Mansfield | Fliegen, tanzen, wirbeln, beben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 10, 384 Seiten

Reihe: Manesse Bibliothek

Mansfield Fliegen, tanzen, wirbeln, beben

Vignetten eines Frauenlebens - Mit einem Essay von Virginia Woolf
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-23743-1
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Vignetten eines Frauenlebens - Mit einem Essay von Virginia Woolf

E-Book, Deutsch, Band 10, 384 Seiten

Reihe: Manesse Bibliothek

ISBN: 978-3-641-23743-1
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Man entgeht der Herrlichkeit des Lebens nicht.' Katherine Mansfield
Gute Tage, schlechte Tage, Augenblicke himmlischer Glückseligkeit oder solche tiefer Bestürzung - aus allem macht die Sprachkünstlerin Katherine Mansfield reinste Poesie. Ihr Tagebuch gewährt Einblick in ein bei aller Kürze überreiches Leben: überreich an Hochgefühlen und Selbstzweifeln, überreich an musischen Begabungen, Liebeswagnissen, Dramen und Schicksalsschlägen. Die Auswahl reicht von ersten Talentproben der zwölfjährigen Neuseeländerin Kathleen Beauchamp bis hin zur brillanten Tagebuchprosa einer gereiften Schriftstellerin. Hier in Neuübersetzung vorgelegt, faszinieren die Texte durch gedankliche Tiefe, Intimität, Empfindungsreichtum und den Zauber der poetischen Weltbetrachtung.

Mit einem Nachwort von Dörte Hansen!

Katherine Mansfield (1888-1923), aufgewachsen in der Kolonialwelt Neuseelands zwischen Maori-Bräuchen und Cellospiel, beginnt schon im Mädchenalter zu schreiben, entflieht, kaum volljährig, ihrer Familie nach London, wird schwanger, erleidet in Bad Wörishofen eine Fehlgeburt, wird zum Star der jungen Literaturszene und stirbt mit nur 34 Jahren in Fontainebleau. Ihr schmales Werk zählt zur modernen Weltliteratur.

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~ 1907 ~

Januar. Da ist zwar Mr. Trowell. Aber ich habe endgültig beschlossen, nicht Musikerin zu werden. Das ist nicht mein Forte, das erkenne ich deutlich. Es bleibt dabei – ich muss Schriftstellerin werden. Caesar1 verliert seine Macht über mich. Edie wartet auf mich. Ich werde in ihre Arme schlüpfen. Sie sind am sichersten. Liebst du mich?

«Ehrgeiz ist ein Fluch, wenn man nicht gegen alles andere gefeit ist – es sei denn, man wolle sich seinem Ehrgeiz opfern.» – Eine Frau.2

«Alle Musiker, auch die unbedeutendsten, kommen ohne die Manneskraft, das Leben ernst zu nehmen zur Welt. Sie begehren nicht einen einzigen Mann, eine einzige Frau, sondern die volle Oktave der Sext.» E. F.

«Man fühlt sich hilflos unter dem Joch der Schöpfung.» E. F.

«Die Natur blamiert uns derart! Was sollen wir irgendwen mögen, wenn jede Waschfrau dasselbe tun kann? Aber mit dieser List sichert die Natur die Fortpflanzung.» E. F.

«Den Mut haben, über sich hinauszugehen – um seine Grenzen zu finden.» E. F.

«Die meisten Frauen werden zu Salzsäulen, wenn sie sich umdrehen.»3 E. F.

«Große Menschen sind stets ihren eigenen Neigungen gefolgt. Weshalb sollten wir uns an die Namen von Leuten erinnern, die tun, was alle anderen auch tun? Wer das Gesetz erfolgreich bricht, wird berühmt.» E. F.

«Eine Frau kann Musik erst dann verstehen, wenn sie jene mühsam verborgenen Dinge am eigenen Leibe erfährt, die offensichtlich allem zugrunde liegen.» E. F.

1. Juni 1907. Day’s Bay

Und wieder Szenenwechsel. Ich sitze im ärmlichen kleinen Wohnzimmer – dem einzigen Zimmer des Cottage, bis auf den hüttenähnlichen Schlafraum mit den Kajütenbetten und dem Nebengebäude mit Bad, Holz- und Kohlenkeller, fertig. Auf der einen Seite reicht das Meer bis zum Hof herauf und auf der anderen wächst der Busch bis fast zur Haustür hinab.

