Mahnkopf | Die Kunst des Komponierens | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 238 Seiten

Mahnkopf Die Kunst des Komponierens

Wie Musik entsteht

E-Book, Deutsch, 238 Seiten

ISBN: 978-3-15-962058-9
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie entsteht Musik? Weder bringen Komponisten zu Papier, was ihnen höhere Mächte zufliegen lassen, noch üben sie ein reines Handwerk aus, dessen Regeln auch Algorithmen übernehmen könnten. Sie antworten auf ein tiefes Grundbedürfnis der Menschen, die Stille mit geordneten Klängen zu füllen. Claus-Steffen Mahnkopf erzählt anschaulich und ohne Notenbeispiele, wie die Musik in die Welt kam und wie neue Musik entsteht. Er räumt auf mit den Klischees von Geniekult und schlichtem Handwerk und zeigt die Vielfalt der Herangehensweisen: Selbst die Zeitgenossen Mozart und Beethoven hatten ein extrem unterschiedliches Kunst- und Selbstverständnis. Und auch Pop und Jazz entstehen ganz anders als »klassische« Werke. Mahnkopf zeigt, wie sich das »Berufsbild« des Komponisten entwickelte, wie musikalischer Fortschritt entsteht und wie eine Musik der Zukunft aussehen könnte. Ein Buch für alle Musikliebhaber, die ihre Leidenschaft besser verstehen möchten.

