E-Book, Deutsch, 128 Seiten
Themenheft: Gender, Feminismus und queer
E-Book, Deutsch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-7720-0185-7
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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1 Vorgeschichten: Das Neue Testament in Genderdebatten der letzten sieben Jahrhunderte
Querelle des Femmes Vom 14. bis ins 18. Jahrhundert wurde in der christlichen Intellektuellenkultur eine ausgedehnte publizistische Debatte um die Inklusion oder Exklusion von Frauen in den Feldern Politik, Gesellschaft, Kultur und Religion ausgetragen. Beteiligt waren Männer mit oder ohne geistliches Amt und Frauen, die qua Geschlecht vom geistlichen Amt ausgeschlossen waren. Neben anderen Frauen aus der Geschichte spielen in der Querelle des Femmes Frauen der Bibel argumentativ eine wichtige Rolle. Wenn die Bibel von Königinnen und Richterinnen erzählt, ist dann ein Ausschluss von gegenwärtigen Frauen von Spitzenpositionen in Politik, Rechtsprechung und Militärwesen nicht unbegründet? Wenn biblische Frauen als Lehrerinnen auftreten, kann ihnen dann der Zugang zu Bildung beschränkt oder verwehrt werden? Wenn es nicht nur in der griechischen und römischen Antike Dichterinnen gab sondern auch in der Bibel, würden sie nicht auch in der Gegenwart einen Beitrag zur Kultur leisten können? Zeigen nicht die Prophetinnen, dass Frauen auch religiöse Führungsrollen einnehmen können? Oder gibt es mit der Bibel begründbare Geschlechterordnungen und Reglementierungen, die den Ausschluss von Frauen aus einigen oder vielen Handlungsräumen begründen, etwa das neutestamentliche Lehrverbot und das Schweigegebot für Frauen im Gottesdienst? Legt die Bibel eine hierarchische Geschlechterordnung fest oder nahe? Oder gibt es Optionen, die egalitäre Beziehungen favorisieren? Streitpunkt sind Fragen der Gleichheit und Gleichberechtigung der Geschlechter. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe und Mitgestaltung. Die Textgattung der aufzählenden Liste macht Frauen und ihre Leistungen sichtbar und ermöglicht die Bildung von frauenfokussierter Tradition. Genderaspekte in Diskursen um die Kompatibilität von Moderne und Christentum Die Querelle des Femmes wurde in der bürgerlichen und adligen Welt der Vormoderne öffentlich geführt. Auch Theologen waren daran beteiligt, doch auf Lehre und Forschung der Universitätstheologie hatte diese Debatte keinen Einfluss. Das gilt auch für die zweite Debatte, die seit dem 19. Jahrhundert von Akteur*innen geführt wird, die das Christentum teils ablehnen, teils befürworten. Diese Debatte hat keinen Namen und ist auch so gut wie nicht erforscht. Sie bildet einen Teil der Diskurse, die die Identitätskrise des Christentums in der Moderne artikulieren. Die Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts warf die Fragen nach der Vereinbarkeit von Vernunft und Religion, nach dem Wert oder Unwert, nach der Tauglichkeit oder Schädlichkeit von Religion auf. Die Aufklärungstheologie bemühte sich um den Nachweis, dass das Christentum die beste der vorhandenen Religionen sei. Wichtig sind die Behauptungen, das Christentum verfüge über den besten („höchsten“, „reinsten“) Gottesbegriff und die höchststehende Ethik und bringe die wertvollsten Kulturgüter hervor. Bald spielen zusätzliche Fragen eine Rolle: Werden gesellschaftlich benachteiligte Gruppen durch eine Religion gefördert oder beeinträchtigt? Mit welchen Mitteln wird Religion realisiert, aufrechterhalten und verbreitet? In diesem Diskurs tauchen seit Anfang des 19. Jahrhunderts Frauen als kulturelles Argument auf. Die Debatte um das Verhältnis von Christentum und Sklaverei hatte schon vorher begonnen. Später kommen die Fragen hinzu, wie kinderfreundlich, schwarzenfreundlich, behindertenfreundlich – oder, jeweils, -feindlich – das Christentum sei. Die Christentumsapologetik behauptete, dass die Benachteiligung dieser Gruppen im Christentum aufgehoben werde oder dass die benachteiligten Gruppen im Christentum am besten aufgehoben seien. Die Christentumskritik bestritt das. Sie arbeitete dabei oft mit dem Verfahren des historischen Vergleichs und griff dabei auf vorchristliche Kulturen zurück, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts als neue Leitkulturen aufgebaut wurden, in Konkurrenz zum problematisierten Christentum, etwa das antike Griechenland oder die Germanen. Wo der Umgang einer Religion mit Frauen als kulturelles Argument verwendet wurde, lautete die These der Kritiker*innen, dass das Christentum die Freiheit z. B. der griechischen Frau oder das Ansehen der Germanin radikal eingeschränkt und ihre Unterdrückung produziert habe. Diesem Niedergangsmodell stellte die Christentumsapologetik ein Fortschrittsmodell gegenüber. Einig waren sich beide Gruppen darin, dass das Judentum für die Benachteiligung sozialer Gruppen in hohem Maß verantwortlich gemacht werden könne – eine Facette des kulturellen Antisemitismus, die jüdische Gegenreaktionen hervorrief. arallel zu diesen Debatten wurde auch der Umgang des Christentums mit Männern zum Problem. Männer waren zwar nicht als benachteiligte soziale Gruppe zu klassifizieren. Doch behaupteten humanistische und aufklärerische Christentumskritiker, das Christentum habe Männer darin behindert, ihr gesellschaftlich gebrauchtes Potenzial zu entfalten. