E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Reihe: Ecco Verlag
Maley Nur eine weitere Geschichte
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7530-0085-5
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Reihe: Ecco Verlag
ISBN: 978-3-7530-0085-5
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gehört die Geschichte deines Lebens dir oder denen, die sie schreiben?
Die Journalistin und alleinerziehende Mutter Suzy Hamilton erfährt eines Morgens, dass die Wellness-Bloggerin Tracey Doran, die Gegenstand einer ihrer Enthüllungsgeschichten war, Suizid begangen hat. Suzy ist erschüttert und fühlt sich schuldig, doch anstatt sich ihren Gefühlen zu stellen, sucht sie Ablenkung: in ihrer Arbeit, ihrer Mutterrolle und ihren Affären.
Aber die Folgen ihres Artikels holen Suzy ein Jahr später ein. Sie erhält anonyme Drohbriefe, wird von Traceys Mutter kontaktiert und aufgesucht. Diese verlangt von ihr, eine weitere Geschichte zu erzählen - Traceys wahre Geschichte.
Eine zärtliche, fesselnde und intelligente Erkundung von Schuld, Scham, weiblicher Wut und vor allem von Mutterschaft mit all ihren Schwierigkeiten und Schätzen.
»Elektrisierend, zutiefst beunruhigend und so, so zufriedenstellend«
Jacqueline Maley ist Kolumnistin und leitende Autorin für den und , wo sie über Politik, Menschen und soziale Angelegenheiten schreibt. Sie war Mitarbeiterin des in London und der australischen und schreibt für zahlreiche andere Publikationen, darunter und . Im Jahr 2016 wurde sie mit dem Kennedy Award für herausragende Kolumnisten ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Tochter und ihrem Partner in Sydney.ist ihr Debütroman.
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2. KAPITEL
Er hatte das Hotel ausgesucht. In der ganzen Zeit, in der wir uns immer wieder getroffen hatten, hatte er mich nie in die Art von Hotel mitgenommen, in denen er auf Dienstreisen abstieg – die teuren, eleganten, mit Ausblicken auf Parks oder Häfen oder Flüsse, die mit den geschenkten Pantoffeln und Türen, die sich geräuschlos hinter einem schlossen. Er sagte, solche Hotelzimmer seien genauso einsam wie die anderen, und er war der ausgewiesene Experte. Also traf ich mich mit ihm stattdessen in mittelmäßigen Hotels, die sich selbst ein paar Sterne gegeben hatten für ihre Sauberkeit und Bequemlichkeit, aber einen dann extra zahlen ließen für Wi-Fi und Frühstück. In solchen Hotels war es ziemlich unwahrscheinlich, dass ihm jemand über den Weg laufen würde, den er kannte. Oft beobachtete ich die anderen Gäste an diesen gleichgültigen Orten und überlegte, wer sie waren. Abteilungsleiter, Touristen, vielleicht andere Ehebrecher. Die Hotels gehörten immer zu einer Kette, und die Kette trug immer einen Namen wie Allure oder Azure oder einmal sogar Entice.
An diesem Tag war es ein Hotel in North Sydney, ein Ort mit so wenig Romantik, wie man es von einem zweitklassigen Einkaufszentrum einer größeren Stadt erwarten würde. Aber bei uns ging es nie um Romantik. Als ich über die Harbour Bridge fuhr und das Wasser mir entgegenblitzte, hatte ich eine Vision von meinem parallelen Leben, wie ich mit Maddy auf dem Rücksitz hier entlangfuhr und Maddys Vater auf dem Beifahrersitz, auf dem Weg nach Palm Beach oder irgendwas im Norden, wo der Verkehr immer spärlicher wurde und die Schatten am Nachmittag immer länger werden würden, irgendwohin, wo wir Maddy zuschauen würden, wie sie die Wellen ins Meer jagte wie ein kleiner Welpe. Ich wartete, bis das Bild wieder verflogen war. Sie verflogen immer. Ich parkte und fand das Hotel. Es war eingekeilt zwischen mehreren kurvigen Abfahrten direkt unter der Harbour Bridge, aber ohne Blick auf die Brücke. Er hatte bereits eingecheckt und mir geschrieben, während ich noch unterwegs gewesen war: Beeil dich. Er stand auf Sparsamkeit. Ich ging an der Rezeption vorbei und fuhr mit dem Fahrstuhl zum Zimmer, den Flur hinunter und vorbei an einem Zimmermädchen, das an einem Staubsaugerkabel riss wie an der Leine eines ungebärdigen Hundes. Ich lächelte ihr flüchtig zu und folgte dem chemischen Geruch des Lufterfrischers. Das war noch so ein entscheidender Unterschied zwischen mittelmäßigen und Fünfsternehotels: Die Fünfsternehotels waren geruchlos. Die Hotels der mittleren Preisklasse hatten immer einen stechenden, hartnäckigen Geruch, der geräuschlos durch die Lüftungsschächte oder auf anderen Wegen verbreitet wurde – ein Geruch, der einen vergessen lassen sollte, was er zu übertünchen versuchte: den Geruch von Leuten.
