Maroo | Western Lane | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Maroo Western Lane

Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-32069-0
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-641-32069-0
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Shortlist Booker Prize. Chetna Maroo erzählt eine Geschichte voller Zärtlichkeit über den Zusammenhalt einer Familie nach dem Tod der Mutter.
'Western Lane' erzählt die Geschichte von Gopi, der jüngsten von drei Schwestern, die mit ihrem Vater am Stadtrand von London leben. Ihre Mutter ist vor Kurzem gestorben, niemand in der kleinen indischen Einwandererfamilie weiß so recht, wie es weitergehen soll. Die Trauer des Vaters ist spürbar, aber er spricht nicht darüber. Weit weg in Edinburgh machen sich Gopis Onkel und seine Frau Sorgen: Da die beiden keine Kinder bekommen können, wollen sie am liebsten Gopi zu sich holen und sie wie ihre eigene Tochter aufziehen.

In der Western Lane, dem örtlichen Freizeitzentrum, kämpft Vater der Mädchen indes auf seine Weise um den Zusammenhalt der Familie: Zwei, drei, vier Stunden spielt er abends, nach der Schule, mit ihnen Squash. Tag für Tag. Und Gopi ist talentiert. Das kleine, durch vier Wände begrenzte Feld wird für sie zu einem Fluchtpunkt. Hier kann sie sich mit ihrem Vater ohne Worte austauschen. Hier kann sie ihre Traurigkeit für kurze Zeit vergessen. Hier kämpft sie darum, dass alles wieder gut wird.

Chetna Maroo wurde in Kenia geboren und wuchs in Großbritannien auf. Ihre Geschichten erschienen in der 'Paris Review', der 'Dublin Review' und in 'The Stinging Fly'. Sie wurde mit dem Plimpton Prize for Fiction ausgezeichnet und stand mit ihrem Romandebüt 'Western Lane' auf der Shortlist des renommierten Booker Prize. Chetna Maroo lebt in London.

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EINS


Ich weiß nicht, ob Sie schon mal in der Mitte eines Squash-Courts – auf dem T – gestanden und den Geräuschen aus dem Court nebenan gelauscht haben. Wie ein Ball schnell und hart geschlagen wird. Es ist ein kurzer, trockener Ton wie bei einem Pistolenschuss, mit einem unmittelbar folgenden Echo. Das Echo ist das Geräusch, wenn der Ball auf die Wand trifft, und es ist lauter als der Schlag. Diese Geräusche höre ich, wenn ich an das Jahr nach dem Tod unserer Mutter denke, als unser Vater uns zwei, drei, vier Stunden am Tag in der Western Lane trainieren ließ. Es muss während eines Abendtrainings nach der Schule gewesen sein, als es mir zum ersten Mal aufgefallen ist. Meine Beine waren schwer, ich konnte nicht mehr, ich stand auf dem T, ließ den Schläger hängen und starrte auf die Seitenwand und die verwaschenen Spuren der zahllosen Bälle, die von ihr abgeprallt waren. Ich war am Aufschlag, und mein Vater würde mit einem Longline zurückspielen, und ich würde mit einem Volley antworten, mein Vater wieder mit einem Longline und ich mit einem Volley, immer auf die rote Aufschlaglinie an der Stirnwand. Mein Vater stand ganz hinten und wartete. Sein Schweigen sagte mir, dass er sich nicht als Erster bewegen würde, und ich konnte entweder Serve und Volley spielen oder ihn enttäuschen. Die Flecken an der Wand verschwammen vor meinen Augen, und ich dachte, ich falle gleich hin. Da fing es an. Ein gleichförmiger, melancholischer Rhythmus im Court nebenan, der Schlag und sein Echo, immer und immer wieder, wie eine Art Erlösung. Nebenan trainierte jemand seine Schlagtechnik. Und ich wusste auch, wer das war. Ich stand da und lauschte, und das Geräusch drang in mich ein, in meine Nerven und Knochen, und mit dem Gefühl, erlöst worden zu sein, hob ich meinen Schläger und schlug auf.

Wir waren drei Schwestern. Als meine Ma starb, war ich elf, Khush war dreizehn, Mona fünfzehn. Seit wir einen Schläger in der Hand halten konnten, spielten wir zweimal pro Woche Squash und Badminton, aber das war nichts im Vergleich zu dem Drill, der später kam. Mona meinte, die Sprints, das Ghosting und das dreistündige Training hätten angefangen, nachdem unsere Tante Ranjan Pa erklärt hatte, wir Mädchen bräuchten Bewegung und Disziplin, während Pa still dasaß und sich von ihr sagen ließ, was er zu tun hatte.