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beklagten christliche Publizisten, das Christentum sei zu einer Religion geworden, in der Frauen im Mittelpunkt stünden und für Männer kein spiritueller Ort sei, wenn nicht die Feminisierung der Religion gebremst und Männer stärker in den Mittelpunkt gestellt würden. Solche Thesen wurden pro und contra oft pauschal vorgetragen und in aller Regel ohne aufwendige Belege und Begründungen. In vielen Fällen machten sie sich aber auch an einer Figur der christlichen Bibel fest. In der Intellektuellenkultur der westlichen Moderne trat die traditionelle Zuschreibung der Gottessohnschaft an Jesus zurück. Stattdessen wurde und wird er als Mensch idealisiert (oder kritisiert) und als Vorbild für gegenwärtiges Handeln empfohlen (oder in Frage gestellt). Dieser Jesus der Moderne, auf den kulturelle Bedürfnisse jeder Art projiziert werden, ist Reformator oder Revolutionär, er wird vom König zum Proletarier, er ist Philosoph, der erste oder beste Kommunist, Sozialist, Anarchist, Vegetarier, Antisemit, Arier, Esoteriker usw. – oder er ist es nicht und dann für die kulturellen Projekte der Moderne ebenso untauglich wie die Religion, die sich auf ihn bezieht. Dies gilt auch für Genderthemen: Jesus der Frauenfreund oder Frauenbefreier gehört ebenso zu diesen Jesuskonstruktionen der Moderne wie Jesus der Mann oder der neue Mann – und die Gegenteile wie der weltfremde, lebensuntaugliche, unmännliche Jesus Friedrich Nietzsches. An diesen Diskursen waren überwiegend Laien und Laiinnen beteiligt. Geistliche Männer meldeten sich hier selten zu Wort. Die Diskussionen um die Männertauglichkeit des Christentums scheinen bis in die 1970er Jahre nur unter Männern geführt worden zu sein. Debatte um Frauenordination Seit der sukzessiven Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es auch Frauen, die evangelische Theologie studierten. Einige schlossen das Studium mit einer Promotion ab. Für den Zugang zum Pfarramt war ein abgeschlossenes Theologiestudium notwendige Voraussetzung; Theologinnen war dieser Zugang zunächst verwehrt. Seit den 1920er Jahren – ich beschränke mich auf die deutsche Entwicklung – wurde zwischen evangelischen Geistlichen in der Kirchenleitung und in der Universitätstheologie und durch ein Theologiestudium qualifizierten Laiinnen diskutiert, ob Frauen auch pfarramtliche Funktionen ausüben können. Im Pro und Contra um die Frauenordination spielten neutestamentliche Texte eine Rolle: Lehrverbote und Schweigegebote für Frauen und Texte, die eine Unterordnung von Frauen unter Männer thematisieren. Es ging um Fragen der Interpretation, Geltung und Gegenwartsrelevanz der entsprechenden Normen in einigen neutestamentlichen Texten. Der Gang der deutschen Entwicklung zeigt, dass nach 1945 zunächst zögernd, dann verstärkt Frauenordination ermöglicht und bis Mitte der 1970er Jahre auch die rechtliche Gleichstellung mit männlichen Amtsträgern durchgesetzt wurde. Die im Mittelpunkt der Debatte stehenden neutestamentlichen Bezugstexte wurden von den Entscheidungsgremien nicht mehr als Verunmöglichung dieser kirchenrechtlichen Neuregelungen verstanden. Themen, Problemstellungen, Verfahrensweisen und Diskurskonstellationen aus den hier skizzierten Debatten begegnen in der feministischen Exegese seit den 1960er Jahren und den daran anschließenden Entwicklungen zum Teil wieder. Für künftige Forschungen tun sich hier mehrere Forschungsfelder auf: (1) Bibelbezug und Bibelinterpretation in der Querelle des Femmes sind bislang nicht ansatzweise auf einer breiten Quellenbasis systematisch untersucht. Eine solche Untersuchung würde zugleich einen Beitrag zu der schon weit fortgeschrittenen Erforschung der seit der Spätantike belegbaren Bibelauslegung von Frauen leisten. (2) Die Debatten um die behaupteten oder bestrittenen Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen und Männern im Christentum sind angesichts der umfangreichen und komplexen Quellenlage, der bislang nur teilweise untersuchten Geschichtsnarrative und Leitkulturkonstruktionen am besten interdisziplinär zu erforschen. (3) Die Rolle der Bibel in den Debatten um die Frauenordination könnte, was die deutsche Entwicklung angeht, zeitgeschichtlich mit den Rekursen auf die Bibel in theologischen Debatten um die Reform des Familienrechts in den 1950er Jahren korreliert werden und in den größeren internationalen Zusammenhang analoger...