E-Book, Deutsch, 496 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Maly Die Hebamme von Wien
15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8437-1131-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 496 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1131-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beate Maly, geboren in Wien, ist Bestsellerautorin zahlreicher Kinderbücher, Sachbücher und historischer Romane. Ihr Herz schlägt neben Büchern für Frauen, die gegen alle Widerstände um ihr Glück kämpfen.
Autoren/Hrsg.
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2
Komorn, Jänner 1683
SEIT STUNDEN TRIEBEN DIE BEIDEN REITER ihre Pferde durch die unwirtliche Winterlandschaft. Ein langer und beschwerlicher Weg lag hinter ihnen. Kälte, Schnee und Sturm hatten ihre Reise in den letzten Stunden zu einer Tortur werden lassen. Wie winzig kleine, spitze Nadelstiche bohrten sich die unzähligen Eiskristalle in die Haut ihrer Wangen. Unbarmherzig wirbelte der Wind immer wieder neue Schneeböen auf und trieb sie ihnen mit voller Wucht entgegen, so dass die Pferde nur langsam vorankamen. Inzwischen hatte das dichte Schneetreiben etwas nachgelassen, und als jetzt zwischen den grauen Wolken die Stadtmauer Komorns auftauchte, atmeten beide Männer erleichtert auf. Der Ritt durch die Straßen der Stadt zu Graf Starhembergs Quartier war nur noch ein Kinderspiel. Auf dem gepflasterten Innenhof des Palais spritzte grauer Schnee unter den Hufen der Pferde weg, und nach dem langen Ritt über verschneite Waldwege klang das Geklapper der Pferde wie Musik in ihren Ohren.
Lorenzo schwang sich als Erster aus dem Sattel. Er war durchgefroren und bewegte sich schwerfällig. Sein Freund Rudolf folgte ihm. Augenblicklich lief ein kleiner, pummeliger Stallbursche in den Hof und nahm den erschöpften Kurieren die Pferde ab.
»Der Graf wartet schon seit gestern auf Euch«, sagte er. Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. Wenn sich der Stallbursche diesen Tonfall erlaubte, wie würde erst der Graf auf ihre Verspätung reagieren?
Lorenzo warf Rudolf einen vielsagenden Blick zu. Doch dieser hob nur gelassen die Schultern. »Von mir erfährt der Graf nichts über den kleinen Zwischenfall. Und du solltest ihn besser auch nicht erwähnen, du kennst seine Meinung über dich als Kurier.«
Niedergeschlagen ließ Lorenzo den Kopf hängen. Ja, er wusste, dass der Graf ihn nur ungern als Kurier einsetzte, denn eigentlich war Lorenzo Jurist. Und wieder einmal war er es gewesen, der sich und seinen Freund in eine gefährliche Situation gebracht hatte. Was Rudolf als kleinen Zwischenfall bezeichnete, war ein Überfall gewesen. Es war allein Lorenzos Schuld gewesen, dass die kleine Gruppe herumziehender Tartaren auf sie aufmerksam geworden war. Begeistert von der Schönheit der schneebedeckten Weinberge, war er unvorsichtig geworden. Er hatte die Spuren im Schnee übersehen und war ihnen geradewegs gefolgt. Als Rudolf den Fehler bemerkt hatte, war es bereits zu spät gewesen. Die beiden waren in eine Falle getappt. Wären sie rechtzeitig ausgewichen, hätten sie sich den erbärmlichen Kampf und die halsbrecherische Flucht erspart. Die wichtigen Dokumente aus Polen, die sie bei sich trugen, wären nicht eine Sekunde gefährdet gewesen.
»Du bist eben ein lausiger Kurier!«, lachte Rudolf und klopfte Lorenzo so fest auf die Schulter, dass dieser fast stolperte. »Dafür aber ein schneller Reiter. Dein Vater hat vermutlich gut daran getan, dich nach Siena zum Jurastudium zu schicken.« Seine Worte sollten den Freund aufheitern, bewirkten aber das Gegenteil.
