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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Mantel Der Hilfsprediger

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8321-8967-9
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-8321-8967-9
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Irgendwo im nördlichen England der Fünfzigerjahre: Fetherhoughton ist ein gottverlassenes Nest, eine Enklave der Ignoranz und des Aberglaubens. Father Angwin ist hier der Gemeindepriester, ein Zyniker, der längst seinen Glauben verloren hat und nur noch in Ruhe gelassen werden will; vor allem von dem neuen Bischof, der die Region in moderne Zeiten führen will. Die zweite Heimsuchung des Priesters ist Mutter Perpetua, die ihr Kloster mit eiserner Hand führt und jede Abweichung vom Pfad des Glaubens hart bestraft. Sie hat es vor allem auf die freiheitsliebende junge Nonne Philomena abgesehen.
Eines Abends taucht ein Fremder an der Tür des Pfarrhauses auf und bietet Father Angwin seine Dienste an. Ist er ein Spion des Bischofs, wie Angwin glaubt? Ist er ein Engel, der den Priester wieder glauben lässt und Philomena die Liebe lehrt? Oder gar der Teufel selbst?

Trockener Humor, hervorragende Charakterzeichnung und ein bissiges Porträt der Kirche im England der Fünfzigerjahre.

»Der Roman ist leicht, geistreich, scharfsinnig und lustig; dabei behandelt er ernsthaft die Frage, was gut und was böse ist.« EVENING STANDARD

