Ludlum Der Prometheus-Verrat
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-07203-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 624 Seiten
ISBN: 978-3-641-07203-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Robert Ludlum erreichte mit seinen Romanen, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, weltweit eine Auflage von über 300 Millionen Exemplaren. Robert Ludlum verstarb im März 2001. Sein Werk wird von handverlesenen Thriller-Autoren in seinem Geiste fortgeführt.
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Prolog
Karthago, Tunesien
3:22 Uhr
Unablässig stürzte sintflutartiger Regen herab und angepeitscht von heulenden Sturmböen donnerte die Brandung an den Strand, ein anhaltendes Dröhnen in schwarzer Nacht. Im flacheren Wasser nahe dem Ufer wippten etliche dunkle Gestalten in den Wellen, die sich an ihren wasserdichten Packsäcken festgeklammerten wie Schiffbrüchige an Wrackteilen. Das Unwetter hatte die Männer überrascht, aber es kam ihnen gelegen. Eine bessere Deckung hätten sie sich nicht wünschen können.
Am Strand blinkte zweimal ein roter Lichtpunkt auf, das verabredete Zeichen des Vorauskommandos, mit dem es signalisierte, dass die Männer sicher an Land kommen konnten. Sicher! Was hatte das schon zu bedeuten? Dass die Garde Nationale diesen Küstenabschnitt weniger gründlich kontrollierte? Doch die tunesische Küstenwache war bei weitem nicht so bedrohlich wie diese Naturattacke.
Hin und her geworfen von den sich brechenden Wellen, strebten die Männer auf das Ufer zu und stiegen schließlich vor den Ruinen der antiken punischen Hafenanlage aus dem Wasser. Sie streiften die schwarzen Neoprenanzüge ab, unter denen wiederum schwarze Kleidung und geschwärzte Gesichter zum Vorschein kamen. Aus den Packsäcken holten sie ihre Waffen: Heckler & Koch MP-10 Maschinenpistolen, Kalaschnikows und Präzisionsgewehre. Nach einer Weile hatte schließlich auch der Letzte der Männer den Strand erreicht.
Die Aktion war von einem Mann koordiniert worden, der sie während der vergangenen Monate bis zur Erschöpfung gedrillt hatte. Sie waren Tunesier, Al-Nahda-Kämpfer, die sich zum Ziel gesteckt hatten, ihr Land von den Unterdrückern zu befreien. Ihre Anführer aber waren Ausländer, Mitglieder eines kleinen Elitekaders aus Kämpfern vom radikalsten Flügel der Hisbollah. Diese gut ausgebildeten Freischärler waren selbst gläubige Muslime.
Der Anführer dieses Kaders und der fünfzig oder mehr Tunesier war ein unter dem Namen Abu bekannter Terrorist. Gelegentlich wurde er auch bei seinem vollen Decknamen genannt: Abu Intiquab. Vater der Rache.
In aller Heimlichkeit hatte Abu die Al-Nahda-Kämpfer in einem libyschen Camp bei Zuara ausgebildet. Sie hatten sich an einem Eins-zu-eins-Modell des Präsidentenpalastes in Kampftaktiken geübt, die brutaler und heimtückischer waren als alles bisher Dagewesene.
Vor nicht einmal dreißig Stunden waren die Männer im Hafen von Zuara an Bord eines in Russland gebauten 5000-Tonnen-Frachters gestiegen, mit dem normalerweise tunesische Textilien und Ware aus Libyen zwischen Tripolis und Binzert in Tunesien hin- und hergeschifft wurden. Der robuste, aber mittlerweile stark lädierte alte Frachter war in nordnordwestlicher Richtung an Tunesiens Küste entlanggefahren, vorbei an den Städten Sfax und Soussa, war dann um das Cap Bon gebogen und gleich hinter dem Marinestützpunkt La Goulette in die Bucht von Tunis gelangt. Um den Booten der Küstenwache nicht in die Quere zu kommen, hatten die Männer fünf Seemeilen vor Karthago Anker gesetzt und Schlauchboote mit kräftigen Außenbordmotoren zu Wasser gelassen. In nur wenigen Minuten hatten sie die Brandung vor Karthago erreicht, jener einstmals so mächtigen phönizischen Stadt, die im fünften Jahrhundert v. Chr. die große Rivalin Roms gewesen war. Auf dem Radarschirm der Küstenwache wäre bloß ein Frachter zu sehen gewesen, der unterwegs nach Binzert eine kurze Pause einlegt.