Claus-Steffen Mahnkopf, geb. 1962 in Mannheim, studierte Komposition, Musiktheorie, Klavier, Musikwissenschaft, Philosophie und Soziologie, u. a. bei Brian Ferneyhough, Klaus Huber und Jürgen Habermas. Er ist seit 2005 Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, Herausgeber der Zeitschrift 'Musik & Ästhetik' und Autor zahlreicher Aufsätze und Bücher. Sein kompositorisches Werk umfasst alle Gattungen und wird regelmäßig von renommierten Klangkörpern und auf großen Festivals aufgeführt.
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Einleitung
Johann Nestroy, der große Mann des Alt-Wiener Volkstheaters, brachte es auf den Punkt: »Kunst ist, wenn man es nicht kann, denn wenn man’s kann, ist’s keine Kunst.« Für das Komponieren, das Erfinden und Aufschreiben von Musik, für das, was Komponistinnen und Komponisten zu Hause am Schreibtisch tun, passt fast die gleiche Beschreibung: Es ist ganz einfach, es lässt sich lernen, studieren, zum Beruf machen, und doch – Komponieren umgibt eine Aura des Geheimnisvollen, des Genialischen, des Zauberhaften, ja des irrational Unerklärbaren. Ich kann nicht zählen, wie häufig ich in meiner Laufbahn als Komponist und Kompositionslehrer von Personen ganz unterschiedlicher kultureller Prägung nicht einfach gefragt wurde, was ich tue, sondern viel grundlegender, ob dieses Tun sich überhaupt lehren und lernen lasse. Ganz so, als ob die Musen die Komponistinnen und Komponisten leiblich küssten und diese einfach nur aufschrieben, was ihnen diktiert würde – ein Geniekult, der lange gepflegt wurde, aber gründlich entrümpelt gehört. Dieses Buch widmet sich auch dieser Aufgabe. Musik ist gleichfalls ein Rätsel. Sie ist, zumindest seit es Lautsprecher gibt, allgegenwärtig, und sie entspringt ganz offenbar einem tiefen menschlichen Bedürfnis nicht nur nach Klang inmitten einer stillen Umgebung, sondern nach jenen so wunderbar organisierten Klängen, deren Zusammenhang wir Musik nennen. Ohne Musik sei das Leben ein Irrtum, meinte einst Nietzsche, heute im globalen Medienzeitalter müsste man sagen: Ein Leben ohne Musik gibt es einfach nicht. Und doch: Dass Musik überhaupt existiert, ist keinesfalls eine ausgemachte Sache der Evolution gewesen. Biologisch bedarf es ihrer nicht. Es reicht, wenn unsere Ohren hören, was sie brauchen: Sprache und das Abbild der Umweltakustik. Dass es so raffinierte Musik gibt wie die, auf deren gigantisches Archiv wir heute zurückgreifen können, ist erst recht nicht selbstverständlich. Die Fachleute wissen, dass hinter der Musik keine Hexerei steckt, es mit rechten, und das heißt: rationalen Dingen zugeht. Dass das Allermeiste erklärbar ist. Und doch: Hören wir Musik, so denken wir nicht daran. Wir genießen oder hören genau hin, wir staunen oder lassen uns überwältigen. Der Titel des Buchs ist angelehnt an den eines berühmten Klassikers, Die Kunst des Liebens von Erich Fromm, der zeigt, dass zwischen dem bloßen Lieben, welches jede und jeder einigermaßen beherrscht, auf der einen Seite und einer ›wahrhaften‹, ausgezeichneten Weise zu lieben auf der anderen ein großer Unterschied liegt; dass, wer eine Kunst erreichen möchte, Übung, Disziplin, Freude und Ernsthaftigkeit aufbringen muss; dass solche Mühe aber umso mehr belohnt wird. Mit der Musik ist es nicht viel anders. Wer ein Instrument schön, das heißt: ausdrucksvoll und fehlerfrei spielen möchte, muss lange üben. Wer Musik verstehen will, muss ein Leben lang zuhören, sich bilden und das Repertoire stetig erweitern. Wer Musik erschaffen will, muss sehr ehrgeizig sein. Ja, das Komponieren kann auch Hobby sein oder auch nur Broterwerb, aber das richtige Komponieren beginnt jenseits davon. Die Kunst des Komponierens heißt also auch: das Komponieren von Kunst. Nicht alle Musik ist Kunst, nicht alles Komponierte ist Kunst. Im allgemeinen Sprachgebrauch, in der offiziellen Terminologie der Tagesschau beispielsweise, hat sich der Ausdruck ›Klassische Musik‹ durchgesetzt. Davon abgesehen, dass die ›Klassik‹ eine Epoche vor bald 250 Jahren war, nicht alle Kunstmusik schon klassischen Rang erlangt hat, ist dieser Begriff unglücklich in der kruden Entgegensetzung von ›klassisch‹ und ›Pop‹. Genauso unglücklich ist die Unterscheidung von ›E‹ und ›U‹, ›Ernster‹ und ›Unterhaltungsmusik‹, mit der die GEMA satzungsgemäß arbeitet. Ich möchte hingegen den Begriff der Kunstmusik stark machen. Kunstmusik ist jede Musik, die mit einem Kunstanspruch auftritt oder identifiziert wird. Dieser Anspruch allerdings ist nicht per definitionem gegeben. Nicht jedes Menuett von Mozart erhebt einen Kunstanspruch, sicherlich nicht sein erstes. Laufen Vivaldis Die vier Jahreszeiten im Kaffeehaus, dann sind sie gerade nicht Kunst, sondern Untermalung. Umgekehrt können Stücke aus dem Bereich Jazz, Rockoper, Intelligent Techno mit einem Kunstanspruch auftreten. In jedem Fall muss geprüft werden, ob zu Recht oder nicht, ob nur angedichtet