E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
Mainberg Two Faces - Makel der Schönheit
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-492-98485-0
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Romantic Thrill
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
ISBN: 978-3-492-98485-0
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Rückenwind
Billy Den Sonnenaufgang in einem Flugzeug zu verfolgen, ist ein phänomenales Erlebnis. Ich war fasziniert von dem Farbspiel aus Rot, Orange und wie der leuchtend gelbe Ball langsam die graue Wand des Horizonts erklomm. Die Tragflächen der Boeing 747 durchbrachen das Schauspiel, was jedoch der Aussicht nicht seinen Reiz nahm. Bei Flugreisen legte ich enormen Wert auf einen Fensterplatz. Es bot mir eine Art emotionalen Rückzugsort, wenn ich den Kopf an die Kabinenwand lehnte und in ein Universum schaute, welches noch vor einhundert Jahren niemand auf der unserer Erde kannte. Dazu sah die geschlossene Wolkendecke aus wie ein riesiger Teppich aus Zuckerwatte. Der fast neunstündige Rückflug aus Washington neigte sich dem Ende zu und ein aufregendes Magensausen erfasste mich, je mehr wir uns dem Frankfurter Airport näherten. Sechs Monate waren vorübergezogen, in denen ich viele Eindrücke gewann, die mir für die Ausbildung zur Fallanalytikerin hilfreich sein konnten. Praktische Erfahrungen zu sammeln, sicherte mir Pluspunkte bei dem strengen Auswahlverfahren der Zentralstelle für die operative Fallanalyse. Diese unterlag zwar dem BKA in Wiesbaden, dennoch blieb mir die Möglichkeit, trotz all der turbulenten Ereignisse in Frankfurt zu leben und zu arbeiten. Sechs Monate Flucht bewertete ich als ausreichend, um einigermaßen unbelastet durchzustarten. Der Wechsel zur Mordkommission war bereits beschlossene Sache. Die neue Aufgabe reizte mich und diente ebenso als Basis für die Erfüllung meines beruflichen Lebenstraums. Ein weiterer Grund, in ein anderes Dezernat zu wechseln, waren die Köpfe der Hydra, die stets nachwuchsen. Eine weltweit agierende Organisation wie die Black Desperados schwächte man mit einer Razzia wie die im King Size nur geringfügig. Ethan Grafenberg und Johannes trieben vermutlich weiterhin ungestört ihr Unwesen. Nein, die sollten mich alle in Ruhe lassen. In dem Fall war ich bereit, die drei Äffchen zum Vorbild zu wählen. Nichts sehen, nichts hören und kein Wort darüber verlieren. Ein schlauer Plan, wie ich fand. Das, was mich dazu an berufsbegleitenden Ausbildungsmaßnahmen erwartete, würde mir kaum Zeit lassen, mich mit dem Menschen zu beschäftigen, der mein Herz in viele Splitter gesprengt hatte. Es war ungemein wichtig, alle meine Sinne zusammenzuhalten, da ich mein Fernstudium im Fachbereich Soziologie fortsetzte. Aufgrund des damaligen Undercovereinsatzes hatte ich es unterbrochen. Glücklicherweise konnte ich nahtlos anknüpfen, da ein Studiengang in einem solchen Wissensgebiet ebenfalls zu der Ausbildung gehörte. Persönlich benötigte ich endlich wieder ein Zuhause. Der Lebensmittelpunkt, ein Refugium, um zur Ruhe zu kommen, hatte mir gefehlt. Das Vorhaben hatte dank Internet einen vielversprechenden Status angenommen. Eine Immobilienmaklerin hatte mir etliche Angebote zusammengestellt und zeitnah Besichtigungstermine nach meiner Rückkehr vereinbart. Ein gutes