Der Mann, der das rote Lichtsignal gegeben hatte, fluchte und kommandierte die Männer in einem Tonfall, der keinen Zweifel an seiner Autorität aufkommen ließ. Er hatte einen Vollbart und trug einen Anorak aus Armeebeständen, dessen Kapuze über seine Keffise gezogen war. Abu.
»Ruhe! Seid leise! Oder wollt ihr vielleicht die ganze verdammte Garde am Hals haben? Beeilung! Ein bisschen schneller, ihr lahmen Säcke! Während ihr hier herumtrödelt, schmort euer Anführer im Gefängnis. Die Trucks warten.«
Neben ihm stand ein Mann, der angestrengt durch ein Nachtsichtgerät spähte. Ihn, den Munitionsexperten der Hisbollah, kannten die Tunesier nur als den Techniker. Er sah gut aus, hatte einen hellbraunen Teint, buschige Brauen und glänzend braune Augen. Den Männern war er noch weniger bekannt als Abu, dem er als Berater zur Seite stand. Gerüchten nach war er der Sohn wohlhabender syrischer Eltern, in Damaskus aufgewachsen und in London zum Waffen- und Sprengstoffspezialisten ausgebildet worden.
Um sich vor dem peitschenden Regen zu schützen, zog der Techniker die Kopfbedeckung seiner schwarzen, wasserdichten Montur tiefer ins Gesicht. Endlich machte er den Mund auf. Seine Stimme klang ruhig und beherrscht.
»Ich zögere noch, es zu sagen, aber die Operation läuft bislang glatt, mein Bruder. Die mit dem matériel beladenen Trucks sind, wie verabredet, getarnt, und die Soldaten haben die kurze Strecke über die Avenue Habib Borguiga ungehindert zurücklegen können. Die Vorhut hat uns soeben über Funk mitgeteilt, dass sie den Präsidentenpalast erreicht hat. Der Coup d’État hat begonnen.« Noch im Sprechen hatte er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen.
Abu nickte energisch. Er war ein Mann, der Erfolg gewohnt war. Mehrere Explosionen in der Ferne verrieten ihm und seinem Berater, dass der Kampf ausgebrochen war. Der Präsidentenpalast würde eingenommen werden und Tunis schon in wenigen Stunden unter der Kontrolle militanter Islamisten stehen. »Wir sollten uns nicht zu früh gratulieren«, sagte Abu mit angespannter Stimme. Der Regen ließ etwas nach, und der Sturm flaute so unvermittelt ab, wie er ausgebrochen war.
In die plötzlich eingetretene Stille am Strand drangen gellende Rufe. Jemand schrie mit schriller Stimme etwas auf Arabisch. Dunkle Gestalten rannten über den Sand. Abu und sein Techniker langten nach ihren Waffen, sahen aber dann, dass es Hisbollah-Brüder waren, die da auf sie zugelaufen kamen.
