Manegold / Müller Morbus Animus
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-943876-02-4
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Psychophatische Geschichten und Tiraden
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Reihe: Edition Periplaneta
ISBN: 978-3-943876-02-4
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine Frau kniet vor einer Kloschüssel und denkt an Villon, ein älterer Herr zerbricht an einem Post-traumatischen Erlebnis und ein DJ schäumt, aber nicht vor Wut...Sie alle werden missbraucht als Projektionsfläche für einen Alptraum, aus dem Michael E. immer wieder aufzuwachen versucht, was sehr schwierig ist, weil er gar nicht schläft. Denn er sitzt in der Geschlossenen und reflektiert, was die Stimmen in seinem Kopf erzählen. Dabei geht es um die großen Themen der Menschheit, wie Religion, Leiden, Erkenntnis oder Sex...Gott hat die Szene längst verlassen. An der Fernbedienung sitzt ein Irrer, der sich in fragmentarischen Kurzgeschichten durch seine Erinnerungen, Erlebnisse und die Schicksale seiner Mitirren zappt.'Morbus Animus' vermischt sarkastische Kurzgeschichten mit Existenzphilosophie und einer erbarmungslosen Gesellschaftsanalyse.Und es birgt ein Buch im Buch, das vielleicht nicht nur für Michael E. eine reinigende Wirkung hat...
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Inthronisation 3.0
Manchmal denke ich, was alle denken: Ich habe es nur mit Verrückten zu tun. Aber es ist, wie es bei allen ist, die denken, dass sie es nur mit Verrückten zu tun haben: Verrückt bin ich selbst, nicht die Anderen. Das ist keine Schuldfrage, sondern ein Mengenproblem. ICH (Einzahl) denke, dass ich es nur mit Verrückten (Mehrzahl) zu tun habe. Verrückt ist aber immer die Minderheit. Die Minderheit wovon? Von einer sich durch Gemeinsamkeiten, Befindlichkeiten, Süchte und Zwänge definierenden Menschenmasse mit geographischen Bezugspunkten und territorialen Ansprüchen und mit doktrinären Vorstellungen von Recht, Moral, Ethik, Ästhetik und Religion. Von einer Gesellschaft. Von einer Gemeinschaft? Ich bin der Verrückte. Exzentrisch. Was ja so viel bedeutet, wie „Aus der Mitte“. Für den Exzentriker gibt es kein Wir. Es existiert in seiner Wahrnehmung nur das Ich und die Anderen. Seine Welt ist nicht eure Welt. Seine Welt ist eine gänzlich andere. Und das führt ihn früher oder später zu einem Menschen, der versucht, ihn davon zu heilen. Leider sind die Psychiater aber keine Exzentriker (oder sie geben es nicht zu). Ergo versuchen sie dir die Welt der Anderen zu erklären und dir deine wegzunehmen. Mit jeder Sitzung wird so der Exzentriker näher an die bittere Erkenntnis geführt, dass er diese eine Welt, von der alle behaupten, dass sie die einzige ist, nicht haben will. In dem Maße, in dem man ihm die eigene Welt als Illusion verkaufen will, stellt er fest, dass diese eine Wahrheit eine Lüge ist und eigentlich jeder eine eigene Welt besitzen müsste. Es entsteht die Utopie von einer Welt voller Exzentriker. Also von einer Welt, die keine Mitte hat. Das Paradies ist ein Garten voller schräger Vögel. Und die Hölle ist eine Hühnerfarm. Die Mehrheit bestätigt sich in dem, was sie gemeinsam tut. Der Verrückte ist deshalb verrückt, weil er das, was die Mehrheit in seinem Umfeld eint, nicht akzeptiert. Der Verrückte ist immer derjenige, der geht, weil alle Gemeinschaften sich selbst erhalten und deshalb stagnieren. Das, was die Menschen eint, fesselt sie. Es bestätigt sie, es verbindet, es ist warm und weich. Bewegung ist immer rebellisch in den