Lundberg | Inbetween - Zwischen Fallen und Fliegen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 244 Seiten

Lundberg Inbetween - Zwischen Fallen und Fliegen


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96089-194-9
Verlag: dead soft verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 244 Seiten

ISBN: 978-3-96089-194-9
Verlag: dead soft verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nachdem der kalte Entzug an Jeriks Seite in einer Katastrophe endete, findet sich Alexej im Krankenhaus wieder. Die Ärzte raten ihm dringend zu einer professionellen Entzugsklinik, aber benommen von Beruhigungsmitteln und mit einer Infusion im Arm, bricht er die Behandlung lieber heute als morgen ab. Denn er ist sich sicher: Er hat die Beziehung zu Jerik endgültig zerstört und ohne ihn wird er den Entzug niemals schaffen. Statt in eine Klinik begibt sich Alexej zurück auf die Straße und hinein in die bittersüße Umarmung von Heroin und fremden Freiern. Sein Leben wird zum Schwebezustand zwischen Fallen und Fliegen. So lange, bis ihm eine unerwartete Begegnung die Augen öffnet. Wird er den Aufprall überstehen?

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II. Akt
  Hamburg, Deutschland, Januar 2013   Das Erste, woran ich dachte, war ein Reh im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Autos. Stocksteif stehend, Panik im Blick, erkennend … begreifend … dass dies das Ende war. Ich wäre in diesem Moment so froh gewesen, hätte ich einfach nie wieder weitergeatmet. Hätte ich einfach weiterschlafen können auf meinem Kissen aus Heroin. Unter meiner schützenden Decke Glückseligkeit. Aber ein Notärzteteam holte mich mit einer verflucht hohen Dosis Naloxon zurück ins Leben. Und plötzlich war ich das Reh im Scheinwerferlicht. Unzählige Menschen standen um mich herum. Ärzte. Junkies. Schaulustige. Fremde. Ich wollte nur, dass sie fortgingen. Dass sie mich alle in Ruhe ließen. Wollte nur zurück in meinen schützenden, weichen Kokon. Aus dem Gewirr von aufgeregten Stimmen filterte ich die des Notarztes heraus, der sich über mich neigte, mir mit einer Lampe mitten in die Augen leuchtete, mich zum panischen Reh machte und mit ärgerlichem Tonfall sagte: »Willkommen zurück. Sie wissen hoffentlich, dass Sie ganz große Scheiße machen und soeben fast gestorben wären.« Ich nickte schwach. Ja, ich wusste das. Es beunruhigte mich nur nicht. Noch nicht. Die Erkenntnis, dass ich beinahe draufgegangen wäre, und der Schock darüber, dass ich in diesem Moment lieber auf der Bahnhofstoilette verreckt wäre, als aus dem Rausch aufzutauchen, kamen erst Stunden später im Krankenhaus. Und sie hatten zur Folge, dass ich mir panisch sämtliche Schläuche aus den Adern riss, ein sprudelndes Blutbad veranstaltete und es drei Pfleger und zwei Oberärzte brauchte, um mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Benebelt von Beruhigungsmitteln dämmerte ich stundenlang vor mich hin. Doch im Gegensatz zum Heroinrausch bewirkten diese Mittel nicht, dass der Schmerz verging. Weder der physische noch der psychische. Ebenso wenig wie die Medikamente die Furcht linderten. Irgendwann – ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und der Funkwecker auf dem Tisch half mir auch nicht weiter – stand plötzlich ein Reh auf meinem Bett. Erstaunt riss ich die Augen auf. Das Reh grinste mich an und entblößte dabei eine Reihe spitzer Reißzähne. In der Hand hielt es ein Fleischerbeil. Ich blinzelte irritiert. Seit wann hatten Rehe Hände? »Du hast ihn zerstört«, erklärte das Reh und kam über die Bettdecke hinweg auf mich zu. »Du hast ihn zerstört. Und dafür werde ich jetzt dich zerstören.