Mai | Das verkaufte Glück | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Mai Das verkaufte Glück

Der lange Weg der Schwabenkinder
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-473-47254-3
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der lange Weg der Schwabenkinder

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-473-47254-3
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Armut und Not sind einfach zu groß: Jakob und sein Bruder Kilian müssen wie andere Kinder fort, um auf den Höfen in der Fremde ein wenig Geld und Essen zu verdienen. Ein bewegender Roman über das Schicksal der Schwabenkinder.

Manfred Mai wurde am 15. Mai 1949 in Winterlingen auf der Schwäbischen Alb geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Malerlehre, arbeitete anschließend drei Jahre lang in einer Werkzeugfabrik und musste dann zur Bundeswehr. In dieser Zeit entdeckte er die Welt der Bücher. Er wurde zu einem leidenschaftlichen Leser. Über den zweiten Bildungsweg erlangte Manfred Mai die Hochschulreife, studierte Pädagogik und war anschließend acht Jahre als Lehrer tätig. 1978 erschienen dann seine ersten selbst geschriebenen Texte. Seither kamen ca. 150 Bücher hinzu, die zum Teil in 28 Sprachen übersetzt wurden. Die meisten beschäftigen sich mit dem Zusammen- und Auseinanderleben von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Besonders das Schreiben für Kinder bereitet dem Autor viel Freude. Er möchte ihre Fantasie anregen und wünscht sich, dass seine Bücher sie inspirieren, sich und ihre Umwelt immer wieder neu zu sehen. Heute lebt er mit seiner Frau in Winterlingen.
Mai Das verkaufte Glück jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Durch tiefen Schnee

Es war noch dunkel, als aus etlichen Häusern und Hütten Kinder traten und sich auf den Weg zur Kirche machten. Die meisten wurden vom Vater oder von der Mutter begleitet, einige von beiden.

Hermine Ambross verabschiedete sich noch im Haus von Jakob und Kilian. Sie drückte beide so fest an sich, dass sie ihren dicken Bauch deutlich spürten. „Pass auf deinen Bruder auf“, sagte sie zu Jakob. „Und auf dich auch.“

Jakob nickte stumm.

Franz Ambross hatte die Rucksäcke, die seine Frau aus zwei alten Kartoffelsäcken geschneidert hatte, über die Schulter gehängt und stand schon vor der Tür. „Wir müssen gehen.“

„Behüt euch Gott“, sagte die Mutter, ließ ihre Buben los, drehte sich schnell um und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Jakob und Kilian folgten ihrem Vater zur Kirche. Der fast volle Mond leuchtete am sternklaren Himmel und wies ihnen den Weg. Nach und nach trafen die zwölf Galtürer Kinder, die dieses Jahr ins Schwabenland mussten, vor der Kirche ein. Dort wurden sie von Josef Gruber erwartet. Der große hagere Mann war Mesmer und Totengräber in einem. Er hatte die Kinder aus dem Dorf schon in den vergangenen drei Jahren ins Schwabenland geführt.

Neben ihm stand der Pfarrer. „Ihr habt einen langen Weg vor euch“, sagte er zu den Kindern. „Damit ihn alle schaffen, müsst ihr auf das hören, was der Sepp sagt. Und ihr müsst euch gegenseitig helfen. Das ist ganz wichtig! Und noch etwas: Im Schwabenland gibt’s Leute, die evangelisch sind. Ihr wisst, das sind keine richtigen Christen. Zu solchen Leuten dürft ihr nicht gehen. Ihr dürft nur für gute Katholiken arbeiten und ihr müsst auch im Schwabenland am Sonntag immer in die Kirche …“

Während der Pfarrer redete, kam ein Pferdefuhrwerk angefahren. Auf dem Leiterwagen saßen sechs Kinder aus dem Nachbardorf Tschafein.

„Brrr!“, rief der Fuhrmann und zog an den Zügeln.

Die zwei Pferde blieben stehen und schnaubten.

„Alle auf den Wagen, die mitwollen! Ich fahre euch noch ein Stück weit“, sagte der Fuhrmann.

„Ihr habt ein gutes Herz“, lobte ihn der Pfarrer.

Die Erwachsenen halfen den Kindern auf den Leiterwagen, wo sich alle ein Plätzchen suchten. Es war ziemlich eng, aber durch die Nähe spürten sie die Kälte weniger.

Dann nahm Josef Gruber ein Blatt Papier aus der Tasche und las im Schein einer Laterne die Namen der Kinder vor. „Wer seinen Namen hört, ruft: Hier!“

Achtzehn Kinder standen auf seiner Liste, achtzehn Kinder saßen auf dem Wagen.

Der Mesmer nickte zufrieden, stieg auf und setzte sich neben den Fuhrmann. Der Pfarrer sprach noch ein Gebet und segnete alle. Dann rief der Fuhrmann „Hü!“, lockerte die Zügel und los ging’s.

Die Kinder schauten zurück, einige winkten. Verzweifelte Rufe, leises Schluchzen und lautes Weinen waren zu hören.

