Lukianenko | Wächter des Morgen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 5, 464 Seiten

Reihe: Die Wächter-Romane

Lukianenko Wächter des Morgen

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-10216-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 5, 464 Seiten

Reihe: Die Wächter-Romane

ISBN: 978-3-641-10216-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach den Bestsellern 'Wächter der Nacht', 'Wächter des Tages', 'Wächter des Zwielichts' und 'Wächter der Ewigkeit' nun der Höhepunkt in Sergej Lukianenkos einzigartiger Saga um die 'Anderen' - Vampire, Hexen, Magier, Gestaltwandler -, die seit ewigen Zeiten unerkannt in unserer Mitte leben. Längst ist der Friede zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Dunkelheit zerbrochen, und auf Moskaus Straßen tobt eine unerbittliche Schlacht. Eine Schlacht, von der eine Prophezeiung sagt, dass nur ein junges Mädchen sie entscheiden kann ...

Sergej Lukianenko, 1968 in Kasachstan geboren, studierte in Alma-Ata Medizin, war als Psychiater tätig und lebt nun als freier Schriftsteller in Moskau. Er ist der populärste russische Fantasy- und Science-Fiction-Autor der Gegenwart, seine Romane und Erzählungen wurden mehrfach preisgekrönt. Die Verfilmung von 'Wächter der Nacht' war der erfolgreichste russische Film aller Zeiten.
Lukianenko Wächter des Morgen jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Obersergeant Dima Pastuchow war ein guter Polizist. Sicher, es kam schon einmal vor, dass er einen allzu frechen Besoffenen mit Maßnahmen, die nicht in den Dienstvorschriften vorgesehen waren, zur Besinnung brachte, zum Beispiel mit ein paar kräftigen Kinnhaken oder Tritten. Jedoch immer nur, wenn der Saufbold ernsthaft Widerstand leistete oder sich strikt weigerte, sich in die Ausnüchterungszelle zu begeben. Auch bei ein paar Scheinchen, die ihm irgendein Ukraino oder Schlitzauge ohne Aufenthaltserlaubnis zusteckte, sagte er nicht Nein, schließlich war das Gehalt eines Polizisten derart niedrig, da konnte das Bußgeld dieser Burschen ruhig in seine Taschen wandern. Er hatte auch nichts dagegen, wenn er in einem Imbiss in seinem Revier ein Glas Wasser bestellte  – und einen Kognak bekam. Oder mit einem Hunderter bezahlte  – und einen Tausender Wechselgeld kriegte.

Arbeit war schließlich Arbeit. Dazu war sie zu anstrengend und gefährlich, auch wenn das auf den ersten Blick gar nicht so aussah. O ja, eine gewisse materielle Kompensation hatte er sich da schon ehrlich verdient.

Immerhin knüpfte Dima niemals Prostituierten und kleinen Zuhältern Geld ab. Prinzipiell nicht. Etwas in seiner Erziehung verbot ihm das. Auch Leute, die zwar angetrunken waren, aber noch einigermaßen klar denken konnten, verfrachtete er nicht in die Ausnüchterungszelle. Sobald er aber von einem echten Verbrechen hörte, jagte er vorbehaltlos jeden Dieb, ging jedem auch noch so kleinen Hinweis nach, nahm den Fall (falls die Opfer darauf bestanden) zu Protokoll, ja, er versuchte sogar, sich die Gesichter derjenigen einzuprägen, die zur Fahndung ausgeschrieben waren. Er konnte bereits mehrere Festnahmen verbuchen, darunter einen waschechten Mörder, der zunächst den Liebhaber seiner Frau erstochen hatte, was verzeihlich war, dann die Frau, was verständlich war, dann jedoch mit dem Messer auf den Nachbarn losgegangen war, der ihm von der Affäre seiner Frau berichtet hatte. Der Nachbar, empört über diese Undankbarkeit, hatte sich daraufhin in seiner Wohnung verschanzt und die Polizei gerufen. Pastuchow, der damals Dienst hatte, verhaftete den Mörder, der gerade mit den schwachen, wenn auch blutverschmierten Fäusten eines Intelligenzlers auf die Eisentür einhämmerte, und kämpfte tapfer gegen den Wunsch an, diesen Denunzianten von Nachbarn ins Treppenhaus hinauszuzerren und ihm ordentlich die Fresse zu polieren.

