E-Book, Deutsch, Band 6273, 177 Seiten
Reihe: Beck Paperback
Lüders Die den Sturm ernten
5. Auflage 2018
ISBN: 978-3-406-72093-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte
E-Book, Deutsch, Band 6273, 177 Seiten
Reihe: Beck Paperback
ISBN: 978-3-406-72093-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wo liegen die Wurzeln der syrischen Katastrophe? Das gängige Bild sieht die Schuld einseitig bei Assad und seinen Verbündeten, insbesondere Russland. Dass auch der Westen einen erheblichen Anteil an Mitschuld trägt, ist kaum zu hören oder zu lesen. Michael Lüders erzählt den fehlenden Teil der Geschichte, der alles in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Anhand von freigegebenen Geheimdienstdokumenten und geleakten Emails von Entscheidungsträgern zeigt er, wie und warum die USA und ihre Verbündeten seit Beginn der Revolte ausgerechnet Dschihadisten mit Waffen beliefern - in einem Umfang wie seit dem Ende des Vietnamkrieges nicht mehr. Dadurch haben sie die innersyrische Gewalt ebenso befeuert wie auch den Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. Eindringlich beschreibt Lüders, wie insbesondere Washington schon seit langem nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, das Assad-Regime zu stürzen. Dabei behandelt er auch frühere amerikanische Putschversuche in Syrien in den 1940er und 1950er Jahren, die fehlschlugen und erklären, warum sich Damaskus der Sowjetunion zuwandte. Die Kehrseite dieser Politik des Regimewechsels erlebt gegenwärtig vor allem Europa: mit der Flüchtlingskrise und einer erhöhten Terrorgefahr durch radikale Islamisten.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;177
4;Über den Autor;177
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;Zitate;7
8;Widmung;8
9;Vorwort;9
10;Die CIA lernt laufen in der Wüste: Die Putschversuche (nicht allein) in Syrien seit 1949;15
11;Vorsicht, fette Katzen: Araber und Syrer suchen die Freiheit und finden sie nicht;41
12;Kein richtiges Leben im falschen: Baschar al-Assad setzt auf Gewalt;55
13;«Oh mein Gott!»: Was eine Pipeline, Ghaddafis Waffen und Hillary Clinton mit Assad zu tun haben;67
14;Unter Räubern: Die Amerikaner glauben an «gute» Dschihadisten;93
15;Chemiewaffen in Syrien: Wre Washington beinahe Aufständischen auf den Leim gegangen?;113
16;Der Konflikt weitet sich aus: Die Assad-Gegner verlieren die Kontrolle – vor allem in der Türkei;127
17;Der Kampf um Aleppo: Das Regime festigt seine Macht;151
18;Was tun? Ein Ausblick;163
19;Anmerkungen;171
20;Karte;176
Die CIA lernt laufen in der Wüste: Die Putschversuche (nicht allein) in Syrien seit 1949
Die ersten US-Amerikaner, die sich für den Nahen Osten interessierten, waren protestantische Missionare. Seit dem frühen 19. Jahrhundert reisten sie von Neuengland aus ins «Heilige Land», um dort «Mohammedaner» zum Christentum zu bekehren. Mit wenig bis gar keinem Erfolg, doch betrieben diese Evangelisten zahlreiche Schulen und Bildungseinrichtungen. So auch das «Syrische Protestanten-Kolleg» in Beirut. Sein Begründer war 1866 Daniel Bliss, ein archetypischer Fürchtegott mit Rauschebart und schwarzem Anzug als zweiter Haut, fast eine Romangestalt. Aus diesem Kolleg wurde später die «Amerikanische Universität Beirut», deren Haupteingang an der Bliss-Straße im trendigen Viertel Ras Beirut liegt. Ihr Ableger ist die «Amerikanische Universität Kairo», die beide bis heute führende Bildungsstätten sind. Unter den Arabern waren diese Amerikaner meist gut gelitten. Anders als Briten und Franzosen verfolgten sie keine kolonialen Interessen. Im Gegensatz zu den Kolonialbeamten entwickelten einige Missionare