„Ich will nicht ins Schwabenland, ich will daheim bleiben“, nuschelte Toni. Er war mit seinen achteinhalb Jahren der Jüngste und Kleinste. Schon wollte er aufstehen und vom Wagen springen.

„Bleib sitzen!“, sagte Anna, packte ihn am Arm und zog ihn zurück auf den Hintern. „Im Schwabenland ist es besser als daheim.“ Das sagte sie so laut, dass es alle hören konnten.

Josef Gruber drehte sich um und stimmte zu: „Anna hat Recht, und deshalb bleiben alle sitzen!“

Anna war zwölf Jahre alt, wirkte jedoch älter. Das lag nicht nur an ihrer Größe, sondern auch an ihrer ernsten Art. Vor drei Jahren war ihr Vater beim Holzfällen von einem Baum erschlagen worden. Seither hatte sich Anna sehr verändert. Nicht nur, dass ihr der Vater fehlte, sie musste auch schon zum zweiten Mal ins Schwabenland, weil es daheim nicht mehr für alle reichte.

Auf dem schneebedeckten Weg wurden die Kinder längst nicht so durchgeschüttelt wie sonst auf einem eisenbereiften Leiterwagen. Das gleichmäßige Holpern und Rütteln war angenehm, und es dauerte nicht lange, bis den Ersten die Augen zufielen.

„Das ist schon mal besser als letztes Jahr“, sagte Xaver. „Da mussten wir von Anfang an laufen.“

Jakob saß zwischen ihm und Kilian und hatte Annas Satz im Ohr: „Im Schwabenland ist es besser als daheim.“ Obwohl Xaver und andere ältere Kinder manchmal vom Schwabenland erzählt hatten, konnte er sich nicht so richtig vorstellen, was ihn dort erwartete. Und bis gestern hatte er sich darüber auch keine Gedanken gemacht. Eines war Jakob allerdings klar: Wenn die Eltern ihn und Kilian ins Schwabenland schickten, musste es dort besser sein als daheim. Sonst hätten sie das doch nicht getan. Mit diesem Gedanken döste er ein.

„Aufwachen und absteigen!“, rief Josef Gruber.

Die Kinder blinzelten im hellen Morgenlicht und gähnten. Einige begriffen nicht gleich, wo sie waren.

„Weiter kann ich nicht fahren“, sagte der Fuhrmann. „Der Weg ist zu schmal. Jetzt müsst ihr zu Fuß weitergehen.“

„Vergelt’s Gott“, sagte der Mesmer.

Die Kinder stiegen vom Wagen, schulterten ihre Rucksäcke und standen um ihn herum. Im Tageslicht sah Josef Gruber nun erst genauer, wen er dabeihatte. Zwei Buben und ein Mädchen waren kaum größer als Toni, der immer noch schniefte.

Ob die den Weg überhaupt schaffen?, fragte er sich. Es ist schlimm, dass man so kleine Kinder schon ins Schwabenland schickt. Wenn ich die nur nicht wieder mit heimnehmen muss.

Ludwig, Franz und Johannes waren mit ihren dreizehn Jahren die Ältesten und Größten. Josef Gruber warf einen Blick auf ihre Schuhe und seufzte. „Neu sind sie nicht gerade“, brummte er. „Ihr drei geht mit mir voraus, damit die Kleinen es in unseren Spuren wenigstens ein bisschen leichter haben.“ Dann wandte er sich an Anna und Xaver. „Ihr zwei geht als Letzte. Und passt mir ja auf, dass keiner hinter euch zurückbleibt! Die andern gehen dazwischen. Und jetzt los, damit wir hier nicht festfrieren! Wenn wir den Weg hinaufgehen, wird euch wärmer.“

Der Zug setzte sich in Bewegung. Jakob, Kilian und Severin gingen mit Xaver und Anna am Schluss. Anfangs stieg der Weg durch einen Wald noch langsam an, doch bald wurde er steiler. Und je höher sie kamen, desto schwerer wurde es, durch den Schnee zu stapfen. Die Größeren nahmen die Kleineren an der Hand und zogen sie mit.

Oben war der Wald lichter. Der Wind pfiff eisig in die Gesichter und durch die Kleidung der Kinder.

„Mich friert“, klagte Toni, der eine zu kurze Hose und nur eine Strickjacke anhatte.

„Mich auch“, sagte Traudl, die in einem dünnen Mäntelchen neben ihm ging und bibberte.

Josef Gruber drehte sich um. „Dann müssen wir schneller gehen, dass der Wind uns nicht so gut erwischt.“

Er zog das Tempo an und die Kleinsten hatten Mühe, ihm und den Großen zu folgen.

„Los, weiter! Nicht schlappmachen!“, trieb Xaver sie an. „Wer zurückbleibt, den fressen die Wölfe!“

Ein paar Kinder blieben stehen und starrten ihn an.

„Gibt’s hier Wölfe?“, fragten sie ängstlich.