« Das Reh hob den Arm. Das Fleischerbeil sauste nieder. Und ich schrie. Schlug um mich, um das tödliche Beil abzuwehren. »Ich will nicht«, brüllte ich dem Vieh entgegen, »ich will nicht sterben!« Doch das Reh hieb immer wieder mit dem Beil auf mich ein. Blut spritzte über die weißen Laken. Schmerzen wüteten überall dort in meinem Körper, wo mich das Beil getroffen hatte. Und ich schrie weiter. Menschen eilten herbei und stürzten sich auf das Reh, doch es gelang ihnen nicht, das mörderische Vieh von mir fortzujagen. Stattdessen hieb es immer weiter auf mich ein. Ein Stechen jagte durch meinen Arm. Das Reh hatte eine Spritze hineingetrieben. »Nein!«, schrie ich aus Leibeskräften. Und dann immer leiser: »Nein … nein … nein …« Und wieder fiel ich. Sanft und still.   ~~~   Dass ich nicht mehr in einem normalen Krankenhauszimmer, sondern in der geschlossenen Psychiatrie lag, begriff ich erst, als ich auf wackligen Beinen durch den Raum wankte und nichts fand, an dem ich mich hätte festhalten können. Kein Tisch, keine Stühle. Nur kahle Wände. Keine Durchgangstür zu einer Toilette, nur die Tür nach draußen. Müde schlossen sich meine Finger um die Klinke, drückten sie hinunter und trafen auf Widerstand. Abgeschlossen. Sekundenlang starrte ich auf meine Hand, die die Türklinke umklammert hielt, unternahm jedoch keinerlei Anstalten, etwas gegen das Eingesperrtsein zu unternehmen. Kein Rütteln an der Tür, kein zorniges Dagegenhämmern. Ich war schlichtweg zu müde, zu ausgelaugt, um mich irgendwie zur Wehr zu setzen. Stattdessen schlich ich auf trägen Sohlen zurück zum Bett und vergrub mich unter der Decke. Mir dämmerte es, dass ich wahrscheinlich Unmengen von Beruhigungsmitteln intus hatte, wenn mich die Erkenntnis, in einer verfluchten Klapse zu sein, so wenig erschütterte – und selbst das berührte mich kaum. Ich hatte schlicht nicht die Kraft, wütend oder panisch zu werden. Ich wollte nicht hinausgehen, mich nicht weiter meinem verkackten Leben stellen. Ich wollte nur hier liegen, gegen das kahle Weiß der Wände starren und hoffen, dass es hier drin kein Heroin gab, das mich weiter in den Abgrund zog. Und gleichsam sehnte ich mich nach nichts mehr, als nach einem nächsten Druck, der die dumpfe Traurigkeit aus meinem Inneren verbannen würde. Und sollte ich dabei draufgehen, es wäre mir egal. Auf einer seltsamen höheren Bewusstseinsebene war mir durchaus klar, dass ich nahe dran gewesen war, an einer Überdosis zu verrecken. Dass ich bereits nicht mehr geatmet hatte und dass mich dieser Umstand erschrecken müsste. Den Wunsch in mir erwecken müsste, endlich von dem Scheißzeug wegzukommen. Aber das Hinübergleiten in den Tod war so sanft, so schwerelos und glückselig gewesen, dass es mich schlichtweg nicht gestört hätte, das Ganze noch einmal zu erleben. Beinahe wünschte ich mir, irgendjemand möge in das Zimmer spazieren, mir eine aufgezogene Spritze hinhalten und mir eine angenehme Reise ins Jenseits wünschen. Die Tür wurde mit einem leisen Klicken entriegelt, aber statt eines Todesengels betraten eine junge Ärztin und ein bärtiger Pfleger den Raum. Der Kerl hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem wütenden Braunbären und ich ahnte, dass er nur mitgekommen war, um mich bei einem möglichen Tobsuchtsanfall in die Laken zu pinnen. Die Vorstellung entlockte mir nicht einmal ein schwaches Lächeln. Ich verfolgte die Bewegungen der Ärztin aus müden Augen, rührte mich jedoch keinen Zentimeter. Ließ es kommentarlos zu, dass sie meine Vitalwerte prüfte und sagte auch nichts, als sie irgendwelche Daten in eine Akte eintrug. »Wie fühlen Sie sich?