Lozano | Harraga · Im Netz der Menschenhändler | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Krimis u. Thriller

Lozano Harraga · Im Netz der Menschenhändler

Kriminalroman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-84-943429-2-9
Verlag: Zech Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: Krimis u. Thriller

ISBN: 978-84-943429-2-9
Verlag: Zech Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Khalid, ein junger Kellner aus der Medina von Tanger, träumt von einem besseren Leben in Europa. Über einen marokkanischen Landsmann kommt er nach Granada. Gefangen zwischen den Erwartungen seiner armen Familie und seinem neuen Leben im vermeintlichen Paradies, steht er bald in einer tödlichen Sackgasse... Flüchtlingsdrama an der Meerenge von Gibraltar: Korruption, Menschenhandel, Mord, Verzweiflung. Antonio Lozano schildert in diesem Roman hautnah eine menschliche Tragödie, wie sie sich täglich hundertfach an den Grenzen der 'Festung Europa' abspielt.

Antonio Lozano (geb. 1956 in Tanger, Marokko) schreibt politische und Kriminalromane. Lehrer und Übersetzer für die französische Sprache, Kulturrat der Stadt Agüimes (Gran Canaria), Leiter internationaler Theaterfestivals. Sein Erstlingsroman Harraga wurde u.a. mit dem Premio Novelpol 2003 als bester Krimi in Spanien ausgezeichnet.