Alles in allem hielt Dima sich also für einen guten Polizisten  – und war damit gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Im Vergleich zu einigen Kollegen nahm er sich tatsächlich angenehm wie ein Bilderbuchmilizionär aus. Zum Beispiel wie Pfeifstengel aus dem alten Roman über Nimmerklug in Sonnenstadt.

Der einzige Fleck in Dimas Dienstbiografie datierte in den Januar des Jahres 1998, als er, damals ein frischgebackener und unerfahrener Polizist, zusammen mit Sergeant Kaminski an der Metrostation »Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft« Streife lief. Kaminski leitete ihn, den jungen Milizionär (ja, damals hießen sie noch so, damals gab es das modische Polizist und das beleidigende Polyp noch nicht) an und war sehr stolz auf diese Rolle. Seine Ratschläge und Tipps zielten jedoch ausschließlich auf die Möglichkeiten, sich problemlos das magere Gehalt aufzubessern. Deshalb stieß Kaminski prompt einen begeisterten Pfiff aus, als sie einen betrunkenen jungen Kerl sahen, der durch die Fußgängerunterführung an der Metro stürmte und dabei sogar noch eine angebrochene Viertelliterflasche billigen Wodkas umklammerte. Kurzerhand hielten die beiden ihn an, überzeugt, von dem Saufkopf gleich einen Fünfziger, wenn nicht gar einen Hunderter zugesteckt zu kriegen.

Nur lief dann irgendwas aus dem Ruder, es kam zu einer Teufelei, die sich einfach nicht erklären ließ. Dieser betrunkene Kerl sah sie mit einem überraschend nüchternen Blick an  – und selbst wenn der Blick nicht nüchtern gewesen war, etwas Schreckliches, etwas Wildes hatte auf alle Fälle in ihm gelegen, etwas, das an einen Hund denken ließ, der schon lange keinem einzigen Menschen mehr vertraute  – und forderte sie auf, sich ebenfalls zu betrinken.

Und sie beide hatten gehorcht. Sie gingen zu einem Kiosk  – denn obwohl bereits die letzten Jahre der chaotischen Jelzin-Ära angebrochen waren, verkaufte man Wodka nach wie vor an jeder Ecke  – und erstanden jeder eine Flasche, wobei sie die ganze Zeit wie wahnsinnig kicherten. Sie bekamen den gleichen billigen Fusel wie dieser Kerl, der ihnen den klugen Rat gegeben hatte. Anschließend kauften sie beide noch eine Flasche. Und danach noch eine.

Drei Stunden später, als sie schon extrem angeheitert waren und nur noch höchst scharfsinnige Bemerkungen von sich gaben, wurden sie von ein paar Kollegen aufgelesen, was letzten Endes ihre Rettung bedeutete: Sie mussten sich zwar eine Standpauke anhören, die sich gewaschen hatte, durften aber in der Miliz bleiben. Seit jenem Tag rührte Kaminski keinen Tropfen Alkohol mehr an und schwor bei allem, was ihm heilig war, der besoffene Kerl müsse ein Hypnotiseur oder Parapsychologe gewesen sein. Pastuchow dagegen verkniff sich jede Spekulation über den Unbekannten  – vergaß ihn jedoch nicht.

Denn auf keinen Fall wollte er ihm noch einmal auf den Leim gehen.

Es mochte an diesem irrsinnigen und peinlichen Besäufnis gelegen haben, vielleicht reiften danach auch ungeahnte Fähigkeiten in ihm heran, jedenfalls fielen ihm schon bald weitere Menschen mit diesen seltsamen Augen auf. Insgeheim unterschied er sie in Wölfe und Hunde.

Im Blick der Wölfe spiegelte sich die ruhige Gelassenheit des Raubtiers, in der nichts Böses lag, denn ein Wolf reißt ein Schaf ohne jede Bosheit, eher aus Liebe. Solche Leute mied Pastuchow, wobei er penibel darauf achtete, ihnen nicht aufzufallen.

In den Augen der Hunde, die sich gut mit besagtem jungem Säufer vergleichen ließen, las er mal ein Schuldgefühl, mal Sorge oder Trauer. Das Einzige, was Pastuchow an diesen Menschen beunruhigte, war die Tatsache, dass Hunde mit einem solchen Blick nicht ihren Herrn, sondern bestenfalls die Kinder ihres Herrn ansehen. Deshalb mied er auch sie.

Was ihm über lange Jahre auch gelang.

Wenn Kinder die Blumen des Lebens sind, dann war dieser Junge ein blühender Kaktus.

