Mankell | Die weiße Löwin | E-Book | www2.sack.de
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E-Book, Deutsch, 560 Seiten

Mankell Die weiße Löwin

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-552-05613-8
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 560 Seiten

ISBN: 978-3-552-05613-8
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Alles beginnt mit dem Verschwinden einer schwedischen Immobilienmaklerin - doch schon bald weisen immer mehr Details auf ein teuflisches Komplott von internationalen Dimensionen hin. Kommissar Wallander stößt bei seinen Ermittlungen unter anderem auf die Spur einer südafrikanischen Geheimorganisation und weiß bald, dass das Schicksal von Hunderttausenden auf dem Spiel steht.

Henning Mankell (1948 - 2015) lebte als Schriftsteller und Theaterregisseur in Schweden und Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller. Zuletzt erschienen bei Zsolnay Treibsand (Was es heißt, ein Mensch zu sein, 2015), die Neuausgabe von Die italienischen Schuhe (Roman, 2016), Die schwedischen Gummistiefel (Roman, 2016) und die frühen Romane Der Sandmaler (2017), Der Sprengmeister (2018) und Der Verrückte (2021).
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Die Frau aus Ystad


1


Die Immobilienmaklerin Louise Åkerblom verließ die Bankfiliale in Skurup am Freitag, dem 24.April, kurz nach drei Uhr. Sie blieb einen Augenblick auf dem Bürgersteig stehen und sog frische Luft in die Lungen, während sie darüber nachdachte, was sie tun sollte. Am liebsten hätte sie den Arbeitstag jetzt schon abgebrochen und wäre direkt heim nach Ystad gefahren. Aber sie hatte am Vormittag den Anruf einer Witwe bekommen und versprochen, bei einem Haus vorbeizufahren, das die Frau verkaufen wollte. Sie überlegte, wieviel Zeit das in Anspruch nehmen würde. Eine Stunde vielleicht, entschied sie. Kaum mehr. Dann mußte sie Brot kaufen. Für gewöhnlich buk ihr Mann Robert Brot selbst, aber in dieser Woche hatte er es nicht geschafft. Sie überquerte den Marktplatz und hielt sich links, wo die Bäckerei lag. Eine Glocke bimmelte, als sie die Tür öffnete. Sie war die einzige Kundin im Geschäft, und die Frau hinter dem Ladentisch, Elsa Person, würde sich später daran erinnern, daß Louise Åkerblom gut gelaunt zu sein schien und davon gesprochen hatte, wie schön es sei, daß der Frühling endlich käme.

Sie kaufte ein Roggenbrot und beschloß, die Familie zum Nachtisch mit Blätterteigtörtchen zu überraschen. Dann ging sie zur Bank zurück, wo sie auf dem rückwärtigen Parkplatz ihren Wagen abgestellt hatte. Unterwegs traf sie das junge Paar aus Malmö, dem sie gerade ein Haus verkauft hatte. Die beiden waren noch in der Bank geblieben, hatten den Abschluß perfekt gemacht, den Verkäufer bezahlt sowie die Kauf- und Kreditverträge unterzeichnet. Sie verstand die Freude der jungen Leute über das eigene Haus gut. Gleichzeitig aber machte sie sich Gedanken. Würden sie mit der Tilgung des Kredits und mit den Zinszahlungen klarkommen? Es waren harte Zeiten, kaum ein Arbeitsplatz war mehr sicher. Was würde geschehen, wenn er seinen Job verlor? Sie hatte die wirtschaftliche Situation des jungen Paares akribisch studiert. Im Unterschied zu vielen anderen hatten sie eine Verschuldung durch gedankenlose Kreditkartenkäufe vermieden. Und die junge Hausfrau schien zu den sparsamen zu gehören. Die beiden würden schon durchkommen. Wenn nicht, stünde das Haus bald wieder zum Verkauf. Vielleicht würde sie selbst oder Robert die Sache dann übernehmen. Es war gar nicht mehr so ungewöhnlich, daß sie im Verlauf weniger Jahre dasselbe Haus zwei- oder dreimal verkaufte.

