E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Luck Bamberger Zauber
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96041-212-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Franken Krimi
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Horst Müller und Paulina Kowalska
ISBN: 978-3-96041-212-0
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Harry Luck wurde 1972 in Remscheid geboren, wo er bei der Tageszeitung zum Redakteur ausgebildet wurde. Er studierte in München Politikwissenschaften und arbeitete dort als Korrespondent und Redakteur für verschiedene Medien; er leitete mehrere Jahre das Landesbüro einer Nachrichtenagentur und seit 2012 die Presse und Öffentlichkeitsarbeit im Erzbistum Bamberg.
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EINS
Mühelos näherte ich mich auf der Residenzstraße mit meinem E-Bike dem Gipfel des Dombergs. Links blickte ich auf die wenig beschaulichen Rückseiten und in die Hinterhöfe der Häuser der Sandstraße. Rechts oben erinnerte eine Gedenktafel an einen der wenigen ungeklärten Todesfälle in der Bamberger Polizeistatistik. Denn genau hier stürzte am 1.Juni 1815 um dreizehn Uhr Louis-Alexandre Berthier, seines Zeichens Napoleons Marschall, aus dem Kaiserappartement im obersten Stockwerk der Neuen Residenz in den Tod. Angeblich hatte er aus dem Fenster die herannahenden russischen Truppen beobachtet. Berichte, er sei von sechs maskierten Männern aus dem Fenster geworfen worden, konnten nie gerichtsfest bewiesen werden, weshalb der Fall bis heute als ungeklärt gelten muss. Durch seinen Tod musste Berthier jedenfalls die legendäre Schlacht von Waterloo nicht mehr miterleben, die Napoleon etwa zwei Wochen später weit von Bamberg entfernt verlor.
Auch wenn Monsieur Berthier in weiser Voraussicht Selbstmord begangen haben sollte, wäre ich heute als Kriminalhauptkommissar im Kommissariat1 der KPI Bamberg für den Fall zuständig. Eine ständige Mordkommission, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, gab es in Bamberg nicht. »Verbrechen gegen das Leben« waren mein Metier.
Jedes Mal wenn ich an dieser denkwürdigen Stelle vorbeifuhr, nahm ich mir vor, nachzulesen, warum Napoleons Marschall sich überhaupt im schönen Bamberg aufgehalten hatte– um den Recherchevorsatz gleich wieder zu vergessen, wenn ich den Domplatz erreicht hatte. Sicherlich war das fränkische Städtchen auch vor zweihundert Jahren schon bezaubernd, aber für einen aus Paris stammenden Militär brauchte es wohl einen außergewöhnlicheren Anlass, hierherzukommen. Der Bamberger Fenstersturz hatte es jedenfalls nicht so prominent in die Geschichtsbücher gebracht wie der Zweite Prager Fenstersturz, der immerhin den Dreißigjährigen Krieg auslöste.
Mein Sakko hatte ich zusammengefaltet auf dem Gepäckträger verstaut. Seit zwei Wochen war kein Tag vergangen, an dem das Quecksilber unter der Dreißig-Grad-Marke geblieben war. Meteorologen hatten den heißesten Juli seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vorausgesagt. Mit meinem emissionsfreien Fortbewegungsmittel leistete ich meinen bescheidenen Beitrag gegen den Klimawandel, der in den Medien schon im Frühjahr für die sich häufenden Wetterextreme verantwortlich gemacht wurde, nachdem weite Teile des Landkreises nach Dauerregen überflutet worden waren.
Noch bevor ich den Domplatz erreichte, entdeckte ich eine riesige Menschenmenge, wie sie hier sonst nur zur Fronleichnamsprozession, dem Heinrichsfest oder irgendwelchen Open-Air-Konzerten zu sehen war. Es gab kein Durchkommen, sodass ich von meinem elektrischen Fahrrad, genauer gesagt: meinem Pedelec, abstieg und es Richtung Alte Hofhaltung schob.
