E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Marly Die Villa in Weimar
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7499-0785-4
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Historischer Künstlerroman im Zentrum der Dichter und Denker | Von der SPIEGEL-Bestsellerautorin | Verbindung von Zeitgeschichte mit hervorragend recherchierten Fakten
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-7499-0785-4
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sommer 1897: Die weltberühmte Schauspielerin Marie Seebach hat einen Teil ihres großen Vermögens in einer kürzlich gegründeten Stiftung angelegt und damit ein einzigartiges Altersheim für mittellose Bühnenkünstler in Weimar geschaffen. Da erfährt sie von Unregelmäßigkeiten. Misstrauisch verfolgt sie die Vorgänge aus ihrem Urlaubsdomizil St. Moritz und bittet Lotte Wernitz, eine junge Krankenschwester, nach Weimar zu fahren und sich inkognito umzusehen.
Doch bevor Lotte erste Briefe an die alte Dame schreiben kann, werden alle Beteiligten in Weimar durch eine traurige Nachricht aufgeschreckt: Marie Seebach ist an einer Lungenentzündung gestorben. Offenbar ist ihre Schwester Wilhelmine die Universalerbin und damit die Frau, an der nunmehr der Fortbestand der Stiftung hängt. Die alten Herrschaften sind in Aufregung, überlegen, was zu tun ist, um ihren Alterssitz auf jeden Fall zu retten - denn Wilhelmine scheint ihnen nicht wohlgesonnen ...
Hinter Michelle Marly verbirgt sich die deutsche Bestsellerautorin Micaela Jary, die in der Welt des Kinos und der Musik aufwuchs. Durch ihren Vater, den Komponisten Michael Jary, entdeckte sie schon früh ihre Liebe zu Frankreich; ihre Mutter, ein ehemaliges Mannequin, prägte ihren Sinn für Mode. Sie lebte lange in Paris und wohnt heute mit Mann und Hund in Berlin und München, sie hat eine erwachsene Tochter und ist sehr glückliche Oma von Zwillingen.
Autoren/Hrsg.
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Weimar
Thea
3
Thea von Redden strich vorsichtig über die Knospe einer Rose. Sie liebte diese Blumen, jedes Jahr sehnte sie die erste Blüte herbei. Früher hatte sie große Bouquets geschenkt bekommen, mit Rosen in den Armen hatte sie sich auf der Bühne vor ihrem begeisterten Publikum verbeugt, zahllose Sträuße von Verehrern erwarteten sie in ihrer Garderobe. Ihre Auftritte waren jedoch schon lange her, und nichts erinnerte sie so sehr an die eigene Vergänglichkeit wie der Verlust der Bewunderung. Als der junge Landschaftsgärtner, den das Stiftungskomitee angestellt hatte, im vorigen Jahr Rosensträucher in den Vorgarten der Villa pflanzte, nahm sie es als Zeichen, dass sie in dem von Marie Seebach gegründeten Altenheim ebenfalls Wurzeln schlagen konnte. Was für ein Irrtum!
Sie hatte nicht damit gerechnet, wie sehr ihr die ständige Nähe zu den anderen Bewohnern auf die Nerven gehen würde. Die Heucheleien und Intrigen, die sie einst hinter den Kulissen mit ihren Kolleginnen und Kollegen erlebt hatte, setzten sich in dieser Umgebung im Verein mit Altersstarrsinn fort. Darüber hinaus machte ihr der ständige Klatsch zu schaffen, dieses andauernde Geschnatter war ihre Sache nicht. Sie schützte sich mit beißender Ironie vor dem vielen Gerede – aber auch das war anstrengend.
Meistens zog sie die Ruhe vor, in der sie ihren Erinnerungen nachhing. Doch in diesem Haus fand sie die ersehnte Stille nicht einmal in ihrem Zimmer. Durch die Wände hörte sie den dauernden Streit des Ehepaares Luise und Peter Linke, und das Gezänk von Auguste Hertz machte nicht einmal vor ihrer Tür halt. Da hatte Marie Seebachs Architekt bei dem Bau des Hauses auf eine Zentralheizung und auf Doppelfenster geachtet, aber nicht auf schalldichte Wände und Türen. Deshalb ging Thea viel in den Garten – nach einem milden Winter und ungewöhnlich hohen Frühjahrstemperaturen erwies sich diese Flucht sogar als Genuss.
