Marley | Inspector Swanson und die Hexe von Bray | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 9, 280 Seiten

Reihe: Ein viktorianischer Krimi mit Inspector Swanson

Marley Inspector Swanson und die Hexe von Bray

Ein viktorianischer Krimi
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-98672-018-6
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein viktorianischer Krimi

E-Book, Deutsch, Band 9, 280 Seiten

Reihe: Ein viktorianischer Krimi mit Inspector Swanson

ISBN: 978-3-98672-018-6
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



London 1896 - Im Crystal Palace Park stirbt eine Frau unter den Rädern einer neuartigen Motordroschke - ein tragischer Unfall, wie es scheint. Doch Chief Inspector Swanson schöpft Verdacht, denn der Bruder der Toten ist kurz zuvor spurlos und unter mysteriösen Umständen aus dem Gefängnis in Wicklow verschwunden. Als dann unweit der Haftanstalt - in dem kleinen irischen Küstenstädtchen Bray - die verstümmelte Leiche eines seit Monaten vermissten Mannes inmitten okkulter Symbole gefunden wird, haben selbst die irischen Behörden nur eine Erklärung: Die berüchtigte Hexe von Bray sucht sich nach zwanzig Jahren abermals ihre Opfer. Inspector Swanson und sein Team werden nach Irland geschickt, um dem Spuk ein Ende zu bereiten ...

Robert C. Marley, geboren 1971, ist Autor, Kriminalhistoriker, Goldschmiedemeister und Mitglied des Syndikats - der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Seit seiner Jugend liebt er Sherlock Holmes und Agatha Christie und besitzt ein privates Kriminalmuseum. Der Autor lebt mit seiner Jugendliebe und einer schwarzen Katze in einer sehr alten Stadt in Ostwestfalen.
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PROLOG

» Magie ist eine große verborgene Weißheit

Verstand ist eine große offene Torheit. «

Paracelsus (1493–1541)

Gefängnis Reading, Zelle C.3.3.

Oscar Wilde saß am Tisch und dachte über die vergangenen Monate nach. Die ersten sechs nach seiner Inhaftierung hatte er in Pentonville und Wandsworth eingesessen, ehe man ihn nach Reading gebracht hatte. Mit dem Zug und ohne ihn von der schaulustig kreischenden Menge abzuschirmen. Auf dem Bahnsteig von Clapham Junction war er bepöbelt und angespuckt worden, ohne dass die Beamten, in deren Gewahrsam er sich befand, etwas dagegen getan hatten.

Das ewige Einerlei des Tages, der Wochen, der Monate hatte ihn mürbe gemacht. Wenn er sich im Spiegel ansah, blickte er in das Gesicht eines alten Mannes mit bleichen eingefallenen Wangen und kurz geschorenem Haar. Er war grauer geworden. Doch war es nicht das Grau des Alters, sondern das der Scham, der Resignation, der Hoffnungslosigkeit. Jene Spielart des Grau, die sich nicht auf das Haar beschränkte. Jene Spielart des Grau, die sich auf der Haut niederschlug und in die Seele brannte.

Die ersten Monate waren die Schlimmsten gewesen. Von früh bis spät war er damit beschäftigt gewesen, Bruchsteine von einem mächtigen Haufen abzutragen und sie auf die andere Seite des Gefängnishofs zu schleppen.

Schwere Zwangsarbeit.

Als er noch nichts davon wusste, hatte er in seiner unsäglichen Naivität angenommen, körperliche Arbeit könne der Gesundheit zuträglich sein, würde seine Muskeln stärken und ihn ein paar Kilo verlieren lassen. Doch es war keine solche Arbeit. Er entsann sich noch genau des schrecklichen Gefühls der Überraschung und des Entsetzens, das ihn übermannt hatte, als er beinahe euphorisch den letzten Stein packte, um ihn zu den anderen zu tragen, und der Wärter ihn mit kalter Stimme anwies, ihn liegen zu lassen.

»Warum?«, hatte er ihn fragen wollen. Allein die Kraft hatte ihm gefehlt, den Mund aufzutun.

Mit der Hand auf dem Griff des Schlagstocks an seinem Gürtel hatte der Wärter ihn angesehen, derweil der Hauch von Häme dessen Lippen zu kräuseln schien. Und dann hatte er die fünf erbarmungslosen Wörter gesagt: »Und nun alle wieder zurück.«

Von früh bis spät, tagaus tagein, Woche für Woche, Monat um Monat.