Ein Raunen ging durch die Menge. Mit teilweise offenen Mündern starrten die Leute nach oben auf die Domtürme. Ich schätzte die Zahl der Menschen auf über zweihundert. Ihre Reaktion wäre vermutlich nicht anders gewesen, wenn ihnen dort oben der heilige Heinrich im Kaisermantel samt Gattin Kunigunde höchstpersönlich erschienen wäre.
Mit einem Stofftaschentuch tupfte ich den Schweiß von meiner Stirn. Mein Blick wanderte von der Marienpforte des Doms zu den im Sonnenlicht grün schimmernden Spitzen der beiden Türme. Dann sah ich den Grund für das große Staunen. Ich rieb mir die Augen, um eine Halluzination auszuschließen.
Leider konnte ich mit meinem Handy keine Fotos aufnehmen. Das heißt, vielleicht war es technisch möglich. Aber ich benutzte das Neunziger-Jahre-Nokia nur dazu, wofür Handys ursprünglich erfunden worden waren: zum Telefonieren und für den gelegentlichen Empfang von Kurzmitteilungen. In diesem Fall hätte ich jedoch tatsächlich gerne fotografisch festgehalten, was ich beobachtete. Denn das war weder mit den Regeln der Schwerkraft noch mit allen anderen mir bekannten physikalischen Gesetzen zu erklären: Zwischen den beiden Türmen hoch über dem Ostchor schwebte ein Mensch. Soweit ich erkennen konnte, handelte es sich um einen Mann in einem schwarzen Anzug mit einem roten Emblem und einem weißen Hemd. Wie ein Priester beim Segen hielt er beide Arme ausgestreckt. Eine moderne Gottesdienstform mit fliegendem Pfarrer hielt ich auf dem eher konservativen Domberg jedoch für genauso unwahrscheinlich wie eine Heiligenerscheinung.
»Aaaah« und »Ooooh« riefen die Zuschauer, einige applaudierten, sofern sie ihre Hände frei hatten und nicht mit ihren Smartphones Beweisfotos oder Videos für Facebook und Twitter machten, weil sie ihren eigenen Augen nicht trauten. Einige Japaner oder Chinesen hielten ihre Telefone mit langen Selfie-Sticks in die Höhe. Unter den Personen, die besonders fleißig auf den Auslöser drückten, erkannte ich Theo Sieber, den Lokalreporter des »Fränkischen Tags«. Wie der Reporter mit dem roten Haarkranz zu seinem Spitznamen Null Null Sieber gekommen war, war mir bis heute schleierhaft. Möglicherweise war der Grund, dass sich seine vermeintlich exklusiven Enthüllungsgeschichten gelegentlich als Nullnummern entpuppten. Mit dem Doppelnull-Agenten James Bond hatte er nämlich so ziemlich gar nichts gemein. Außerdem brachte das journalistische Schwergewicht Sieber vermutlich die Kilos von Roger Moore, Sean Connery und Daniel Craig zusammen auf die Waage.
»Was geht denn hier vor sich?«, fragte ich den Reporter, der so umfangreich war wie die Wochenendausgabe seines Blattes. »Handelt es sich etwa um eine polizeilich nicht genehmigte Demonstration?«
»Ach, der Herr Oberinspektor gibt sich auch die Ehre? Immer im Dienst?« Sieber streckte mir die schwitzende Hand entgegen, die eher die Bezeichnung Pranke verdient hätte. Sein Händedruck grenzte wie immer an den Tatbestand der versuchten Körperverletzung. Den im bayerischen Polizeidienst schon vor Jahrzehnten abgeschafften Dienstgrad Oberinspektor verlieh Sieber mir immer wieder wegen meiner unverhohlenen Vorliebe für den legendären TV-Oberinspektor Derrick, den ich rückblickend dafür verantwortlich mache, dass ich schon als Kind den Wunsch hegte, in den Polizeidienst einzutreten. Allerdings ließ Derrick sich immer von seinem Harry durch die Münchner Prachtstraßen fahren, ein Fahrrad wäre für ihn wohl undenkbar gewesen.