Ich klopfte an die Tür. Er machte mir schwungvoll auf, nickte mir zu und hielt sich den Finger an die Lippen. Er telefonierte gerade.
»Das war der Zimmerservice«, sagte er. »Ich esse im Hotel zu Mittag. Jupp. Nö. Ja, mach ich. Okay, bis dann, Beano.«
Es war seine Frau. Er nannte sie Beano. Er behauptete, sie hätten seit drei Jahren keinen Sex mehr gehabt.
»Ja, ich glaub schon. Nein, ich nehm mir ein Taxi. Bis dann.«
Er drückte seinen Daumen aufs Handy, um das Gespräch zu beenden, und ich konnte noch einen Blick auf das Bild seiner Frau erhaschen, während es vom Display verschwand. Vernünftiger Bob, Brille, hübscher Mund. Die Art anständige verheiratete Frau, die ich vielleicht auch geworden wäre, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten. Er schaute mich an, aber nur flüchtig, dann schlang er seinen Arm um mich, zog mich an sich und vergrub sein Gesicht an meinem Hals.
»Sie glaubt, ich bin in Melbourne«, sagte er. »Ich hab um drei eine Sitzung.«
»Passt doch«, sagte ich und legte eine Hand auf seinen Gürtel.
Er bohrte seinen Kopf in den Ausschnitt meines Kleides und sagte, ich solle den Mund halten. So war das zwischen uns. Unsere Intimität zeigte sich im Mangel an Nettigkeiten. Er drehte mich um und lehnte mich gegen den Schreibtisch mit Nussfurnier, und mein Blick verlor sich auf dem Notizpapier mit dem Briefkopf des Hotels, den billigen Kugelschreibern, die auf dem Tintenlöscher lagen, und dem Hoteltelefon mit den sorgfältig beschrifteten Tasten: Hausmeister, Zimmerservice, Fernverbindung.
Der Sex war leise, wie immer, aber respektvoll, in dem Sinne, dass er immer dafür sorgte, dass ich auch zum Zuge kam. Wenn wir fertig waren, ließ er mich abrupt los, ging ins Bad und machte die Tür hinter sich zu. Es gab kein Kuscheln oder körperlichen Ausklang. Das wäre unpassend gewesen. Ich machte es aus einem puren Bedürfnis heraus, dem Bedürfnis, das auch ihn trotz aller Risiken immer wiederkehren ließ, und trotz der offensichtlichen Scham darüber, seine Frau zu betrügen. Ich hörte das Geräusch von fließendem Wasser. Er kam mit einem frischen Hemd wieder heraus, und ich trat vor, um ihm mit seiner Krawatte behilflich zu sein, was zwar eigentlich eine Ehefrauengewohnheit war, aber eine so kleine, dass sie sich anfühlte wie ein Spiel.
»Was machst du eigentlich heute Abend noch?«, fragte ich.
»Hmm?«
Er war mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders.
»Heute Abend. Deine Frau glaubt doch, du bist in Melbourne. Also hast du einen freien Abend. Erzähl mir jetzt nicht, dass du noch eine Geliebte hast!«
»Ich bin nur fast ganz blöd«, sagte er steif.