Arbeit, die einen auszehrte in ihrer Sinnlosigkeit, die, anstatt die Muskeln zu stählen, nach und nach die Kraft aus ihnen saugte.

Vom Gang vor seiner Zelle drangen die Rufe der Wärter, das Rasseln der Schlüssel und das Klirren der Türen. Draußen auf dem Hof zog die Prozession der Narren ihre Runde. Eine halbe Stunde Hofgang in Wechselschichten.

Schlimmer noch als die Steine waren die Dienste auf der Tretmühle – dem Rad, wie es hier genannt wurde. Vier Mann in einer Reihe, je zwei Griffe für die Hände, und dann stundenlang Stufe um Stufe erklimmen, das Rad in sinnloser Bewegung halten, bis man entweder abgelöst wurde oder ohnmächtig zusammenbrach. Die, die zu oft Schwäche gezeigt hatten, oder sich schreiend zur Wehr setzen wollten, wurden erbarmungslos niedergeknüppelt und mit Handschellen an die Griffe gekettet. Viele brachen sich Arme und Beine, und nicht wenige starben an purer Erschöpfung.

Er hatte überlebt – bislang.

Wilde strich sich mit der rechten Hand über die kurz geschorenen Haare. Man hatte ihm heute Morgen drei Bögen Schreibpapier und einen Bleistift zugestanden. Etwas, um das er anfangs noch beharrlich gekämpft und später nur noch verzweifelt gebettelt hatte. Ein Jahr lang hatte ihm die Gefängnisleitung dieses kostbare Gut verwehrt. Mehr aus Hass, wie er annahm, als dass man wirklich besorgt darum gewesen wäre, er könne sich mit dem Stift ernstlich verletzen, ja ihn womöglich dazu benutzen, Selbstmord zu begehen. Hätte er das gewollt, so hätte er bei der Plackerei auf der Tretmühle reichlich Gelegenheit dazu gehabt.

Jetzt, da er beides hatte, fühlte er sich nicht mehr in der Lage, auch nur ein Wort aufs Papier zu bringen.

Er legte den Bleistift aus der Hand und stand auf.

Die beiden vergitterten Rechtecke der trübegeschmirgelten Fenster lagen so hoch, dass er sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um hinunter in den Hof zu sehen. Er erkannte bloß Schemen. Die Hände um die Eisenstäbe geschlossen, blickte er lediglich in die Vorstellung eines wolkenverhangenen Himmels jenseits der Gefängnismauern.

Mehr als ein Jahr war seit seiner Inhaftierung bereits vergangen.

Amelia Dyer, die, wenn es stimmte, was man auf den Gängen flüstern hörte, nicht weniger als vierhundert Kleinkinder ermordet hatte, war hingerichtet worden. Und draußen sah er manchmal den Mann, der seine Verlobte getötet hatte, unter der Aufsicht der Schließer, wie die Wachleute hier genannt wurden, stumm seine Kreisbahnen ziehen.

Besuch bekam er nur selten. Frederick Greenland machte sich gelegentlich auf die Reise, um ihn zu sehen. Der hatte ihm einen Zeitungsausschnitt gezeigt, in dem er, Oscar, in einer geräumigen Zelle am Schreibtisch saß, das wallende Haar beinahe schulterlang. Nichts hätte der Wirklichkeit ferner sein können. Unter anderen Umständen hätten sie beide wahrscheinlich herzlich darüber gelacht. Doch so, wie die Dinge lagen, war es auf beiden Seiten bloß ein trauriges Grinsen gewesen.

Constance hatte ihn bloß einmal besucht. Er wusste nicht, was sie davon abhielt, wiederzukommen, doch er konnte es sich denken. An ihrer Haltung ihm gegenüber lag es nicht, dessen war er sich sicher. Es war vermutlich ihre Familie, die sie zwang, sich von ihm abzuwenden. Die Schande musste für Constance und die Kinder weit schlimmer zu ertragen sein als für ihn. Er saß hier hinter dicken Mauern – unsichtbar für die gemeine Welt da draußen. Doch sie? Sie hatten all die Schmach und Schande um sich. Sein gesamter Besitz war im Mai letzten Jahres versteigert worden, um die Gerichts- und Anwaltskosten zu decken. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihnen viel geblieben war.

Trotz allem kein böses Wort von Constance. Nicht eine Vorhaltung. Aber auch nicht eine geschriebene Zeile mehr.