»Null-eins!«
»Ein Hinterhalt!«
»Allmächtiger Allah, sie sind umzingelt!«
Vier Araber näherten sich, verschreckt und außer Atem. »Ein Null-eins-Notsignal«, keuchte der eine, der ein PRC-117-Funkgerät auf dem Rücken trug. »Sie konnten nur noch mitteilen, dass sie von Sicherheitskräften umzingelt und gefangen genommen wurden. Dann ist die Verbindung abgebrochen. Sie behaupten, in eine Falle getappt zu sein.«
Alarmiert wandte sich Abu seinem Berater zu. »Wer könnte dahinter stecken?«
Der jüngste der vier jungen Männer, die vor ihnen standen, sagte: »Das matériel, das für sie bereitgestellt worden ist – die Panzerabwehrwaffen, die Munition, das C-4 –, nichts davon hat funktioniert! Und die Regierungstruppen lagen schon auf der Lauer. Das war abgekartet, von Anfang an.«
Abu stand sichtlich unter Schock; mit der für ihn sonst typischen Gelassenheit war es vorbei. Er winkte seinen wichtigsten Berater zu sich: »Ya sahbee, ich brauche deinen weisen Rat.«
Der Techniker fummelte im Näherkommen an seiner Armbanduhr. Abu legte ihm einen Arm um die Schulter und sagte leise: »Es gibt offenbar einen Verräter in unseren Reihen, einen Spitzel. Unsere Pläne sind verraten worden.«
Abu deutete mit Zeigefinger und Daumen ein Zeichen an, das für einen Uneingeweihten kaum wahrzunehmen war. Doch seine Männer verstanden sofort. Sie packten den Techniker bei den Armen, Beinen und Schultern. Der wehrte sich mit aller Kraft, kam aber gegen die durchtrainierten Kämpfer nicht an. Abus rechte Hand schnellte nach vorn. Etwas Metallenes blitzte auf. Abu rammte dem Techniker ohne Vorwarnung ein krummes Messer mit gezackter Schneide in den Unterleib und zog es sofort wieder heraus. Abus Augen blitzten. »Der Verräter bist du!«, spuckte er aus.
Der Techniker schnappte nach Luft. Trotz der Schmerzen, die er litt, blieb sein Gesicht maskenhaft unbewegt. »Nein, Abu!«, protestierte er.
»Schwein!« Abu schickte sich an, ein zweites Mal zuzustechen. »Zeitpunkt und genauen Ablauf kannte sonst niemand. Kein Einziger! Und du warst es, der das matériel abgenommen hat. Es kann keiner außer dir gewesen sein.«
Plötzlich wurde der Strand von gleißend hellem Scheinwerferlicht überflutet. Abu blickte auf und sah sich und seine Männer von zahllosen, schwer bewaffneten Soldaten in khakifarbenen Uniformen eingekesselt. Das Groupement de Commando der tunesischen Garde Nationale war wie aus dem Nichts aufgetaucht, und ein dröhnendes Knattern in der Luft zeugte von der Ankunft mehrerer Kampfhubschrauber.
Feuerstöße aus automatischen Gewehren verwandelten Abus Männer in zuckende Marionetten. Ihre Schreie waren schnell verstummt, als ihre Körper zu Boden sackten, wo sie grotesk verrenkt liegen blieben. Noch einmal krachten die Waffen, dann wurde es gespenstisch still. Von den Terroristen waren nur der Anführer und sein Munitionsexperte am Leben geblieben.
Doch Abu schien nichts anderes im Sinn zu haben als den vermeintlichen Verräter. Er fuhr herum und hob das Krummmesser, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Schwer verwundet versuchte der Techniker, den Angriff abzuwehren, brachte aber keine Kraft mehr auf. Er hatte bereits zu viel Blut verloren. Der bärtige Hisbollah-Anführer wollte sich gerade auf ihn stürzen, als er, von kräftigen Händen gepackt, zurückgezerrt und in den Sand geworfen wurde.
Abus Augen funkelten trotzig, als er sich von zwei Regierungssoldaten in Gewahrsam genommen sah. Er fürchtete sich vor keiner Regierung. Regierungen sind feige, hatte er immer gesagt. Regierungsvertreter würden hinter den Kulissen kungeln, irgendeinen Vorwand finden...