Kaum betrat er den Terminal D des Flughafens Scheremetjewo, fing er an, laut zu plärren. Seine Mutter, vor Wut und Scham bereits knallrot  – anscheinend gab ihr Sohnemann nicht das erste Heulkonzert an diesem Tag  –, zerrte ihn an der Hand hinter sich her, während der Junge bockte, sich mit beiden Beinen gegen den Boden stemmte und schrie: »Ich will nicht! Ich will nicht in dieses Flugzeug! Mama, bitte nicht! Mama, ich will nicht! Mama, das Flugzeug stürzt ab!«

Prompt ließ die Mutter ihn los, und der Junge fiel zu Boden, wo er einfach hocken blieb: ein dickes, verheultes, hässliches Kind von etwa zehn Jahren, das etwas leichter angezogen war, als es sich selbst im Juni in Moskau empfahl. Offenbar wollten die beiden in den Süden fliegen.

Zwanzig Meter von ihnen entfernt reckte sich an einem Tisch im Flughafencafé ein Mann auf seinem Stuhl etwas vor, wobei er beinahe ein noch nicht geleertes Glas Bier umgerissen hätte. Einen ausgedehnten Moment lang betrachtete er den Jungen und seine Mutter, die auf ihn einredete. Dann ließ er sich wieder gegen die Lehne zurücksacken. »Alles, nur das nicht!«, murmelte er. »Was für ein Albtraum!«

»Ganz Ihrer Meinung«, pflichtete ihm die junge Frau bei, die ihm gegenübersaß. Sie stellte ihre Kaffeetasse ab und bedachte das Kind mit einem angewiderten Blick. »Ich würde sogar sagen: regelrecht ekelhaft.«

»Ekelhaft, das trifft es wohl nicht ganz«, erwiderte der Mann sanft. »Aber es ist schrecklich … ohne jede Frage.«

»Ich persönlich …«, setzte die Frau an, verstummte dann aber, als sie bemerkte, dass der Mann ihr nicht zuhörte.

Der holte gerade sein Handy heraus und wählte. »Ich brauche eine Intervention ersten Grades«, verlangte er leise. »Notfalls auch zweiten. Nein, das ist kein Scherz. Dann lasst euch was einfallen!«

Er beendete das Gespräch und sah die Frau an. »Tut mir leid, das konnte nicht warten«, wandte er sich an sie. »Was haben Sie gesagt?«

»Ich persönlich bevorzuge ja ein Childfree-Leben«, erklärte die Frau in provozierendem Ton.

»Sie haben keine Kinder? Weil Sie keine bekommen können?«

»Das ist ein weit verbreiteter Irrtum!«, entgegnete sie. »Nein, wir Childfree-Menschen sind gegen Kinder, weil sie einen unterjochen. Deshalb muss man sich entscheiden, ob man als freier und stolzer Mensch lebt oder sich damit begnügt, lediglich ein Rädchen im Reproduktionsmechanismus der Bevölkerung zu sein!«

»Mhm«, brummte der Mann. »Tut mir leid … ich hatte angenommen, es sei ein körperliches Problem. In dem Fall hätte ich Ihnen eine gute Ärztin empfehlen können. Aber Sex lassen Sie gelten?«

»Selbstverständlich!«, antwortete die Frau lächelnd. »Wir sind ja schließlich keine asexuellen Wesen, oder? Sex gehört zum Eheleben, er ist eine gute und normale Sache. Aber … sich mit diesen brüllenden Quälgeistern …«

»… mit diesen Dreckspatzen«, fiel ihr der Mann ins Wort. »Ständig machen sie alles schmutzig. Und am Anfang können sie sich noch nicht mal allein den Hintern abwischen.«

»Völlig richtig!«, bestätigte die Frau. »Dreckspatzen, das sind sie! Die besten Jahre gibt...


Lukianenko, Sergej
Sergej Lukianenko, 1968 in Kasachstan geboren, studierte in Alma-Ata Medizin, war als Psychiater tätig und lebt nun als freier Schriftsteller in Moskau. Er ist der populärste russische Fantasy- und Science-Fiction-Autor der Gegenwart, seine Romane und Erzählungen wurden mehrfach preisgekrönt. Die Verfilmung von "Wächter der Nacht" war der erfolgreichste russische Film aller Zeiten.

Pöhlmann, Christiane
Christiane Pöhlmann (*1968) studierte Russisch und Italienisch an der Humboldt-Universität und übersetzt Klassiker, moderne Prosa sowie Kinder- und Jugendliteratur. Als Literaturkritikerin schreibt sie für die FAZ.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.