E-Book, Deutsch, 445 Seiten
Mannel Der Duft der Wüstenrose
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-878-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Afrika Roman | Große Gefühle und eine unvergessliche Reise in den Süden Afrikas
E-Book, Deutsch, 445 Seiten
ISBN: 978-3-98952-878-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Beatrix Mannel studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München und arbeitete dann zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Danach begann sie - auch unter ihrem Pseudonym Beatrix Gurian - Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu schreiben, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem gründete sie gemeinsam mit einer Kollegin 2016 die Münchner Schreibakademie. Die Website der Autorin: www.beatrix-mannel.de/ Die Autorin auf Instagram: @gurianbeatrixmannel Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane »Der Zauber der Vanilleblüte«, »Der Duft der Wüstenrose«, »Das Flüstern der Südsee« und »Die Hexengabe«.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Fanny verknotete ihr Hutband und kämpfte sich gegen den starken Wind über das Deck vor bis zur Reling, wo sie sich mit beiden Händen festhalten musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nach einunddreißig Tagen auf See wurde ihr wenigstens nicht mehr übel, egal wie sehr das Schiff unter ihr schwankte. Neugierig betrachtete sie die Küste von Deutsch-Südwest, deren Dünen im Abendlicht orangerot wie Stein gewordene Flammen aus dem Wasser ragten und eine Mischung aus Vorfreude und Vertrautheit in ihr auslösten, die sie sich nicht erklären konnte.
Sie atmete die von Gischt durchsetzte Luft so tief ein, wie es ihr eng geschnürtes Korsett eben noch erlaubte, und leckte sich dann das Salz von ihren Lippen, die von den Strapazen der Überfahrt spröde geworden waren.
Morgen früh sollten sie die Küste erreichen, wo sich ihr ganzes Leben ändern würde. Und zwar auf noch einschneidendere Weise, als sie es sich zu Beginn ihrer Reise vorgestellt hatte. Sie hatte ihr Wort gegeben. Ein Versprechen, von dem es nach Charlottes Tod kein Zurück mehr gab.
Der Wind zerrte an ihrem Kleid und wirbelte die Unterröcke hoch, aber Fanny machte keine Anstalten, sie wieder herunterzuschlagen. Es gefiel ihr, all die Dinge zu tun, die bei ihren Mitschwestern im Kloster blankes Entsetzen ausgelöst hätten: Endlich laut sagen, was sie wirklich dachte, endlich ein Korsett tragen und wie eine Frau aussehen, endlich frei sein und nur das tun, was sie selbst für richtig hielt.
Sie betrachtete abwesend die laut flatternden Spitzenbänder ihrer Unaussprechlichen und sah erneut sehnsüchtig zum Land hinüber. Unter Umständen konnte sich morgen in Swakopmund wieder alles ändern, doch das hing nicht mehr nur allein von ihr ab.
Abgemagert bis auf die Knochen hatte Charlotte sich an sie geklammert und sie angefleht, dafür zu sorgen, dass Ludwig, Charlottes Verlobter, nicht umsonst zum Schiff käme. Und Fanny versprach es, zuerst in der selbstverständlichen Annahme, dass dieser Fall ohnehin nicht eintreten und Charlotte wieder gesund werden würde, denn ein Leben ohne das glucksende Lachen von Charlotte und ohne ihre heitere Klugheit konnte sich Fanny gar nicht mehr vorstellen.
In den achtzehn Jahren im Kloster hatte Fanny immer davon geträumt, eine echte Freundin zu haben, eine, der sie ihre geheimsten Gedanken anvertrauen konnte, ohne Angst haben zu müssen, verraten zu werden. Doch sie musste zwanzig Jahre warten, bis sie völlig unverhofft Charlotte kennengelernt hatte. In der Frauenkolonialschule in Witzenhausen, wo sie beide einen Hauswirtschaftsvorbereitungskurs für die Kolonien absolvierten.
