABC der Paarberatung« und stellen im Folgenden zwei Modelle vor, die in die erste Ebene der Kommunikation und Wahrnehmung gehören. 2.1. Das Linsen-Modell, Die »stille Post« im Kopf
Erinnern Sie sich an das früher beliebte Gruppenspiel »Stille Post«? Eine Person fängt damit an, der neben ihr sitzenden Person eine Nachricht ins Ohr zu flüstern, die diese wiederum in das nächste Ohr flüstert usw. Schon nach drei bis vier Durchgängen verändern sich die Inhalte der Botschaft und nach zehn Durchgängen entspricht von der Nachricht kaum noch etwas dem Original! So ähnlich verhält es sich mit den Sinneswahrnehmungen, wenn sie – in unserem Inneren – die verschiedenen »Linsen« des Objektivs unserer Sinnesorgane durchlaufen haben. Am Ende ist das, was wir wahrnehmen, ein anderes Produkt als das Faktische. Selbst eine allgemein gültige Definition des Faktischen fällt schwer. Auch die wissenschaftliche Forschung hat einige Probleme zu lösen, wenn sie Fakten präsentieren soll, und erst recht, wenn sie Schlussfolgerungen aus Experimenten validieren will. Was in der Erkenntnistheorie ein kompliziertes Unterfangen ist, scheint manchen Menschen in der alltäglichen Wahrnehmung und Kommunikation ganz locker zu gelingen: Sie können unbeirrt »die Wahrheit« erkennen und verkünden! Und nicht nur das, sie können ganz genau sagen, was in den Köpfen ihrer Gegenüber vor sich geht, was sie denken und fühlen. Finden Sie diese Zeilen zynisch? Aber, Hand aufs Herz, trifft es nicht auch auf Sie zu, wenn Sie in einem Disput mit anderen sind? Eigentlich scheint jeder die Wahrheit zu kennen, obwohl das schlicht unmöglich ist, denn die Wahrheit gibt es nicht! Denn selbst wenn es sie gäbe: Wie sollten wir sie wahrnehmen können, wenn unsere Sinneswahrnehmung subjektiv ist? Insofern kann ein Erkennen der unbewussten Fehldeutung, die letztlich schuld ist an der Schaffung von Missverständnissen und rechthaberischem Streit in Ehe und Familie, ein wenig dazu beitragen, sich und das eigene Verständnis von unumstößlicher »Wahrheit« nicht so definitiv über alle anderen zu stellen und vielleicht doch den anderen zu glauben, dass sie dieselben Dinge anders sehen. Das erleichtert die Verständigung und kann sogar die Frage, wer denn recht hat, überflüssig machen. Es können nämlich mehrere Menschen recht haben, aber eben nur aus ihrer Perspektive. Trotzdem kann es eine Einigung geben, die aus verschiedenen Perspektiven dasselbe wahrnimmt. Und eine solche konsensuelle Realität käme der Wahrheit wahrscheinlich näher, als wenn nur eine einzige Perspektive zugelassen wird. Versuchen wir erst einmal die Diversität der Wahrheit zu begründen: Unser Kontakt zur Außenwelt wird grundsätzlich nur über unsere fünf Sinne vermittelt: Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken. Mehr haben wir nicht zur Verfügung, um die Welt um uns herum zu erkennen. Alle anderen Hilfsmittel, wie Teleskope, Mikroskope oder Sensoren usw. erweitern ein wenig das Spektrum unserer Wahrnehmung, trotzdem beruht die Vermittlung der Außenwahrnehmung auf den fünf Sinnen. Unser »Wahrnehmungsapparat«, wie Freud die fünf Sinne nannte, wird schon sehr früh geformt und ausgebildet. Die neuesten neurologischen Erkenntnisse legen nahe, dass er in seiner Funktion und seinem Umfang – nebst genetischen Faktoren – in den ersten zwei Jahren unseres Lebens entscheidend geprägt wird, und zwar durch das nächste Umfeld, vor allem durch die Eltern. Es ist nicht übertrieben zu sagen, das Kleinkind nimmt die Welt zunächst nur mithilfe der elterlichen Augen wahr. Erst nach und nach fängt das Kind an, sich eigene Vorstellungen von der Welt zu machen und diese Bilder durch Rückfragen zu überprüfen. Das fängt an mit: »Was ist das?