Es war Herbstanfang. Nach einer für die Jahreszeit ungewöhnlichen Trockenheit war es jetzt warm und schwül. Drückende Luft, und in den Straßen hing der Geruch von verfaulendem Essen. In dieser Hitze, wenige Tage nach Mas Beerdigung, waren wir vierhundert Kilometer bis Edinburgh gefahren, um mit einem Abendessen im Haus unserer Tante unsere Trauerzeit zu beenden. Und da hat Tante Ranjan Pa gesagt, wir seien zu wild.

Wir standen mit Pa in ihrer Küche, als sie es sagte. Mona wusch in der Spüle Kartoffeln. Mit gesenktem Kopf stand sie da, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, denn sie hat nicht einfach nur die Erde von den Kartoffeln gespült, sie hat sie richtig geschrubbt. Ihr Pferdeschwanz schwang hin und her. Khush schälte langsam Kartoffeln und schaute dabei aus dem Fenster. Ich saß am Tisch und pulte Granatäpfel. Tante Ranjan hatte mit Khush geschimpft, weil sie in der Küche das Haar offen trug, und dann hatte sie sich zu mir umgedreht, die weiße Tischdecke zurückgeschlagen und Zeitungspapier ausgelegt, damit keine Saftspritzer auf ihren neuen, sehr schön dunkel gewachsten Tisch kamen.

Von da, wo ich saß, erspähte ich die Gulab Jamun, die Tante Ranjan am frühen Morgen zubereitet hatte. Die goldbraunen, saftigen Milchbällchen, die schon mit Zuckersirup vollgesogen waren, türmten sich in einer Glasschüssel am Ende der Anrichte.

Tante Ranjan bemerkte meinen Blick.

»Gopi«, sagte sie.

Ich erstarrte und errötete, als ich meinen Namen hörte.

Tante Ranjan stand auf. Sie stellte sich so hin, dass ich die süßen Bällchen nicht mehr sehen konnte. Ich weiß nicht, warum, aber es schien mir wichtig, meine Blickrichtung nicht zu ändern, so zu tun, als hätte ich schon die ganze Zeit nur ins Leere geschaut.

»Wild«, sagte Tante Ranjan zum zweiten Mal und fixierte mich. »Und es ist kein Geheimnis.«

Dann wandte sie sich Pa zu, und er saß tatsächlich einfach nur da, blickte ins Leere und schwieg.

Tante Ranjan wartete.

»Also, ich habe meine Meinung kundgetan«, erklärte sie schließlich. »Jetzt kommt es auf dich an.«

Pa hob den Blick und schaute Tante Ranjan einen Moment lang an, und in seinem Blick lag eine Kühle, die wir gewohnt waren, Tante Ranjan aber nicht. Ihre Wangen röteten sich. Der Dampfgarer auf dem Gasherd gab ein dünnes, hohes Pfeifen von sich, und plötzlich war es in der Küche ganz warm vom vielen Dampf, und es roch nach verkochten Linsen. Tante Ranjan nahm ein sauberes Küchentuch von einer Stuhllehne und betupfte sich damit die Stirn.

»Ich habe Charu darauf hingewiesen«, sagte sie. »Ich gebe ihr keine Schuld, Bruder, aber ich versichere dir, es ist noch nicht zu spät für die Mädchen.«

Es war ganz still in der Küche. Dann trat meine Schwester Mona an den Herd, nahm den Dampfgarer von der Flamme und knallte ihn auf die Granit-Arbeitsplatte. Die Schüssel mit den Gulab Jamun am Ende der Anrichte bebte, und Mona, die vom Kartoffelschrubben verdreckten Hände auf dem Dampfgarer, stand da und sah Pa herausfordernd an.

Tante Ranjan drehte den Wasserhahn zu und ging zu Mona.

»So nicht, Kind«, sagte sie.

Da kam unser Onkel herein, als betrete er die Küche anderer Leute. Vielleicht war er eigentlich auf dem Weg in seinen Garten, doch er schaute erst Mona, dann Pa an, blieb einen Moment lang mitten im Raum stehen und setzte sich dann zwischen Pa und mich. Wir mochten Onkel Pavan. Er war Pas jüngerer Bruder, er war dick und lieb und mochte es, draußen zu rauchen und über die Vergangenheit nachzudenken.

Onkel Pavan war vierzig. Pa war fast fünfundvierzig. Aber alle redeten davon, wie schön die Brüder geworden seien, so als wären sie gerade erst erwachsen geworden. Seit Mas Tod folgten die Blicke unserer Tanten Pa vom Esstisch zur Spüle und von dort in den Garten. Er tat ihnen leid, aber sie versuchten auch, sich einen Reim auf etwas zu machen, und wir wussten, dass dieses Etwas mit der Leere zu tun hatte, die sich vor ihm aufgetan hatte.

