Marchner | Wie eine zufällige Begegnung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 215 mm

Marchner Wie eine zufällige Begegnung

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7025-8066-7
Verlag: Verlag Anton Pustet Salzburg
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Roman

E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 215 mm

ISBN: 978-3-7025-8066-7
Verlag: Verlag Anton Pustet Salzburg
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Marija, der Großvater und er

Es ist Herbst. Ihr Verlangen nach der letzten Wärme treibt zwei Frauen in den Süden, um dort ein Wochenende zu verbringen: in einer Gegend, in der Berge und Ebene zusammentreffen, an einem Fluss mit einem breiten steinigen Bett. In ihrer Unterkunft stoßen sie auf eine alte Aktentasche mit einem Manuskript. Es erinnert eine von ihnen an eine Jahre zurückliegende Begegnung mit einem Mann, den sie aus ihrem Herz und ihrem Leben verbannt hat. Damals: Sie Tochter einer jugoslawischen Gastarbeiterfamilie, er österreichischer Student – die beiden finden sich, eingebettet in die Unschuld schöner Sommertage und in die scheinbare Behaglichkeit einer wohlgeordneten mitteleuropäischen Stadt. Bis eine Enttäuschung und der sich anbahnende Balkankonflikt dazu führen, dass sich die beiden aus den Augen verlieren.
Salzburg, die Schotterebene des Tagliamento und das adriatische Küstenland rund um Triest sind die Schauplätze einer Geschichte um eine brüchige Liebe, um Familienbande und eine Welt, die Menschen mitunter heimatlos macht.