»Wenn das warme Wetter hält, werden die Rosen bald blühen.«
Thea richtete sich auf und wandte sich zu dem jungen Mann in ihrem Rücken um. Der Gärtner stand in Arbeitsmontur da, hatte einen Spaten geschultert und strahlte sie an. Nicht nur, dass er ihre florale Vorliebe teilte, sie mochte ihn wegen seines Charmes und nicht zuletzt auch wegen seines attraktiven Äußeren mit den blonden Locken und dem klassischen Gesichtsschnitt – Paul Morow erinnerte sie an manchen Verehrer in ihrer Vergangenheit, was ihn zu einem interessanten Gesprächspartner machte. Obwohl sie die Antwort kannte, fragte sie: »Ist das eine besondere Züchtung?«
»Es sind englische Sorten mit gefüllten Blüten, die stark duften«, erklärte Paul mit einem stolzen Lächeln. »Sie werden sich lange an ihrem Parfüm erfreuen.«
»Ach, was habe ich für schöne Erinnerungen daran …«
Bevor sie weiter schwelgen oder der Gärtner etwas erwidern konnte, wehte eine aufgebrachte Männerstimme von der Haustür zu dem Rosenbeet: »Haben Sie meine Frau gesehen?« Kurz darauf knirschte der Kies unter den schweren Schritten von Peter Linke, der, auf seinen Stock gestützt, zu Thea und Paul hastete. »Bitte, haben Sie beide meine Frau gesehen?«, wiederholte er atemlos.
, fuhr es Thea durch den Kopf, bevor sie süffisant ausrief: »Der Herr Staatsschauspieler schenkt uns die Ehre! Mein Bester, Sie haben mich unterbrochen … Was führt Sie Wichtiges zu uns niederen Chargen?«
Peter Linke war ein Mann von trotz seines hohen Alters stattlicher Erscheinung, der mit seinem grauen Haarkranz und dem Vollbart den Statuen des älteren Sokrates nicht unähnlich war. Meist hielt er sich tatsächlich für einen besonderen Denker, er redete nach Theas Geschmack deutlich zu viel und in ausgesprochen arroganter Art und Weise. Jetzt jedoch wirkte er seltsam verunsichert, als Beweis kanzelte er Thea nicht wie gewohnt ab, sondern wiederholte seine verzweifelte Frage: »Haben Sie meine Frau gesehen?«
»Nein. Es tut mir leid.« Paul nahm den Spaten von der Schulter, rammte ihn in das Beet und stützte sich darauf wie auf einen Spazierstock, was ihm ein dandyhaftes Aussehen verlieh und Theas Herz höherschlagen ließ. »Seit ich hier bin, habe ich Frau Linke nicht gesehen. Also seit gut zwei Stunden.«
»In letzter Zeit geht sie oft eigener Wege …«
»Verständlich«, murmelte Thea.
»… und dann verläuft sie sich in der Stadt und findet nur schwer hierher zurück«, fuhr Peter Linke fort. »Je länger sie ausbleibt, desto größer wird meine Sorge.«
»Ich habe Herrn Frank versprochen, auf ihn zu warten«, sagte Paul. »Aber sobald er kommt, kann ich mich auf die Suche nach Ihrer Frau machen.«
Thea wusste, dass Julius Frank, der einst ebenfalls ein gefeierter Charakterdarsteller gewesen war, in dem Garten eine neue, erfolgversprechende Bühne fand. Üblicherweise machte sie sich darüber keine Gedanken, die Gefühle anderer Menschen interessierten sie mit wenigen Ausnahmen kaum. Jedenfalls verbrachte der gute Julius viel Zeit bei der Planung und Bepflanzung der Anlagen und entzog ihr auf diese Weise die Aufmerksamkeit des jungen Landschaftsgärtners. Deshalb ärgerte sie sich ständig über ihn – und nutzte die Gelegenheit, um den Kollegen warten zu lassen. »Gehen Sie mit ihm, Herr Morow, und suchen Sie seine arme Frau«, schlug sie scheinbar großmütig vor, »ich kann genauso gut hierbleiben und mit dem Spaten auf Herrn Frank warten.«
»Luise ist einfach verschwunden«, jammerte Peter Linke wie im Selbstgespräch.
