Giwi Margwelaschwili im Gespräch mit Jörg Sundermeier
E-Book, Deutsch, 140 Seiten
ISBN: 978-3-95732-317-0
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Giwi Margwelaschwili wurde am 14.12.1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren. Seine Mutter starb, als er vier Jahre alt war. Sein Vater lehrte Philosophie und Orientalistik. 1946 wurde er zusammen mit seinem Sohn vom sowjetischen Geheimdienst NKWD entführt. Der Vater wurde ermordet, Giwi Margwelaschwili in Sachsenhausen interniert, anschließend nach Georgien verschleppt. Dort lehrte er Deutsch. Erst 1987 konnte er nach Deutschland ausreisen. Ihn begleitete eine Unzahl von in der Emigration auf Deutsch geschriebenen Romanen und Erzählungen. Er wohnte bis 2011 in Berlin, seitdem in Tiflis. 1994 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft und ein Ehrenstipendium des Bundespräsidenten. 1995 erhielt er den 'Brandenburgischen Literatur- Ehrenpreis' für sein Gesamtwerk, 2006 die Goethe-Medaille, 2008 das Bundesverdienstkreuz. 2013 erhielt er für sein Gesamtwerk den Italo-Svevo-Preis. Er ist Mitglied des P.E.N Werke u.a.: 'Muzal - ein georgischer Roman', 'Das böse Kapitel', 'Kapitän Wakusch', 'Der ungeworfene Handschuh'. 2012 erschien der Roman 'Das Lese-Liebesehegklück' als Lizenzausgabe im Gollenstein Verlag, Saarbrücken, der nun im Verbrecher Verlag lieferbar ist. Dort erschien auch die Erzählung 'Eine Völkerfriedensstiftung', die Romane 'Das Lese-Liebeseheglück', 'Die Medea von Kolchis in Kolchos', 'Der Kantakt', 'Kapitän Wakusch 1. In Deuxiland', 'Kapitän Wakusch 2. Sachsenhäuschen' und 'Officer Pembry', die 'Fluchtästhetische Novelle', das Lesebuch 'Verfasser unser', die Geschcihtensammlung 'Das Leseleben', der Essay 'Der verwunderte Mauerzeitungsleser', der Erzählungsband 'Vom Tod eines alten Lesers' und das Stück 'Zuschauerräume' in einer Werkschau Giwi Margwelaschwilis im Verbrecher Verlag.
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Das Gespräch
Jörg Sundermeier: Herr Margwelaschwili, Sie sind 1927 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren zu diesem Zeitpunkt aber georgische Staatsbürger, beziehungsweise – da es Georgien nicht mehr gab – staatenlos. Sprachen Ihr Vater und Ihre Mutter deutsch? Giwi Margwelaschwili: Mein Vater sprach deutsch, meine Mutter weniger. Ich glaube sogar überhaupt nicht. Mein Vater hat ja seinen Doktor in Deutschland gemacht, in Leipzig. Und eben weil er diese Sprachkenntnis hatte, ist er nach Deutschland emigriert. Sundermeier: Ist er direkt 1921 emigriert, als die Rote Armee kam? Margwelaschwili: Ja. Er ist über die Türkei nach Deutschland geflüchtet und hat dann später seine Frau nachkommen lassen. Das war noch eine kurze Zeit lang möglich, dass man seine Angehörigen aus der Sowjetunion nachkommen lassen konnte. Sundermeier: Wissen Sie, wann ungefähr Ihre Mutter nach Berlin kam? Margwelaschwili: Wann sie genau gekommen ist, weiß ich nicht, irgendwann in den frühen 20er Jahren ist sie dann da gewesen. Wir waren eine georgischsprachige Familie – meine Schwester Elisabeth, auch Lisa genannt, gab es ja auch noch –, in die ich als völlig fremder Knirps hineinwuchs. Meine Mutter starb Anfang der 30er Jahre und so gab es nurmehr meinen Vater und meine Schwester – meine Schwester hatte die Schule, mein Vater seine Arbeit zu machen. Sundermeier: Ihre Schwester war wesentlich älter? Margwelaschwili: Sieben Jahre älter. Und ich war eben sprachlich ganz alleine. Das ist eine Art Charakteristikum, das sich bei mir festgesetzt hat, und dass das ganze