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Der Unfall
Jahre vorher, Anfang Mai
Als er mit seinem Fahrrad zu schnell in eine Kurve des Radweges einbog, dort, an einer unübersichtlichen Stelle, begrenzt von Steinsockeln und Bäumen zur linken und zur rechten Hand, war es zu spät. Es war eine Kurve, die für ihn und das entgegenkommende Fahrrad, das er übersehen hatte, zu eng geriet. Zu eng, um sein Gefährt noch auf seiner Spur halten zu können. Er schaffte es, noch abzuspringen. Aber sein Rad rutschte schräg in das entgegenkommende hinein. Er landete im Blumenbeet und touchierte mit seinen Beinen die Kante einer Steinmauer. Als er wieder auf den Füßen stand, sah er sie. Sie blutete am Knie, stand im Blumenbeet zwischen den Bäumen auf der anderen Seite des Weges und sammelte ihre Sonnenbrille und den Inhalt ihrer Tasche ein, der verstreut herumlag. Sie blickte auf und schrie ihn an, ob er verrückt sei. Was sonst sei er denn gewesen, dachte er sprachlos in der warmen Frühlingsluft, die Situation eher absurd als beunruhigend empfindend. Er bemühte sich, nicht zu lachen, sondern ein schlechtes Gewissen zu demonstrieren und Buße zu tun. Er beruhigte sie und schob ihre Fahrräder zu einer nahen Apotheke. Dort besorgte er ein Pflaster für ihr Knie. Und es fiel ihm nichts Besseres ein, als sie einfach ins nächste Café einzuladen. Zu seiner Überraschung ging sie auf seinen Vorschlag ein. Ich bin in Ihrer Schuld, darf ich mich vorstellen? Die Sonne verschwand hinter der Kulisse aus Stadt, Fluss und Bergen. Die Luft begann abzukühlen. Maria heißen Sie? Darf ich „du“ sagen? Nein! Marija! Welcher Zufall, diese Begegnung, dachte er, als er mit ihr über Fahrradwege sprach, über Gefahren des Verkehrs, über das Wetter, über vorbeiflanierende Menschen, die sie beobachteten. Sie gefiel ihm, und er redete drauflos, um mit ihr im Gespräch zu bleiben. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn nicht doch für einen Idioten hielt. Wahrscheinlich war es auch so. Aber er konnte nicht anders. So verbrachte er eine halbe Stunde mit einer Frau, die er aufgrund eines Unfalls kennengelernt hatte. Sie saßen da und redeten. Unabhängig voneinander und nebeneinander schienen sie den ersten warmen Tag zu genießen. Er bemerkte, wie er beim Versuch, sie zu beeindrucken, seiner Stimme einen sonoren Unterton gab. Während er darüber grübelte, wo er sich das nur angewöhnt haben könnte, setzte sie sich in seinem Kopf fest an jenem Nachmittag. Verstohlen beobachtete er sie aus den Augenwinkeln und versuchte, beeindruckende Dinge zu sagen. Er sprach langsam und bedächtig, die Wörter schienen ihm auf der Zunge zu zergehen. Sie hörte belustigt zu. Grauhaarige Kellner vor rotbraunen Tapeten, das Geblättere von Tageszeitungen und Magazinen, das Dröhnen der Kaffeemaschine und das Rauschen des frühabendlichen Verkehrs auf der gegenüberliegenden Flussseite begleiteten ihre Begegnung. Auch Hubschrauber, die vom nahen Krankenhaus über ihre Köpfe hinweg flogen. Dann musste sie gehen. Ob er sie wiedersehen könne, fragte er noch, und wann das möglich sei. Wozu? Sie stieg auf das wieder zurechtgebogene Rad und verschwand im Getümmel am Fluss. Er blieb sitzen, blickte in die Gegend und bestellte nach einer Weile einen Campari Soda. Im Wolkenspiel des späten Nachmittages schien sich eine unruhige Langeweile widerzuspiegeln, die ihn schon einige Zeit durch die Stadt trieb, wie der Wind ein ausgetrocknetes Blatt. Der rote Saft aus dem Glas verteilte sich bittersüß auf seinem Gaumen wie auf den Trümmern seiner letzten Monate und das Verschwinden der Sonne hinter den Hügeln läutete den Abend ein. In den vergangenen Monaten war ihm viel Gewohntes ungewohnt geworden. Was ihm früher gefallen hatte, gefiel ihm nicht mehr. Irgendetwas war passiert, ging zu Ende, aber er wusste nicht, was es war. In den Wolken widerspiegelten sich die Farben des Frühsommers. Irgendwie schienen sie mit seinem derzeitigen Zustand zu verschmelzen, dem er einem Universum aus wechselnden Wohngemeinschaften, anstrengenden Buchlektüren, Kaffeehausbesuchen, Gesprächen der Nacht und einer lustlosen Arbeit zu verdanken hatte. Und einem Studium, das begonnen hatte, sich in die Länge zu ziehen. Verwirrt und orientierungslos saß er da, noch einer Beziehung zu einer Frau nachhängend, die wegen einer beunruhigenden Ereignislosigkeit im Sand verlaufen war. Er wollte und er sollte und so weiter, sagte er zu sich im Stillen. Er empfand