Sie schloß das Auto auf und wählte am Funktelefon die Nummer des Büros in Ystad. Aber Robert war bereits nach Hause gegangen. Sie lauschte seiner Stimme vom Anrufbeantworter, die mitteilte, daß Åkerbloms Immobilienvermittlung über das Wochenende geschlossen bleibe, am Montag morgen um acht aber wieder öffne.

Zunächst wunderte sie sich darüber, daß Robert so zeitig nach Hause gegangen war. Aber dann fiel ihr ein, daß er sich an diesem Nachmittag mit ihrem Wirtschaftsprüfer treffen wollte. Sie sprach auf das Band: »Hej, ich schau mir nur noch ein Haus bei Krageholm an, dann fahre ich nach Ystad. Es ist jetzt Viertel nach drei. Um fünf bin ich zu Hause.« Dann klemmte sie das Mobiltelefon wieder in die Halterung. Es war ja möglich, daß Robert nach seinem Gespräch mit dem Wirtschaftsprüfer noch einmal ins Büro zurückging.

Sie nahm eine Plastikmappe vom Sitz und suchte die Geländeskizze heraus, die sie nach der Beschreibung der Witwe angefertigt hatte. Das Haus lag an einer Abzweigung zwischen Krageholm und Vollsjö. Es würde etwa eine Stunde dauern, hinauszufahren, Haus und Grundstück zu besichtigen und dann nach Hause zu kommen.

Sie überdachte ihren Entschluß noch einmal. Das kann warten, sagte sie sich. Ich nehme die Küstenstraße für die Heimfahrt, halte irgendwo und genieße die Aussicht aufs Meer. Ich habe heute schon ein Haus verkauft. Das muß reichen.

Sie summte den Anfang eines Psalms, ließ den Motor an und fuhr aus Skurup heraus. Als sie zur Abfahrt nach Trelleborg kam, änderte sie ihren Entschluß jedoch noch einmal. Weder am Montag noch am Dienstag würde sie dazu kommen, das Haus der Witwe zu besichtigen. Vielleicht wurde die Dame wütend und bot ihr Eigentum einem anderen Makler an? Das konnten sie sich nicht leisten. Die Zeiten waren schon schwer genug. Die Konkurrenz wurde immer härter. Keiner konnte auf angebotene Objekte verzichten, wenn eine Vermittlung nicht gerade völlig aussichtslos erschien. Sie seufzte und bog in die andere Richtung ab. Die Küstenstraße und der Strand mußten warten. Dann und wann schielte sie auf die Skizze. In der nächsten Woche würde sie einen Kartenhalter kaufen, damit sie nicht immer zur Seite schauen mußte, wenn sie die Fahrtroute überprüfte. Aber das Haus der Witwe konnte nicht so schwer zu finden sein, auch wenn sie die Abzweigung, die die Frau beschrieben hatte, noch nicht gefahren war. Die Gegend jedoch kannte sie in- und auswendig. Im kommenden Jahr würden sie und Robert das zehnte Jubiläum ihres Unternehmens feiern können.

Sie erschrak bei dem Gedanken. Schon zehn Jahre. Die Zeit war so schnell vergangen, allzu schnell. In diesen zehn Jahren hatte sie zwei Kinder geboren und zusammen mit Robert hart daran gearbeitet, das Immobilienbüro zu etablieren. Als sie anfingen, herrschten günstige Zeiten, das war ihr klar. Heute wäre es ihnen nicht mehr gelungen, auf den Markt zu kommen. Sie konnte zufrieden sein. Gott hatte es mit ihr und ihrer Familie gut gemeint. Sie würde noch einmal mit Robert darüber reden, ob sie nicht ihre Spenden für »Rettet die Kinder« erhöhen sollten. Natürlich würde er zögern, er sorgte sich mehr um ihre Finanzen als sie. Aber schließlich würde sie ihn überzeugen, wie immer.