«, richtete sie irgendwann das Wort an mich. »Müde«, entgegnete ich wahrheitsgetreu. Die Ärztin nickte verstehend, machte sich wieder eine Notiz, ehe sie mich erneut fixierte. »Wissen Sie, weshalb Sie hier sind?« Dieses Mal brachte ich doch ein schiefes Schmunzeln zustande. »Schätze mal, ich war ein bisschen zu drauf.« Die Miene der Ärztin blieb unbewegt, als sie meine Antwort ausführte: »Sie wurden noch auf der Bahnhofstoilette reanimiert und in die Notfallklinik gebracht. Dort haben Sie trotz einer hohen Dosis Tavor begonnen zu halluzinieren. Daher erachteten es meine dortigen Kollegen als die sicherste Alternative, Sie hierher zu verlegen.« Während sie sprach, fühlte sie noch einmal den Puls an meinem Handgelenk. »Und sonst? Haben Sie Schmerzen?« Ich schüttelte den Kopf, spürte dem Ziehen in meinen Gliedern nach. »Gut. Sie sind momentan noch auf eine relativ hohe Dosis Tavor eingestellt, aber wir werden die Dosis herunterregeln. Möglicherweise nehmen Schmerzen und Unwohlsein dann zu.« Über den Rand ihrer Brille hinweg musterte sie mich forschend. »Wie lange konsumieren Sie bereits Heroin?« Das erste Mal, seit sie den Raum betreten hatte, fühlte ich mich in die Ecke gezwängt. Ungewollt versteifte sich mein ganzer Körper. »Ein halbes Jahr vielleicht«, presste ich hervor und richtete mich im Bett auf. Als sei ihre Frage ein heimliches Signal gewesen, weitete sich das Ziehen in meinen Gliedern, das ich bislang auf tiefste Erschöpfung geschoben hatte, zu einem unangenehmen Schmerz aus. Ich biss die Zähne fester zusammen. In meinem Magen rumorte es. »Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, zu entziehen?« Aus meiner Kehle rang sich ein rauer Laut, der entfernt an ein Lachen erinnerte. Auch wenn mir plötzlich sehr viel mehr zum Heulen zumute war. Zu gerne hätte ich die Ärztin gefragt, ob sie mir noch etwas mehr von irgendetwas in den Blutkreislauf pumpen konnte, um das sich zu drehen beginnende Gedankenkarussell abzustellen. »Hab ich bereits getan.« Ihre Brauen schnellten fragend nach oben. »Kalter Entzug?« Ich nickte, ein Schwall Übelkeit presste meinen Magen zusammen und ich verkrampfte die Finger in der Bettdecke. »Es gibt die Möglichkeit eines substitutgestützten Entzuges.« Die Stimme der Ärztin drang an meine Ohren und ich versuchte mich darauf zu konzentrieren und nicht auf das Wüten in meinem Bauch. »Sie stehen dabei unter ständiger ärztlicher Kontrolle und werden medikamentös unterstützt – was selbstverständlich nicht bedeutet, dass die Entgiftung ein Kinderspiel wird.« Ich biss mir von innen auf die Unterlippe und wich dem Blick der Ärztin aus. Dank meiner Besuche in der Suchthilfe waren mir die theoretischen Möglichkeiten hinlänglich bekannt. Die Wahrheit war jedoch, dass mich weniger der Entzug an sich als vielmehr das Leben danach in blanke Panik und Hilflosigkeit versetzte. Ich hatte längst begriffen, dass ich mein Leben gründlich und unwiederbringlich gegen die Wand gefahren hatte. Und ich sah schlichtweg keine Möglichkeit, daran irgendetwas zu ändern.   ~~~   An darauffolgenden Tag kam die Wut zurück. Stundenlang – wenigstens kam es mir vor, als seien...



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