Mankell | Der Mann, der lächelte | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Mankell Der Mann, der lächelte

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-552-05610-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-552-05610-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Von Selbstzweifeln geplagt, ist Kommissar Wallander schon im Begriff, den Dienst zu quittieren, als ihn ein neuer Fall aus seiner Depression reißt. Der Anwalt Sten Torstensson bittet Wallander um Hilfe: Sein Vater ist nachts mit dem Auto tödlich verunglückt, doch er glaubt nicht an einen Unfall. Niemals wäre sein Vater bei Nebel zu schnell gefahren, und außerdem hatte er in letzter Zeit oft erregt und beunruhigt gewirkt. Zwei Wochen später ist Sten Torstensson ebenfalls tot ...

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Der Wind war böig und kam genau von Norden. Der Mann, der weit draußen am vereisten Ufer entlanglief, duckte sich gegen den Sturm. Dann und wann blieb er mit dem Rücken zum Wind stehen, zog den Kopf zwischen die Schultern und vergrub die Hände tief in den Taschen. Schließlich nahm er seinen scheinbar ziellosen Lauf wieder auf, bis er vom grauen Licht verschluckt wurde. Eine Frau, die täglich am Strand ihren Hund ausführte, beobachtete den Mann seit einiger Zeit mit wachsender Unruhe. Er schien sich vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit draußen herumzutreiben. Vor ein paar Wochen war er eines Morgens einfach dagewesen, wie ein vom Meer angespültes Stück menschliches Treibgut. Normalerweise nickten ihr die Menschen, denen sie am Strand begegnete, einen Gruß zu. Es waren ohnehin nur wenige, denn es war bereits Spätherbst, bald November. Aber der Mann im schwarzen Mantel grüßte nicht. Anfangs glaubte sie, er sei vielleicht schüchtern, dann hielt sie ihn für unverschämt; möglicherweise ein Ausländer. Später hatte sie den Eindruck, er trage schwer an einer seelischen Last, als wäre er ein Pilger, der sich auf seinen Wanderungen von einem unbekannten Schmerz befreien will. Er bewegte sich unstet; manchmal ging er langsam, fast schleppend, dann wieder rannte er beinahe. Vielleicht waren es nicht die Beine, die ihn voranbrachten, sondern seine unruhigen Gedanken. Sie stellte sich auch vor, daß seine Fäuste in den Taschen geballt waren. Sie konnte sie nicht sehen, aber sie war sich ganz sicher. Nach einer Woche hatte sie sich ihr Bild gemacht. Der einsame Mann am Strand, von dem man nicht wußte, woher er kam, war dabei, eine tiefe persönliche Krise zu bewältigen; wie ein Kapitän, der sein Schiff mit unvollständigen Karten durch trügerisches Fahrwasser manövriert. Daher seine Verschlossenheit, seine Ruhelosigkeit. Sie hatte den Fall abends mit ihrem rheumakranken, vorzeitig pensionierten Mann diskutiert. Einmal hatte er sie sogar auf ihrem Spaziergang mit dem Hund begleitet, obwohl er gerade schwer von seiner Krankheit geplagt wurde und am liebsten im Haus blieb. Er gab ihr recht. Das Verhalten des Mannes schien ihm jedoch so ungewöhnlich, daß er einen guten Freund bei der Polizei von Skagen anrief und ihm von den Beobachtungen seiner Frau berichtete. Vielleicht handelte es sich um einen Mann, der geflohen war und gesucht wurde, um einen Insassen einer der wenigen noch existierenden Nervenheilanstalten des Landes. Der Polizist aber, der schon viele seltsame Gestalten zu Jütlands äußerster Spitze hatte pilgern sehen, mahnte zu Besonnenheit. Sie sollten ihn einfach in Frieden lassen. Der Strand zwischen den Dünen und den beiden Meeren, die hier aufeinandertrafen, war ein ständig sich veränderndes Niemandsland, das dem gehörte, der es brauchte. Die Frau mit dem Hund und der Mann im schwarzen Mantel begegneten einander auch in der folgenden Woche wie zwei Schiffe auf hoher See. Aber eines Tages, es war der 24. Oktober 1993, geschah etwas, was sie später mit dem plötzlichen Verschwinden des Mannes in Verbindung brachte. Es war einer der seltenen windstillen Tage. Nebel lag reglos über Strand und Meer. Nebelhörner blökten aus der Ferne wie verlassene Kreaturen. Die eigenartige Landschaft hielt den Atem an. Plötzlich entdeckte sie den Mann im schwarzen Mantel und blieb stehen. Er war nicht allein. Ein nicht sehr großer Mann in heller Windjacke und Sportmütze war bei ihm. Sie hatte die beiden beobachtet. Der Neuankömmling redete auf den anderen Mann ein und wollte ihn offenbar von etwas überzeugen. Ab und zu nahm er die Hände aus den Taschen und unterstrich seine Worte mit heftigen Gesten. Sie konnte nicht verstehen, was die beiden sagten, aber der Besucher schien sehr aufgeregt zu sein. Nach ein paar Minuten liefen sie weiter, bis der Nebel sie verschluckte. Am Tag darauf war der Mann wieder allein am Strand, fünf Tage später war er verschwunden. Bis weit in den November hinein ging sie jeden Morgen mit dem Hund hinaus und erwartete, dem schwarzgekleideten Mann wieder zu begegnen. Aber er kam nicht mehr. Sie sah ihn nie wieder.   