Magnusson | Das war ich nicht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Magnusson Das war ich nicht


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-88897-666-7
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-88897-666-7
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Bestimmt gibt es auch eine Zeit für das Privatleben. Frau. Kind. Später. Ich war erst 31. Zwischen dreißig und vierzig muss man brennen.'
Ein junger Banker, auf dem Sprung zur großen Karriere. Eine Literaturübersetzerin, auf der Flucht vor dem schön eingerichteten Leben mit Weinklimaschrank und Salzmühle mit Peugeotmahlwerk. Ein international gefeierter Schriftsteller mit Schreibblockade und Altersangst. Drei Menschen, die sich unversehens in abenteuerlicher Abhängigkeit befinden. Wie konnte es dazu kommen?
Eine Bank, ein Leben ist schnell ruiniert. Das ist das Erschreckende, aber auch das Komische an diesem Roman, der mit großer Leichtigkeit von unheimlichen Zeiten erzählt.

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Auftritt: der Business-Boy. Im selben Tempo wie alle anderen ging er aus der Drehtür, dann wurde er schneller. Er überquerte die LaSalle Street eiligen Schrittes – wie jemand, der in Hitchcock-Manier einen Cameo-Auftritt in einem Film absolvierte und wusste, dass er eigentlich nicht in diese Szene gehörte. Die letzten Meter zum Caribou legte er fast rennend zurück. Als er die Tür erreichte, erhob ich mich, schritt die Treppe von der Galerie hinab, die sich, obwohl sie eine Wendeltreppe war, anfühlte wie eine Showtreppe. Auftritt: Henry LaMarck. Ich hielt auf die Schlange zu, in die er sich eingereiht hatte, stellte mich direkt hinter ihn. Ich starrte auf seinen Hinterkopf, seine Locken, seinen Hemdkragen. Nun musste ich etwas sagen. Warum ist es bloß so laut hier, dachte ich noch, während die Espressomühlen heulten, Milch fauchend aufschäumte, dann hörte ich seine Stimme. »Einen Americano.« Mit europäischem Akzent. Deutsch. Ich konnte doch nicht einfach einen Europäer ansprechen. Bei einem Amerikaner hätte ich es getan, versuchte ich mir noch einzureden. Aber die Wahrheit war: Ich traute mich nicht. Er drehte sich um. Unsere Blicke trafen sich – nur ganz kurz, doch lang genug dafür, dass ich einen Schreck bekam. Die Augenringe, die leicht vorgebeugte Haltung, die auf dem Foto aussah wie feine Melancholie, hatte nun etwas Erschöpftes bekommen. Als hätte er seit Tagen kaum geschlafen. Er stellte sich an die Kaffeeausgabe. Ich bestellte dasselbe wie er. Dann warteten wir gemeinsam auf den Barista, der zusammen mit der Milch die Zeit aufschäumte, bis sie sich unendlich dehnte. Wir standen da, umgeben von diesen Finanztypen, stumm, wie Statisten in einer Kunstperformance, die sich mit dem Thema Business auseinandersetzte. Mein Herz. Plötzlich gefiel mir die Einsamkeit meiner letzten Jahre gar nicht mehr so schlecht. Ich gehörte nicht hierher, ich gehörte in den Walnut Room, gehörte zu Enrique und Val Swanthaler; das war meine Welt, die ich mir nicht ohne Grund gewählt hatte. Für solche Aufregungen war ich zu alt. Ich brauchte mich nur umzudrehen, dann könnte ich gehen. Also drehte ich mich um. Und ging. Kam aber nur drei Schritte weit, als der Barista den ersten Americano ausrief, nach dem der verzweifelte Business-Boy die Hand ausstreckte, doch ich war schneller. »Entschuldigung, Americano?«, sagte er. »Ja.« »Das ist meiner«, sagte er. Genauso hatte ich es mir ausgedacht. »Oh, Entschuldigung. Ich bekomme auch einen, aber Sie sind natürlich … bitte.