Malm | Wie man eine Pipeline in die Luft jagt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Malm Wie man eine Pipeline in die Luft jagt

Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7518-0306-9
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-7518-0306-9
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die wissenschaftlichen Fakten bezüglich der Klimakrise, die Daten, die das Massenaussterben und die Erderwärmung beziffern, liegen auf dem Tisch, an dem führende Politikerinnen und Politiker regelmäßig zusammenkommen, um Klimaziele zu vereinbaren. Auf den Straßen vor den Tagungshotels und Regierungspalästen protestieren nicht erst seit gestern immer mehr Men­schen. Sie starten Petitionskampagnen und sammeln Unterschriften. Trotz­dem haben wir es mit einer nach wie vor boomenden Industrie für fossile Brennstoffe zu tun, die Gewinne steigen kontinuierlich. Ist es also an der Zeit, das kaputt zu machen, was uns kaputt machen wird? In diesem mitreißen­den Manifest fordert Andreas Malm nichts weniger als die Eskalation: Wir müssen die Förderung fossiler Brennstoffe zum Stillstand bringen - mit unserem Handeln, unseren Körpern, mit allem, was uns zur Verfügung steht. In seiner historisch fundierten Lesart der Geschichte erfolgreicher sozialer Bewegungen - für das Frauenwahlrecht, gegen die Apartheid - zeigt Andreas Malm, dass jeder dieser Kämpfe Grenzen überschritten hat: Eigentum wurde zerstört, Infrastruktur angegriffen. Nur so konnte der notwendige Druck aufgebaut werden, um Veränderung voranzutreiben. Mit der Leidenschaft eines Aktivisten und dem Wissen eines Forschers diskutiert Andreas Malm das Spannungsfeld zwischen Gewaltfreiheit und direkter Aktion, Strategie und Taktik, Demokratie und sozialer Veränderung. Und zeigt uns, wie wir in einer Welt kämpfen können, die längst in Flammen steht.

Andreas Malm, 1977 geboren, forscht an der Universität Lund in Schweden am Institut für Humanökologie und engagiert sich seit fast 20 Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im Frühjahr 2020 war er als Gastforscher am Center for Humanities und Social Change in Berlin.