Leben hindurch existiert. Sprachlich – meine Muttersprache, oder, wie ich es vor meinem biografischen Hintergrund nenne, Vatersprache, ist ja Deutsch – bin ich immer in einem fremden Sprachmilieu gewesen, war gezwungen in einem solchen Milieu zu leben, sodass ich mein ganzes Leben lang dieser sprachliche Fremdling geblieben bin. Sundermeier: Ihr Vater, Ihre Mutter und Ihre Schwester haben zu Hause nur Georgisch gesprochen? Margwelaschwili: Ja. Und ich habe kein Wort verstanden. Meine Mutter ist mir gar nicht im Gedächtnis geblieben. Ich erinnere mich nur an den Sarg, an den ich geführt wurde. Das ist alles von ihr … Zuerst hatten wir auch Helferinnen, also Hilfskräfte, die mich versorgt haben. Sundermeier: Also hatten Sie so genannte Zugehfrauen oder Nannys? Margwelaschwili: Ja, so etwas. Aber das mussten wir aufgeben, denn es war teuer. Dann kam der Krieg und vieles hat sich überhaupt erübrigt, vor allem im Leben eines fremdländischen Emigranten – oder Asylanten – nennen Sie das, wie Sie wollen. Die ökonomischen Verhältnisse waren sehr angespannt und es ging nur noch darum, täglich etwas zum Essen zu haben. Sundermeier: Wie konnte Ihr Vater die kleine Familie ernähren? Margwelaschwili: Aufbauend auf seiner akademischen Karriere in den humanitären Wissenschaften über den Osten und vor allem Georgien hat er Aspiranten, also auch Jungakademiker, vor allem über Georgien – Georgien war der zentrale Punkt, das war ja damals noch terra inkognita – aufgeklärt und in solchen Dingen Stunden gegeben. Diese Unterrichtsstunden sind, so wie ich das heute sehe, die hauptsächliche Einnahmequelle gewesen. Sundermeier: Das war Privatunterricht? Margwelaschwili: Ja, aber er hatte auch etwas akademische Unterstützung. Er kannte ja zum Beispiel seinen Doktorvater und hatte Beziehungen zu den akademischen Kreisen aus seiner Zeit in Leipzig, und in Berlin dann auch. Sundermeier: In welchem Bereich genau hat er seinen Doktor gemacht? Er war ja Dr. Phil. Margwelaschwili: Ja, Dr. Phil. – er schrieb über das alte Iberien und das alte Albanien. Das sind zwei zentrale Provinzen im alten Georgien. Er hat in seiner Arbeit einen Umriss der Geschichte dieses Landes gegeben, wofür man ihm den Doktorgrad zuerkannt hat.[01] Sundermeier: Ihr Vater hat also …
Margwelaschwili: … immer Reklame für Georgien gemacht. Ihm war klar, dass er Georgien zunächst einmal bekanntmachen muss. Nicht nur er allein, alle Emigranten hatten die Aufgabe von ihrem Land zu reden und sich im Namen dieses Landes auch persönlich vorzustellen. Sie hatten ja wirklich etwas zu sagen: das Land ist christlich in einer nicht-christlichen Umgebung, wenn wir jetzt Russland aussparen wollen – Russland war ja damals noch nicht der direkte Nachbar von Georgien. Es war also nötig, die Leute darüber aufzuklären, von woher man kam und dass man eben dieselben kulturweltlichen Quellen besaß wie die meisten Menschen in Europa. Das war die Aufgabe der Emigration, welche in diesem Sinne aufklärende Veranstaltungen in Berlin machte. In der Emigration sprach man über Georgien, eben auch politisch, was dort werden wird. Und stellen Sie sich mal vor: Der Erste Weltkrieg war für die Emigration der einzige Funke Hoffnung, dass Russland geschlagen wird, zusammenbricht, und dass man so vom Unterdrücker freikommt. Die ehemaligen Studenten, die vor dem Krieg in Georgien waren, darunter mein Vater, waren ganz von diesem Gedanken erfüllt. Sie waren jene »Separatisten«, wie man sie heute kennt. Hier setzt auch meine Kritik ein – weil sie eigentlich georgische