Mai | Geht der Kirche der Glaube aus? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

Mai Geht der Kirche der Glaube aus?

Eine Streitschrift

E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

ISBN: 978-3-374-05307-0
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hat die Kirche über ihr weltliches Engagement den Glauben verloren? Verliert sie sich in Politik? Verpasst sie den Aufbruch, der angesichts von Entchristlichung und Orientierungslosigkeit dringend erforderlich ist? Nie war Kirche notwendiger als heute, nie war sie weniger vorhanden als heute.
Der bekannte Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai zeigt in seinem leidenschaftlichen Essay Fehlentwicklungen in den evangelischen Kirchen auf, aber auch Chancen von Kirche, und ermuntert zur freien Debatte ohne ideologische Scheuklappen. 'Die Welt verändern' – hin zum Guten – ist der Slogan vieler. Aber muss man dafür nicht den Menschen selbst 'verbessern' und die Kirche in eine Art 'Moralagentur' verwandeln? Geht das überhaupt oder will der Mensch nur Gott spielen? In seiner pointierten Zeitgeistkritik plädiert Mai für die Rückbesinnung auf den Glauben. Der droht der Kirche auszugehen, wenn Traditionsabbruch und Missionsverzicht zum Markenzeichen der Protestanten werden. Dieses Buch soll einen Anstoß zur Diskussion über den künftigen Weg der evangelischen Kirche in Deutschland geben.
Mai Geht der Kirche der Glaube aus? jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