« »Kleiner Americano«, sagte der Barista noch mal. Meine Szene funktionierte! »Sehen Sie?« Was kam jetzt? Ach ja: »Wo ist hier der Süßstoff?« »Da drüben«, sagte er. Bis hierherzukommen war kein Problem. Das waren die wenigen Sekunden, die ein, zwei freundlichen Sätze, die ein beschäftigter Mann einem Fremden zu geben bereit war. »Sie scheinen sich hier ja gut auszukennen. Arbeiten Sie hier in der Gegend?« »Bei Rutherford & Gold«, sagte er und wies mit dem Kopf Richtung LaSalle Street. »Ach, wirklich? Kann ich Sie etwas fragen?«, sagte ich und holte mein Wall Street Journal heraus, die Seite mit den Stellen, die ich wahllos markiert hatte. Er sah mich an und sagte Ja, eher fragend als ermutigend. »Es ist nur eine kurze Frage, wenn Sie einen Moment, also, ich bin Schriftsteller und …« Das war zugegebenermaßen etwas armselig, aber so hatte ich es nun mal aufgeschrieben. Eigentlich müsste ich Meister im Flirten sein, so viele gute Anmachen wie ich in meinem Leben schon geschrieben hatte, doch dieses kleine Drehbuch war das erste, was ich seit einem Jahr zu Papier gebracht hatte. Ich war aus der Übung. Wie ein Bettler eine von Hand beschriebene Pappe, hielt ich das Wall Street Journal vor meinen Bauch und wollte gerade meinen Namen sagen, da sagte er: »Kenne ich Sie nicht von irgendwoher? Sie sind Henry La- Marck.« Filmriss. Früher im Kino hätte die Leinwand jetzt gleißend weiß geleuchtet, heute, im Zeitalter der Videobeamer, wäre sie wohl blau geworden, mit Worten darauf wie: Kein Signal. »So ein Zufall. Sie sind mein Lieblingsschriftsteller. Unterm Ahorn ist so ein tolles Buch. So intensiv. Wollen wir einen Kaffee trinken?« »Ja«, sagte ich und widerstand dem Impuls, ihn zu umarmen. Ich war auf einen Fan gestoßen. Kein Signal. Er setzte sich an einen Tisch und schob die Sandwichpackungen vorheriger Besucher zur Seite. Ich hatte meinen Americano an der Theke stehen lassen, half ihm trotzdem, Platz zu machen, indem ich die Sandwichpackungen dorthin schob, wo eine dritte Person hätte sitzen können, etwas zu schwungvoll, sodass ein halb gegessenes Roggenbrotsandwich mit Alfalfasprossen auf den Boden fiel. »Das lese ich gerade. Zum zweiten Mal«, sagte er. Er hielt Unterm Ahorn in der Hand. Hätte ich nicht gesessen, ich hätte mich setzen müssen. Mir war nicht aufgefallen, dass er ein Buch bei sich trug, hatte nur auf sein Gesicht geachtet. Ich versuchte ruhig zu bleiben, hielt mich am Wall Street Journal fest und sagte: »Das lesen Sie bestimmt auch, oder?« »Nie. Keine Zeit.« »Ach, wirklich? Ich schreibe einen Roman. Darüber«, sagte ich oder besser, log ich und zeigte auf irgendeine Stelle. »Über dieses …« »Hebelwirkung?«, fragte er. »Ja.« Er sah mich ungläubig an. »Nicht direkt. Das ist eine Metapher.« »Und wofür?« »Das weiß ich noch nicht, deswegen würde es mich freuen, wenn Sie mir das erklären könnten.« Daraufhin sah er mich zwar nicht weniger ungläubig an, schien sich aber darauf einzulassen. »Also, das ist so …«, ich sah ihn an, er fuhr sich durch die Haare, sodass einige Locken sich aus dem Griff des Gels lösten. Er redete, ich lächelte, nickte. Er trug eine schwarze Anzughose, ein tailliert geschnittenes Hemd, keine Krawatte, kein Jackett. Heute war nur der obere Knopf des weißen Hemdes offen, nicht zwei wie auf dem Foto in der Tribune. Mit meinem Nadelstreifenanzug, dem hochgeschlossenen Hemd, der gestreiften Krawatte kam ich mir hoffnungslos overdressed vor. Als auch ich mir durch die Haare fuhr, fiel mir wieder ein, dass sie grau waren – warum hatte ich das bloß getan? Ich sah aus wie ein Rentner, der einen Einkaufsgutschein