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11
Der Erfolg meiner ersten Mission stärkte das Vertrauen, das Hamid in mich gesetzt hatte. Ich stieg in seiner Achtung und festigte meine Position. Deshalb gab es auch keinen Ärger wegen der Vorkommnisse in Tanger, aber er ließ es trotzdem nicht fehlen an guten Ratschlägen und Anspielungen auf die schlecht gelernten Lektionen. »Die, die nur drüben arbeiten, können sich sowas erlauben. Unsere Position ist viel heikler; wir leben im Ausland und müssen die strengste Zollkontrolle des ganzen Mittelmeerraums passieren. Außerdem, dort stopfst du jedem Richter das Maul mit einem Bündel Geldscheinen, hier aber nur denen, die du sowieso schon auf deiner Seite hast. Das Geld reicht nicht, um sie alle zu kaufen.« Gleichwohl war er beunruhigt, vor allem über die Schnelligkeit, mit der Madani davon erfahren hatte. »Der Alte ist ein Fuchs, du kannst ihm nicht trauen. Er versucht, dir weiszumachen, dass du wie ein Sohn für ihn bist, doch er hat keine anderen Nachkommen als den Mammon. Du siehst von außen nur den gelangweilten Krämer, doch er unterhält Verbindungen zu den Höchsten der Macht. Für deinen Job ist es umso besser, je weniger du von ihm weißt – und umgekehrt er von dir. Und lass es dir bloß niemals einfallen, ihm wie Bachir zu antworten. Du würdest den Laden nicht mehr lebend verlassen! Und denk immer daran: Hinter jedem Wort steht ein Zeichen. Wir haben uns daran gewöhnt, so zu sprechen, fast ohne es zu merken.« Ich begann, Geld einzunehmen – das erste, das ich auf eigenes Risiko ›produziert‹ hatte. Hamid zog die Beträge ab, die er mir bis dahin geliehen hatte. Er übernahm es, die Ware an den Mann zu bringen. Seine Vertriebswege in der Stadt hatte er bereits etabliert: Kleindealer oder Stammkunden, die ihn zu üppigen Abendessen einluden, um die Deals abzuschließen. Ich sollte erst in ein paar Monaten wieder in Aktion treten, wenn es galt, die verwöhnten Papa-Söhnchen auf der anderen Seite der Meerenge mit Nachschub zu versorgen. Inzwischen genoss ich in vollen Zügen alles bis dahin Erreichte und befand, dass es an der Zeit war, selbst für mein Leben aufzukommen. Als ein paar Studenten ihr Haus im Albaicín aufgaben, nutzte ich die Gelegenheit und mietete es. Nun hatte ich eine Alhambra ganz für mich allein, die ich in mehr als nur einer Nacht mit den Mädchen teilte, die mein lockeres Leben wie Fliegen umschwirrten. Hamid verließ Granada immer öfter, ohne mir jemals zu sagen, wohin er fuhr. Wenn er hier war, sahen wir uns jeden Tag. Unsere Freundschaft hatte sich gefestigt, und er war für mich die wichtigste Bezugsperson geworden, die mir das Leben an diesem Ort, an den ich nicht gehörte, ermöglichte. Er hingegen schien sich selbst genug zu sein. Er bewegte sich in der Stadt, als hätte er schon als Kind hier gespielt. Die Nachbarn grüßten ihn, in den Läden im Viertel kannten ihn alle, die Kellner in den Bars wussten immer, was er bestellen würde. Ich bewunderte seine Selbstsicherheit, die Leichtigkeit, mit der er sich in einer Welt bewegte, in der er doch ein Fremder war, und den Respekt, den er anderen einflößte. Ich glaube, dass er sich mit mir an seiner Seite irgendwie sicherer, wohler fühlte, dass meine Gegenwart ihm half, diese innere Unruhe zu bekämpfen, die er unter seinem äußeren Panzer verbarg. Denn niemand entfernt sich von seinen Wurzeln, ohne einen Teil seiner Seele zu opfern. Meine Reisen nach Tanger und zurück wurden immer häufiger. Nie vergingen drei Monate am Stück, ohne dass ich die Grenze überquerte. Bei der zweiten Reise mietete ich eine Dachkammer im Stadtzentrum, wo ich nun ein sicheres Versteck für meine Koffer hatte und wohin ich mich von dem Lärm zu Hause zurückzuziehen konnte. Meine Familie fand sich mit allen meinen Entscheidungen ab, nahm jede Lüge hin, die ich ihnen auftischte. Sie hatten in mir eine Linderung ihrer Not gefunden und waren nicht bereit, sich das durch irgendwelche Zweifel verderben zu lassen. Mehr Fragen stellten hingegen die Freunde und Kollegen vom Café Paris, die nicht verstanden, wie ich so oft Urlaub haben konnte, bis ich – der Neugier und des ständigen Ausreden-Erfindens überdrüssig – aufhörte, sie zu besuchen. Und da ich die verlorenen Freundschaften nicht so einfach ersetzen konnte, begann ich, mich immer mehr abzukapseln. Ich misstraute allem und jedem, mied ­jegliche Gesellschaft und konnte mein Bedürfnis, mich mit Menschen aus meinem eigenen Land auszutauschen, schließlich nur noch in Bars und Bordellen stillen. Bei einem meiner Aufenthalte kursierte das Ge­- ­rücht, dass im spanischen Konsulat ein Fall von illega­lem Visa-Handel aufgedeckt worden sei: Ein paar Be­amte hätten sich die Sichtvermerke, die sie in die Pässe stempelten, gut bezahlen lassen. Kurz darauf wurde die Nachricht in der Presse bestätigt. In meinem Land dienen die Zeitungen nur dazu, das zu bestätigen, was ohnehin schon alle wissen. Zu dieser Zeit hatte ich bereits meine Aufenthaltsgenehmigung in Spanien und hatte mich schon seit geraumer Zeit davon befreit, José