Plötzlich merkte sie, daß sie sich verfahren hatte, und bremste. Die Gedanken an die Familie und die zehn vergangenen Jahre hatten bewirkt, daß sie die erste Abzweigung verpaßt hatte. Sie lachte, schüttelte den Kopf und schaute sich um, bevor sie wendete und denselben Weg zurückfuhr, den sie gekommen war.

Schonen ist eine schöne Landschaft, dachte sie. Weit und schön. Aber auch geheimnisvoll. Alles, was im ersten Augenblick so eben wirkte, konnte sich schnell in tiefe Senken verwandeln, in denen Häuser und Höfe wie isolierte Inseln lagen. Sie hörte niemals auf, sich darüber zu wundern, wie sich die Landschaft veränderte, wenn sie umherfuhr, um Häuser zu besichtigen oder möglichen Käufern zu zeigen.

Als sie Erikslund passiert hatte, fuhr sie auf den Seitenstreifen und kontrollierte die Wegbeschreibung der Witwe. Sie stellte fest, daß sie richtig gefahren war. Sie bog nach links ab, in die hügelige Straße nach Krageholm, die sich anmutig durch den Wald schlängelte. Durch die Laubbäume glitzerte der See. Sie war diesen Weg viele Male gefahren, aber er würde ihr niemals langweilig werden.

Nach ungefähr sieben Kilometern begann sie, nach der letzten Abzweigung Ausschau zu halten. Die Witwe hatte sie als einen Traktorweg beschrieben, ohne Schotterbelag, aber voll befahrbar. Sie bremste, als sie die Abfahrt erreicht hatte, und bog rechts ab. Das Haus sollte nach etwa einem Kilometer zur Linken liegen.

Nach drei Kilometern endete der Weg plötzlich, und ihr wurde bewußt, daß sie sich doch verfahren hatte. Für einen Augenblick war sie wieder versucht, direkt nach Hause zu fahren. Aber sie verwarf den Gedanken und wendete, um zur Straße nach Krageholm zurückzukehren. Ungefähr fünfhundert Meter weiter nördlich bog sie erneut nach rechts ab. Aber auch hier fand sich kein Haus, auf das die Beschreibung paßte. Sie seufzte, wendete und beschloß, sich nach dem Weg zu erkundigen. Kurz zuvor war sie an einem Haus vorbeigekommen, das hinter einer dichten Baumgruppe lag.

Sie hielt an, schaltete den Motor ab und stieg aus. Die Bäume rochen frisch. Sie ging auf das Haus zu, eines vom schonischen Typ, weiß gestrichen. Es hatte jedoch nur einen Giebel. Mitten auf dem Hof stand ein Brunnen mit einer schwarzgestrichenen Pumpe. Sie zögerte. Das Haus wirkte völlig verlassen. Vielleicht sollte sie doch lieber nach Hause fahren und hoffen, daß die Witwe es nicht übelnahm.

Ich kann wenigstens anklopfen, dachte sie. Das kostet nichts.

Bevor sie das Haus erreichte, kam sie an einem großen, rotgestrichenen Nebengebäude vorbei. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick durch die halb geöffneten hohen Türen zu werfen.

...


Mankell, Henning
Henning Mankell (1948 - 2015) lebte als Schriftsteller und Theaterregisseur in Schweden und Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller. Zuletzt erschienen bei Zsolnay Treibsand (Was es heißt, ein Mensch zu sein, 2015), die Neuausgabe von Die italienischen Schuhe (Roman, 2016), Die schwedischen Gummistiefel (Roman, 2016) und die frühen Romane Der Sandmaler (2017), Der Sprengmeister (2018) und Der Verrückte (2021).



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