bei Boss gewonnen hatte. »Und wenn am Verfallstag die Verlustschwelle unterschritten ist …« Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, nickte aber weiter, da ich ihm gerne zunickte. Da saß er nun vor mir und erklärte mir diese Hebelwirkung. Nicken. Lächeln. Nicken. Es war eines dieser Chicagoer Wunder, der Fluss hatte die Richtung gewechselt. Da machte er plötzlich eine wilde Bewegung mit dem Arm. Hatte er Peitsche gesagt? »Wenn ich jetzt ausholen würde, müsste ich nur ein bisschen… so. Eine kleine Bewegung mit der Hand – ein großer Ausschlag mit der Peitsche.« Er zischte durch eine kleine Lücke zwischen seinen Schneidezähnen und zog den in der Schlange wartenden Bankern eins über. »Das ist Hebelwirkung. Mit wenig Kapitaleinsatz kann ich durch Optionen viel gewinnen. Oder alles verlieren. Manche mögen das unmoralisch finden, Zockertum und so. Oder langweilig.« »Ach, wirklich? Aber nein!« »Dabei ist mein Job total intensiv. Wir sind die Rockstars einer jeden Investmentbank. Nur ohne Fans. Die Leute haben keine Ahnung, wie wichtig Märkte sind. Jeder kann doch mal Geld brauchen. Für eine Geschäftsidee, als Kredit für seine Firma oder sein Haus. Wir sorgen dafür, dass das Geld dahin kommt, wo es am produktivsten ist. Wie eine Wasserleitung. Wenn niemand für Druck sorgt, kommt auch nichts, wenn Sie den Hahn aufdrehen.« »Köstlich!«, rief ich und klopfte ihm aufs Knie. Der Business-Boy saß einfach da, weder besonders zugewandt noch abweisend. Trank seinen Kaffee. »Ich bin froh, dass ich endlich jemanden getroffen habe, der sich damit auskennt. Einen echten Profi.« Er hob den Kopf in einer raschen, fast abrupten Bewegung, dann sank sein Blick auf meinen Roman, den er vor sich auf den Tisch gelegt hatte. »Ich würde Sie auch gerne was fragen.« »Ach, wirklich?« »Warum heißt das Buch Unterm Ahorn? Graham Santos sitzt doch die ganze Zeit unter einer Palme.« »Das ist ganz einfach. Weil ich adoptiert bin. Und als ich das Buch schrieb, gerade erfahren hatte, dass meine leiblichen Eltern Maple heißen. Ahorn.« »Maple?« »Ja.« Ich wunderte mich über mich selbst. Ich hatte mich immer geweigert, den Titel zu erklären, was zu wilden Spekulationen über dessen metaphorische Bedeutung geführt hatte, da in dem ganzen Buch alle möglichen Bäume vorkommen, Eichen, Linden, sogar eine Espe, aber kein einziger Ahornbaum. Niemand wusste, dass ich adoptiert war. Nicht, weil ich das so schlimm fand – ich fühlte mich in keinster Weise traumatisiert. Ich wollte einfach keine schlafenden Hunde wecken. Meine leiblichen Eltern wussten nicht, wer mich adoptiert hatte, hatten keine Ahnung davon, was für einen berühmten Künstler sie da zur Welt gebracht hatten. Kurz bevor mein Roman erschien, hatte ich erfahren, wie sie hießen: Hugh und Kiki Maple. Ich hatte das damals in Erfahrung gebracht, weil ich ihnen eigentlich ein Buch schicken wollte. Doch dann bekam ich plötzlich Angst davor, dass irgendwelche Maples bei mir auftauchen und auf Verwandtschaft machen würden – eine Familie war mir mehr als genug. Also meldete ich mich nicht bei ihnen,...


Kristof Magnusson, geboren 1976 in Hamburg, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und lebt als Autor und Übersetzer aus dem Isländischen in Berlin. Seine Komödie 'Männerhort' lief an über 30 Theatern im In- und Ausland, unter anderem in Berlin mit Christoph Maria Herbst und Bastian Pastewka. Sein viel beachteter Debütroman 'Zuhause' (Kunstmann 2005) wurde 2006 mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet.



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