E-Book, Deutsch, Band 2, 264 Seiten
Luck Kaltes Spiel
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96148-761-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der zweite Fall für Schmidtbauer und van Royen | Bayernkrimi trifft ungewöhnliches Ermittlerduo
E-Book, Deutsch, Band 2, 264 Seiten
Reihe: Ein Fall für Schmidtbauer und van Royen
ISBN: 978-3-96148-761-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Harry Luck wurde 1972 in Remscheid geboren, ist ausgebildeter Redakteur und studierte in München Politikwissenschaften. Er berichtete viele Jahre für verschiedene Medien über Politik, Kultur und Wirtschaft in München und Bayern. Heute lebt er mit seiner Familie in Bamberg, wo er an weiteren Kriminalromanen arbeitet und als Pressesprecher für das Erzbistum tätig ist. Der Autor im Internet: www.harryluck.de/ www.facebook.com/luck.harry www.instagram.com/luck_harry/ Harry Luck veröffentlichte bei dotbooks seine »Schmidtbauer und van Royen«-Reihe mit den Kriminalromanen »Kaltes Lachen« und »Kaltes Spiel«. Der erste Band ist auch als Printausgabe erhältlich. Außerdem erscheint bei dotbooks seine »Sonne und Litzka«-Reihe mit den Kriminalromanen: »Tod in München - Rachelust« »Tod in München - Schwarzgeld« »Tod in München - Angstspiel« »Tod in München - Machtbeben« »Tod in München - Rufmord« Dabei ist »Machtbeben« auch als Printausgabe erhältlich.
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EINS
Die Berge.
So viel hatte sie schon von ihnen gehört. So oft hatten die Kollegen schon von ihren Wanderausflügen geschwärmt. Jetzt war sie fast ein Vierteljahr in München und sah zum ersten Mal mit eigenen Augen einen Gipfel. Er war weit entfernt, aber deutlich am Horizont zu erkennen. Anneke blinzelte, die tief stehende Wintersonne ließ die schneebedeckte Gebirgskette besonders grell erstrahlen.
Doch der beeindruckende Anblick währte nur wenige Sekunden, dann machte die A 995 hinter Unterhaching eine leichte Rechtskurve, und das Alpenpanorama verschwand hinter den Bäumen. Hauptkommissar Lukas Schmidtbauer blinkte links, schaute in den Rückspiegel und setzte mit dem Dienstfahrzeug zum Überholen eines Familienvans mit Flensburger Kennzeichen und Skiausrüstung auf dem Dachgepäckträger an.
Commissaris Anneke van Royen rieb sich auf dem Beifahrersitz des Dreier-BMW die Augen. Der Blick auf die Alpen kam ihr jetzt vor wie eine Sinnestäuschung, eine winterliche Fata Morgana. Was sie eben gesehen hatte, entsprach exakt ihren Kindheitserinnerungen aus der Zeichentrickserie »Heidi«, die auch im holländischen Fernsehen ausgestrahlt worden war. »Heidi, Heidi, leef toch hoog in de bergen«, fiel ihr die Titelmusik der Serie wieder ein, die sie so gern geschaut hatte wie »De Fabeltjeskrant« oder »Paulus de Boskabouter«.
Es herrschte dichter Verkehr auf der Autobahn.
»Warum müssen die alle im Schneckentempo fahren?«, schimpfte Lukas und trommelte mit seinen Fingern ungeduldig auf dem Lenkrad. »Bloß weil im Radio ständig eine Unwetterwarnung verbreitet wird? Für Nordbayern!«
Seit sie vor einer knappen halben Stunde von ihrer Dienststelle in der Münchner Hansastraße 24 losgefahren waren, berichtete B5 aktuell pausenlos über die katastrophalen Verkehrsverhältnisse in und um Nürnberg. Schon zweimal war der O-Ton des Polizeisprechers eingespielt worden, der alle Autofahrer aufrief, zu Hause zu bleiben und nur unaufschiebbare Fahrten zu unternehmen. Der öffentliche Nahverkehr lag lahm, aus den Krankenhäusern wurden mehrere Dutzend Fußgänger mit Knochenbrüchen gemeldet.
Doch hier in Oberbayern war die Lage entspannt.