Augen der Mehrheit. In den Augen derer, die das machen und meinen, was alle machen und meinen. Aber Bewegung ist eigentlich der Normalzustand. Frag mal einen Physiker, wie viel Kraft notwendig wäre, die Erde NICHT auf die Sonne klatschen zu lassen, wenn sich diese dämliche Kugel nicht bewegen würde. Die Erde existiert, WEIL sie sich bewegt. Stillstand ist der Tod, in diesem Falle sogar der durch Verbrennen. Die Mehrheit hat mehr Angst davor, Schuld an IHREM Scheitern zu haben, als vor dem Scheitern selbst. Sie setzt alle Energie dafür ein, um für diesen Fall gerüstet zu sein. Sie baut sich Ausreden für jede Form des Scheiterns, führt Buch über Alibis. Falls das Gewissen mal nachfragen sollte, wo man denn damals gewesen sei, als es Glück und Erfolg auf dem Marktplatz für einsfünfzig das Kilo zu kaufen gab. Die Mehrheit lässt andere für sich entscheiden, nur um nicht schuld sein zu müssen. Sie gewöhnt sich Ziele, Träume und Visionen einfach ab, damit sie nicht daran scheitern kann. Geht kein Risiko ein. Wer das Haus nicht verlässt, wird nicht vom Auto überfahren? Was für ein Irrglaube! Schließlich wissen wir alle, dass so mancher LKW-Fahrer mit kaputten Bremsen in irgendein Wohnzimmer donnerte. Und auch Donnie Darko wurde, in seinem Jugendzimmer, im Bett liegend und schlafend, von einem Flugzeugtriebwerk erschlagen! Jeder weiß im Grunde, dass Scheitern mehr soziale Fürsorge mit sich bringt als Erfolg. Das Mitleid für den Verlierer ist allemal besser als der Neid und der Erfolgsdruck, der demjenigen entgegenschlägt, der es schafft. So versuchen alle, ein bisschen Sonne abzubekommen und Zettel zu haben, die beweisen, dass sie am Lichtanmachen beteiligt waren oder zumindest denjenigen gekannt haben, der mit dem verwandt ist, der das Solarium gekauft hat. Jeder Mensch will nicht nur einen Platz an der Sonne, sondern hegt auch den unerschütterlichen Glauben, dass er ein Recht darauf hat und natürlich für das Hautkrebsrisiko nicht zuständig ist. Vorsorglich beschwert man sich schon während des Sonnenbades, dass es eigentlich zu heiß sei und zu hell... Dieses System funktioniert auch jenseits der Krebsfabriken, wenn Mensch sich am Erfolg, am Reichtum, an der Macht eines anderen wärmt. Aber Menschen, die sich in die metaphorische Sonne legen, sollten nie darüber schimpfen, dass sie leuchtet, ihr das Licht nicht neiden, das sie vergeudet. Sie kann doch auch nicht anders... diese blöde Sonne! Und diese Leute sollen sich nicht darüber aufregen, dass die Blumen, die das Licht bestrahlt, nicht wachsen wollen, denn es ist ihre Sonnenliege, die den Blumen das Licht raubt, ihr Neid, ihre Lethargie!! Ach, würden sie wenigstens in der Sonne liegen und brutzeln, während die Blumen im Schatten ihrer Ärsche in eine Depression verfallen! Ach, würden die Pflanzen unter den Pritschen wenigstens für eine gute Sache verkümmern! Aber diese Leute gehen einfach morgens an den Liegen vorbei, werfen ein Handtuch drüber, um sie als ihr Eigentum zu markieren und gehen anschließend in die Bar oder zum Arzt... Ihr Hunger nach Bestätigung nötigt sie lediglich, sich einmal die Woche all inclusive flachlegen zu lassen. Ansonsten sind sie sehr darauf bedacht, dass jene Dinge, die sie sich nicht trauen zu tun, auch nicht funktionieren. Sie alle wollen Posten haben, die Prestige, gleich welchen Umfangs versprechen. Sie stecken die Claims ab, bestellen aber die Felder nicht, die sie sich selbst zugeteilt haben. Sie stellen ein Schild auf den Acker und säen nicht. Nur um dann, wenn zufällig etwas blüht, zu sagen, dass es