Nichts, dachte er, ist so unergründlich wie der Geist einer Frau.

Schlüsselrasseln.

Dann öffnete sich die Luke in seiner Zellentür mit einem schabend kreischenden Geräusch, das ihm durch Mark und Bein fuhr. »An die Wand!« Die Stimme des Wärters war laut und aggressiv. Die Schlüssel rasselten wieder, ehe die Zellentür aufschwang. »Raustreten!«

Schichtwechsel für die Prozession der Narren.

Wicklow Gaol County Wicklow, Dublin

Ein anderes Gefängnis.

In einem anderen Land.

»Flannagan!« Die Stimme von Direktor William P. Cobley hallte, wie der erste Hahnenschrei des Tages, durch die morgendliche Kühle des Gefängnistraktes.

Es war gerade fünf Uhr durch. Die Sonne, in deren Strahlen der Staub der Ewigkeit tanzte, schien zu den hohen Fenstern am Ende des Gebäudetraktes herein und malte ein Netz aus Gitterrauten auf die jenseitige Wand. Doch hier drin war es grabeskalt, ob Sommer oder Winter. Und ein feuchter, leicht metallischer Geruch lag in der Luft.

Paul Flannagan stand hastig von dem kleinen Tisch auf, an dem er eben sein mageres Frühstück aus Tee, hart gekochtem Ei und gebuttertem Brot einnahm. Wenn Direktor Cobley brüllte, war das kein gutes Zeichen. Dann ließ man besser alles stehen und liegen und machte sich auf den Weg, wollte man nicht seinen Unmut auf sich ziehen. Vielleicht war Cobley wegen der Revision so aufgebracht, die in drei Tagen stattfinden würde. Jedes Mal, wenn die Gefängnisaufsicht sich für ihren jährlichen Besuch ankündigte und die Delegation wie Besucher eines Zoos durch die Anstalt trampelte, war der Direktor schon Tage im Voraus nervös und ungenießbar und ließ das am Personal aus.

Ihn fröstelte.

Vorhin, als er aus seinem Nachtquartier gekommen und über den Hof gegangen war, war er kurz stehen geblieben und hatte die Sonne genossen. Hatte sie mit jeder Pore seines Körpers in sich aufgesogen, um für die Kälte der alten Gefängnismauern gewappnet zu sein. Die Kälte und der Geruch waren etwas, woran man sich wohl niemals gewöhnte.

Flannagan nahm noch rasch einen Schluck Tee. Dann schnappte er sich die Dienstmütze von der Stuhllehne und schob sie sich auf dem Kopf zurecht.

Direktor Cobley war ein strenger Mann und ebenso humorlos wie die meisten Engländer, die Flannagan kannte. Ausgenommen vielleicht Dr. Gregory, der Gefängnisarzt und Brian Rendle, der den Gemischtwarenladen unten in Wicklow betrieb. Sie waren die hehren Ausnahmen in einer immer protestantischer werdenden Welt.

»Flannagan!«

Er sah den Gefängnisleiter in der offenen Tür zur Eisentreppe stehen, die zu seinem Büro hinaufführte – groß, breitschultrig auf seinen Spazierstock gestützt. Die personifizierte Autorität in seinem dunklen Anzug und den polierten Schuhen – die andre Hand noch auf der Klinke. Fahrig wischte Flannagan sich mit dem Hemdsärmel über den Mund und knöpfte sich die Uniformjacke zu, während er den Gang hinunter und die Stufen hinauf hinter ihm hereilte. Vor Cobleys Bürotür blieb er stehen. »Guten Morgen, Sir!«

»Das wird sich noch herausstellen.« Cobley winkte ihn mit einer großen Geste herein. Die Tür ließ er offen.

»Natürlich, Sir.« Er nahm die Mütze ab und klemmte sie sich in die Armbeuge.

»Für mich sollte es ein guter Morgen sein, denn ich werde wie jedes Jahr um diese Zeit in die Ferien fahren. Ist es ein guter Morgen für Sie, Flannagan?« Cobley sprach mit milder Stimme, lächelte, doch der kalte,...


Robert C. Marley, geboren 1971, ist Autor, Kriminalhistoriker, Goldschmiedemeister und Mitglied des Syndikats – der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Seit seiner Jugend liebt er Sherlock Holmes und Agatha Christie und besitzt ein privates Kriminalmuseum.
Der Autor lebt mit seiner Jugendliebe und einer schwarzen Katze in einer sehr alten Stadt in Ostwestfalen.



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