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2. Den Bann brechen
Zum Zeitpunkt der COP1 hätten sich die wenigsten vorstellen können, dass die Volkswirtschaften der Welt zwei oder drei Jahrzehnte später jeden Monat fast eine Gigatonne Kohlenstoffdioxid freisetzten, Unternehmen geschäftig Pläne schmiedeten, wie sie noch größere Kapazitäten fossiler Treibstoffe verbrennen könnten, und die Regierungen über all das mit Stolz oder zumindest Nachsicht walteten. Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Krise hat alle Erwartungen übertroffen. Ähnlich, und nicht weniger schicksalhaft, ist es um die Reaktion des Klimasystems bestellt: Zum Zeitpunkt der COP1 sahen nur die wenigsten Wissenschaftler*innen voraus, dass der Boden und die Ozeane so bald schon die emittierten Gase nicht mehr würden aufnehmen können, sodass sie, überfüllt und gestört, Kohlendioxid und Methan in derartiger Geschwindigkeit freisetzten, ja regelrecht ausspien.1 Die nördliche Permafrostzone beispielsweise ist ein seit Hunderttausenden von Jahren gefrorener unterirdischer Kohlendioxidspeicher.2 Sobald sich der Planet erwärmt, beginnt der Boden aufzutauen, und Mikroben machen sich an die Arbeit, die organische Materie zu zersetzen, wobei Kohlenstoffdioxid, vor allem aber Methan freigesetzt wird – ein Treibhausgas, das während seiner ersten beiden Jahrzehnte in der Atmosphäre einen im Vergleich siebenundachtzigfach stärkeren Erwärmungseffekt aufweist –, ein Prozess, der sich mittlerweile weit über jegliche Voraussagen hin beschleunigt. Waldbrände funktionieren auf die gleiche Weise.3 Der in den Bäumen und im Boden eingeschlossene Kohlenstoff entweicht, sobald die Flammen darüber hinwegziehen, wie es jetzt häufiger, über längere Zeiträume, mit größerer Intensität und über ausgedehntere Gebiete geschieht, wobei die Verbrennung fossiler Brennstoffe Sekundärbrände von Kamtschatka bis in den Kongo entfacht. Wissenschaftler*innen hinken diesen Rückkopplungsmechanismen hinterher und haben große Mühen, sie in ihren Modellen zu erfassen. Es steht also noch aus, dass man sie tatsächlich in die Kohlenstoffbudgets miteinbezieht, doch wenn dies erst einmal getan sein wird, wird die Menge an erlaubten CO2-Emissionen auf eklatante Weise weiter schrumpfen: Würden der auftauende Permafrost, die sich ausbreitenden Lauffeuer und all die anderen Mechanismen berücksichtigt, stünde ein noch kleinerer Spielraum zur Verfügung, um unter dem 1,5-Grad- oder 2-Grad-Ziel zu verbleiben.4 Folglich finden wir uns geradewegs auf einem äußerst schmalen Grat wieder: auf der einen Seite ein unbeugsames business as usual, das die Emissionen immer weiter in die Höhe treibt und jedwede Hoffnung auf Mitigation zunichtemacht; auf der anderen empfindliche Ökosysteme, die in sich zusammenstürzen – die außergewöhnliche Schwerfälligkeit der kapitalistischen Produktionsweise trifft auf die Reaktionsfreudigkeit der Erde. So sieht das zeitliche Dilemma aus, innerhalb dessen die Klimagerechtigkeitsbewegung wirksame Strategien entwickeln muss. »Selbst unter optimistischen Annahmen«, so das zigste wissenschaftliche Bittgesuch für »sofortiges globales Handeln«, verengen sich die Bahnen hin zu einer »erträglichen Zukunft« »rapide«.5 Unter Zuhilfenahme von Modellen mit unzureichender Repräsentation positiver Rückkopplungsmechanismen kamen Dan Tong und seine Kolleg*innen 2019 – einem weiteren Jahr steigender Emissionen – zu dem Schluss, dass die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels unter zwei Bedingungen nach wie vor »technisch möglich« sei. Erstens müssten menschliche Gesellschaften – um »eine angemessene Chance« zu haben, den Grenzwert einzuhalten – »ein weltweites Verbot allerneuen CO2-emittierenden Vorrichtungen« einführen.6 Nun ist die Wahrscheinlichkeit, dass die herrschenden Klassen ein weltweites Verbot aller neuen CO2-emittierenden Gerätschaften erlassen, weil Wissenschaftler*innen es ihnen empfehlen oder weil Milliarden von Menschen andernfalls schwerwiegende Schäden davontragen würden oder weil der Planet sich in ein Treibhaus verwandeln könnte, in etwa so groß wie jene, dass sie sich auf dem Gipfel des steilsten Bergs aufstellen und sich ohne Widerworte in die Tiefe stürzen. Insofern folgt an dieser Stelle zunächst einmal das, was diese Bewegung von Millionen von Menschen tun sollte: Verkündet und erzwingt selbst das Verbot! Beschädigt und zerstört neue CO2-emittierende Vorrichtungen! Setzt sie außer Betrieb, zerlegt, demoliert, verbrennt sie, jagt sie in die Luft! Lasst die Kapitalist*innen, die weiterhin ihr Geld ins Feuer werfen, wissen, dass ihr deren Eigentum in Schutt und Asche legen werdet! »Wir sind das Investitionsrisiko«, lautet ein Slogan von Ende Gelände, wobei das Risiko ganz offensichtlich deutlich höher sein muss als bloß ein oder zwei Produktionsunterbrechungen pro Jahr. »[Wir] können […] mit unseren Körpern eine De-facto-Steuer in Kraft setzen, wenn wir keine ernsthafte CO2-Steuer von einem korrupten Parlament bekommen«, behauptet Bill