IHR Acker ist. Alle reden ein bisschen drüber, damit es ihnen und anderen nicht auffällt, dass sie nichts tun. Wenn etwas schief läuft, waren sie es nicht, weil sie ja nichts gemacht haben. Und wenn etwas klappt, geben sie die Autogramme. Ich nutzte die Energie, meine Kraft, meine Exzentrik, um Dinge zu bewegen, anstatt sie dafür zu verschwenden, irgendeinen Schein zu wahren oder einen zu bekommen. Ich wollte kein bequemes Leben haben. Ich wollte machen. Ich wollte brennen. Ich habe Ideen für die nächsten 1000 Jahre. Und ich begegnete nur Menschen, die keine Ideen haben und bei meinen nicht mitmachen wollten, weil es nicht ihre sind. Aber es stimmt nicht, was mein Vater gesagt hat!! Ich fraß Weisheit mit dem Löffel, jawohl!!! Sie liegt ja auch überall rum, diese Weisheit, kostet nichts und schmeckt hervorragend. Jeder kann das: lernen, Bücher lesen, beobachten, googeln. Aber alle, die diesbezüglich nichts tun, hacken auf den Weisheitmitlöffelfressern rum. Warum tun sie das? Manche Exzentriker beschwichtigen sich gegenseitig, wenn sie behaupten, es sei nur der Neid, aber das stimmt nicht. Die Menschheit benimmt sich wie ein Schwarm Fische, keiner führt und alle folgen ihm. Wir sind Haie, denen andere Haie einreden, sie seien Sardinen, potentielle Opfer, und wer den Schwarm verlässt, endet angeblich als Kieler Sprotte in einem Blechsarg. Aber jeder Abtrünnige macht den Schwarm auch etwas kleiner und erhöht so das Risiko jeder Sardine, ebenfalls erwischt zu werden. Deshalb tun die Sardinenmenschen alles, um auch die anderen in ihrer Mitte zu halten. Reine Statistik. Nackte Angst. Und diese Angst hält euch alle zusammen. Wer den Schwarm verlässt, landet nicht in der Konserve, er wird zum Hai unter Haien. Und er hat einfach die Wahl, ob er Sardinenmenschen essen will oder seiner Wege schwimmt. Und diejenigen, die den Schwarm verlassen und sich von ihm abwenden, das sind in euren Augen die Allerschlimmsten! Sie haben die Möglichkeit, die anderen glücklich zu machen, indem sie ihre Überlegenheit ausspielen, zubeißen, bluten lassen. Aber sie tun es nicht! Was für eine Arroganz! Menschen, von denen die Mehrheit glaubt, sie tun so, als könne ihnen niemand das Wasser reichen, haben meistens großen Durst. Sie sind allein, weil da keiner ist, der es tut... Ihnen das Wasser reichen. Ich hatte mich sehr lange danach gesehnt, dass mal einer kommt, der mir etwas beibringt, Tipps gibt, Geld, Bestätigung, irgendeine verfickte Motivation, Anerkennung. Aber alles, was ich kann, habe ich mir selbst erarbeitet, es ist mir nichts in die „Wiege gelegt“ worden. Ich bin ein Arbeiterkind, das im Wald groß geworden ist. Ich bin manisch oder depressiv, manchmal sogar beides zusammen, manchmal Borderliner, manchmal schizoaffektiv. Ich habe Narben an den unmöglichsten Stellen am Körper und Hände, die bluten, obwohl es keiner sehen will; ich kann mir keine Zahlen merken, und keine Namen, und keine Gesichter. Und ich höre Stimmen. Und gegen all das bekomme ich jetzt Pillen, dreimal täglich. Ich hätte genug zu jammern. Wie jeder Mensch auch. Aber ich jammere nicht. Ich definiere mich nicht über meine Gebrechen und die Defizite, die ich angeblich habe, denn auch diese sind nur ein Mehrheitsproblem, genauso wie das Verrücktsein. Aber das ist jetzt vorbei. Hier werden SIE zwar nicht MEINE Mitte finden, aber sie werden mich zu einem von ihnen machen. Ich werde IHRER Mitte wieder zugeführt. Und dreimal täglich kommt eine nett lächelnde Frau, die mir das Wasser reicht und ganz genau aufpasst, dass ich auch all...