»Es gibt keinen Grund, mit Tempo fünfzig voranzutuckern«, murmelte Lukas und zog wieder auf die rechte Spur. An der Abfahrt Holzkirchen verließen sie die Autobahn und wechselten auf die B318. Das Navigationsgerät zeigte noch eine gute halbe Stunde Fahrzeit bis nach Kreuth, ihrem Ziel, an.
Es war für Anneke der erste Einsatz außerhalb Münchens, seitdem sie nach Abschluss ihres Europol-Austauschprogramms die Übernahme in den bayerischen Polizeidienst beantragt hatte. Ihre doppelte Staatsbürgerschaft und ihr vorheriger Einsatzort, der »Dienst Nationale Recherche« der holländischen Polizei im niederrheinischen Grenzgebiet, hatten es Polizeipräsident Stapper leicht gemacht, Annekes Übernahme zu befürworten und sie auf eine freie Planstelle in der dritten Mordkommission zu setzen. Dass sie an der Aufklärung einer Anschlagsserie im Münchner Kabarettmilieu beteiligt gewesen war, hatte sich über den Zuständigkeitsbereich des Präsidiums hinaus herumgesprochen. Doch der außerordentliche Einsatz, der ihnen jetzt bevorstand, klang trotz aller landschaftlichen Reize nach langweiliger Routine: Schutzmaßnahmen für eine gefährdete öffentliche Person.
»Mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen rund um das Tagungszentrum in Wildbad Kreuth reagiert die Polizei auf die Morddrohungen ...« Lukas drehte das Radio lauter. »... gegen den IOC-Präsidenten Pablo Faszantas. Die Ankunft des Sportfunktionärs zum Kamingespräch bei der traditionellen CSU-Winterklausur ist nach Informationen des Bayerischen Rundfunks für heute Abend geplant. Offiziell bestätigen wollten dies die Sicherheitsbehörden nicht. Innenminister Max von Donnersberg, der selbst erst morgen in Kreuth erwartet wird, betonte, es gebe keine konkreten Erkenntnisse über einen bevorstehenden Anschlag auf Faszantas. Die vorliegenden Warnungen würden jedoch ernst genommen. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees wird mit den CSU-Abgeordneten über den Stand der Beratungen über eine mögliche erneute Bewerbung um die Winterspiele sprechen, nachdem München und Garmisch-Partenkirchen bei der Vergabe der Spiele 2018 gescheitert sind.«
»Schade, dass es mit 2018 nicht geklappt hat. Ich wäre gern bei der Eröffnung der Olympischen Spiele dabei gewesen, wenn ich dann noch in München bin«, sagte Anneke.
Lukas drehte das Radio wieder leiser und schob dann mit Daumen und Mittelfinger seine schwarze Plastikbrille zurecht.
»Nach den Protesten gegen die Olympia-Bewerbung glaube ich nicht, dass wir jemals wieder eine Chance haben werden«, sagte er. »Dass der IOC-Präsident nur unter Polizeischutz nach Bayern kommen kann, sagt doch schon alles. Schlimm genug, dass irgendwelche spinnerten Öko-Terroristen mit fadenscheinigen Drohbriefen das Münchner Morddezernat lahmlegen.«
Gute Laune klingt anders, dachte Anneke und verkniff sich eine Bemerkung über Lukas' neue Ray-Ban-Brille, die er heute zum ersten Mal trug und deren Gläser für ihren Geschmack etwas groß geraten waren. Er hatte sein bisheriges kleines Metallgestell gegen das auffällige Woody-Allen-Modell aus schwarzem Kunststoff getauscht. Lukas setzte seine Brille nicht immer auf. Sie wusste nicht, ob er ansonsten Kontaktlinsen trug.
»Herzlich willkommen in Hartpenning«, begrüßte sie ein Schild am Straßenrand und verwies mit den Zahlen »804 – 2004« auf ein schon länger zurückliegendes Jubiläum. Anneke betrachtete die Bilderbuchlandschaft mit weißen Feldern, auf denen vereinzelte Bauernhäuser mit Balkonen und schneebedeckten Dächern standen. Auf der linken Seite sah sie eine einsame kleine Kirche mit einem schlanken Zwiebelturm, wie sie auch in Heidis Schweizer Berglandschaft hätte stehen können. Sie schmunzelte, als sie rechts ein kleines Schild entdeckte, das den Weg zum Flugplatz Tannried wies. Sie stellte sich einen großen Airport mitten in der Einöde vor, vermutete dann aber, dass »Flugplatz« im Deutschen eine andere Bedeutung hatte als »Flughafen«.
