E-Book, Deutsch, Band 1, 222 Seiten
Reihe: Ella
Mahrt Ella - Zeit der Träume
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-2340-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nordsee-Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 222 Seiten
Reihe: Ella
ISBN: 978-3-8192-2340-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Silke Mahrt studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Braunschweig und Hamburg. Heute lebt, arbeitet und schreibt sie in Bad Oldesloe. Ihre Themen sind starke Frauen und gesellschaftliche Anforderungen, die das Leben jeder Einzelnen prägen. Sie schreibt Harzkrimis mit dem Ermittlerduo Carla Altmann und Tom Steiger. In ihren Nordseeromanen drückt sie ihre Liebe zu ihrer neuen Heimat Schleswig-Holstein aus.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1933
1
Ella wischte sich den Schweiß von der Stirn und stöhnte auf. Am liebsten hätte sie die Forke in die Ecke geschleudert. Diese verdammte Sau. Noch nie hatten sie ein Schwein gemästet, das den Koben so schmutzig machte. Das Stroh war zerwühlt und völlig nass. Selbst die Fressecke war dreckig.
Die Sonne brannte seit Wochen auf das Land, dabei war es erst Anfang Juni. Der Winter war lang und hart gewesen, doch nun war es viel zu warm. Die blöde Sau hatte sich tatsächlich einen Sonnenbrand geholt und musste zurück in den Stall. Und sie musste bei dieser Hitze den Koben säubern. Es stank furchtbar.
Sie warf der Sau ein paar Kartoffelschalen und drei Kohlköpfe vom letzten Jahr in den Trog. Sie waren schon reichlich gammelig, aber für die Sau musste das reichen, bis sie mit der Mutter vom Markt in Husum zurückkam. Wenn sie genug Geld verdienten, konnten sie vielleicht etwas Schrot für das Tier kaufen. Zu allem Überfluss war das Vieh viel zu mager. Die Sau nahm nicht zu, egal, was sie ihr zu fressen gab.
Ella tätschelte der Sau den Rücken, schloss den Koben und stellte Forke und Karre ordentlich an die Seite. Sie verließ den schummrigen Stall und trat in den Hof. Sie kniff die Augen zusammen und stieß sie einen schrillen Pfiff aus. Hasso, der Hofhund, kam sofort um die Ecke geflitzt. Er legte einen Stein vor ihr ab, hielt den Kopf schief und wedelte mit dem Schwanz. Der bunt gescheckte Mischling war erst ein Jahr alt. Freya, die Kaltblutstute, die auf der Koppel hinter dem Gebäude graste und der Ellas Pfiff gegolten hatte, hob noch nicht einmal den Kopf.
Ella hatte ihr den Namen gegeben. Mit einer nordischen Gottheit hatte die Braune wenig gemeinsam, und ihr Vater nannte die Stute einfach ‹Dicke›, doch Ella hatte die Mythen in der Schule geliebt. Sie seufzte. Sie wäre so gerne weiter zur Schule gegangen, aber die Dorfschule endete nach acht Jahren und Geld für die weiterführende Schule in Husum hatte ihr Vater nicht. Alles, was sie über Tiere und Pflanzen wissen musste, konnte er ihr beibringen. Das war jedenfalls seine Meinung.
Hasso leckte ihre Hand und stupste sie an. Sie nahm den Stein und kullerte ihn über den ungepflasterten Hof. Der Hund stürmte hinterher. Kaum hatte er den Stein erreicht, schnappte er danach und brachte ihn zurück. Erwartungsvoll legte er ihn vor ihre Füße. Sie schüttelte den Kopf. Gerne hätte sie weiter mit ihm gespielt, doch dafür war keine Zeit.
Sie trat ans Gatter der Weide und pfiff noch einmal. Freya trotte langsam zum anderen Ende der Koppel.
Blödes Mistvieh. Vater hatte sie gestern bis spät in die Nacht zum Rübenpflanzen angeschirrt. Klar, dass sie lieber in Ruhe auf der Wiese stand und fraß, als schon wieder zu arbeiten. Auch Ella konnte sich viele Dinge vorstellen, die sie an diesem Morgen lieber getan hätte, als mit ihrer Mutter nach Husum zum Markt zu fahren.
Sie warf einen sehnsüchtigen Blick hinunter zum Meer, das in der Morgensonne glitzerte. Schobüll lag auf einer bewaldeten Altmoräne. Kein Deich trennte das Dorf von der Nordsee. Sie waren den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert. Doch nur selten trieb der Sturm die Wassermassen über das Land und brachte guten Dünger für die Felder. Häufiger fegte er den Sand der Dünen in das Landesinnere, viel Sand, den sie im Frühjahr mühsam wieder von den Feldern karren mussten. Es war Flut, die ideale Zeit zum Schwimmen. Einfach eintauchen und die Welt vergessen.
Ella seufzte, griff nach dem Halfter, das am Koppeltor hing und öffnete das Tor. Genug geträumt. Freya und sie mussten arbeiten, ob sie wollten oder nicht.
«Ella, wo bleibst du denn? Wir müssen los, sonst sind die besten Plätze vergeben.»
Ihre Mutter trat aus der reetgedeckten Kate. Sie zog einen Bollerwagen hinter sich her. Darauf stapelten sich Eierkartons, Eimer mit abgewogenen Butterstücken und Pakete mit kräftigem Hofkäse. In der Hand trug sie einen Korb mit den ersten Erdbeeren des Jahres. Eine Stiege mit frischem Kohlrabi schwankte bedrohlich, als ein Rad des Wagens in einer ausgetrockneten Pfütze hängen blieb. Ella lief zu ihr.
«Vorsichtig.» Sie griff nach der Stiege. «Entschuldige, dass ich dir nicht geholfen habe.»