Omen! Ja, ich hatte eine Menge vor und nichts und niemand hielt mich zukünftig davon ab, auch kein Samuel Grafenberg. Konsequent zog ich mittlerweile meinen Plan durch und vermied jeglichen Kontakt. Jedes Detail aus seinem Leben würde mich nur unnötig quälen. Das Internet wurde in einem solchen Fall zum Fluch. In manchen Nächten hatte ich vor dem Laptop gesessen und schaffte es nicht, die Website des Blue66 oder den Instagram Account zu meiden. Erstaunlich, dass dieser Drang im Laufe der Monate nachließ. Nicht nur einmal klopfte ich mir auf die Schultern, als ich dem unterschwelligen Bedürfnis widerstand, Informationen zu ergattern. Mit seinem Auftauchen kurz vor der Abreise hatte er mir rückblickend extrem zugesetzt. Die Szenerie am Flughafen war mir bis heute in Erinnerung geblieben. In manchen Nächten hörte ich unsere Unterhaltung nachhallen. »Was ist falsch gelaufen? Waren wir zu schwach, zu leichtgläubig?«, hatte er mich gefragt. Nicht einmal nach sechs Monaten fand ich darauf eine schlüssige Antwort. »Ich möchte nicht an die Fehler denken, sondern an das, was gut war und davon gab es eine Menge.« Da widersprach ich ihm nicht. Wir erlebten wundervolle Momente, in denen ich mir sicher war, dass uns nichts auf der Welt mehr trennen könnte. Doch Träume und Realität harmonierten leider nicht immer so, wie man es sich wünscht. »Ich liebe dich, Billy Winkler.« Dem unnahbaren Snob emotional aus der Reserve zu locken, viele Frauen hätten sich den Satz aus Samuels Mund gewünscht. In dieser Deutlichkeit hatte er es mir nur wenige Mal zu verstehen gegeben. Warum gerade direkt vor dem Abflug in eine selbstbeschlossene Flucht? In einer krisengeschüttelten Zeit hatte er sich von dieser Soraya verführen lassen. Selbst ein halbes Jahr später krampfte mein Magen bei der Vorstellung zusammen. Dass er sich in dieser Nacht zugedröhnt hatte, machte es nicht besser. »Gib uns eine Chance. Ich beweise es dir. Ich kann dich jederzeit besuchen …« Es war mir bis heute ein Rätsel, wie mir die vernunftgesteuerten Antworten über die Lippen kamen. Mit dem Andenken an seinen Duft, den zärtlichen Berührungen und dem letzten Blickkontakt quälte ich mich durch viele Wochen. Doch ein zersplittertes Herz lässt sich nicht von einen Tag auf den anderen reparieren. Aktuell konnte ich Samuels Worten, dass auch ein Makel mit Schönheit besetzt sei, nicht zustimmen. Die äußeren Umstände, die zum Aus unserer Beziehung führten, die Machtlosigkeit nicht gegensteuern zu können, entfachte eine übermächtige Wut, sogar noch heute. Allen, die darin involviert waren, wünschte ich die Pest an den Hals. Da ich bewusst einen Nachtflug ausgewählt hatte, fühlte ich mich relativ fit und für die Ankunft gewappnet. Ich streckte meine steifen Glieder und der freundliche Japaner neben mir wünschte mir einen guten Morgen: »Ohayou Gozaimasu.