»Hat er nicht!«, zischte Lorenzo ungehalten. Er war sich seiner Fehler als Kurier durchaus bewusst, aber das hieß noch lange nicht, dass er seinem Vater recht geben musste.
Im Augenblick blieb ihm keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Der Stallbursche bedeutete den Männern, ins Haus zu gehen, da sie bereits erwartet wurden.
Hinter einem kleinen Empfangsraum befand sich die Tür zum Arbeitszimmer des Grafen. Noch bevor Lorenzo die Tür öffnete, hörte er die ungeduldigen Schritte seines Auftraggebers. Die Absätze der hohen Reitstiefel hallten auf dem Fliesenboden wider.
Als die Tür aufging, blieb der Graf abrupt vor dem massiven Eichentisch stehen, auf dem ungeordnet Papiere und Landkarten in unterschiedlichsten Größen lagen, und starrte die beiden Kuriere verärgert an. Sie hatten keine Gelegenheit gehabt, sich umzuziehen oder auch nur notdürftig zu säubern. Ihre langen Mäntel waren mit Schlamm bespritzt, und ihre Gesichter trugen dicke Schmutzkrusten. Rudolfs blondes Kinnbärtchen war kaum noch zu erkennen, und Lorenzos Wangen, die er stets glattrasierte, waren voller dunkler Bartstoppeln.
»Martecelli, Geiger, Ihr kommt später als verabredet«, donnerte der Graf, sah dabei jedoch ausschließlich Lorenzo an, so als habe er nur auf ihn gewartet oder bereits von seinem Missgeschick erfahren.
»Das Wetter zwang uns, langsamer zu reiten«, sagte Rudolf.
Graf Starhemberg warf dem Kurier einen eisigen Blick zu.
»Ich weiß über das Wetter Bescheid, schließlich habe ich Augen im Kopf und kann aus dem Fenster schauen.«
»Wir wurden überfallen«, sagte Lorenzo.
Rudolf seufzte und verdrehte die Augen. Gleich würde Graf Starhemberg die beiden wütend aus dem Zimmer werfen. Aber nichts dergleichen passierte. Ganz im Gegenteil, er machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand, und für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Lorenzo auf dem Gesicht des Grafen so etwas wie Zufriedenheit zu erkennen. Als er weitersprach, klang seine Stimme nicht mehr ganz so verärgert.
»Ich nehme an, dass Ihr die Briefe aus Polen nicht verloren habt und sicher bei Euch tragt.« Auf den Überfall ging er nicht weiter ein. Er musste bereits davon erfahren haben. Aber wie und von wem?
»Die Briefe sind alle in dieser Tasche«, sagte Rudolf und klopfte stolz auf seine alte Umhängetasche aus braunem Ziegenleder. Auf seinem Gesicht machte sich ein Lächeln breit.
»Gut«, sagte Starhemberg. »Dann bringt sie einem der Sekretäre und ruht Euch aus, Euer nächster Ritt führt Euch im Auftrag des Kaisers nach Krakau.«
Erstaunt über diese kurze Unterhaltung, drehten Rudolf und Lorenzo sich zur Tür. Aber der Graf winkte Lorenzo zurück.
»Martecelli, Ihr bleibt noch!« Also würde es doch noch eine Strafpredigt wegen des Überfalls geben.
Mit einem hilflosen Schulterzucken verließ Rudolf das Arbeitszimmer. Er hätte dem Freund gerne beigestanden, sah aber im Moment keine Möglichkeit zu bleiben. Als die Tür sich hinter Rudolf schloss, umrundete Starhemberg seinen Tisch und nahm dahinter Platz. Mit einer einladenden Geste deutete er Lorenzo an, ebenfalls Platz zu nehmen.
Ein eigenartiger Beginn für ein zurechtweisendes Gespräch. Verunsichert nahm Lorenzo Platz. Er strich sich die schweißverklebten schwarzen Locken aus dem Gesicht und legte sie hinter die Ohren. Was hatte der Graf vor?
