E-Book, Deutsch, 309 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm
Manfred In den Falten des Himmels
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948218-25-6
Verlag: Kadera-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman / Kiel im Sommer 1644
E-Book, Deutsch, 309 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm
ISBN: 978-3-948218-25-6
Verlag: Kadera-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hexenjagd in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges. Der Protestant Petrus Witte hat sich als selbsternannter Hexenkommissar auf den Weg gemacht, das Land von Hexen zu befreien. Er will die Bürger sensibilisieren, am Unglück zu erkennen, dass es Hexenwerk war. Im von Krieg geschundenem Kiel findet er im Sommer 1644 ein Opfer: Die Magd Maiken Harder hat sich dem gewalttätigen Bauern Nissen Voss verweigert und ihm gesagt, er möge keinen Frieden finden. Dieses Drohwort ist ihr Verhängnis. Der Hexenkommissar strengt einen Prozess an. "Sie muss brennen, damit sie kein Unheil mehr bringt." Vor der Vollstreckung eines Urteils muss sie jedoch gestehen. Doch sie erleidet die Folterungen, sie gesteht nicht ...
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
»Es ist Laschheit eingekehrt in die Welt«, sagt Petrus Witte. Der Stadtvogt nickt. »Der Krieg hat sie weich geprügelt und die Menschen stumpf gedroschen.« »Tage um Tage reise ich durch die Lande. Kaum noch werden Hexen gebrannt in Mecklenburg.« »Es fehlen die Arbeitskräfte, Herr Commissarius«, sagt der Stadtvogt zaghaft. Obwohl er nicht alt ist, verlaufen zwischen seiner Nase und den Ohren dicke, vertikale Falten, sodass sein Gesicht wie ein Beutel aussieht, der schwer und schlaff vom Schädel herabhängt. »Der Krieg hat die Männer mit sich genommen. Die Frauen tun die Arbeit. Wer soll die Arbeit tun, wenn die Frauen brennen?« Petrus Witte will das nicht gelten lassen. »Eine Hexe ist eine Hexe. Wenn sie arbeitet, ist es Hexenarbeit. Wollt Ihr Hexenarbeit in Eurer Stadt?« Der Ratsherr schüttelt resigniert den Kopf. Sein Beutelgesicht schwingt sacht hin und her. Witte zeigt mit dem Finger auf die Frau, die vor ihnen an dem Seil hängt, das sie an ihren hinterm Rücken zusammengebundenen Armen nach oben zieht. »Seid froh, dass sie überführt ist. Wer weiß, was sie getan hätte. Wenn man die Hexen nicht aufmerksam genug verfolgt, ist das ein Zeichen für das Wirken des Teufels.« Der Stadtvogt macht ein unbehagliches Gesicht. Er presst die Lippen zusammen, und aus seinen tiefen Falten wachsen dicke Wülste. Dann strafft er sich und nickt entschlossen. Der Scharfrichter lässt die Frau herab und räumt seine klirrenden Gerätschaften beiseite. Sie liegt auf dem Steinboden und wimmert. Ihr Leib erscheint unheilbar zusammengezurrt, als müsste er zerbrechen, wenn er sich streckte. Die Luft ist muffig, es riecht nach kaltem Schweiß. Witte ist zufrieden. Seine Aufgabe ist getan. Urteilsspruch und Exekution wird er nicht abwarten und nicht bleiben, um die Hexe brennen zu sehen. Der Anblick freut ihn nicht, nur der Gedanke, dass durch Feuer Reinheit entsteht. Da sie ein Geständnis abgelegt hat, wird man sie erdrosseln, bevor der Scheiterhaufen entzündet wird. Eine Gnade, die Witte billigt. Die Worte klingen ihm noch in den Ohren. Vom Schwellenguss hat die Hexe gesprochen. Von Teufelsbuhlschaft und vom Hexensabbat. Von allem, nach dem er gefragt hat. Die gelehrte Auffassung der Hexerei beeindruckt die Menschen in den kleinen Städten anders als in den großen. Dort will man zu Wittes Verdruss nichts hören von Flug und