Sonntagnacht

Hier bin ich, fast tot vor Kälte, fast tot vor Müdigkeit. Ich kann nicht schlafen, weil das Ende mit solcher Plötzlichkeit gekommen ist, dass selbst ich, die ich es mir so lange schon ausgemalt hatte, entsetzt und überwältigt bin. Sie ist müde. Letzte Nacht noch lag ich in ihren Armen, und heute Abend hasse ich sie – was übersetzt heißen soll, ich bete sie an, ich kann nicht für mich im Bett liegen und die Magie ihres Körpers nicht spüren. Was bedeutet, dass es mir auf das Geschlecht nicht ankommt. Mit ihr spüre ich das ganze sogenannte sexuelle Begehren stärker als je mit einem Mann. Sie fesselt mich und versklavt mich, und ich bete sie und ihren vollkommenen Körper an. Wenn ich den Kopf an ihre Brust lege, weiß ich, dass ich alles fühle, was das Leben bereithalten kann. All meine Nöte und meine elenden Ängste sind wie weggeblasen. Weg sind die Erinnerungen an Caesar und Adonis4, weg die schreckliche Belanglosigkeit meines Lebens. Nichts bleibt als die Geborgenheit in ihren Armen. Und natürlich hätte ich noch vor einer Woche alles ertragen, weil ich da nicht wusste, was es wirklich heißt, zu lieben und geliebt zu werden und leidenschaftlich zu verehren – aber nun weiß ich, bleibt sie mir versagt, muss ich – muss meine Seele auf die Straße hinauslaufen und bei x-beliebigen Fremden um ein wenig von dem kostbaren Gift bitten und betteln. Ich bin halb verrückt vor Liebe. Sie ist jetzt – noch vor meiner Musik – regelrecht alles für mich. Und jetzt geht sie. Die Ahnung ist Wirklichkeit geworden – die Seifenblase platzt wie ein Märchen. So ist dies wirklich meine letzte solche Erfahrung – meine letzte – ich halte es nicht länger aus. Sie vernichtet in der Tat meine Seele, jedes Mal empfinde ich es stärker, denn jedes Mal wird wieder in die Wunde gestochen, und das Messer senkt sich in neues Fleisch und weckt die Qualen im alten.

Neben mir brennt die ruhige Flamme der Kerze – golden und blütengleich –, aber wenn ich hier nur lange genug sitze, wird sie schwinden, flackern und erlöschen. Und genauso ist das Leben und vor allem auch die Liebe – irrlichternd, vorläufig und flüchtig, und öder, fürchterlicher Pessimismus starrt mir ins Gesicht, und ich klammere mich an die alten Illusionen. Ich bin in Regenbogen und Kristallgläser verliebt. Der Regenbogen verblasst, und das Glas springt in tausend Diamantsplitter. Wohin sind sie zerstreut – ins unendliche Firmament, in die vier Himmelswinde – verweht …

In meinem Leben – so viel eingebildete Liebe und in Wirklichkeit achtzehn fruchtlose Jahre. Nie eine reine, spontane, liebevolle Aufwallung. Adonis war – wenn ich es wage, mein Herz zu ergründen – nichts als Pose. Und da kommt sie, und gebettet an sie, geschmiegt an ihre Hände, ihr Gesicht neben meinem, bin ich Kind, Frau und mehr als zur Hälfte Mann.

Draußen flutet das Meer mit dem Klang vollkommener Harmonie das kahle Ödland aus grauem Sand und mächtigem Fels. Genau wie sie. Ich habe das kühle, heilsame Fließen im Wasser gespürt, den weißen Schaum, die grüne Kühle, und jetzt wieder die glühende Sonne und eine verzweifelte Ödnis. Ich kann nicht schlafen, ich werde nicht mehr schlafen. Das ist Wahnsinn, ich weiß, doch es ist allzu echt, um noch gesund zu sein, allzu oberflächlich unglaublich, um infrage gestellt zu werden. Wieder muss ich den Gezeitenwechsel ertragen – mein Leben ist ein Rosenkranz erbitterter Zweikämpfe, und die mächtige Anziehung des Sex verbindet die Kugeln zur Kette. Und am Ende hängt ganz gewiss das Zeichen des Gekreuzigten … Ich weiß nicht, und ich mag nicht hinschauen, aber ich bin so erschüttert vor Schmerz, dass ich spüre, es muss ein Ende haben mit meinem kompromisslosen Lieben und Entliebtwerden – mit den Liebesgeschenken, die mir wieder an den Kopf geschleudert werden, blass und wurmstichig. Pah! Wie sieht mein nächster Zug aus, frage ich mich – Tod, Resignation oder Lähmung? Es wird nicht von Dauer sein. Ich pfeife auf das Schicksal. Ich will nicht mittanzen im Marionettenspiel. Zum Teufel damit! Es wird wohl ein Ende haben. Ich kann keine tragische Figur bleiben?