Fanny war von der Missionsgesellschaft nach Witzenhausen geschickt worden, Charlotte von ihrer Mutter, die Angst gehabt hatte, eine Tochter aus gutem Hause könnte dem harten Alltag einer Farmersfrau in Südwest nicht gewachsen sein.
Gleich am ersten Abend, während eines Vortrages über »Die Erziehung der Heiden zu ordentlichen Dienstboten und Christenmenschen«, hatte Charlotte ihr zugezwinkert und hinter vorgehaltener Hand so demonstrativ gegähnt, dass Fanny nur mühsam ein Lachen unterdrücken konnte. Von diesem Moment an hatte festgestanden, dass sie Freundinnen werden würden.
Trotzdem fragte Fanny sich nun, welcher Teufel sie geritten hatte, ihrer Herzensschwester ein so folgenschweres Versprechen zu geben, das sie jetzt, wo Charlotte tot war, nicht einfach brechen konnte. Trotzdem vermochte Fanny sich noch nicht vorzustellen, dass sie sich wirklich für Charlotte ausgeben und deren Verlobten heiraten würde.
Plötzlich flammte die karge Küste im Abendlicht lodernd auf, sogar das Meer funkelte orange und rosa. Unwillkürlich betastete Fanny ihr Glasperlenarmband, das sie niemals auszog. Es war ihr einziger, ihr kostbarster Besitz. Sie hielt den linken Arm hoch und vergewisserte sich – tatsächlich, einige der Perlen schimmerten genauso wie das Land, das in der Abendsonne vor ihr lag. Bestimmt war das ein gutes Zeichen. Ich werde es schon schaffen, das Richtige zu tun, beruhigte sie sich.
Der Wind schob ihren Hut trotz des Bandes hinunter in ihren Nacken, und Fanny überlegte einen kurzen Moment, ob sie ihn abnehmen, ihr Haar lösen und es dem Wind überlassen sollte. Aber das hätte ihr nur in Gegenwart von Charlotte Freude bereitet, allein kam sie sich albern vor. Charlotte hätte natürlich nicht mitgemacht, sondern den Kopf geschüttelt und ihr zum hundertsten Mal gesagt, sie würde sich viel mehr wie ein verrückter junger Hund benehmen als eine Dame von Welt. Aber genau das hätte Fanny gefallen. Sie wischte über die Augen, die sich unwillkürlich mit Tränen füllten. Charlotte fehlte ihr so sehr.
Wie würde es sich anfühlen, mit ihrem Namen gerufen zu werden? Auch wenn Franziska nur der Name war, auf den die Nonnen sie als unbekannten Säugling vor zwanzig Jahren getauft hatten, so war sie doch an ihn gewöhnt.
Plötzlich schnellte direkt neben dem Schiff eine riesige, graublaue Schwanzflosse aus dem Wasser empor. Fanny hielt überrascht die Luft an, gespannt, ob sie endlich einen Wal ganz sehen würde. Doch die Flosse verschwand mit einem gewaltigen Klatschen sofort wieder im Ozean. Wie oft hatten Charlotte und sie nach Walen Ausschau gehalten, und jetzt, so nah am Ziel, tauchte einer auf! Das war sicher auch ein gutes Omen.
Du bist nicht ganz bei Trost, ermahnte sie sich, du solltest damit aufhören, überall Zeichen zu wittern wie eine abergläubische alte Jungfer!
Eine Männerstimme drang durch das Tosen des Windes an Fannys Ohr und riss sie aus ihren Gedanken. Hastig schlug sie nun doch ihre Röcke herunter und versuchte sie dort zu halten, was angesichts des schwankenden Schiffes nicht ganz einfach war. »Haben Sie den Wal gesehen?«, fragte der Offizier, der mit respektvoll gezogener Schirmmütze an sie herangetreten war. »Das ist ungewöhnlich, normalerweise schwimmen sie nie so nah an diesen Teil der Küste heran. Es kann gefährlich für sie werden, denn manchmal verlieren sie ihre Orientierung, und dann verenden sie an der Skelettküste. Niemand weiß, wie es dazu kommt.«
So viel also zu den guten Vorzeichen, dachte Fanny und versuchte die Gänsehaut zu ignorieren, die ihr den Rücken hinunterlief.