Käthe Dicks schüttelte den Kopf. «Dazu ist es jetzt zu spät. Was hast du überhaupt so lange herumgetrödelt? Ich hätte deine Hilfe gebraucht.»
Ella atmete tief ein und verschluckte die Worte, die ihr auf der Seele lagen. Sie hatte die Hühner gefüttert und war zum Melken auf der Fenne gewesen. Dann hatte sie den Koben der blöden Sau gemistet. Mehr ging nicht. Es war einfach zu viel Arbeit.
«Freya will mal wieder nicht», sagte sie nur und wandte sich ab. Sie schlüpfte durch das Tor und stapfte über die Koppel. Die schwere Stute drehte ihr das Hinterteil zu.
Käthe Dicks trat an den Zaun. Den Bollerwagen ließ sie mitten auf dem Hof stehen. Hasso steckte sofort seine Nase in Richtung Käse.
«Hau ab. Dein Fressen steht im Stall.» Käthe drehte sich um und der Hund kniff den Schwanz ein. «Du hättest früher aufstehen müssen. Heute ist Markttag. Wir brauchen das Geld.»
Sie klang ungewohnt streng. Und müde, erkannte Ella. Sie zog der Stute das Halfter über und zerrte am Strick. Widerwillig setzte sich Freya in Bewegung.
«Nun geh dich schnell waschen. So kannst du nicht zum Markt.» Käthe kam ihr entgegen und nahm ihr die Stute ab. «Ich mache den Leiterwagen fertig. Aber beeil dich. Und bring noch ein paar Gläser Rhabarberkompott mit. Letzte Woche haben wir ganz gut davon verkauft.»
Ella rannte zum Brunnen und zog den Eimer nach oben. Sie klapperte mit den Zähnen, als sie sich das eiskalte Wasser über die verschwitzten Arme goss und kurz ihr Gesicht eintauchte. Zu mehr blieb keine Zeit.
Sie schnüffelte an ihrem Pullover. Puh, sie roch wie die verdammte Sau. So konnte sie unmöglich nach Husum fahren. Sie blickte über den Hof. Freya stand angebunden am Scheunentor. Käthe war nirgendwo zu sehen. Sicher war sie noch im Schuppen und kümmerte sich um den Leiterwagen. Also Zeit genug, um sich umzuziehen. Wer weiß, wem sie in Husum begegnen würde. Sie lächelte. Prinzen gab es nur im Märchen, doch Wunder gab es überall. So predigte es jedenfalls der Pastor sonntags in der Kirche.
Schnell rannte sie ins Haus. Schon im Laufen zog sie den Pullover über den Kopf. Raus aus den Holzpantinen und der dreckigen Arbeitshose. Sie huschte in ihre Kammer, diegleich neben der Küche lag. Es gab kaum Platz für ein Bett und einen Schrank. Doch es war ihr eigenes Reich, ihr Rückzugsort zum Träumen. Auf dem Bett lag eine bunte Flickendecke und auf dem dreibeinigen Tischchen daneben ihre Schätze. Winzige rosafarbene Muscheln, die Feder eines Austernfischers und die Versteinerung eines Seeigels. Ella öffnete die Schranktür, die laute knarrte, und zog den Bügel mit dem geblümten Sommerrock und der hellblauen Bluse aus dem Schrank. Vorsichtig sprühte sie etwas von dem Parfüm, das sie sich im Frühling heimlich in Husum gekauft hatte, unter die Achseln und zog sich an. So musste es gehen. Zeit, ihre Zöpfe neu zu binden, blieb ihr nicht.
Sie stürmte durch die Küche nach draußen.
Käthe hatte inzwischen Freya angeschirrt und die Ware auf der Ladefläche verstaut. Sie saß auf dem Kutschbock und wackelte nervös mit den Beinen.
«Willst du zur Schönheitsschau?» Sie schüttelte den Kopf. «Wir sind sowieso spät dran.»
Ella grinste. «Wenn ich so adrett ausschaue, ist das bestimmt verkaufsfördernd.»
«Es wird nicht mit den Soldaten poussiert, mögen sie noch so schmuck aussehen. Du weißt, was dein Vater davon hält.»
Ella verzog das Gesicht. Wenigstens ein wenig schäkern musste doch erlaubt sein. Seit Husum zur Garnisonsstadt ausgebaut wurde, wimmelte es nur so von jungen Männern in der Stadt. Auch die Angehörigen der SA trafen sich regelmäßig in der Fischerklause am Hafen. Die gefielen ihr allerdings nicht. Sie waren so laut und überheblich. Einige hatten sich einen lächerlichen Schnurrbart wachsen lassen, genau wie der Führer.
Sie kletterte neben ihrer Mutter auf den Kutschbock. Freya setzte sich behäbig in Bewegung. Hasso folgte dem Fuhrwerk, blieb jedoch an der Hofgrenze stehen und bellte. Auf der Chaussee knallte Käthe ein paar Mal mit der Peitsche und endlich fiel Lotte in einen leichten Trab.
Ella schloss die Augen und hielt ihr Gesicht in den Fahrtwind.
Käthe musterte Ella von der Seite. Wie hübsch sie war, in dem luftigen Sommerkleid. Sie war zu einer jungen Frau geworden. Völlig entspannt hatte sie sich zurückgelegt, ein kleiner Speicheltropfen glänzte im Sonnenlicht auf ihren wohlgeformten Lippen. Eine widerspenstige Strähne hatte sich aus ihren blonden Zöpfen gelöst. Doch ihre Hände waren rissig, die Fingernägel abgebrochen und spröde. Seit Erwin den Hof verlassen hatte und nach Amerika ausgewandert war, musste Ella viel zu hart arbeiten. Er hatte einen Weg aus dem Elend gesucht. Sie...