oder Teil einer Marketingstrategie. Helene Fischer ist »Kunstschaffende« im Sprachgebrauch der Politik und »Künstlerin«, wenn sie beim Singen auch noch Akrobatik vorführt, aber was wir hören, ist keine Kunstmusik. Das Komponieren ist umrankt von zwei Mythen. Mythos eins ist älteren Datums, Mythos zwei jüngeren. Der erste besagt – ich habe ihn bereits angedeutet –, dass Komponieren schlicht unerklärlich sei, nur Genies brächten es zustande, und das auch nur, weil sie von transzendenten Mächten inspiriert würden. Ihnen fliege zu, was sie nur noch aufschreiben müssten. Insofern könne man das Komponieren auch nicht erlernen. Das ist die Sicht derer, die leider zu wenig wissen über den Beruf, das Handwerk, die Könnerschaft des Komponisten. Sie basiert auch darauf, dass der Diskurs der Musik, das Sprechen und Schreiben über sie, genau diesen Geniekult allerorten befördert. Dieser Mythos ist falsch und bedarf der Aufklärung. So schreibt Arthur Honegger: »Die musikalische Komposition ist die geheimnisvollste aller Künste […]. In der Musik ist die Komposition, die Empfängnis des Werkes, ein verborgener Vorgang, geheimnisvoll und unübertragbar. Wie kann man – mit dem besten Willen der Welt – den Schöpfungsvorgang erklären?« Diese Sicht war und ist weit verbreitet. Doch eigentlich lässt sich das heute nicht mehr sagen. Denn selbstverständlich kann man diesen Vorgang beschreiben, analysieren, erklären. Die Komponisten sind sich in dieser Hinsicht heute ihrer selbst viel bewusster als früher, als das auch nicht erwartet wurde. Hinzukommt eine immer intelligentere Wissenschaft. Natürlich scheint der Vorgang ›Liebe auf den ersten Blick‹ unerklärlich, zumindest für die Verliebten; doch die Wissenschaft hat dazu viel zu sagen. Und so auch in der Musik, bei der Komposition, bei der ›Empfängnis von Kunst‹. Der andere Mythos ist das Gegenstück: Hier besteht das Komponieren nur aus Technik, aus Regeln, die so klar sind, dass sie sich in mathematische Algorithmen übertragen lassen. Der Mensch wird dabei überflüssig, der Computer ist es, der nun die Tätigkeit übernimmt – gute Programme vorausgesetzt, geschrieben nicht etwa von Komponisten, sondern von Informatikern, Wissenschaftlern, Technik-Nerds. Dort das göttlich genährte Genie, hier der mit Algorithmen gefütterte Rechner. Beides ist nicht nur falsch, es ist töricht. Geglaubt wird beiderlei, das eine von den romantischen Seelen, das andere von ›coolen‹ Digital Natives. Beide können sich von diesem Buch korrigieren lassen, sofern sie es möchten. Bei dem, was ›Komponieren‹, ›Komposition‹, ›Komponist‹ heißt, ist immer eine geschichtliche und eine systematische Dimension zu unterscheiden. Da diese Begriffe und Phänomene sich erst im Laufe einer Kulturgeschichte entwickelten, spricht nichts dagegen, aus heutiger Sicht einige wesentliche Unterscheidungen bezüglich des Musikmachens zu treffen: Improvisation ist die Erfindung von Musik in Realzeit am Klangkörper (Stimme, Instrument) – ohne Anspruch auf Konservierung in der Zeit. Das Arrangement ist die Bearbeitung bestehender Musik für andere Besetzungen und Kontexte. Die Komposition ist die (schriftliche oder mediale) Fixierung einer Autorenintention mit dem Ziel der Reproduktion. Die Komposition geht auf das Werk (im weitesten Sinne). Es gibt auch das uneigentliche Komponieren, Stilkopie genannt. Im Studium wird beispielsweise gelehrt, eine ›Bach-Fuge‹ zu schreiben. Wenn sie gelingt, ist sie eine Fuge im Bachstil, aber kein Werk mit eigener Intention. Im Komplex ›Komposition/Komponieren/Komponist‹ lassen sich Trennlinien ziehen. Etwa eine zwischen dem Professionellen und dem Dilettanten. Der Profi macht das Komponieren zum Beruf, der Dilettant stößt an seine Grenzen. Aber es gibt Gegenbeispiele: Charles Ives etwa war ein großer Komponist, der als Versicherungsangestellter arbeitete. War Mussorgsky, der auf seine antiakademische Haltung stolz war, ein Profi? Eine andere Linie erstreckt sich zwischen dem ›Genie‹ und den Hobbykomponisten. Über das Erstere wird zu sprechen sein, über den Letzteren nicht. Denn Genie hat zwei Bedeutungen: die exorbitante Begabung und der Genius, dessen schöpferische Kraft. Wieder eine Linie verläuft zwischen dem komponierenden Autor, dem alleingestellten Produzenten, und der Gruppe, die eine Kollektivleistung erbringt. Und eine Zentralachse spannt sich auf zwischen der kompositorischen Aktivität und dem Musiker-Sein in all seinen Facetten. All diese Ebenen und Linien ergeben ein mehrdimensionales Gebäude, in dem manche Darstellung holzschnittartig erscheinen wird. Musik ist heute, das weiß jeder, extrem diversifiziert. Das Musikprogramm Absynth von Native Instruments unterscheidet diese Genres: Avantgarde, Orchestral, Film Music, Electronica, D ’n’ D / Breaks, House, Techno/Electro, Industrial, Dance/Trance, Hip-Hop / Downbeat, Funk/Soul, Reggae/Dub,...


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