Paul drückte ihr sein Arbeitsgerät in die Hand. »Danke, Frau von Redden, haben Sie vielen Dank. Es ist wohl ein Notfall, da mache ich mich lieber auf den Weg.« Er zögerte kurz, dann: »Sagen Sie Julius bitte, dass ich die Rasenkanten abstechen wollte. Er kann schon damit beginnen, die Komposterde in die Beete einzuarbeiten, das schützt die Stauden vor der anhaltenden Trockenheit. Oder er kann die jungen Pflanzen wässern. Wie auch immer, ich bin bald wieder da.«
, deklamierte Thea in dramatischem Tonfall,
Peter Linke stieß mit seinem Stock fest auf. »Wenn sie doch beim Gesang geblieben wäre, jetzt rezitiert sie Charlotte von Stein. Kommen Sie rasch, Morow, bevor sie sich auch noch an Goethe versucht.«
, gab Paul zurück. Er zwinkerte Thea verschwörerisch zu, bevor er Peter Linke in Richtung Straße folgte. Sein Zitat stammte tatsächlich von Johann Wolfgang von Goethe – und Thea schätzte ihn unendlich für diesen kleinen Seitenhieb gegen ihren Mitbewohner.
Als die beiden Männer, der junge und der alte, um die Hausecke gebogen und außer Sichtweite waren, ließ Thea den Spaten fallen und wandte sich wieder der Betrachtung des Rosenstrauchs zu. Wie von selbst flossen die Töne des Liedes vom Heideröslein über ihre Lippen. Wenn sie früher Konzertabende mit den Melodien von Franz Schubert gab, erlebte sie mit der Vertonung von Goethes Gedicht meist den größten Erfolg, dann warfen ihre Verehrer vor lauter Begeisterung Rosen auf die Bühne, es war ein Blumenregen, der Thea unendlich glücklich gemacht hatte. Sie tauchte in die Erinnerung ein und war mit einem Mal wieder die gefeierte Sopranistin, der die vornehmsten Herren zu Füßen lagen. Doch keinen wollte sie so sehr wie den schneidigen Manfred von Schönfeld, ihren leidenschaftlichsten Rosenkavalier. Vielleicht betrachteten es andere Frauen im Alter als Erfüllung, wenigstens einmal in ihrem Leben geliebt zu haben und geliebt worden zu sein, für Thea war es der schmerzlichste aller wiederkehrenden Gedanken. Einer, der sich mit den Jahren häufiger einstellte, den sie in selbst auferlegter Qual sogar immer wieder herbeirief.
In solchen Situationen half ihr nur ein Glas Wein, nicht ganz so freudlos auf ihren Lebensabend zu blicken. Sie sollte ins Haus gehen und nachsehen, ob sie irgendwo einen Tropfen auftreiben konnte. Leider war Wilhelmine Seebach abgereist, mit ihr war es immer so nett gewesen, ein Schlückchen zu sich zu nehmen. Thea kannte sie von einem gemeinsamen Engagement in Königsberg, das war lange her, verband sie aber bis heute. Eine der wenigen freundlichen Erinnerungen, die Thea an eine Kollegin besaß, der Rest war von Konkurrenzkampf und Neid zersetzt. Bedauerlicherweise war Wilhelmine aber nun zur Kur unterwegs – und Thea musste zusehen, wie sie sich ohne deren Gesellschaft bei einer Flasche aus dem Keller erholte.
Dorothee
4
Wohltätigkeit wurde in Dorothee Berndorffs Familie großgeschrieben. Ihre Mutter hatte so viele Ehrenämter übernommen, dass sie es kaum schaffte, alle Verpflichtungen zu erfüllen. Dorothee vermutete, der Hintergrund war nicht reine Menschenfreundlichkeit, sondern die Tatsache, dass ihre Frau Mama keine Lust auf die Führung des eigenen Haushalts hatte und die Übernahme karitativer Beschäftigungen für deutlich mehr gesellschaftliches Ansehen sorgte als eine ordentliche Wohnung. Leidige Arbeiten wie etwa die Aufsicht über die Wirtschaft der Marie-Seebach-Stiftung, die sie sich mit zwei anderen sogenannten Ehrendamen teilte, gab sie daher häufig an Dorothee ab. Offiziell natürlich aus Zeitmangel. Dabei hatte Dorothee mit ihrem eigenen Engagement genug zu tun.
Es gab...