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KAPITEL EINS Am Mittwoch kam der Bischof persönlich. Er war ein moderner Prälat, forsch und füllig, mit randloser Brille, und nichts gefiel ihm besser, als mit seinem großen schwarzen Wagen durch die Diözese zu rasen. Zur Sicherheit hatte er zwei Stunden vor seiner Ankunft angerufen, was unter den gegebenen Umständen ratsam war. Das Klingeln des Telefons in der Diele des Gemeindepfarrers hatte etwas gedämpft Geistliches. Miss Dempsey hörte es auf ihrem Weg aus der Küche. Einen Moment lang stand sie da, betrachtete den Apparat und ging dann behutsam auf den Fußballen darauf zu. Sie hob den Hörer ab, als könnte sie sich daran verbrennen. Den Kopf zur Seite geneigt, die Hörmuschel in einigem Abstand von ihrer Wange, lauschte sie der Nachricht des bischöflichen Sekretärs. »Ja, Mylord«, murmelte sie, wobei ihr im Nachhinein klar wurde, dass der Sekretär das nicht verdient hatte. »Der Bischof und seine Speichellecker«, sagte Vater Angwin immer. Miss Dempsey nahm an, sie waren so etwas wie Diakone. Sie hielt den Hörer mit den Fingerspitzen und legte ihn mit großer Sorgfalt zurück auf die Gabel, stand im düsteren Licht, dachte nach und senkte kurz den Kopf, als hätte sie den Heiligen Namen Jesu gehört. Dann ging sie zur Treppe und bellte nach oben: »Vater Angwin, Vater Angwin, stehen Sie auf und ziehen Sie sich an. Der Bischof wird uns noch vor elf heute heimsuchen.« Miss Dempsey ging zurück in die Küche und schaltete die elektrische Deckenleuchte ein. Es war kein Morgen, an dem das Licht einen großen Unterschied machte: Wie eine dicke graue Decke hing der Sommer über dem Fenster. Miss Dempsey hörte das unablässige tropf, tropf, tropf von den Ästen und Blättern draußen und dazu ein dringlicheres metallisches Tropfen, pitt-patt, pitt-patt, von der Dachrinne. Ihre Gestalt bewegte sich, das elektrische Licht hinter sich, über die trist grüne Wand, riesige Hände trieben zum Wasserkessel, ihre Glieder wie durch ein dickflüssiges Meer zum Herd. Oben schlug der Pfarrer mit einem Schuh auf den Boden und tat so, als wäre er bereits auf dem Weg. Zehn Minuten später stand er tatsächlich auf. Sie hörte das Knarzen der Dielen, das Gurgeln des aus dem Becken abfließenden Wassers, seine Schritte auf der Treppe. Er seufzte sein einsames Morgenseufzen, als er den Flur herunterkam, war plötzlich hinter ihr und fragte: »Agnes, haben Sie etwas für meinen Magen?« »Ich denke schon«, sagte sie. Er wusste, wo das Salz stand, aber sie musste es ihm holen, als wäre sie seine Mutter. »Waren heute viele in der Sieben-Uhr-Messe?« »Komisch, dass Sie fragen«, sagte Vater Angwin ganz so, als fragte sie das nicht jeden Morgen. »Ein paar alte Marienkinder waren da, dazu die gewohnten Hilflosen. Ist das ein besonderes Fest für sie? Die Walpurgisnacht?« »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Vater. Ich bin selbst ein Marienkind, wie Sie wissen, und ich habe nichts dergleichen gehört.« Sie wirkte gekränkt. »Trugen sie ihre Umhänge und alles?« »Nein, sie waren in Zivil, einfach in ihren normalen Pferdedecken.« Miss Dempsey stellte die Teekanne auf den Tisch. »Sie sollten sich nicht über die Schwesternschaft lustig machen, Vater.« »Ich frage mich, ob was drüber durchgesickert ist, dass der Bischof kommt. Durch einen unterirdischen Nachrichtendienst? Bekomme ich keinen Speck, Agnes?« »Nicht, solange Ihr Magen in so einem Zustand ist.« Miss Dempsey schüttete ein, und das dicke braune Gurgeln des Tees gesellte sich zum Tropfen der Bäume und zum Wind im Kamin. »Und noch etwas«, sagte er. »McEvoy war da.« Vater Angwin kauerte sich über den Tisch und wärmte die Hände an der Tasse. Als er den Namen McEvoy aussprach, huschte ein Schatten über sein Gesicht und blieb an seinem Kieferknochen hängen, sodass Miss Dempsey mit ihrer blühenden Fantasie einen Augenblick lang zu sehen glaubte, wie er als Achtzigjähriger aussehen würde. »Ach ja«, sagte sie, »und wollte er etwas?« »Nein.« »Warum erwähnen Sie ihn dann?« »Liebe Agnes, gönnen Sie mir etwas Frieden. Gehen Sie, ich muss mich auf Seine Korpulenz vorbereiten. Was, denken Sie, will er? Was führt er diesmal im Schilde?« Agnes ging hinaus, einen Staubwedel in der Hand, das Gesicht voller Beschwerden. Was immer er mit dem unterirdischen Nachrichtendienst gemeint haben mochte, er wollte ihr doch wohl nichts vorwerfen? Der Bischof formte seine Absichten tief in seinem Herzen, und niemand außer ihm selbst hatte gewusst, dass er zu Besuch kommen wollte, höchstens vielleicht einer der Speichellecker. Und deshalb hatte sie es auch nicht wissen, ausplaudern oder verraten können, den Marienkindern nicht und auch sonst keinem in der Gemeinde. Hätte sie es gewusst, hätte sie es womöglich erwähnt. Womöglich – wenn sie gedacht hätte, jemand müsse es wissen. Denn Miss Dempsey hatte eine spezielle vermittelnde Position inne, zwischen der Kirche, dem Kloster und allen anderen. Informationen zu sammeln war eindeutig ihre Pflicht. Was sie damit machte, unterlag ihrem Urteil und ihrer Erfahrung. Miss Dempsey würde sogar im Beichtstuhl lauschen, wenn sie könnte. Oft schon hatte sie überlegt, wie das wohl möglich wäre. Allein am Frühstückstisch zurückgeblieben, starrte Vater Angwin in seine Teetasse und bewegte sie hin und her. Miss Dempsey wusste nicht mit dem Teesieb umzugehen. In den Teeblättern war zwar nichts Besonderes zu erkennen, doch Vater Angwin hatte für einen Moment das Gefühl, dass jemand hinter ihm in die Küche gekommen war. Wie in einer Unterhaltung hob er den Blick, aber da war niemand. »Komm herein, wer immer du bist«, sagte er, »und trink etwas bitteren Tee.