Maldoom / Carley | Tanz um dein Leben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Maldoom / Carley Tanz um dein Leben

Meine Arbeit, meine Geschichte
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-10-400710-6
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Meine Arbeit, meine Geschichte

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-10-400710-6
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



?Rhythm Is It!? war der erfolgreichste deutsche Dokumentarfilm der letzten Jahrzehnte. Der eigentliche Star des Films ist Royston Maldoom, ein Zauberer, der überall auf der Welt selbst schwierigsten Jugendlichen neues Selbstvertrauen gibt. Er zeigt, dass er mit seiner Arbeit, seinem Credo - »Du kannst durch Tanzen dein Leben verändern« - mehr bewirkt als alle theoretischen Erziehungsratgeber. Wenn er erzählt, wie er mit Berliner Schülern Strawinsky oder mit äthiopischen Straßenkindern die Carmina Burana einstudiert, wird deutlich, dass er ihnen, wie kein anderer, die Möglichkeit gibt, sich selbst, ihre Leidenschaften und ihr Können zu entdecken. Und er verlangt viel von seinen Tänzern: Disziplin, Hingabe und Konzentration. So bringt er ihnen nicht nur das Tanzen, sondern auch das Leben bei. Wie sehr die Kunst das Leben positiv verändern kann, hat er selbst erfahren. Auf seinem ungewöhnlichen Lebensweg, vom jugendlichen Außenseiter im ländlichen Wales zum international gefragten Tänzer und Star-Choreographen, hat er u.a. in Südafrika, Peru, Litauen, Nordirland und in Bosnien über alle Grenzen hinweg unglaubliche Projekte realisiert. Die Erfahrungen, die er dabei gesammelt hat, bilden das Fundament seiner Authentizität, seines Charismas und seiner intuitiven Pädagogik.

Royston Maldoom, geboren 1943 in London, initiiert und leitet seht über 30 Jahren weltweit Tanzprojekte für jedermann, unabhängig von Talent und Erfahrung, Alter, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft, und gilt als Mitbegründer der Community Dance Bewegung. Für sein soziales Engagement und seine künstlerische Arbeit hat er zahlreiche Preise erhalten, u.a. wurde ihm 2006 von Queen Elizabeth II. der »Order of the British Empire« verliehen. Royston Maldoom lebt in Berlin. Jacalyn Carley wurde 1952 im Bundesstaat New Jersey/USA geboren. 1974 absolvierte sie den Bachelor of Science mit dem Hauptfach Tanz an der George Washington University. 1976 übersiedelte Jacalyn Carley nach West-Berlin, wo sie die Tanzfabrik Berlin mitbegründete und als Choreographin äußerst erfolgreich war. Sie hat bereits zwei Romane veröffentlicht.
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Das ›Requiem‹ in Wilna – Litauen


Ich stand im großen Saal des Konzert- und Sportpalastes in Wilna und sah in die erwartungsvollen Gesichter von einhundertvierzig Freiwilligen – Litauern, Russen und Polen –, die Jüngsten fünf, die Ältesten Ende vierzig. Einige waren Balletteleven und eine Handvoll sogar professionelle Tänzer, aber die meisten von ihnen würden zum ersten Mal in ihrem Leben tanzen und auf einer Bühne stehen; ganz normale Bürger hatten alles stehen und liegen gelassen, um ihren Beitrag zum Widerstand gegen die sowjetische Besatzung zu leisten. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache hatten, in der wir uns verständigen konnten, hatten mich diese Menschen gebeten, ihre Geschichte zu erzählen. In sechs Tagen sollte eine Choreographie für das komplizierte, fast zweistündige ›Requiem‹ von Verdi erarbeitet werden. Angst schnürte mir die Kehle zu.