Sabbat, von der großen Gemeinschaft der Hexen in allen Ländern, von den Menschen, die sich zusammengetan haben und von Gott abgefallen sind, um dem Satan zu huldigen. Nicht einmal wenn die Hexen ihr Treiben gestehen. Dabei ist es offensichtlich. Wo er auch hinkommt in Mecklenburg: verwüstete Felder und menschenleere Dörfer. Raben sitzen auf Leichen und picken. Sie sind die einzigen, die satt werden. Die Gesichter der Leute sind vom Schrecken gezeichnet wie mit Messern: tiefe Linien überall, vernarbtes Entsetzen, verwildertes Augenlodern. Das ist fruchtbarer Boden für Witte. Es ist, als hätten sie nur auf ihn gewartet, um den Krieg aus sich herauswuchern zu lassen, während die Obrigkeit nichts tut, um die Verzweiflung zu lindern. So auch hier, in dieser kleinen Landstadt zwischen Rostock und Wismar. Seine Ermahnungen sind erfolgreich gewesen, seine Ansprachen haben die Leute beeindruckt. Die Welt ist aus den Fugen geraten, das wissen sie. Böse Geister treiben ihr Unwesen zwischen ihnen und dem Himmel, aus dem es oft regnet. So viel Unheil. Verlust der Familie und der Häuser und Höfe. Verwüstete Äcker. Brand. Mord. Plünderung. Hungersnot. Da kommt Misstrauen auf. Wo kommt all das Unheil her?, fragen die Leute. Witte sagt es ihnen. Überall sind die Hexen. Sie haben alle das gleiche Ziel: Unglück über die Menschen zu bringen und die Herrschaft des Teufels zu errichten. Man erkennt sie nicht, wenn man sich nicht auskennt. Sie leben unerkannt unter den anderen, als ständige Bedrohung. Tag und Nacht zaubern sie zum Schaden der Menschen. Du da, ist dein Mann nicht krank geworden? Und du! Ist nicht deine Kuh gestorben? Ist nicht das Korn verdorben auf deinem Acker? Hat es nicht geregnet, gehagelt, gewittert? Die Leute nicken. Diese Beispiele verstehen sie. Da kommen schnell Namen. Manchmal sind es vielleicht alte Rechnungen, die beglichen werden sollen. Sei’s drum! Die Schuldigen müssen gefunden werden, und lieber zehn Unschuldige verbrennen, als eine Schuldige laufen lassen. Das herzogliche Amtsgericht hat mit Wittes Hilfe Indizien gesammelt und Zeugen aufgetrieben, um die Hexe, die nach seiner Ansprache an die Menschen des Städtchens angezeigt wurde, zu entlarven und die Tortur zu rechtfertigen. Denn gestehen müssen sie, die Hexen. Ja, es ist erstaunlich, was alles zum Vorschein kommt, wenn man tief genug bohrt. Manchmal wissen die Leute nicht, was alles des Teufels ist. Man muss es ihnen erklären. Dafür ist Witte gekommen, dafür reist er umher, damit der Eifer nicht nachlässt. Aus Magdeburg ist er und hat erlebt, was der Krieg mit einer Stadt macht. Die Kaiserlichen haben sie verwüstet wie keine Stadt vorher verwüstet wurde. Er hat es gesehen, und im Pulverdampf, der dicker ist als jeder Nebel, hat er angefangen zu hassen. All jene zu hassen, die das Unheil über die Welt bringen. Die Hexen sind schuld, aber auch die Katholischen, die dem Antichristen in Rom folgen. Sie sind allesamt des Teufels, denn auf die Ketzerei folgt die Hexerei. Das ahnen die Papisten nicht, während sie noch die Zauberer verfolgen und verbrennen. Er erträgt nicht, dass die Protestanten den Katholiken im gerechten Kampf für Gott nachstehen. Er hat den Auftrag Gottes gespürt, den Eifer zu schüren, durch den die Feinde Gottes vernichtet werden müssen. Dass der Eifer nachgelassen hat, daran ist der Krieg schuld. Zu wenig Prozesse hier in Mecklenburg und sonst im Norden. Das will er ändern. Das muss er ändern. Das ist sein Auftrag, den er demütig angenommen hat. Er ist ein Vogt Gottes, soll für Ordnung sorgen in dessen