Manuels Visage sehen zu müssen. Nun würde sich die ›Familie‹ andere Leute für diese Arbeit suchen müssen. Das würde ihr sicher nicht schwerfallen, denn Aasgeier, die sich an fremdem Elend schadlos halten, gibt es immer. Der Gedanke, den Typen hinter Gittern zu sehen, gefiel mir, doch schon bald wurde bekannt, dass das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten entschieden hatte, einen Skandal zu vermeiden. In der spanischen Presse erschien die Meldung nur noch als ein leiser Seufzer auf den hinteren Seiten, und ich musste mich damit abfinden, dass sie ihn wohl nur in eine andere Abteilung versetzen würden. Niemand hatte ein Interesse daran, im Dreckwasser zu rühren und die Scheiße an die Oberfläche zu treiben. Bachir residierte nach wie vor in seiner Villa in Muyahidin, wo ich regelmäßig Ware abholte. Ich hielt mich auf Distanz und vermied alles, was über einen höf­- lichen Gruß und den Austausch von Ware gegen Geld hinausging. Offensichtlich hatte er mir meine unverschämte Äußerung noch nicht verziehen. Er war einer von diesen Typen, die eine Beleidigung niemals verzeihen, sondern nur durch Rache überwinden können. Probleme auf eine andere Art aus der Welt zu schaffen, war für ihn undenkbar. Das sagten mir seine Augen unmissverständlich. Später würde ich feststellen müssen, dass ich mit dieser Einschätzung richtig lag. Jede meiner Reisen endete auf die gleiche Weise: Ich ging zu Madani, nannte ihm ein Datum und eine Uhrzeit und kehrte noch am selben Tag nach Spanien zurück. Dabei machte ich es mir zur Gewohnheit, schon ein paar Stunden früher im Café gegenüber zu sitzen und durch das Fenster zu beobachten, wer den Laden betrat und verließ. Die wenigen Touristen, die sich hineinwagten, kamen zumeist schnell und mit leeren Händen wieder heraus. Andere sahen nach allem Möglichen aus, nur nicht danach, als wollten sie ein Souve­nir kaufen. Eines Tages kam der Polizeibeamte und ging sichtlich aufgeregt in den Laden. Fünf Minuten später kam er so eilig wieder heraus, dass er sogar seine gewohnte Kopfbewegung nach rechts und links vergaß. Nach einer Viertelstunde hielt der schwarze Mercedes vor dem Laden und fuhr – mit Madani – gleich darauf weiter. Mir blieb noch eine Stunde bis zu unserer Verabredung. Ich wartete, dass er zurückkehren würde. Als er jedoch eine Stunde nach der verabredeten Zeit immer noch nicht da war, rief ich Hamid an. »Da muss irgendwas passiert sein«, sagte er. »Bleib ruhig und warte, bis du zum Schiff musst. Das Wichtigste ist, dass du heute zur abgemachten Zeit das Schiff nimmst! Wenn er bis dahin noch nicht da ist, mach dir keine Sorgen. Wir werden schon einen Weg finden, ihm die Nachricht zukommen zu lassen. Vergiss nicht, mir Bescheid zu geben, bevor du an Bord gehst!« Doch Madani tauchte nicht mehr auf. Als das Schiff in Algeciras anlegte, ging ich in der Erwartung von Bord, dass Hamid mir endlich mehr über Madanis Geschäfte erzählen würde. Irgendein Rädchen im Getriebe hatte nicht so funktioniert, wie es sollte, dachte ich mir, und je besser ich informiert war, desto eher würde ich mich aus der Affäre ziehen können. Allerdings war mir schon wieder ein Fehler unterlaufen: Der Alte wusste jetzt, dass ich ihn vor unseren Treffen ausspionierte. Wie sonst hätte ich wissen können, dass er nicht im Laden war, wenn ich drinnen nicht einmal nach ihm gefragt hatte? Während der gesamten Überfahrt dachte ich über die Situation nach – so intensiv, dass ich fast vergessen hätte, als ich auf den Zoll zuging, dass ich mehrere Kilo Hasch-Öl in meinem Koffer trug. Einige Stunden später, in Granada angekommen, setzte ich mich mit Hamid zusammen, um zu reden. 12
Ich war schon fast zwei Jahre im Geschäft, als es geschah. Auf dem Schiff leckte ich mir die Wunden wie ein geprügelter Hund und versuchte, mich zu beruhigen, denn die Wut vergiftete mein Herz und hinderte mich am Denken. Ich war wieder einmal mit einer neuen Lieferung Öl auf dem Weg nach Spanien und hatte gerade am eigenen Leib die Realität dieser Welt zu spüren bekommen, in die ich mich hineingewagt hatte. Ich hatte Prellungen am ganzen Körper; eine dunkle Sonnenbrille verbarg die Schatten um meine Augen und in meiner Seele. Ich ging an Deck, ohne mich von dem Koffer zu trennen. Die frische Luft blies mir den Kopf frei. Ich atmete so tief ein, wie meine schmerzende Brust es erlaubte, und da waren sie wieder, die Sätze, die mich gleich einem Wink des Schicksals vor den Gefahren dieses Gewerbes gewarnt hatten. ›Hinter jedem Wort steht ein Zeichen‹, hatte Hamid gesagt, und nun erinnerte ich mich auch, wie einer, nachdem sie mich zusammengeschlagen hatten, gesagt...


Antonio Lozano (geb. 1956 in Tanger, Marokko) schreibt politische und Kriminalromane. Lehrer und Übersetzer für die französische Sprache, Kulturrat der Stadt Agüimes (Gran Canaria), Leiter internationaler Theaterfestivals. Sein Erstlingsroman Harraga wurde u.a. mit dem Premio Novelpol 2003 als bester Krimi in Spanien ausgezeichnet.



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