GESINNUNG ODER GLAUBE?
Ein Gerücht macht die Runde: Die Gesellschaft sei gespalten, und diese Spaltung vertiefe und diversifiziere sich. Alle Politiker warnen mit tiefbesorgten Mienen davor, alle Journalisten pfeifen es aus ihren Sendeanstalten, klagen in Zeitungen oder Posts über die Atomisierung der Gesellschaft, und von mancher Kanzel tönt die gleiche Litanei. Andere ziehen neue Mauern durchs Land, indem sie den jeweiligen politischen Gegner moralisch zu disqualifizieren suchen. Emotionen werden geschürt, Sachargumente spielen eine immer geringere Rolle. Doch stimmt das Gerücht? Ist die deutsche Gesellschaft wirklich so gespalten? Oder ist die These von der Spaltung nur ein hilfloser Versuch, durch kräftigen Manichäismus den wirklichen Zustand des Landes zu verdecken und damit die eigene Verantwortung auf andere als Sündenböcke abzuwälzen? Falls ja, vergisst man dabei, dass die Böcke selbst nicht sündigten, sondern nur die Sünde trugen – und zwar die der anderen. In vulgo: Die Vorstellung von der Spaltung der Gesellschaft suggeriert, dass zwei Lager existieren, und zwar die Guten und die Bösen, Helldeutschland und Dunkeldeutschland. Aber so einfach ist es nicht, weder mit den zwei Lagern noch mit dem Gutsein oder Bösesein noch mit dem hellen und dem dunklen Deutschland. Vielmehr durchziehen das Land viele Spaltungen, weshalb es inzwischen wie ein aufgeplatztes Sofakissen wirkt. Die Gemeinsamkeiten schwinden, die Bindekräfte, die jede Gesellschaft benötigt, verlieren sich. Christentum, Nation, Kultur könnten solche Bindekräfte sein. Doch sie stehen unter Vorbehalt oder werden abgelehnt. Eine Staatsministerin, die noch dazu für Integration zuständig ist, vermochte keine spezifisch deutsche Kultur jenseits der Sprache zu erkennen. Das wirft die Frage auf, wohinein denn integriert werden soll. Um die Nation, die unbedingt zu überwindende, steht es noch schlimmer. Jedem Versuch, rational über Nation zu sprechen, wird irrational begegnet, indem er als »rechts« denunziert wird. Dabei gibt es wohl kein genuin linkeres Projekt als die Nation, doch dazu später. Bliebe also nur noch das Christentum. Das hat jedoch gerade einen schweren Stand. In dieser Gesellschaft, die ihre Bindekräfte verliert und sich zunehmend »desozialisiert«, agiert Kirche. Die Grundthese der Streitschrift lautet: Nie war die Kirche wichtiger als heute. Und nie war Kirche bedrohter als heute, obwohl ihr an sich alle Wege offenstehen. Doch Teile der verfassten Kirche verwechseln den Zeitgeist mit dem Heiligen Geist und scheinen vergessen zu haben, dass Kirche nicht nur aus ihrer jeweiligen Zeit lebt, sondern aus allen Zeiten und über alle Zeiten hinweg. Die zunächst gute Nachricht ist: Eine Mehrheit der Deutschen befürwortet das Christentum. Doch trübt sich das Bild schnell ein, denn nur eine Minderheit der Deutschen besucht regelmäßig den Gottesdienst. Die Ergebnisse einer Allensbach-Studie im Rahmen der FAZ-Monatsberichte8 zeichnen auf den ersten Blick ein paradoxes Verhältnis der Deutschen zu Christentum und Kirche. Bei näherem Hinsehen stellt sich die Frage, ob sich nicht umgekehrt das Verhältnis der Kirche zum Christentum selbst als paradox, zumindest als zweideutig und daher verwirrend erweist. Es hat den Anschein, dass die Kirche ratlos vor dem Glauben steht, der doch ihr Grund ist – und zwar in doppelter Weise. Erstens bildet er das Fundament, auf dem sie steht, und zweitens ist er zugleich die Ursache dafür, dass es sie gibt. Aber die gesellschaftliche Akzeptanz des Christentums erstreckt sich nicht deckungsgleich auf die Kirche als Institution und auch nicht darauf, den Glauben zu leben. Laut Allensbach sind 63 Prozent der Deutschen der Meinung, dass Deutschland stark vom Christentum geprägt ist, 56 Prozent votieren dafür, dass Deutschland in der Öffentlichkeit stärker zeigen sollte, dass es ein christliches Land ist. 85 Prozent der Befragten lehnen es ab, einen christlichen Feiertag für die Einführung eines islamischen Feiertags zu streichen. Allerdings wird nur in neun Prozent der Haushalte ein Tischgebet gesprochen.9 Einerseits existiert eine Hinwendung zum Religiösen, andererseits findet dieses Interesse am Religiösen nicht in den Kirchen seinen Ort. Schlimmer noch: Dieses Interesse geht an den Kirchen vorbei, Kirche kommt in diesem Zusammenhang kaum mehr vor. Dem Christentum wird zwar eine wichtige Rolle bei der Bewahrung von Identität und Heimat zugesprochen, aber diese Einschätzung bleibt im Nationalen oder Kulturellen stecken und erstreckt sich nicht auf seinen eigentlichen Bereich: auf den Glauben. Christentum und Kirche gehören zwar zusammen, werden aber anscheinend immer weniger als zusammengehörig wahrgenommen, weil der Abstand zwischen dem Christentum als glaubensbasierte Kulturgrundlage und der Kirche als politischem Akteur immer größer wird. Die Pole liegen nicht nur zu weit auseinander, mehr noch, sie streben weiter auseinander. Ist es also so, dass die Kirche von dieser Hinneigung zum Religiösen und von der positiven Einschätzung des Christentums