Und dann bedrängten mich die Geräusche so sehr, dass ich wieder ins Schlafzimmer ging und mich im Dunkeln aus dem Fenster lehnte. Sie schlief friedlich. Ich konnte sie nicht wecken – ich versuchte es zwar, aber erfolglos, und mit jedem Moment schien mein Grauen vor allem und jedem zu wachsen. Im Hof wurde selbst der Zaun zum Schrecken. Während ich auf die Pfosten starrte, verwandelten sie sich in fratzenhafte Chinesen – höchst lebensecht und schrecklich. Sie lehnten sich lässig an nichts, mit gekreuzten Beinen und zuckenden Köpfen. Es war fürchterlich kalt. Ich lehnte mich weiter hinaus und fixierte eine Gestalt – sie beugte sich, grimassierte und krümmte sich, dann sprang ihr der Kopf ab und rollte unter das Haus – rollte immer ringsum wie ein schwarzer Ball – eine Katze vielleicht – und sprang davon. Ich blickte wieder auf die Gestalt – sie war gekreuzigt und hing leblos und doch höhnisch vor mir. Tiefe Stille – es war allzu grässlich. Ich zog meinen Morgenrock und die Pantoffeln aus und saß zitternd und halb weinend am Bettrand, außer mir vor Gram. Irgendwie erwachte sie still, kam zu mir herüber und nahm mich wieder in ihre bergenden Arme. Wir legten uns immer noch schweigend hin, und sie drückte mich immer wieder an sich und küsste mich, mein Kopf lag an ihrem Busen und mit den Händen umschlang ich sie, und sie streichelte mich liebevoll und wärmte mich, um mir neues Leben einzuhauchen. «Besser so, Liebling?», flüsterte ihre Stimme, und mir fehlten die Worte darauf. Dann wieder: «Du kannst es mir wohl nicht sagen …» Und ich schmiegte mich an ihren warmen, wonnigen Leib, glücklicher denn je und als ich es je erträumt hätte, während die Vergangenheit wieder begraben war – so klammerte ich mich an sie und wünschte, dass diese Dunkelheit ewig dauern möge …

Nie fühle ich so stark, dass sie mir gehört, dachte ich. Hier kann nur Eine bei ihr sein. Hier kann ich sie mit tausend zarten Listen umgarnen – vorläufig. Was für eine Erfahrung, und als wir in die Stadt zurückkehrten, war es kein Wunder, dass ich nicht schlafen konnte, mich bloß hin und her wälzte, mich sehnte und tausend Dinge erkannte, die ich nur erahnt hatte … Ach, Oscar5! Bin ich besonders empfänglich für Sex? Vermutlich ja, aber ich bin hocherfreut. Jetzt will ich stets, dass sie mich umarmt und herzt, wenn wir uns sehen. Sie will es wohl auch, aber sie scheut sich und beugt sich den Konventionen, finde ich. Wir werden wieder gehen, ein Wochenende mehr.

Ich will diesen Tag handfest damit krönen, dass ich ein Buch zu schreiben beginne. Wo ich geh und steh, beim Ankleiden, beim Reden oder selbst vor dem Cellospiel, schweben Tag für Tag tausend zarte Bilder durch meinen Kopf und entschwinden wieder. Ich will ein Buch schreiben – das unwirklich ist und doch grundsätzlich möglich, weil es außer Frage steht – das in den Herzen der Leser Gefühle und Empfindungen hervorruft, die zu lebhaft sind, um nicht zu wirken; das tausend zarte Tränen und tausendfach perlendes Gelächter weckt. Ich will nie etwas auch nur entfernt Theatralisches schreiben, und es muss ultramodern...


Wehrli, Irma
Irma Wehrli, geboren 1954, ist seit 1984 freie Übersetzerin und widmet sich mit Vorliebe den Klassikern der englischen und US-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. 2011 erhielt sie das Zuger Übersetzerstipendium für ihre Arbeit an Thomas Wolfes "Of Time and the River".

Hansen, Dörte
Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Ihr Debüt „Altes Land” wurde 2015 zum „Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels” und zum Jahresbestseller 2015 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr zweiter Roman „Mittagsstunde” erschien 2018, wurde wieder zum SPIEGEL-Jahresbestseller und mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet. 2022 erschien ihr dritter Roman „Zur See”. Dörte Hansen, die mit ihrer Familie in Nordfriesland lebt, ist Mainzer Stadtschreiberin 2022.

Mansfield, Katherine
Katherine Mansfield (1888–1923), aufgewachsen in der Kolonialwelt Neuseelands zwischen Maori-Bräuchen und Cellospiel, beginnt schon im Mädchenalter zu schreiben, entflieht, kaum volljährig, ihrer Familie nach London, wird schwanger, erleidet in Bad Wörishofen eine Fehlgeburt, wird zum Star der jungen Literaturszene und stirbt mit nur 34 Jahren in Fontainebleau. Ihr schmales Werk zählt zur modernen Weltliteratur.



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