»Sehr cooles Einsatzfahrzeug übrigens, dieses E-Bike. Aber wo ist das Blaulicht?«, sagte Sieber. »Oder sind Sie privat hier? Ich hätte nicht gedacht, dass Sie ein Freund der Illusionskunst sind.«
»Pedelec, kein E-Bike«, korrigierte ich und ersparte mir die Belehrung, dass die meisten Zweiräder, die als E-Bikes angeboten wurden, in Wahrheit Pedelecs und damit nicht zulassungspflichtig waren, weil die Elektrounterstützung nur zugeschaltet wurde, wenn der Fahrer auch in die Pedale trat.
»Wissen Sie eigentlich, Herr Oberinspektor, dass Sie sich mit Ihrem Fahrzeug in Lebensgefahr begeben? Jeder zehnte tote Radfahrer im Straßenverkehr ist ein E-Bike-Nutzer. Und achtzig Prozent davon sind Senioren. In Ihrem Alter sollte man vorsichtig sein. Steht heute in der Zeitung.«
Man sollte nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, dachte ich und sagte: »Oberinspektor ist falsch, E-Bike ist falsch. Und der Hinweis, ich wäre ein Senior, ist mindestens eine Unverschämtheit, wenn nicht Beamtenbeleidigung. Drei Fehler in einem Satz, Sie sollten Journalist werden.«
Seit Monaten plagte mich der inzwischen unmittelbar und unausweichlich bevorstehende fünfzigste Geburtstag. Ich wollte daher nicht auch noch von diesem Schreiberling an den Eintritt in die zweite Jahrhunderthälfte erinnert werden.
»Jetzt erzählen Sie mir mal lieber, was hier los ist. Mein Verstand sagt mir trotz fortgeschrittenem Alter, dass hier nicht wirklich ein Mann zwischen den Domtürmen schwebt.«
Nun entdeckte ich auch die Kameras von TVOberfranken und dem Bayerischen Rundfunk, die das Spektakel aufzeichneten oder vielleicht sogar live auf die Mattscheiben ausstrahlten.
»Das ist Abraham Kadabra«, flüsterte Sieber andächtig und deutete auf den fliegenden Spaßvogel. Er sprach dessen Namen aus, als handele es sich um Bill Clinton oder Paul McCartney.
»Hat der Vater von den Schlümpfen sich den Bart abrasiert und eine neue Karriere als Pausenclown begonnen?«, entgegnete ich. »Und was ist das überhaupt für ein blödsinniger Name?«
»Das ist Abraham Kadabra, der weltberühmte Illusionist aus London. Er ist in diesem Jahr der Stargast bei ›Bamberg zaubert‹. Ist natürlich sein Künstlername. Sein richtiger Name ist David Devant.«
»Aha. Aber das Zauberfestival fängt doch erst am Wochenende an. Warum jetzt schon dieser Hokuspokus?«
»Dies ist eine Preview-Show, zu der das Stadtmarketing eingeladen hat. Vor allem die Fernsehsender sollen im Vorfeld groß berichten. Kadabra hat diesen Trick erstmals über The Shard aufgeführt.«
»The was?«
»The Shard ist ein Wolkenkratzer in London, mit dreihundertzehn Metern Höhe war er bis zum Brexit das größte Bauwerk in der Europäischen Union. Das YouTube-Video machte vor einigen Jahren weltweit Furore. Jetzt führt er den Trick erstmals außerhalb Großbritanniens auf. Das ist sensationell! Und morgen der Aufmacher imFT.«
»Mit seinen sechsundsiebzig Metern Höhe ist der Bamberger Dom da ja vergleichsweise ein Bungalow. Aber ich muss zugeben: beeindruckend.«
»Er hat noch mehr Tricks mit nach Bamberg gebracht. Das hat Kulturdezernent Sonnenberg eben auf einer Freiluft-Pressekonferenz auf dem Domplatz angekündigt. Wie drückte er sich noch aus? ›Mit den Auftritten von Abraham Kadabra...