Es war noch nicht Mittag, und Onkel Pavan war es schon zu heiß. Sein Gesicht glühte, es hatte sich tiefrosa gefärbt. Er legte eine Hand auf den Tisch, klopfte mit allen vier Fingern gleichzeitig auf die Tischdecke, dann legte er die Hand auf den Oberschenkel. Er brauchte eine Zigarette. Er warf Pa einen Blick zu und verschränkte, bereit zu reden, die Hände auf dem Schoß. Khush hatte Onkel Pavan ein Glas Wasser eingeschenkt, und als sie sah, dass er so weit war, stellte sie es vor ihn auf den Tisch und setzte sich, um sich anzuhören, was er zu sagen hatte. Onkel Pavan sah sie dankbar an und begann.

»Es war mitten in der Hitzewelle«, sagte er und beugte sich zu Pa hinüber. »Erinnerst du dich? Der Abend, als du Bapuji gesagt hast, dass du heiraten würdest. Du warst lange unterwegs, und Pa hatte darauf bestanden, dass wir alle aufblieben und auf dich warteten. Wir mussten mit Eis gefüllte Kisten vor die Ventilatoren stellen und konnten uns vor Hitze nicht rühren. Als du endlich nach Hause kamst, hat Bapuji dich reingerufen und dich vor allen gefragt, was dir einfiele. Du hast keine Sekunde gezögert. Du hast in der Tür gestanden und es gesagt, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Ich heirate. Einfach so. Das war großartig. Ich werde Bapujis Blick nie vergessen. Es war so … ich … Charu … sie war … sie …«

Onkel Pavan schien irgendwas im Hals stecken geblieben zu sein, und es war offensichtlich, dass Pa hoffte, er würde weiterreden, aber er konnte nicht.

»Es bringt nichts, auf etwas herumzureiten«, sagte Tante Ranjan. Sie legte Onkel Pavan eine Hand auf die Schulter. »Komm, Pavan. Hol noch zwei Stühle aus der Garage, damit wir alle sitzen können.«

Als wir uns endlich zum Essen niederließen, war es vier. Die Luft war dick und schwer, und jede Bewegung schien verlangsamt. Tante Ranjan, Onkel Pavan, Pa und ich warteten auf unseren Plätzen, während meine Schwestern das Essen auftrugen. Wir hatten alle einen großen silbernen Teller vor uns, auf den meine Schwestern jeweils eine kleine silberne Schale Dal, einen ganzen Laddu, Kartoffelcurry, Reis, ein Puri, Zwiebel-Tomaten-Salat und eine kleine silberne Schale mit drei Gulab Jamuns platzierten. Immer wieder schob Khush sich die Haare, die ihr an Stirn und Wangen klebten, aus dem Gesicht. Als ich sah, dass ihre Haare fast in dem Sirup hingen, von dem sie noch etwas mehr auf meine Jamuns löffelte, wandte ich mich ab.

Die Tür zum Garten stand offen. Es war vollkommen windstill. Tante Ranjan erzählte von ihren Geschwistern in Tansania, die zu viele Kinder hatten. Sie aß sehr bedächtig, nahm in großen Abständen immer nur kleine Bissen in den Mund, und wir versuchten es ihr nachzutun. Als ich alles bis auf die drei Gulab Jamuns aufgegessen hatte, betrachtete sie meine kleine Schale, in der die Jamuns im Sirup schwammen. Ich legte meinen Löffel weg.

»Bruder«, sagte sie und wandte sich an Pa. Am liebsten hätte ich sie angeschrien, dass Pa nicht ihr Bruder war, dass er Onkel Pavans Bruder war. »Bruder«, sagte sie, »auf dich kommen schwere Zeiten zu.«

Onkel Pavan rückte seinen Stuhl näher an den Tisch. »Ranjan«, murmelte er.

»Nein«, sagte Tante Ranjan. »Er weiß, was ich meine.«

Sie schaute Pa an und begann, auf Gujarati zu sprechen, leise und konzentriert. Sie sagte, dass Onkel Pavan und sie...


Breuer, Charlotte
Charlotte Breuer und Norbert Möllemann übersetzen Literatur aus dem Englischen, u.a. von Chloe Benjamin, Elizabeth George und Kate Morton.

Maroo, Chetna
Chetna Maroo wurde in Kenia geboren und wuchs in Großbritannien auf. Ihre Geschichten erschienen in der »Paris Review«, der »Dublin Review« und in »The Stinging Fly«. Sie wurde mit dem Plimpton Prize for Fiction ausgezeichnet und stand mit ihrem Romandebüt »Western Lane« auf der Shortlist des renommierten Booker Prize. Chetna Maroo lebt in London.



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