»Zum Glück sind wir keine Wale und verfugen über jede Menge Technik, die es uns erlaubt, morgen früh dort anzulanden.« Er deutete mit der ausgestreckten Hand zur Küste hinüber.
»Dort drüben?«, fragte Fanny verblüfft nach. So farbenprächtig die Küste im Sonnenuntergang auch war, sie konnte weder einen Hafen noch eine Mole oder andere Spuren von menschlichem Leben entdecken.
»Tatsächlich, Madame. Dafür haben wir bereits in Liberia, im Hafen von Monrovia, die Crew-Neger an Bord genommen. Sie sind Spezialisten darin, die Boote durch die Brandung zum Strand zu steuern.«
»Aber dort drüben ist doch rein gar nichts! Oder liegt Swakopmund vielleicht in einer Senke, die man von hier nicht sehen kann?«
Der Offizier lächelte, setzte seine Schirmmütze wieder auf, tippte an den Rand der Mütze und deutete eine Verbeugung an.
»Das werden Gnädigste morgen früh dann schon sehen.« Fanny wollte ihm nachgehen, aber der starke Seegang
zwang sie, sich festzuhalten. Es war derselbe Offizier, der das Totengebet gesprochen hatte, bevor man Charlottes Leiche eingenäht in einem Jutesack über Bord geworfen hatte. Es hatte nichts mehr zum Beschweren des Sacks gegeben, weil vor Charlotte schon zwei andere Passagiere gestorben waren. Mit Grauen erinnerte sich Fanny daran, wie verloren der puppenhaft winzige Sack auf den Wellen getanzt hatte, bevor er schließlich strudelnd versunken war. Es schien ihr unbegreiflich, dass ihre energiegeladene Freundin wirklich tot sein sollte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte jemand seine Geheimnisse mit ihr geteilt, sich Sorgen um Fanny gemacht und Anteil genommen.
»Du wirst als Lehrerin an der rheinischen Missionsschule in Okahandja genauso unfrei sein wie im Kloster«, hatte Charlotte ihr wieder und wieder gepredigt, während sie in ihrer Koje lag und immer mehr an Kraft verlor. »Und glaube bloß nicht, die Protestanten wären auch nur einen Deut besser als die Katholiken. Im Gegenteil, ich sage dir, sie sind noch viel strenger und intoleranter. Wenn du aber jetzt die Möglichkeit nutzt und meinen Verlobten heiratest, dann kann er dir bei deiner Suche helfen. Er muss ein großzügiger Mann sein, er war schließlich bereit, mich zu heiraten, obwohl es diesen Skandal in meiner Familie gab.«
Je kränker Charlotte wurde, desto eindringlicher redete sie auf Fanny ein. »Man heiratet doch sowieso nicht den Mann aus Fleisch und Blut, sondern nur die Vorstellung, die man sich von ihm macht. Erst in der Ehe findest du heraus, wer dieser Mann wirklich ist. Versprich es mir. Er ist ein guter Mann, und du bist ein guter Mensch. Ich bitte dich. Tu’s für mich.« Kurze Zeit später war sie tot, und Fanny fühlte sich plötzlich noch einsamer als jemals im Kloster, wo sie keinerlei Freundinnen, sondern in der Oberin Seraphina nur eine bösartige Feindin gehabt hatte. Keine Familie, nicht einmal eine Geschichte, nur ihr Glasperlenarmband. Deshalb hatte sie ihre wenige freie Zeit und die vielen Nächte, in denen sie von Albträumen aufgeschreckt worden war, auch damit verbracht, sich für jede einzelne der einundzwanzig Perlen ständig neue Geschichten auszuspinnen. Geschichten, die sich um ihre Herkunft und um ihre Eltern rankten, von denen sie nichts...