« Vater Angwin war ein listiger Mann, Augen und Haare hatten die Farbe toter Blätter. Er neigte den Kopf leicht zur Seite, atmete schnüffelnd ein und scheute vor dem zurück, was er da roch. Irgendwo im Haus schlug eine Tür. Und Agnes Dempsey: wie sie mit dem Staubwedel in der Hand über den staublosen Schreibtisch fuhr. In den letzten Jahren war ihr Gesicht sanft nach unten gerutscht, einem leichten Baumwollstoff gleich, der sich in einer Schachtel bauscht, und ihr Hals fiel in mehligen, runden Falten hinter den Schutz ihrer Kleidung. Ihre Augen waren rund wie die eines Kindes, leuchtend blau, der Ausdruck überrascht, verstärkt noch durch die unsichtbaren Brauen und das verblichene, grau melierte Gold ihres Haares, das wie statisch aufgeladen in die Luft stand. Über den kurzen, flaschenförmigen Beinen trug Miss Dempsey Faltenröcke, dazu pastellfarbene Twinsets, die die zarten Hügel ihrer Brust bedeckten. Ihr Mund, klein, blass und kaum zu erkennen, war wie dafür gemacht, all die Dinge aufzunehmen, die sie so gern mochte: Eccles Cakes, Vanilleschnitten und Miniatur-Schokoröllchen, die in rot-silberne Folie gewickelt waren. Es war ihr zur Gewohnheit geworden, die Folie vorsichtig herunterzuziehen, dünn wie einen Stift zusammenzudrehen und Ringe daraus zu formen, die sie sich über den Ringfinger schob. Dann hielt sie beide Hände vor sich hin, die blutleeren Finger leicht krumm von der beginnenden Arthritis, und bewunderte sie, wobei sich an ihrer linken Braue oberhalb der Nase eine Konzentrationsfalte bildete. Schließlich legte sie sich die Hand mit dem Ring noch eine Weile aufs Knie, zog ihn herunter und warf ihn ins Feuer. Das war Miss Dempseys ganz persönliches kleines Ritual, bei dem sie noch niemand beobachtet hatte. Über der Oberlippe, rechts, hatte sie eine kleine, flache Warze, so farblos wie ihr Mund. Es fiel ihr schwer, sie nicht zu befühlen. Miss Dempsey hatte Angst vor Krebs. Als der Bischof hereingeeilt kam, hatte Vater Angwin seinen Kater überwunden und saß mit gekonnt einschmeichelndem Lächeln in der guten Stube. »Vater Angwin, Vater Angwin«, sagte der Bischof, durchquerte den Raum und ergriff ihn: Die eine Hand drückte seinen Oberarm, die andere pumpte seine Rechte auf und ab, fast außer sich vor Herzlichkeit, und doch schwamm Argwohn im Funkeln der bischöflichen Zweistärkenbrille und der Bischofskopf wanderte wie das bewegliche Ziel, das man auf einer Kirmes zu treffen versucht, mechanisch von einer Seite zur anderen. »Tee«, sagte Vater Angwin. »Ich habe keine Zeit für Tee«, sagte der Bischof und trat auf den Kaminvorleger. »Ich bin gekommen, um mit Ihnen über die Vereinigung aller unvoreingenommen denkenden Menschen in der Familie Gottes zu sprechen«, sagte er. »Nun ja, nun ja, Vater Angwin. Bei Ihnen rechne ich da mit Schwierigkeiten.« »Wollen Sie sich nicht setzen?«, fragte Vater Angwin zurückhaltend. Der Bischof verschränkte die rosafarbenen Hände vor dem Leib, sah den Priester streng an und wiegte sich ganz leicht vor und zurück. »Die nächste Dekade, Vater Angwin, ist die Dekade der Eintracht. Die Dekade des Zusammenkommens. Die Dekade der menschlichen Familie Christi. Die Dekade der christlichen Gemeinschaft im Austausch mit sich selbst.« Agnes Dempsey kam mit einem Tablett herein. »Oh, wenn Sie ihn schon bringen«, sagte der Bischof. Als Miss Dempsey den Raum wieder verlassen hatte – ihre Knie waren ganz steif vom nassen Wetter, und sie brauchte daher ihre Zeit –, sagte Vater Angwin: »Meinen Sie eventuell: die Dekade, um das Kriegsbeil zu begraben?« »Die Dekade der Versöhnung«, sagte der Bischof. »Die Dekade der Freundschaft, der Koexistenz und der Vielen-in-Einem.« »Sie sprechen, wie ich noch nie jemanden habe sprechen hören«, sagte Vater Angwin. »Der ökumenische Geist«, sagte der Bischof. »Spüren Sie ihn nicht in der Luft? Spüren Sie nicht, wie er mit den Gebeten einer Million christlicher Seelen in Ihre Richtung weht?« »Im Nacken spüre ich...


Mantel, Hilary
Hilary Mantel, geboren 1952 in Glossop, England, war nach dem Jurastudium in London als Sozialarbeiterin tätig. Für den Roman ›Wölfe‹ (DuMont 2010) wurde sie 2009 mit dem Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Mit ›Falken‹, dem zweiten Band der Tudor-Trilogie, gewann Hilary Mantel 2012 den Booker erneut. Bei DuMont erschien zuletzt der Roman ›Der Hilfsprediger‹ (2017).

Löcher-Lawrence, Werner
Werner Löcher-Lawrence, geboren 1956, ist als literarischer Agent und Übersetzer tätig. Zu den von ihm übersetzten Autoren zählen u. a. John Boyne, Ethan Canin, Patricia Duncker, Hisham Matar, Louis Sachar, Nathan Englander und Nathan Hill.



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