Über ein Jahr lang war Kurt Wallander, Kriminalkommissar bei der Polizei von Ystad, krank geschrieben und unfähig, seinen Dienst zu versehen. Während dieser Zeit hatte eine zunehmende Ohnmacht sein Leben erfüllt und seine Handlungen bestimmt. Wenn er es in Ystad nicht mehr aushielt und über genügend Geld verfügte, unternahm er immer wieder planlose kleine Reisen, in der trügerischen Hoffnung, daß es ihm anderswo bessergehen könnte, daß er vielleicht sogar seinen Lebensmut wiedergewinnen würde. Er hatte sogar eine Charterreise auf die Karibischen Inseln gebucht. Bereits auf der Fahrt zum Flughafen hatte er sich betrunken, und auch während der vierzehn Tage auf Barbados war er nie ganz nüchtern gewesen. Sein Allgemeinbefinden in jener Zeit konnte nur als wachsender Panikzustand beschrieben werden, als ein alles überlagerndes Gefühl, nirgendwo zu Hause zu sein. Er hatte sich im Schatten der Palmen versteckt und an gewissen Tagen nicht einmal das Hotel verlassen; unfähig, eine primitive Scheu vor der Anwesenheit anderer Menschen zu unterdrücken. Ein einziges Mal hatte er gebadet, allerdings unfreiwillig, denn er war alkoholisiert über einen Steg gewankt und ins Wasser gefallen. Eines späten Abends, als er trotz allem unter Leute gegangen war, um seinen Schnapsvorrat aufzufüllen, hatte ihn eine Prostituierte angesprochen. Nach dem Versuch, sie abzuweisen und gleichzeitig festzuhalten, hatten Verzweiflung und Selbstverachtung die Oberhand gewonnen. Drei Tage, an die er sich später nur unvollständig erinnern konnte, verbrachte er mit dem Mädchen in einem Schuppen, wo es nach Vitriol stank, auf einem schmutzigen, verschimmelten Lager. Kakerlaken krochen ihm über das schweißnasse Gesicht. Den Namen der Frau hatte er vergessen; er war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt je genannt hatte. Er war über sie hergefallen wie in einem wahnsinnigen Lustrausch. Als sie ihm das letzte Geld abgenommen hatte, tauchten ihre beiden Brüder auf und warfen ihn hinaus. Er schwankte ins Hotel zurück, lebte von dem im Preis einbegriffenen Frühstück und war, als er wieder in Sturup landete, in einem noch schlimmeren Zustand als vor der Reise. Der Arzt, bei dem er sich regelmäßig vorstellen mußte, warnte ihn nachdrücklich davor, noch einmal einen solchen Ausflug zu machen. Er könnte sich totsaufen. Zwei Monate später jedoch, Anfang Dezember, war er wieder auf Tour gegangen, nachdem er sich von seinem Vater unter dem Vorwand Geld geliehen hatte, zur Verbesserung seines Lebensgefühls neue Möbel anschaffen zu wollen. In dieser Zeit hatte er es nach Möglichkeit vermieden, seinen Vater zu besuchen, der obendrein frisch verheiratet war, mit einer dreißig Jahre jüngeren Frau, seiner ehemaligen Haushaltshilfe. Mit dem Geld in der Tasche war er auf dem kürzesten Weg ins Reisebüro von Ystad marschiert und hatte einen dreiwöchigen Urlaub in Thailand gebucht. Es lief ab wie in der Karibik, mit dem einzigen Unterschied, daß er vor der totalen Katastrophe mit knapper Not bewahrt blieb. Ein pensionierter Apotheker, der im Flugzeug neben ihm gesessen hatte und ihn sympathisch fand, wohnte im selben Hotel und griff ein, als Wallander bereits zum Frühstück Alkohol trank und sich allgemein sonderbar benahm. So wurde Wallander eine Woche früher nach Hause geschickt. Auch diesmal hatte er seiner Selbstverachtung nachgegeben und sich mehrmals in die Arme von Prostituierten geworfen, eine immer jünger als die andere. Darauf folgte ein alptraumhafter Winter mit der anhaltenden Angst, sich die schreckliche Krankheit zugezogen zu haben. Ende April stand fest, daß er sich nicht angesteckt hatte. Aber er reagierte kaum auf den Bescheid, und ungefähr zu dieser Zeit begann sein Arzt ernstlich zu überlegen, ob Kurt Wallander noch für den Polizeidienst geeignet, ja, ob er überhaupt noch arbeitsfähig wäre. Vielleicht sollte man an eine vorzeitige Pensionierung denken. Damals fuhr er – floh er, wäre vermutlich eine bessere Beschreibung – zum ersten Mal nach Skagen. Er hatte es geschafft, mit dem Trinken aufzuhören, nicht zuletzt durch seine Tochter Linda, die aus Italien zurückgekehrt war und bemerkt hatte, in welchem beklagenswerten Zustand sich sowohl seine Seele als auch seine Wohnung befanden. Sie hatte genau richtig reagiert, alle über die Zimmer verteilten Flaschen ausgegossen und ihn dann kräftig ausgeschimpft. Während der beiden Wochen, die sie bei ihm in der Mariagata wohnte, hatte er endlich jemanden zum Reden. Zusammen glätteten sie die schlimmsten Beulen an seiner Seele, und als Linda abreiste, schien sie seinem Versprechen, sich vom Alkohol fernzuhalten,...


Mankell, Henning
Henning Mankell (1948 - 2015) lebte als Schriftsteller und Theaterregisseur in Schweden und Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller. Zuletzt erschienen bei Zsolnay Treibsand (Was es heißt, ein Mensch zu sein, 2015), die Neuausgabe von Die italienischen Schuhe (Roman, 2016), Die schwedischen Gummistiefel (Roman, 2016) und die frühen Romane Der Sandmaler (2017), Der Sprengmeister (2018) und Der Verrückte (2021).



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