Ein paar Monate zuvor hatte ich in meinem bequemen Lehnstuhl in London die Nachrichten über die Fortschritte der Perestroika und die sowjetischen Reaktionen darauf verfolgt. Auf dem Bildschirm sah ich Litauer in Massen zur Kathedrale in Wilna pilgern und das Gotteshaus für die Katholiken zurückfordern. Am 13. Januar 1991 waren vierzehn unbewaffnete Litauer vor dem Fernsehsender in Wilna kaltblütig von einer Spezialeinheit der sowjetischen Armee erschossen worden. Die Leichname wurden mehrere Tage im Konzert- und Sportpalast aufgebahrt, Hunderttausende aus dem ganzen Land kamen, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen. Von London aus konnte ich das gesamte Ausmaß der politischen Bedeutung und die historischen Zusammenhänge nur in groben Zügen erfassen, doch instinktiv sagte ich sofort zu, als die Leiterin der Ballettschule in Wilna – sie kannte meinen Namen, weil Schüler von ihr an einem meiner Projekte in Duisburg teilgenommen hatten – mich einlud, ein größeres Werk zu inszenieren.[1] Menschen waren in Not, und man hatte mich um Hilfe gebeten, das reichte mir als Information. Der schottische Tänzer Norman Douglas[2], mit dem ich schon vorher zusammengearbeitet hatte, fand sich bereit, mich als Assistent zu begleiten.

Wir waren zwei Tage unterwegs, überquerten acht Landesgrenzen und saßen das letzte Stück in einem Zug, der stundenlang durch menschenleere Landschaften zuckelte, endlose Kiefernwälder und verschlafene Ortschaften hinter sich ließ. Nach einem langen Aufenthalt an der polnisch-litauischen Grenze erreichten wir endlich den Hauptbahnhof in Wilna. Der Bahnsteig quoll über von bewaffneten Soldaten, und ich dachte zunächst, sie sollten für unsere Sicherheit sorgen. Doch als wir den Bahnhof verließen, entdeckten wir das ängstlich wartende Begrüßungskomitee auf der anderen Seite des Platzes – die sowjetische Armee hatte den Bahnhof erst vor einer Stunde besetzt.

Nachdem wir an den Betonbarrikaden vor dem Parlamentsgebäude vorbeigegangen waren, erreichten wir den Konzert- und Sportpalast, in dem eine Woche später der Festakt stattfinden sollte. Der Ort war unglaublich: Sitzplätze für über viertausend Zuschauer, ein Podium für das Orchester und eine riesige Bühne. Bevor man uns in ein widerwärtiges Hotel in sowjetischem Stil brachte, kamen wir in den Genuss eines kalten Mittagessens aus Dosenmöhren und -erbsen, dazu gab es ein paar gekochte Kartoffeln, Luxusgüter, wie wir später feststellten. Im Land herrschte Mangelwirtschaft, unsere Mahlzeiten würden sehr einfach ausfallen. Da ich damals Vegetarier war, stellte das eine ziemliche Herausforderung dar. Mein Tagesgericht war kalter Haferbrei – morgens, mittags und abends.

Der erste Ausflug durch die Stadt führte Norman und mich auch zum Leninplatz, wo man uns bestimmt aufmerksam aus dem monolithischen KGB-Gebäude[3] heraus beobachtete. Lange Schlangen warteten geduldig vor den wenigen offenen Geschäften, auf Papptafeln priesen hastig gekritzelte Worte die Waren an: »Bananen«, »Kerzen«, »Kartoffeln« oder »Stiefel – Einheitsgröße« – was immer gerade zufällig die Stadt erreicht hatte. Überall standen Sowjetsoldaten, ihre steinernen, unbewegten Mienen beunruhigten uns. Jeder in Wilna war nervös. Langsam ging mir auf, in was ich da geraten war – die Präsidentschaft von Landsbergis war illegal, und die Sowjetbehörden hatten die Aufführung nicht genehmigt.

Außerdem war ich, offen gesagt, nicht vorbereitet. Man könnte auch sagen, so unvorbereitet wie immer. Immerhin hatte ich schon entschieden, das Orchester zunächst allein spielen zu lassen und nur die letzten sechzig Minuten zu choreographieren. Das war aber auch alles, weitere Ideen hatte ich noch nicht. Ich begrüßte die Teilnehmer, stellte ihnen Norman vor und erklärte, er würde das Aufwärmtraining leiten, dann nahm ich meine Zigaretten und flüchtete aus dem Saal.