Reich. Rechtschaffen will er seine Arbeit tun, wie es sich gehört für einen, der als Knecht des Guten den Menschen verpflichtet ist, die Gott als ihren Herrn anerkennen. In Magdeburg ist er Prädikant gewesen, hat alles aufgesogen, was man ihn lehrte. Hat sich bei den Pastoren vieles abgeschaut und in den Predigten, die er halten durfte, Worte der Mahnung gefunden. Manchmal ist er den Pastoren zu eifrig gewesen, wenn er der römischen Kirche Fluchworte entgegenschleuderte. Dann hat er den Kopf eingezogen und nicht gemuckst, aber im Stillen war er wütend auf die Maulfrommen, die durchgehen ließen, was die reine Lehre gefährdet. Er betrachtet es als seine Lehrzeit. Seit er unabhängig durch die Lande zieht, hat er gemerkt, wie gut er sein Handwerkszeug gebrauchen kann. In Magdeburg mochte Petrus Witte nicht bleiben. Es drängte ihn hinaus in die Welt, denn mitten im Brandchaos, zwischen Tod und Plünderungen, hat Gott zu ihm gesprochen, ihn in seinen Dienst gestellt und ihm befohlen, die Schuldigen an all dem Leid aufzuspüren und zur Vernichtung zu führen. Den Titel Commissarius hat er sich selbst verliehen, nach dem Vorbild anderer Männer, die er getroffen und begleitet hat bei ihrer frommen Tätigkeit, die sie durchs ganze Reich führt, immer auf der Jagd nach den Werkzeugen des Teufels. Von jenen hat er Briefe und Urkunden erhalten, die ihn als frommen Hexenjäger im Dienst der Kirche ausweisen und ihn berechtigen, den Solddienst abzulehnen. Er hat gelernt, wie man die Hexen erkennt, wie man sie mit den richtigen Fragen listig entlarvt, damit die Obrigkeit keine andere Wahl hat, als sie zum Tod zu verurteilen. Immer geschickter ist er geworden, hat Routine erworben, hat sich hier und da einen Namen gemacht. Es lebt sich leidlich auf diese Weise. Er ist nicht, wie andere, besonders auf der Jagd nach den wohlhabenden Hexen, um seinen Anteil einzustreichen, wenn die Richter deren Besitz konfiszieren. Unterkunft und Essen reicht ihm, und die Befriedigung, den Feinden Gottes das Handwerk zu legen. Gott, sein Dienstherr, soll mit ihm zufrieden sein. Er fragt nicht nach Lohn, aber er weiß, er ist ihm sicher. Sein Bart ist grau geworden, obwohl er noch nicht vierzig Jahre alt ist. Aber das stört ihn nicht. Im Gegenteil, es verleiht seinem schmalen Gesicht etwas Eisernes, das seine Autorität unterstreicht. Eine Autorität, die er nötig hat, besonders hier in diesem Land, in dem es noch wüster ist als anderswo. Er versteht die Verzweiflung der Leute, die übriggeblieben sind, nachdem schwedische und kaiserliche Heere hin und her gezogen sind. Hin und her. Hin und her. Trotzdem muss er das Volk ermahnen, hier und anderswo, die Hexen anzuzeigen. Muss den Leuten begreiflich machen, wessen Werk das ganze Unheil ist. Der Stadtvogt hat ihm nahezu freie Hand gelassen. Eine kluge Entscheidung. Denn der Beamte weiß, wie schnell ein Aufruhr entsteht, wenn die Obrigkeit zu milde und die Verfolgung der Zauberinnen zu lasch ist. Die Appellation der Angehörigen an den Landesherrn ist erfolglos geblieben, ganz wie Witte es erwartet hat. Er bedauert nicht, dass die Prozessakten wegen der Kriegszeiten nicht oder nur verspätet an die juristische Fakultät der Universität zu Rostock versendet werden können. Wenn doch eine Rechtsbelehrung eintrifft, ist der Prozess schon beendet. Lieber eine Rüge riskieren als die Verhinderung des Prozesses oder der Tortur, sagt sich der Stadtvogt. In den großen Städten hat man ohnehin andere Sorgen, und kosten tun die Belehrungen auch noch ein schönes Geld. Witte bestärkt ihn und spricht viel...