Unruhe, wie er sich gegenüber seinen Freunden bei diversen Treffen auszudrücken pflegte, in letzter Zeit. Ein Semester neigte sich wieder seinem Ende zu, und er wollte zu einem Abschluss finden. Sein Studium dauerte schon zu lange. Hatte er einen Zeitpunkt übersehen, einen entscheidenden Moment nicht erwischt, war ihm etwas abhandengekommen? Das dachte er, wenn er dachte und in den Fluss vor der Terrasse starrte. Er wunderte sich, mit welcher Begeisterung er damals dieses Studium begonnen hatte, wie er stundenlang mit Freunden diskutieren hatte können, früher. Aber irgendwann war ihm der erste Schwung verloren gegangen, den er jetzt für seine Abschlussarbeit gebraucht hätte. Jahrelang hatte er sich in dieser Szene bewegt. Irgendwann hatte er eine Arbeit begonnen, die Empfehlung einer Bekannten angenommen, um Geld zum Leben zu verdienen, zum Überleben. Und irgendwann hatte ihn dieses Gefühl beschlichen, dass die ihm liebgewonnene, dahinfließende Lebensweise nicht auf Dauer angelegt war. Irgendetwas war vor wenigen Wochen beschleunigt eingetreten, auch nachdem ihm eine Frau mitgeteilt hatte, sie halte ihn nicht mehr aus. So einen, der sich auf nichts, schon gar nicht auf sie, wirklich und ernsthaft einlasse. Das, was er einmal geliebt hatte, wonach er sich in jüngeren Jahren gesehnt hatte, nämlich eine neue Welt, war für ihn keine neue, vor allem keine besondere Welt mehr. Die Worte und Sätze, mit denen man in seinen Kreisen alles zu Tode erklärte, die Leute dazu, die das taten und auch daran glaubten, mit blinder Überzeugung, mit Überheblichkeit, mindestens über jeden Zweifel erhaben, waren ihm zunehmend auf die Nerven gegangen. Er begann sich zurückzuziehen aus dem, was er einmal gemocht hatte. Wenn er in letzter Zeit so dastand oder saß, im Café, im Abendlokal, bei Freunden, bei einem Konzert oder im Kino, in seiner Wohnung, in der Bibliothek, in den Hörsälen oder im Büro, waren die ersten Zweifel geboren: Du machst was anderes, du musst dich entscheiden! Aber wofür? Er merkte kleine Veränderungen. Er bemerkte, wie ihm seine Leidenschaft für vieles abhanden kam. Er konnte seine Freunde – oder wie immer er die Leute nannte, die er kannte, die ihm im Lauf einer Woche an gewohnten Orten unterzukommen pflegten, mit denen er trank und redete – nicht mehr sehen. Er konnte sich selber nicht mehr zuhören, diesem selbstgerechten, pathetischen, abstrakten, rechthaberischen Gerede. Eine ständige Wiederholung, eine ständige Bestätigung des Immergleichen. Dieses Hineinfallen und Sich-treiben-Lassen vom Rhythmus des Wochenendes, die langen Abende und Nächte mit viel Alkohol und endlosen Diskussionen. Wieder einmal war es soweit, dass er sich vornahm, Vorsätze zu fassen. Wie immer, in regelmäßigen Abständen. Wieder einmal, nicht das erste Mal. Aber die Abstände verringerten sich, zumindest empfand er es so. Die verrinnende Zeit belästigte ihn damit, ein Thema für eine Abschlussarbeit zu finden und diese auch zu Ende zu bringen. Plötzlich nahm er wahr, dass Zeit vergehen kann. Der Chef des Zeitschriftenverlages, in dem er nun schon seit mehreren Jahren in Teilzeit arbeitete, hatte von möglichen Einsparungen gesprochen, die auch seinen Bereich betreffen würden. Nicht nur vermutlich, sondern sehr wahrscheinlich. Offensichtlich sollte er sich entscheiden. Für dieses oder für jenes, vielleicht für eine andere Aufgabe. Der Chef wollte ihn in der Firma behalten, er schätzte ihn, er wünschte, dass er bleibe. Aber er selbst wusste nicht, ob er das wollte. Zunehmend hatte er das Gefühl, dass er sich schon zu lange in dieser Welt aufhielt. Er hatte begonnen, sie zu verachten. Zahlen, rief er zu einem der herumstehenden Kellner, der ihm gerade den Rücken zukehren wollte. Ein unruhiger Sommer wird das, befürchtete er, als er das Glas in der Abendsonne drehte, mit Resten des Camparis an den Rändern und auf dem Boden des Glases, wo sich das Schmelzwasser des Eiswürfels zu einer orangefarbenen Suppe gesammelt hatte. Etwas ändert sich. Ich muss auf mich achtgeben, dachte er, als er den letzten Tropfen ausschlürfte. Ob ich sie wiedersehe, überlegte er, als er an die Frau dachte, die er gerade flüchtig kennengelernt hatte. Ob ich hier auf sie warten soll? Sie kommt ohnehin wieder vorbei, oder? So es seine Arbeit und sein Studium zulassen sollten, und sie ließen es zu, angesichts seiner noch vorhandenen Souveränität über...



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