Allein im Freien fragte ich mich, was in aller Welt ich hier tat – ich war achtundvierzig, hatte zusammen mit meinem Assistenten eine langwierige Reise hinter mir und stand nun vor hundertvierzig Litauern, von denen ich nicht einmal im Ansatz ahnte, welche Erwartungen sie hatten und wie viel Mut sie aufbringen mussten, um hierherzukommen. Ich hatte Angst, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein, aber diese Angst begleitet mich von jeher bei jedem neuen Auftrag – sie ist Teil des Künstlerlebens, der Arbeit und des Lebens auf Messers Schneide.

Ich verdiente meinen Lebensunterhalt damit, Tänze zu kreieren, aber ich fragte mich, ob mich in diesem Fall eher der Blitz oder eine Eingebung treffen würde … Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: fünfzig Jahre sowjetische Besatzung in Litauen. Das war ganz real. Ich saß nicht mehr länger in meinem gemütlichen Zuhause und hatte Gewissensbisse wegen der Nachrichten aus einem fernen Land, mit dem mich nichts weiter verband. Es gab eine Gemeinsamkeit zwischen den Menschen in diesem Gebäude und mir – wir glaubten alle daran, dass Tanz etwas verändern konnte.

Ich ging zurück in den Saal und ließ zunächst die Fünf- bis Sechsjährigen auf der Bühne rennen, Rad schlagen und sich im Kreis drehen – die spielerische Energie passte zum ersten musikalischen Thema. Dann entdeckten sie in einer Ecke einen großen Schrankkoffer, fanden alte Kleider und zogen sie hastig über, banden zum Schluss Bauerntücher um ihre Köpfe, wie Kinder aus weit zurückliegenden Tagen. Jedes Kind griff nach einer Tafel, aneinandergereiht zeigte sich das Bild eines Stacheldrahtzauns, und die Stimmung änderte sich. Ein kleines Mädchen winkte einmal nach links, dann nach rechts und ging mit den anderen Kindern hinaus, während über hundert Erwachsene die Bühne stürmten.

Die Tänzer legten sich auf den Rücken und hoben nacheinander die Beine, eines gestreckt und eins gebeugt, bis die Bühne wie ein Friedhof mit Litauischen Kreuzen aussah. Eine alte, in schwarze Schleier gehüllte Frau trat auf. Sie trug einen Strauß Blumen in den Händen, legte ihn neben einem Mann ab und wandte sich zum Gehen. Die Musik schwoll an, der Mann erwachte zum Leben und erreichte die Frau gerade noch, bevor sie die Bühne verließ, er hob ihren Schleier, und eine junge Braut mit einem Kranz von Gänseblümchen kam zum Vorschein. Ein langsames Duett folgte, voller Liebe und Unschuld; nach und nach leerten sich die Gräber. Schließlich standen alle Tänzer und umarmten einander, der Höhepunkt ihres ausgelassenen Tanzes war ein litauisches Hochzeitsfest. Nach dem traditionellen Austausch der Halstücher hoben Freunde Braut und Bräutigam auf ihre Schultern, und alle anderen drehten sich langsam im Kreis. Dann wurde die Musik ruhiger, und die Tänzer wiederholten die Anfangssequenz – alle sanken allmählich zu Boden, erneut sah man das Bild des mit Kreuzen bedeckten Friedhofs. Nur das junge Mädchen blieb stehen. Sie legte sich den schwarzen Schleier wieder um, wurde zur alten Frau und verließ die Bühne, während die Scheinwerfer abgeblendet wurden.[4]

Die Choreographie folgte einer inneren Bewegung – der Geschichte, die erzählt werden musste. Ein fröhliches Erntefest wurde unterbrochen, als ein großes rotes Tuch die Bühne überzog und alle Tänzer bedeckte – Sinnbild für die sowjetische Besatzung. In einer langen Reihe, als Flüchtlinge, tauchten die Tänzer wieder auf, stellten sich eng zusammen wie in überfüllten Viehwagen – ein Spiegelbild des Schicksals der Juden, die von Nazisympathisanten deportiert worden waren. Hinter dem Stacheldraht streckten die Tänzer ihre Hände durch imaginäre Löcher eines Eisenbahnwaggons – diese Szene hatte mir eine Mutter beschrieben. Die Bahnlinie hatte am Garten ihrer Eltern vorbeigeführt. Als kleines Mädchen hatte sie die verzweifelten Schreie von Männern, Frauen und Kindern gehört, die im heißen Sommer in stickigen Waggons auf ihren Abtransport in die Verbannung und den Hungertod im eisigen sibirischen Gulag warteten.