»Was wissen wir über die Drohungen gegen Faszantas?«, fragte Anneke und stellte die Sitzheizung eine Stufe wärmer.
»Dieser Idiot!«, rief Lukas. Und er schien nicht den IOC-Chef zu meinen, sondern den Fahrer des Toyota Aygo vor ihnen, der sein Tempo von fünfzig auf vierzig drosselte, als ein Schild über der Fahrbahn vor Glatteisgefahr warnte.
»Äh, Faszantas?« Der fünfunddreißigjährige Hauptkommissar wandte sich seiner sieben Jahre jüngeren Kollegin zu. »Er war während des zweijährigen Bewerbungsverfahrens die Hassfigur der Nolympia-Bewegung, zumindest auf internationaler Ebene. In der deutschen Politik gibt es auch ein paar Figuren, die sich mit ihrem Engagement für die Winterspiele in München und Garmisch nicht nur Freunde gemacht haben. Und sie sagen: Nach der Bewerbung ist vor der Bewerbung, und wollen unbedingt erreichen, dass München die weltweit einzige Stadt wird, die sowohl eine Sommer- als auch eine Winterolympiade ausgetragen hat.«
»Aber was ist das Problem?«, fragte Anneke und pustete sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Es ist doch cool für eine Stadt, wenn sie die Olympischen Spiele austragen darf! Allein für den Tourismus und die Wirtschaft ...« Sie erinnerte sich an die Bewerbung Amsterdams für die Olympiade 1992. Und sie hatte in der Schule gelernt, dass es nur einmal Sommerspiele in Holland gegeben hatte: 1928 war in Amsterdam das olympische Feuer entzündet worden.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für eine Aufregung es in Garmisch während der Olympia-Bewerbung gab. Die Bauern, auf deren Grundstücken Skipisten oder olympische Dörfer entstehen sollten, gingen auf die Barrikaden, sprachen von Enteignung und starteten ein Volksbegehren.« Lukas bremste ab, als sie das Ortseingangsschild von St. Quirin passierten. Danach rückte er schon wieder seine Brille zurecht. »Aber die sogenannten Öko-Terroristen sind noch mal eine ganz andere Liga. Es ist eine kleine Gruppe militanter Extremisten, die sich nicht damit begnügen, Atommülltransporte zu blockieren oder Ölplattformen zu besetzen. Sie schrecken nicht davor zurück, Leute zu verletzen oder gar zu töten, um damit Zeichen zu setzen, dass der Mensch sich nicht über die Natur erheben darf.«
»Gab es schon mal richtige Anschläge von Öko-Terroristen?«, wollte Anneke wissen. Sie sah, dass das Außenthermometer neben dem Tacho immer niedrigere Werte anzeigte, je weiter sie sich von der Großstadt entfernten.
»In Italien gibt es eine Gruppe von gewaltbereiten Natur- und Tierschützern namens ›Il Silvestre‹. Sie wurde 2004 in der Toskana von linksextremen Anarchisten gegründet und gilt als Nachfolge-Organisation der Roten Brigaden. Auf ihr Konto geht ein Anschlag auf ein Nanotechnologie-Labor in der Schweiz. Auch für eine Serie von Paketbomben, die an Botschaften in Rom, Berlin, Madrid und Athen geschickt worden waren, sollen militante Öko-Spinner verantwortlich sein.«
Nach einer Weile fuhren sie an einem kleinen Schild mit der Aufschrift »Brunnbichl« vorbei. Lukas trat kräftig auf die Bremse und bog in ein winziges Sträßchen ein.
»Bei einem von ihnen«, setzte er seine Erläuterung fort, »wurde nach der Festnahme ein Flugblatt gefunden mit der These, dass vier Fünftel der Menschheit sterben müssten, damit der Rest überleben könne. Na ja, bis sie so weit sind, die Menschheit auszurotten, wird zum Glück noch eine Weile vergehen.« Lukas parkte den BMW vor einem Bauernhaus. »Ich glaube, wir sind da.«
»Und Faszantas steht immer noch auf einer Todesliste, obwohl zunächst mal keine Spiele in Bayern stattfinden?«, fragte...