Respekt und Sympathie für arabische und islamische Kulturen. Bliss führte sogar Arabisch als Unterrichtssprache ein, mithin die Sprache der Kameltreiber, was Franzosen und Briten mit Kopfschütteln quittiert haben dürften. Ironischerweise wurden beide Universitäten zu Geburtsstätten und, in den 1950er und 1960er Jahren, zu Hochburgen des arabischen Nationalismus, eines entschiedenen Widersachers amerikanischer Hegemonie. Bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren die USA für die meisten Araber ein Hort der Verheißung geblieben. Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programm, in dem der US-Präsident 1918 eine neue internationale Friedensordnung umriss, stieß auf große Zustimmung. Sie verstanden es als Versprechen arabischer Selbstbestimmung, das Wilson aber nicht gegeben hatte. Wohl hatte er sich gegen das Osmanische Reich ausgesprochen, aber keineswegs gegen die europäischen Kolonialmächte. Ernüchterung war die Folge. Wirtschaftlich und politisch wurde der Nahe Osten für die USA erst relevant, als dort, nach 1915, die ersten großen Erdölvorkommen außerhalb Irans entdeckt wurden, vor allem in den heutigen Golfstaaten und im Irak. Geheimdienstlich betätigten sich die Amerikaner im arabischen Raum erstmals im Zweiten Weltkrieg. Die ersten Spione dort hatten entweder biographische Wurzeln in der Region, fühlten sich vom Orient angezogen oder suchten das Abenteuer. Als ihr maßgeblicher Pionier wird William A. Eddy (1896–1962) angesehen, Sohn einer presbyterianischen Missionarsfamilie, der im Libanon aufgewachsen war und fließend Arabisch sprach. Er hatte in den 1930er Jahren wesentlichen Anteil an den Verhandlungen amerikanischer Ölfirmen mit dem saudischen Königshaus, die das bis heute gültige «Geschäftsmodell» begründeten: US-Gesellschaften erhalten exklusive Verträge, im Gegenzug garantieren die USA die Sicherheit Saudi-Arabiens. Im Februar 1945 diente Eddy beim Treffen zwischen Präsident Roosevelt und dem saudischen König Abdulasis Ibn Saud an Bord eines Kriegsschiffes im Großen Bittersee bei Kairo als Übersetzer. Jene frühen «informellen» US-Agenten im Nahen Osten verkehrten wie selbstverständlich in den akademischen und politischen Kreisen der amerikanischen Ostküste, wo ihre Meinung gefragt war. Für heutige Verhältnisse gewiss ungewöhnlich dienten sie vielfach als Kulturvermittler, gleichzeitig galten sie als mutige Wegbereiter und Pioniere. Unter den politischen Eliten Washingtons gab es nicht wenige, die dem Orient romantisch huldigten. Der protestantisch geprägte (und zeitweise von der CIA mitfinanzierte) Interessensverband «The American Friends of the Middle East» verfügte im Außenministerium über großen Einfluss. Dort waren sie als «Arabisten» bekannt. Sie waren entschiedene Gegner des Zionismus, sahen die zu erwartenden Spannungen zwischen Israel und den Arabern voraus und wendeten sich gegen eine zu einseitige Ausrichtung amerikanischer Politik zugunsten des jüdischen Staates. Präsident Truman war ihnen anfangs zugetan, änderte aber seine Haltung im Wahljahr 1948: «Ich muss auf Hunderttausende Rücksicht nehmen, die den Erfolg des Zionismus wünschen. Unter meinen Wählern befinden sich nicht hunderttausende arabische Wähler.»