McKibben, aber eine CO2-Steuer ist so was von 2004.7 Wenn wir kein striktes Verbot bekommen, müssen wir mit unseren Körpern und allen anderen uns zu Gebote stehenden Mitteln eines in Kraft setzen. Das wäre jedoch bloß ein Anfang, denn die zweite Bedingung, um unterhalb der 1,5-Grad-Grenze zu bleiben – oder auch unterhalb jeglicher anderen Schranke zwischen einem erträglichen und einem unerträglichen Leben –, hieße »erhebliche Reduktionen der Lebensdauer« der fossilen Brennstoffinfrastruktur. Nicht allein neue, sondern auch bereits bestehende, junge und alte CO2-emittierende Vorrichtungen müssten deaktiviert werden. Die Wissenschaft lässt hinsichtlich dieses Punkts keinerlei Zweifel bestehen. Da bereits dermaßen viel wertvolle, unwiederbringliche Zeit verstrichen ist – wahrhaftig, es ist ihrer nicht mehr viel geblieben! –, müssen Vermögenswerte stranden. Investitionen müssen viel früher, als es dem kapitalistischen Geschmack lieb ist, abgeschrieben werden. Einer Schätzung zufolge würde die sofortige Einstellung jeglichen in der Pipeline stehenden Projekts das 2-Grad-Ziel lediglich dann erreichbar machen, wenn sie mit der Stilllegung eines Fünftels aller mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke einherginge (diese Berechnung ist aus dem Jahr 2018 – weitere Jahre oder Jahrzehnte des business as usual würden weitaus höhere Anstrengungen erforderlich machen).8 Das bedeutet eine Menge vergeudetes Kapital. Einer der Gründe, weshalb die Klimastabilisierung eine so fürchterlich abschreckende Herausforderung darzustellen scheint, lautet, dass offensichtlich kein Staat gewillt ist, diese Idee auch nur ansatzweise in die Tat umzusetzen, schließlich besitzt kapitalistisches Eigentum den Status des ultimativen Heiligtums. Wer würde es wagen, ein solches auf den Scheiterhaufen zu werfen? Welche Regierung würde sich bereiterklären, ihre Streitkräfte zu entsenden, um den Verfall dieser Profitmengen sicherzustellen? Es muss also jemanden geben, der den Bann bricht: »Sabotage«, schreibt R. H. Lossin, eine der bewandertsten zeitgenössischen Gelehrten auf diesem Gebiet, »stellt eine Art präfigurative, wenn auch vorübergehende Beschlagnahmung von Eigentum dar. Es handelt sich bei ihr« – in Bezug auf den Klimanotstand – »sowohl um eine folgerichtige, gerechtfertigte und effektive Form des Widerstands als auch um einen direkten Affront gegenüber der Unantastbarkeit kapitalistischen Besitztums.«9 Eine Raffinerie ohne Strom, ein Bagger in Einzelteilen: Vermögenswerte stranden zu lassen, ist letzten Endes immer möglich. Eigentum ist der Erde nicht vorgeschaltet; es gibt kein technisches, natürliches oder göttliches Gesetz, das besagt, es sei während dieses Notstands unantastbar. Wenn Staaten nicht von sich aus in der Lage sind, ihre schützende Hand vor dem Eigentum wegzuziehen, müssen es andere für sie tun. Andernfalls wird Eigentum uns den Planeten kosten. Der unmittelbare Zweck solch einer Kampagne gegen CO2-emittierendes Eigentum wäre demgemäß ein zweifacher: einen negativen Anreiz zu schaffen, der davon abhält, in immer mehr davon zu investieren, sowie zu beweisen, dass es aus dem Verkehr gezogen werden kann. Ersteres würde nicht erfordern, dass wirklich alle neuen Vorrichtungen außer Stand gesetzt oder demontiert werden müssten, lediglich so viele, um das Risiko glaubhaft zu vermitteln. Dabei gilt es selbstverständlich, strikte Selektivität zu beachten. Im Fall der Suffragetten hatte die Eigentumszerstörung etwas Willkürliches an sich, was dieses Mal nur wenig Sinn ergäbe; würden Aktivist*innen der Klimaschutzbewegung Postämter, Teestuben und Theater angreifen, hielte das die Investor*innen nicht im Speziellen ab. Dieses Mal müssten es ausschließlich Kohlekais und Dampfjachten sein. Doch genauso wie die Suffragetten bemüht waren, dem Staat das Messer an die Kehle zu setzen – für sich genommen waren sie nicht imstande, das Stimmrecht gesetzlich zu verankern...


Frühauf, David
David Frühauf, 1987 geboren, studierte Philologie und Sprachkunst in Wien, Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und Neuere deutsche Literatur in Berlin, wo er als Autor, Übersetzer und Lektor lebt.

Malm, Andreas
Andreas Malm, 1977 geboren, forscht an der Universität Lund in Schweden am Institut für Humanökologie und engagiert sich seit fast 20 Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im Frühjahr 2020 war er als Gastforscher am Center for Humanities und Social Change in Berlin.

Andreas Malm, 1977 geboren, forscht an der Universität Lund in Schweden am Institut für Humanökologie und engagiert sich seit fast 20 Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Im Frühjahr 2020 war er als Gastforscher am Center for Humanities und Social Change in Berlin.David Frühauf, 1987 geboren, studierte Philologie und Sprachkunst in Wien, Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und Neuere deutsche Literatur in Berlin, wo er als Autor, Übersetzer und Lektor lebt.



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