Nationalisten waren. Jetzt muss man das allerdings so sehen: Der Erste Weltkrieg ist schon ein Ost-West-Krieg gewesen. Es stehen sich gegenüber: ausgesprochen parlamentarisch-demokratische Kräfte und dagegen die Achsenkräfte oder Mittelmächte Deutschland und Österreich – und die waren ja ausgesprochen kaiserlich, mit starkem Akzent auf dieses Kaisertum. Man hatte zwar zu der Zeit schon einen gewissen parlamentarischen Liberalismus zugelassen, aber weitaus weniger als etwa in Großbritannien. Also herrschte ein historisch ungleichmäßiges Kräfteverhältnis. Jetzt ist die Frage: in welchem Sinne? Die Westseite ist wahrer, weil sie Dinge vertritt, welche realer sind und in der Welt mehr Zulauf haben. Die Westmächte haben die weltliche Allianz sofort auf die Beine gestellt. Und Deutschland? Allein steht das Land, zusammen nur noch mit Österreich und dem Osmanischen Reich. Was war das? Das war schon nachteilig. Und jetzt ist meine Kritik: Man hätte in Georgien nicht so blind auf Deutschland setzen sollen. Das hat man blind getan, man war überzeugt, dass die Deutschen gewinnen würden. Das trog natürlich, denn die Verhältnisse waren ganz anders geartet, viel wirklichkeitsnäher im Westen als in Deutschland. Deswegen musste Deutschland verlieren. Es gab keinen anderen Ausweg. Und nun, stellen Sie sich vor, wiederholt sich diese ganze Sache noch mal. Das ist ein Erlebnis der Emigration. 1921 kommen die Russen nach Georgien, annektieren das gerade unabhängig gewordene Land. Übrigens gegen georgische Russen, also Georgier, welche für die sowjetischen Staaten und für die bolschewistische Idee lebten, kämpften und starben. Ein Trugschluss, ohne Boden, eine bodenlose Illusion. Es funktioniert nicht, diese Sache, den Kommunismus in einem Land durchdrücken zu wollen, das ist unmöglich. Es ist unmöglich und es widerspricht auch Marx. Denn Marx als Hegelianer wollte – er nannte das den »Geist« –, dass sich der Geist weltweit durchsetzt. Erst das sei dann die Wahrheit, die ökonomische Wahrheit, weltweit. Das ist Marx. Aber von dem ist man abgegangen, der Leninismus hat diese Idee auf ein Land zurückgedrückt, als die Bolschewisten gesehen haben, dass das nicht weltweit lief. Dann kam diese Theorie, die eine Irrtheorie ist: Es geht nicht. Es ist Unsinn. Abgesehen davon – wie Sie sich dazu stellen, weiß ich nicht – ist es so, dass auch der Marxismus irrt. Er irrt in einer Sache: Die Revolution ist ein Gewaltakt. Ohne den Gewaltakt, also dass man eine Klasse in den Boden stampft, um die andere zu erheben, geht es nicht. Doch Gewalt ist wie ein Bumerang, der gegen deine eigene Nase fliegt, wenn er zurückkommt. Historisch zahlt sich das nie aus, du verlierst; du verlierst sogar den Kopf. Genauso ist es eingetreten. Man hätte aus der Französischen Revolution lernen müssen, hat es aber nicht getan. Denn nach der Revolution kam dort der Kaiser Napoleon Bonaparte. Also was geht nicht? Hier kann ich mit Heidegger einhaken. Heidegger ist der Philosoph der Existenz: Existentialität ist der Mensch – und die Existenz macht so etwas nicht mit. Wenn du an die Ontologie mit der Faust herantrittst, diese irgendwie ersticken willst, dann bist du selber dran. Das ist das, was Heidegger eigentlich lehrt. Die Ontologie des Menschen ist etwas, das der Gewalt widerspricht. Heidegger ist ja alter Theologe, bei ihm ist alles biblisch: Gott verbietet den Mord am Nächsten und das Laster. Hat er jedoch nicht verbieten können; beides ist geblieben, im und am Menschen. Da sollte man sich doch die Frage stellen: Wenn er das nicht...