darum nicht zu profitieren vermag, weil sie immer mehr als Teil eines politischen Establishments erfahren wird, das zunehmend auf Kritik und Ablehnung, aber auch auf Enttäuschung und Ratlosigkeit stößt? Wird das Christentum weniger als Religion, denn mehr als bloßer Wertegarant im säkularen Raum gesehen? Als Bewahrer heimatlichen Brauchtums, als Garant für Heimat schlechthin? Immer öfter helfen auf den Dörfern und in den kleinen Städten in Thüringen und in Sachsen auch Atheisten mit, die Ortskirchen zu sanieren. Um dem Christentum diese Rolle zuzusprechen, ist es nicht notwendig, Christ zu sein. Für die Berliner gehört der Fernsehturm zur Heimat, auch wenn die wenigsten Berliner die Kugel des Fernsehturms je besucht haben. Aber was wäre Berlin ohne den Fernsehturm? Es ist nicht entscheidend, dass man von etwas praktischen Gebrauch macht, sondern dass es das eigene Lebensgefühl stützt. Wenn viele Befragte im Christentum den Bewahrer von Heimat und Identität sehen, dann ergäbe sich die Paradoxie, dass genau diejenigen in der Kirche, die einer Politisierung der Kirche das Wort reden, die von den Postulaten der Entgrenzung und Weltoffenheit in einem universalistischen Sinn ausgehen, sich exakt gegen das positionieren, was die Deutschen von einer christlichen Kirche erwarten: Bewahrung des Christlichen statt politisierendes Oberlehrertum. Weltoffenheit wurde immer mehr zu einem Synonym für Heimatlosigkeit. Da Heimat durch Herkunft und Tradition bestimmt wird, müssen Herkunft und Tradition von den neuen Universalisten abgewertet werden. Die Kirche hat sich dem Linksliberalismus als Ideologie geöffnet, der exakt diese Abwertung von Herkunft und Tradition vertritt. Das geschieht in einer Situation, in der Verschiebungen an der gesellschaftlichen Oberfläche zunehmend tektonische Tiefen erreichen und zu ernsthaften Spannungen und Störungen führen. Diese Verwerfungen in der Gesellschaft sind weder mit Rhetorik noch mit Moral zu beheben. Die Lebensweise einer Mehrheit wird infrage gestellt zugunsten von immer neuen alternativen Lebensentwürfen immer neuer Minderheiten, ohne dass gefragt würde, inwieweit sich diese Alternativen auf Dauer bewähren. Dabei sind ein Teil der neuen Minderheiten reine Kunstprodukte, geschaffen in den Laboren der Genderideologen, Kreationen einer neuen Geschlechteralchemie. Die Amerikaner nennen das wag the dog (der Schwanz wedelt mit dem Hund). Dieser Vorgang destabilisiert die Gesellschaft, weil diese immer neuen Minderheiten nichts miteinander verbindet. »Als Folge der seit dem Zweiten Weltkrieg ausgeweiteten Minderheitenschutzbestimmungen ist die Verteidigung der Rechte nationaler Mehrheiten ›weitgehend in einen Bereich außerhalb der akzeptierten normativen Ordnung‹ geraten.«10 Im Gegenzug wird das Christentum immer stärker zum Symbol der Mehrheitsrechte, weil Deutschland christlich geprägt ist und die wichtigsten Feiertage dem Christentum entstammen, wie die Umfrage illustriert. Es drängt sich der Eindruck auf, dass ausgerechnet das Christentum das ist, was bleibt, wenn alles andere aufgebraucht oder zerstört wurde. Darin liegen, so ungewohnt die Betrachtungsweise auch sein mag, Chance und Aufgabe der christlichen Kirchen. Die Bedeutung des Christentums in der spätmodernen Gesellschaft Deutschlands findet sich weitaus stärker in der Kultur als in der Religion. Das muss kein Nachteil sein, denn es führt auch ein Weg über die Kultur zur Religion. Religion kann auch sehr stark und sehr nachhaltig im Kulturellen erfahren werden. Manch einer begegnet erstmalig oder wieder dem Christentum in der Kultur, weil Ersteres das Letztere geprägt hat. Dass es so weit kommen konnte, ist Resultat einer Entwicklung, die zur Krise führt, die zugleich aber auch einen Weg aus der Krise weist. Die starke christliche Prägung steht für 63 Prozent der Befragten für etwas, für das ihnen durch die Hegemonie des Diskurses der Achtundsechziger und Nachachtundsechziger die Begriffe genommen oder tabuisiert wurden: für Nation, für Identität, für Heimat. In einem gesellschaftlichen Zustand, in dem die Lebenswirklichkeit der Mehrheitsgesellschaft nur noch als reaktionärer Widerborst vorkommt und viele Anstrengungen im öffentlichen Raum unternommen werden, eine gewünschte Realität durch einen Journalismus herbeizuschreiben, der nicht mehr der Objektivität, sondern dem Erwünschten verpflichtet ist, setzt Sprachverunsicherung und im nächsten Schritt Sprachverwirrung ein. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Versuchen, Sprache angeblich gendergerecht oder politisch korrekt zu zerstören. Was man damit schafft, ist eine...


Mai, Klaus-Rüdiger
Klaus-Rüdiger Mai, Dr. phil., Jahrgang 1963, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er verfasst historische Romane und Sachbücher – u. a. hat er Biographien über Martin Luther, Albrecht Dürer, Johannes Gutenberg und die Musikerdynastie der Bachs vorgelegt – sowie zeitpolitische Essays ('Lob der Religion' und 'Gehört Luther zu Deutschland'). Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.