«, dann kommen die »Warum«-Fragen, die uns Eltern manchmal zur Verzweiflung bringen, weil die Fragerei – gefühlt – nie aufhört! Aber auch wenn es nervig ist: Diese Phase ist enorm wichtig für das Kind. Ein Kind lernt wahrzunehmen! Und es lernt, das Wichtige, Nützliche beziehungsweise Schädliche oder Gefährliche voneinander zu unterscheiden, zu erkennen und zu benennen. Die Eltern stellen dem Kind alle Namen und Bedeutungen der äußeren und inneren Welt zur Verfügung, die es später im Leben gebrauchen wird, inklusive der dazu gehörenden Sprache. Das bedeutet aber auch, dass hier eine familiäre, kulturelle und intellektuelle Selektion stattfindet, die unsere Wahrnehmung subjektiv macht. In unserem Modell stehen die einzelnen farbigen Linsen für die formenden Elemente unserer Wahrnehmung: Absichten, Aufmerksamkeit, Erinnerungen, Erfahrungen, Erwartungen, Befindlichkeiten, Gefühlslage, Bildung und Intelligenz, Kultur und so weiter …Jede »Linse« verändert ein wenig den Wahrnehmungsinhalt. Dies zeichnen wir manchen Paaren genauso auf, da diese Visualisierung einen sehr komplexen psychischen Vorgang leicht verständlich macht. Der am Anfang empfangene Reiz löst wahrscheinlich bei jedem Menschen eine andere Reaktion, ja sogar bei demselben Menschen zu verschiedenen Zeiten eine spezifische Variation von Reaktionen aus. Dass wir uns trotzdem über die Wahrnehmungsinhalte mit anderen Menschen wie selbstverständlich austauschen können, lässt uns vergessen, dass es keine automatische, übereinstimmende Anpassung der subjektiven Wahrnehmungen gibt, genauso wenig, wie es eine globale Sprache gibt. Versuchen Sie im Ausland in Ihrer Muttersprache etwas zu essen zu bestellen! Sofort wird der Erfolg der Verständigung entweder vom Zufall abhängen, dass die Bedienung derselben Sprache mächtig ist, oder Sie benutzen Hände und Füße, um Ihr Anliegen umständlich an Ihr Gegenüber zu bringen. Durch die Erfahrung mit Sprachunterschieden merken wir, dass es einer gewissen Anstrengung bedarf, sich zu verständigen. Aber auch wenn zwei Menschen »dieselbe Sprache sprechen«, heißt das noch lange nicht, dass sie dieselben Inhalte meinen. Nun könnten wir vermuten, dass die Schwierigkeit der Verständigung nur abstrakte oder allgemeine Begriffe betrifft, zum Beispiel »Glück«, »Intelligenz« oder »Kälte«. Dies ist aber nicht so, denken Sie beispielsweise an das Wort »Tannenbaum«, je nach Herkunftsland, Familienkultur und vielen anderen Einflüssen stellt sich die eine Person eine Fichte, die andere eine Araukarie und die dritte einen Weihnachtsbaum vor. Nehmen wir an, dass zwei verschiedene Menschen aufgefordert werden, einen Tannenbaum zu betrachten, und ihre Einfälle und Gefühle dabei beschreiben sollen. Der eine fängt an und berichtet, die Tanne erinnere ihn an Weihnachten und er freue sich auf die kuschlige Jahreszeit in der Familie. Der andere schluckt beim Anblick desselben Bildes und wirkt unglücklich. Befragt, warum er so traurig aussieht, sagt er, Weihnachten sei die schlimmste Zeit des Jahres für ihn und die Familie, weil eines der Kinder genau zu Weihnachten bei einem Autounfall gestorben sei (übrigens eine wahre Begebenheit). An diesem Beispiel lässt sich erkennen, wie stark der Unterschied in der Wahrnehmung und deren Verarbeitung sein kann. So versteht jeder etwas anderes darunter und reagiert auch anders auf dieselben Phänomene: Der eine Mensch friert vielleicht schon bei 19 Grad Celsius, der andere erst bei 10 Grad. Manch einer findet, sein Hund sei intelligent, ein anderer definiert Glück über einen Lottogewinn. Ein Dritter kann damit nichts anfangen: Er mag keine Hunde und meint, Geld mache nicht glücklich, sondern Familie und Freundschaft. Genau genommen ist es ein Wunder, dass wir uns gegenseitig einigermaßen gut verständigen können. Wenn dieselbe »Wellenlänge« fehlt, kann man an den Unterschieden verzweifeln! Dissonanz ist ein großes Problem, nicht nur sprachlich. Dieses Problem lässt sich auch bei einer nicht verbalen Kommunikation demonstrieren, z.B. in der Musik. Stellen Sie sich ein Konzert vor, bei dem die Musizierenden ihre Instrumente nicht aufeinander abgestimmt haben: Wie »schräg« und unerträglich klänge dann selbst die schönste Symphonie!? Sie kennen bestimmt das aufregende Gefühl vor dem Beginn eines Konzerts, das vom Einstimmen der Instrumente erzeugt wird. Alle scheinen ein chaotisches Stück zu spielen, bis endlich die abgestimmte harmonische Musik erklingt. Dieses Aufeinander-Abstimmen sollte eigentlich nicht nur für Musikinstrumente gelten, sondern vor jedem Dialog selbstverständlich sein. Unsere Sprache ist schließlich auch ein Instrument, mit dem unsere Gedanken und Gefühle mit anderen Menschen ausgetauscht werden. Hier nimmt sich kaum jemand die Zeit, »die Instrumente zu stimmen«. Das kommt einem noch nicht einmal in den Sinn, so einen Aufwand zu betreiben. Wenn sich Menschen treffen, »musizieren« sie einfach...