»Was denn dann? Ich wette, du bist Mitglied in einem Herrenclub oder so was.«
»Ich bin ganz gern auch mal allein.«
»Schleichst du dich dann ins Kino? Oder vielleicht hast du ja ein richtig abstoßendes Hobby, zum Beispiel Bridgespielen«, schlug ich vor. »Raus mit der Sprache.«
Ich band seine Krawatte fertig, fuhr mit der Hand glättend darüber und schaute ihm dann ins Gesicht. In seinen Augen war irgendetwas, und mir wurde schnell klar, wie einsam er war, dieser Mann, mit dem ich mich bloß traf, um Sex zu haben, und über den ich fast nichts wusste. Ich war immer davon ausgegangen, dass er seine Frau nicht mehr liebte, aber jetzt glaubte ich eher, dass vielleicht das Gegenteil der Fall war und er mich deswegen ausgesucht hatte, warum er mich so konsumierte, sich mit mir in einem Viersternehotel traf, wo er mich schnell ficken, es dann abspalten und sein Bedürfnis für eine bis drei Wochen in North Sydney lassen konnte, bis zu unserem nächsten Treffen, wo er sich ihm wieder stellen würde.
»Ich tanze«, sagte er.
Ich musste lachen, weil ich dachte, dass er das nicht im Ernst gemeint haben konnte.
»Du tanzt?«
»Ja. Ich geh gern zum Salsa-Tanzen. Beano – Jenny – hasst das. Sie hat es schon immer gehasst. Sie geniert sich immer so schnell. Natürlich ist an den Orten, wo ich tanzen gehe, nicht wichtig, wie gut man ist, aber sie will trotzdem nicht mitkommen.«
»Ich hätte Geld darauf gewettet, dass du Bridge spielst. Oder – keine Ahnung – Jiu-Jitsu machst … Aber Salsa?«
»Ich war mal ein Jahr in Berkeley als Student. Ich war damals mit einer Kubanerin zusammen, die hat mich immer in Salsa-Clubs in San Francisco mitgenommen. Mit dem Mädchen hab ich Schluss gemacht, aber das Tanzen hab ich beibehalten. So gut es eben ging.«
»Und du gehst alleine in diese Clubs? Kann man das denn?«
»O ja, es gibt immer Frauen ohne Tanzpartner, die Männer suchen.«
»Zweifellos.«
»Du hast was missverstanden, wenn du glaubst, dass das so ist. So ist es nämlich wirklich nicht.«
Er sah gekränkt aus. Auf seine Art war er sehr prüde.
»Ich mach doch nur Spaß. Ich find das echt toll.«
»Vielleicht solltest du auch mal mitkommen.«
Er schaute mich jetzt an, griff eine lose Haarsträhne und steckte sie mir hinters Ohr, eine kleine fürsorgliche Geste, bei der ich fast schmolz.
»Ja, vielleicht mach ich das mal.«
Ich wusste, dass ich es nie tun würde.
Ich löste mich von ihm, ging durchs Zimmer und sammelte meine Sachen zusammen, wobei ich mich einmal auf den Boden knien musste, um unter dem Bett nach einem verlorenen Ohrring zu suchen. Ich fand ihn auch – einen der beiden Saphirstecker, die Charlie mir einmal geschenkt hatte, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, was mir damals überhaupt nicht klar gewesen war.
»Gehst du heute Nachmittag noch mal ins Büro?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er. »Ich hab eine Pressekonferenz. Und eine Konferenz mit dem Marketing. Unsere neue Website geht nächste Woche an den Start.«
»Ach ja, stimmt«, sagte ich. Ich stieß mir den Ohrring durch mein Ohrläppchen.
»Müssen wir darüber reden, was gestern passiert ist?«, fragte er. Er schaute mich nicht an, als er das sagte – er schaute auf sein Smartphone, um seine Mails zu checken.
»Wir hatten doch vereinbart, dass wir Beruf und Privatleben getrennt halten.«
»Stimmt. Aber nur um das festzuhalten: Ich habe diese Entscheidung in deinem besten Interesse getroffen.«
»Es war nicht meine Schuld, dass Tracey Doran gestorben ist.«
»Das denkt ja auch niemand. Es ist keine Bestrafung. Es ist ein Schutz.«
Mein Gesicht brannte, und ich spürte ein scharfes Stechen, einen Wirbel von Reue, wegen all der kleinen Entscheidungen, die uns in dieses Hotel in North Sydney geführt hatten, mit seinen Notizblöcken mit Werbeaufdruck und dem überwältigenden Geruch nach Pinienwald. Mir wurde fast übel davon.
»Wie auch immer. Beruf und...