[4] Bereits wenige Minuten nach seiner Proklamation am 15. Mai 1948 erkannten die USA den Staat Israel an. Bis Mitte der 1950er Jahre verloren die «Arabisten» ihren Einfluss sukzessive an die entstehende Israel-Lobby, stets begleitet von Antisemitismus-Vorwürfen. Die bei weitem wichtigsten US-Spione jener Zeit im Nahen Osten, die gleichzeitig in Washington auf höchster Ebene Gehör fanden, waren Kermit «Kim» Roosevelt (1916–2000) und, politisch weniger gut vernetzt und in der Hierarchie stets unter ihm, dessen Cousin Archibald B. Roosevelt (1918–1990). Beide waren Enkel von Präsident Theodore Roosevelt. Archibald hasste den Kommunismus und sah im Nahen Osten eine wichtige Frontlinie im verdeckt geführten Kampf gegen die Sowjetunion. Kermit dagegen, ein wichtiger Vertreter der «Arabisten», war ein romantisierender Orient-Liebhaber. Das hinderte den Harvard-Absolventen allerdings nicht daran, verheerende Entwicklungen in der Region einzuleiten, die bis heute fortwirken. Er war der Mastermind des von britischen und US-Agenten gemeinsam inszenierten Putsches gegen den demokratisch gewählten iranischen Premierminister Mossadegh 1953, der zwei Jahre zuvor die iranische Erdölindustrie verstaatlicht hatte.[5] Der Staatsstreich verhalf dem Schah an die Macht, dessen im Volk verhasste, von den USA und Israel maßgeblich unterstütze Diktatur 1979 von der Islamischen Revolution hinweggefegt wurde – die zeitversetzte, radikale Antwort auf den Putsch von 1953. Dieser und der ein Jahr später, 1954, in Guatemala durchgeführte Coup gegen einen gleichfalls demokratisch gewählten Präsidenten lieferten der CIA die logistischen und organisatorischen Blaupausen für zahlreiche weitere Putsche weltweit. Auf die Intervention in Guatemala folgte ein 40 Jahre währender Bürgerkrieg mit 200.000 Toten.[6] Die Konfrontation mit dem Iran setzt sich bis heute fort, nicht zuletzt in Syrien. Auch hier geht die Zahl der Toten in die Hunderttausende. Ein wahres Feuerwerk an Intrigen und Verrat
Nominell gehörten Nordafrika und der Nahe Osten im 19. Jahrhundert zum Osmanischen Reich. In Wirklichkeit kontrollierten Großbritannien und Frankreich weite Teile der Region. Im Rahmen des geheimen Sykes-Picot-Abkommens, benannt nach den beiden britischen und französischen Unterhändlern, teilten London und Paris den Nahen Osten 1916 unter sich auf, in Erwartung eines Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches. Dabei wurden die heutigen Staatsgrenzen weitgehend festgelegt, überwiegend mit Hilfe des Lineals, ohne Berücksichtigung gegebener ethnischer oder religiöser Verhältnisse und selbstverständlich ohne Rücksprache mit der einheimischen Bevölkerung. Die Nachkriegs-Konferenz von San Remo besiegelte 1920 diese koloniale Neuordnung. Um jeden Preis sollte ein großarabisches Reich verhindert werden, das zuvor allerdings arabischen Stammesführern in Aussicht gestellt worden war, als Belohnung für ihren Kampf gegen das Osmanische Reich. Teile und herrsche, diesem Ziel diente auch die britische Balfour-Deklaration 1917, die den Juden eine «nationale Heimstätte» in Palästina versprach. Die Franzosen sicherten sich das heutige Syrien und den Libanon, die Briten den Irak, Jordanien und Palästina. Die neue Ressource Erdöl spielte bei diesen Plänen ebenfalls eine wichtige Rolle. Mit Blick auf ihre Interessen im Iran, wo die Briten seit 1908 Förderstätten unterhielten, erschien London die Kontrolle des Irak unerlässlich. Auch die dort und am Persischen Golf vermuteten oder neu entdeckten Explorationsstätten weckten Begehrlichkeiten. Ursprünglich hatte sich Frankreich die erdölreiche Region um Kirkuk im Norden Iraks gesichert, verzichtete dann aber auf seine Ansprüche zugunsten Großbritanniens und erhielt im Gegenzug einen Löwenanteil der neu entstandenen «Iraq Petroleum Company». Gleichzeitig erklärte London 1919 Kuweit zu einem eigenen Protektorat, das ursprünglich Teil der irakischen Provinz Basra war. Die Spielregeln gleichen sich, damals wie heute: Die Briten sorgten dafür, dass sich der Clan der...