„Klar“, antwortete Xaver. „Deswegen müssen wir weitermarschieren, damit wir schnell über den Berg kommen.“

Für einige Zeit vergaßen die Kinder vor Schreck sogar die Kälte und stolperten schneller als zuvor durch den Schnee.

„So hättest du ihnen nicht Angst zu machen brauchen“, flüsterte Anna.

Xaver grinste. „Du siehst doch, wie das wirkt.“

„Ja, schon …“

„Gibt’s hier wirklich Wölfe?“, fragte Kilian leise.

Xaver zog die Schultern hoch. „Mich hat letztes Jahr jedenfalls keiner gefressen.“

Gegen Mittag klagten immer mehr Kinder über Müdigkeit und Hunger.

„Es dauert nicht mehr lang, dann haben wir den Pass geschafft und es geht wieder abwärts“, vertröstete Josef Gruber sie. „Weiter unten bläst der Wind nicht mehr so eisig. Ich kenne da eine Hütte, wo ihr etwas essen und euch ein wenig ausruhen könnt.“

Nach einer knappen Stunde rief Johannes: „Da vorne ist sie!“

Alle freuten sich und liefen schneller, denn die Aussicht auf eine Rast machte die Schritte etwas leichter.

Die Tür war mit Schnee halb zugeweht. Ludwig, Franz und Johannes schaufelten mit den Händen so viel davon weg, bis sie sich endlich öffnen ließ. Innen waren an drei Wänden Bänke angebracht, auf die sich die Kinder setzten. Mitten im Raum gab es eine Feuerstelle, in der noch verkohlte Holzreste lagen. Links neben der Tür waren ein paar Holzscheite gestapelt.

Die Kinder kramten aus ihren Rucksäcken, was die Eltern ihnen zum Essen mitgegeben hatten.

Josef Gruber ermahnte sie: „Ich weiß, dass ihr hungrig seid, aber esst trotzdem langsam, damit ihr mehr davon habt. Und denkt daran, wir sind noch einige Tage unterwegs, an denen ihr auch noch etwas davon braucht.“

„Hast du gehört?“, sagte Jakob zu seinem Bruder, weil der daheim das Essen immer schnell hinunterschlang.

„Ja“, brummte Kilian und kaute extralang auf einem Bissen Brot herum.

„Ich werde ein Feuer machen, damit uns warm wird“, sagte Josef Gruber. Mit einiger Mühe und viel Geschick schaffte er es schließlich. Dann setzte er sich zwischen die Kinder und aß auch etwas. Dabei schaute er sich die Schuhe der Kinder genauer an. „Hm“, sagte er zu Toni, Jakob, Severin und Maria aus Tschafein, „da müssen wir etwas tun, sonst halten die nicht mehr lange.“ Er holte eine Schnur aus seinem Rucksack, schnitt mit dem Taschenmesser mehrere Stücke ab und schnürte die Schuhe...


Mai, Manfred
Manfred Mai wurde am 15. Mai 1949 in Winterlingen auf der Schwäbischen Alb geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Malerlehre, arbeitete anschließend drei Jahre lang in einer Werkzeugfabrik und musste dann zur Bundeswehr. In dieser Zeit entdeckte er die Welt der Bücher. Er wurde zu einem leidenschaftlichen Leser. Über den zweiten Bildungsweg erlangte Manfred Mai die Hochschulreife, studierte Pädagogik und war anschließend acht Jahre als Lehrer tätig. 1978 erschienen dann seine ersten selbst geschriebenen Texte. Seither kamen ca. 150 Bücher hinzu, die zum Teil in 28 Sprachen übersetzt wurden. Die meisten beschäftigen sich mit dem Zusammen- und Auseinanderleben von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Besonders das Schreiben für Kinder bereitet dem Autor viel Freude. Er möchte ihre Fantasie anregen und wünscht sich, dass seine Bücher sie inspirieren, sich und ihre Umwelt immer wieder neu zu sehen. Heute lebt er mit seiner Frau in Winterlingen.

Manfred Mai wurde am 15. Mai 1949 in Winterlingen auf der Schwäbischen Alb geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Malerlehre, arbeitete anschließend drei Jahre lang in einer Werkzeugfabrik und musste dann zur Bundeswehr. In dieser Zeit entdeckte er die Welt der Bücher. Er wurde zu einem leidenschaftlichen Leser. Über den zweiten Bildungsweg erlangte Manfred Mai die Hochschulreife, studierte Pädagogik und war anschließend acht Jahre als Lehrer tätig. 1978 erschienen dann seine ersten selbst geschriebenen Texte. Seither kamen ca. 150 Bücher hinzu, die zum Teil in 28 Sprachen übersetzt wurden. Die meisten beschäftigen sich mit dem Zusammen- und Auseinanderleben von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Besonders das Schreiben für Kinder bereitet dem Autor viel Freude. Er möchte ihre Fantasie anregen und wünscht sich, dass seine Bücher sie inspirieren, sich und ihre Umwelt immer wieder neu zu sehen. Heute lebt er mit seiner Frau in Winterlingen.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.