Das rote Tuch teilte die Bühne, auf der einen Seite lag Sibirien, auf der anderen die Heimat Litauen. Eine junge Frau streckte die Hand nach ihrem verbannten Ehemann aus und er nach ihr. Ihr Tanz zeigte Liebe und Sehnsucht. Bei den Proben hatte ich sie zusammen tanzen lassen, doch nun tanzte jeder auf seiner Seite der geteilten Bühne. Sie schauderte, er fiel tot zu Boden, und als seine Freunde die Leiche zu einem Friedhof trugen – kniende Tänzer bildeten die Mauern um ein großes Litauisches Kreuz –, überreichten ihr die Freundinnen den dreieckigen, braunen Umschlag, in dem traditionellerweise die Todesnachricht überbracht wurde. Völlig aufgelöst rannte sie hinaus. Diesen Umschlag, ein Originaldokument, hatte...


Maldoom, Royston
Royston Maldoom, geboren 1943 in London, initiiert und leitet seht über 30 Jahren weltweit Tanzprojekte für jedermann, unabhängig von Talent und Erfahrung, Alter, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft, und gilt als Mitbegründer der Community Dance Bewegung. Für sein soziales Engagement und seine
künstlerische Arbeit hat er zahlreiche Preise erhalten, u.a. wurde ihm 2006 von Queen Elizabeth II. der 'Order of the British Empire' verliehen. Royston Maldoom lebt in Berlin.

Jacalyn Carley wurde 1952 im Bundesstaat New Jersey/USA geboren. 1974 absolvierte sie den Bachelor of Science mit dem Hauptfach Tanz an der George Washington University. 1976 übersiedelte Jacalyn Carley nach West-Berlin, wo sie die Tanzfabrik Berlin mitbegründete und als Choreographin äußerst erfolgreich war. Sie hat bereits zwei Romane veröffentlicht.

Royston MaldoomRoyston Maldoom, geboren 1943 in London, initiiert und leitet seht über 30 Jahren weltweit Tanzprojekte für jedermann, unabhängig von Talent und Erfahrung, Alter, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft, und gilt als Mitbegründer der Community Dance Bewegung. Für sein soziales Engagement und seine
künstlerische Arbeit hat er zahlreiche Preise erhalten, u.a. wurde ihm 2006 von Queen Elizabeth II. der 'Order of the British Empire' verliehen. Royston Maldoom lebt in Berlin.

Jacalyn Carley wurde 1952 im Bundesstaat New Jersey/USA geboren. 1974 absolvierte sie den Bachelor of Science mit dem Hauptfach Tanz an der George Washington University. 1976 übersiedelte Jacalyn Carley nach West-Berlin, wo sie die Tanzfabrik Berlin mitbegründete und als Choreographin äußerst erfolgreich war. Sie hat bereits zwei Romane veröffentlicht.

Royston Maldoom, geboren 1943 in London, initiiert und leitet seht über 30 Jahren weltweit Tanzprojekte für jedermann, unabhängig von Talent und Erfahrung, Alter, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft, und gilt als Mitbegründer der Community Dance Bewegung. Für sein soziales Engagement und seine
künstlerische Arbeit hat er zahlreiche Preise erhalten, u.a. wurde ihm 2006 von Queen Elizabeth II. der »Order of the British Empire« verliehen. Royston Maldoom lebt in Berlin.
Jacalyn Carley wurde 1952 im Bundesstaat New Jersey/USA geboren. 1974 absolvierte sie den Bachelor of Science mit dem Hauptfach Tanz an der George Washington University. 1976 übersiedelte Jacalyn Carley nach West-Berlin, wo sie die Tanzfabrik Berlin mitbegründete und als Choreographin äußerst erfolgreich war. Sie hat bereits zwei Romane veröffentlicht.



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