»Martecelli, Ihr seid mein fähigster Jurist. Bis jetzt habe ich Euren unsinnigen Wünschen nachgegeben und Euch mit Geiger quer durch Europa geschickt. Aber es ist eine Verschwendung Eures Potentials …«
Lorenzo setzte zu einem Widerspruch an, doch Starhemberg winkte ungeduldig ab.
»Mit Eurem bedingungslosen Hang zur Ehrlichkeit gefährdet Ihr meinen besten Kurier. Auch seinen Verlust kann ich mir im Augenblick nicht leisten.«
Lorenzo schluckte hart. Dagegen konnte er nichts einwenden.
»Hartenberg, mein Jurist in Wien, hat sich bei einem Sturz vom Pferd sämtliche Knochen gebrochen. Jemand muss ihn ersetzen, bis er wieder einsatzbereit ist. Ihr seid der Einzige, der diese schwierige Aufgabe übernehmen kann.«
Eigentlich sollte Lorenzo sich freuen, dass der Graf so viel Vertrauen in ihn setzte, aber die Freude wollte sich nicht einstellen.
»A Vienna?«, murmelte er beinahe fassungslos. Der Graf warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
Lorenzo wünschte sich weit weg von diesem Raum. Er musste nachdenken, aber genau das konnte er im Moment nicht, da der Graf das Thema wechselte und auf ihn einredete, als sei die Sache mit Wien schon entschieden. Lorenzo fiel es schwer, sich auf die Worte Starhembergs zu konzentrieren. Er sah sich selbst hinter einem Schreibtisch sitzen und langweilige Verträge aufsetzen. Und das alles in Wien, ausgerechnet in der Geburtsstadt seines Vaters.
»… Ich habe eine genaue Aufstellung von Waffen, Munitionsvorräten, Spezialisten und Handwerkern der Stadt verlangt, erhalten habe ich nichts davon. Wenn es zum Krieg mit den Türken kommt, wird Oberungarn niedergewalzt und Komorn und Raab dem Erdboden gleichgemacht.« Starhemberg warf energisch den Kopf in den Nacken, wodurch die hohe silbergraue Lockenperücke bedenklich ins Wanken geriet. Er warf Lorenzo einen kritischen Blick zu. »Ihr hört mir überhaupt nicht zu!«, schrie er verärgert. Auf seiner Stirn bildeten sich rote Flecken.
»Verzeiht«, sagte Lorenzo und schüttelte seinen Kopf, als könnte er damit seine Gedanken über seinen Vater vertreiben.
»Habt Ihr Neuigkeiten aus Polen?«, fragte Starhemberg.
Lorenzo berichtete, dass Sobieski, der polnische König, das Bündnis mit dem österreichischen Kaiser befürwortete. Sollte Österreich von den Türken besiegt werden, würde Polen das nächste Opfer sein. Ein Bündnis zwischen den beiden Ländern garantierte beiden mehr Sicherheit.
Starhemberg grunzte zufrieden und nickte. »Gut, und jetzt zu den Informationen, die mir noch nicht bekannt sind.« Er sah den jungen Mann eindringlich an.
»Die Entscheidung ist noch nicht endgültig gefallen, und im Moment versuchen die Franzosen das Bündnis noch mit allen Mitteln zu verhindern. Sie intrigieren im polnischen Adel und sammeln Stimmen gegen Sobieskis Entscheidung«, erklärte Lorenzo.
Starhemberg trommelte mit den Fingern laut und ungehalten auf seine Schreibtischplatte. »Diese verdammten Franzosen. Für sie wäre es die größte Freude, wenn Leopolds Reich von den Osmanen überrollt werden würde und der Name Habsburg für immer ausgelöscht wäre.«
Lorenzo nickte, der ewige Streit zwischen Frankreich und dem Habsburgerreich war nichts Neues. Der französische König Ludwig würde nichts unversucht lassen, um dieses...