« Nein, ich würde mich niemals auf Samuels letzten Strohhalm einer Theorie, dieses Kintsugi, einlassen. Dafür hatte er mich viel zu sehr verletzt. Langsam erwachten die Mitreisenden und die Stewardessen schoben ihre Essenswagen durch den schmalen Gang. Als kleines Mädchen hegte ich ebenfalls den Berufswunsch, durch die Welt zu fliegen. Zwangsläufig schweiften meine Gedanken zu Kessy, da wir beschlossen hatten gemeinsam den Beruf zu ergreifen. Sofort erfasste mich die immerwährende Traurigkeit. Ich seufzte und sah erneut aus dem Fenster. Vor der Abreise hatte ich meine Eltern besucht und wie jedes Mal führte mich mein Weg zum Friedhof. Der Kies knirschte unter den Sohlen und in dem Augenblick läuteten die Kirchenglocken zum Sonntagsgottesdienst. Mit einem kleinen Engel aus Keramik in der Hand stand ich vor dem liebevoll gepflegten Grab. Warum hört die Trauer nie auf? Ich vermisse dich immer noch … »Billy, schön dass ich dich mal wieder treffe.« Kessys Mutter trat unvermittelt neben mich. Ich zuckte zusammen, als sie mir ihre Hand auf den Arm legte. »Ich hörte, du hast Reisepläne?« »Hallo Frau Schlüter, ja ich gehe für ein paar Monate in die USA.« Ohne darauf zu antworten, zupfte sie die welken Blätter und Blüten von einer der zahlreichen Pflanzen. »Es ist ungerecht, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben«, murmelte sie und kämpfte gegen die Tränen. Die Trauer hatte aus ihr einen anderen Menschen geformt. »Ich bin dir unendlich dankbar, dass du die Umstände aufgeklärt hast.« Sie strich über die Vorderseite der Grabsteinplatte, so als streichle sie die Wange ihrer Tochter. »Es hilft. Die Gewissheit, was mit ihr in den letzten Wochen vor ihrem Tod widerfahren ist, auch wenn es noch so grausam ist, erleichtert.« Ihre Gesichtszüge blieben starr. »Ich verstehe nicht, warum Menschen so abgrundtief böse sind. Aber zumindest besteht jetzt die Möglichkeit, ihm seiner gerechten Strafe zuzuführen.« Das hoffe ich! »Ungewissheit ist ein bedrückender Schmerz.« Dabei dachte ich an die Eltern von Annika, die ebenfalls erst durch die Ereignisse der vergangenen Monate Details über den Tod ihres Kindes erfuhren. Mühsam erhob sie sich und wir schauten uns in die Augen. »Obwohl ich bis heute nicht verstehe, wieso sie sich auf Gedeih und Verderb auf diese Person eingelassen hat.« Die Stimme klang verbittert. »Haben wir als Eltern etwas falsch gemacht?« Ich schüttelte den Kopf. »Sie tragen keine Schuld daran.« Was sollte ich ihr sonst antworten? Die Wahrheit, dass meine Freundin sich in dem strengen und christlich geprägten Elternhaus eingesperrt fühlte und den Wunsch verspürte, dem kleinbürgerlichen Mief zu entkommen? Nein, damit war niemanden gedient. »Ach Billy, ich weiß wir waren unnachsichtig und mein Mann hat mit seinem ausgeprägten Glauben nicht alles richtig gemacht.« »So gesehen trage ich ebenfalls eine Mitschuld. Sie war meine beste Freundin.« Eine Träne löste sich und kullerte das Gesicht herunter. »Aber Kessy wollte sich nicht beschützen lassen.« Sie nahm meine Hand und drückte sie. »Mein kleines Mädchen, lustig, lebensfroh, so bleibt sie mir für ewig in Erinnerung.« Ich kniete mich nieder und platzierte den Engel zwischen zwei Schalen mit Lavendel. Für einen Moment harrten wir schweigend aus. Ich wusste, dass Kessys Mutter seit dem Unglück keine Kirche mehr betrat. Dies hatte zu erheblichen Spannungen in ihrer Ehe geführt. »Was ist das für ein Gott, der das zulässt!«, hatte sie damals vor Schmerz herausgeschrien. »Gütig und gerecht? Nein, das ist eine Lüge.« Damit vertrat sie dieselbe Ansicht wie ich. Ja, wo war er gewesen, der Schöpfer, der auf seine Schäfchen achtete? In der Mittagspause? Nach den vielen Jahren hatten sich die Eltern allerdings arrangiert. Der Vater besuchte den Gottesdienst...