E-Book, Deutsch, Band 3009, 200 Seiten
Reihe: Sherlock Holmes - Neue Fälle (Historische Kriminalromane)
Lovisi Sherlock Holmes - Neue Fälle 09: Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95719-208-0
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 3009, 200 Seiten
Reihe: Sherlock Holmes - Neue Fälle (Historische Kriminalromane)
ISBN: 978-3-95719-208-0
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Als Sherlock Holmes Doktor Watson tot in der gemeinsamen Wohnung findet, wird er von der Londoner Polizei festgenommen. Man verdächtigt ihn, den Mord an seinem besten Freund begangen zu haben. Eine lückelose Indizienkette spricht dafür, und sogar Mrs Hudson ist von der Schuld des Meisterdetektivs überzeugt.
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Kapitel 1
Kitty und Porky
Die Straße war düster, die Atmosphäre entsprechend unheimlich. Die schmalen Wege und Seitengassen glichen wie gewohnt einem undurchdringlichen Netz, in dem Gesindel seinem abgründigen Gewerbe frönte und leichte Damen auf beschwerliche Weise Geld verdienten.
Hier stolzierte Shinwell Porky Johnson, ein grober, rotgesichtiger Klotz, der vor lauter Sünde ausgezehrt zu sein schien, furchtlos umher, denn dieser Teil Londons, diese Straßen gehörten ihm, wohingegen Bürger, die sich etwas auf ihre Klasse und Kultur einbildeten, kaum wahrnahmen, dass diese Gegend überhaupt existierte. Johnson gehörte zu den außerordentlich abgefeimten Bewohnern dieser Gegend, doch wer genau genug hinsah, dem vermittelten die aufgeweckten dunklen Augen, dass dieser Mann mitnichten zum intellektuellen Bodensatz gehörte, sondern gerissen und brandgefährlich war. Er besaß den Verstand eines Berufsverbrechers.
An einem heruntergekommenen Gebäude hinter einer Kurve überquerte er die Straße und klopfte laut an eine Haustür, die Nummer 67.
„Porky, bist du es?“, fragte leise eine Frauenstimme von drinnen.
„Das weißt du genau, Schätzchen.“
„Gut. Ich habe nicht verriegelt, komm rein.“
Johnson schüttelte fassungslos und leicht verärgert den Kopf. Ein Dutzend Mal hatte er der naiven Braut gesagt: Halte die Tür verschlossen! Schiebe den Riegel vor! Allerdings pflegte sie einen ähnlichen Starrsinn wie er, falls sie nicht sogar noch verbissener war, so unmöglich dies auch erscheinen mochte. Deshalb wusste er, dass sie sich nicht belehren ließ.
Als er behutsam in das kleine Mietzimmer trat, bot sich ihm der ergötzliche Anblick einer liebreizenden Frau. Sie war von flammender Schönheit, hatte eine schmale Taille und ein markantes Gesicht, das auch nach den Misshandlungen, die sie erlitten hatte, noch jugendlich wirkte. Daran wollte er jetzt, während er sich an all jenen Teilen ihres Körpers weidete, die noch frisch und unversehrt aussahen, überhaupt nicht denken.
„Ich weiß“, begann sie geziert. „Du sagst mir ständig, ich soll absperren.“ Sie sprach mit schriller Stimme und einem Cockney-Akzent. „Ehrlich, das mache ich auch, wenn ich es nicht vergesse, Porky, aber eigentlich ist es nach so langer Zeit nicht mehr wichtig, wie ich finde.“
Johnson lächelte. Er konnte nicht anders, denn hartherziger Rüpel hin oder her, er hatte eine Schwäche für Kitty, und sie wusste das. Deshalb galt er ihr schon lange als vertrauter Komplize und nicht selten auch als Freund. Im Zuge der Machenschaften, in die sie sich seit Jahren gemeinsam verstrickten, hatten sie feste Bande geknüpft. Es war eine Art von Partnerschaft, gleichwohl auf gegenseitigem Respekt begründet, doch insbesondere während der vergangenen drei Jahre hatte Porky festgestellt, dass er immer häufiger als Kittys Fürsprecher und Beschützer agierte. Er liebte sie, obschon er es nie eingestanden hätte, geschweige denn geneigt gewesen wäre, ihr seine Gefühle zu offenbaren. Er verstand sich gewissermaßen als ihr heimlicher Geliebter.
„Ich halte es immer noch für … vernünftig.“
„Vernünftig, meinst du?“ Sie lachte vergnüglich und kehrte ihm die hübsche Seite ihres Körpers zu, deren Anmut ihn verzückte. Die Stellen, an denen schlimme Narben zurückgeblieben waren, sah er nicht. Johnson schätzte sich glücklich, Kitty einen kurzen Augenblick lang so betrachten zu dürfen, wie sie früher war, bevor das Elend seinen Lauf genommen hatte. Sie war eine Augenweide, ein feuerrotes Prachtweib, nach dem sich immer noch jeder Mann umsah.
„Mein Gott, hast du dieses Wort heute neu aufgeschnappt? Vernünftig … Du meine Güte!“ Kitty schaute ihn an und lachte.
Johnson seufzte. Zwar musste es arg kommen, um einen ausgekochten Straßenköter wie ihn aus der Reserve zu locken, aber Kitty wusste genau, wie sie dies konnte. „Ich wollte damit nur sagen …“
„Schon klar, Porky, aber jetzt reicht es wirklich. Er ist verschwunden und wieder zu Hause, krank obendrein, wie mir zu Ohren kam. Hoffentlich stirbt er bald, dann wäre die Welt eine bessere. Drei Jahre ist es nun schon her, also Schwamm drüber. Vergessen wir es, wenn es geht. Ich bemühe mich, aber es ist nicht leicht, sondern ein regelrechter Kampf, jeden Tag aufs Neue. Trotzdem muss ich über alles hinwegkommen. Es wird zu meinem Besten sein.“
„Verstehe, dass du ungern darüber nachdenkst“, erwiderte er zärtlich, weil er sich die Schmerzen, die sie durchgestanden hatte, eindrücklich vorstellen konnte. Insgeheim litt sie sicherlich immer noch darunter, ließ sich tagtäglich die Seele davon zermartern.
„Ich möchte es aus meinem Gedächtnis löschen, verstehst du? Du weißt, was ich durchgemacht habe.“ Zuerst schaute sie weg, doch dann suchte sie seinen Blick erneut und lächelte. „Wie dem auch sei, jetzt bin ich wieder auf freiem Fuß und kann meiner Arbeit nachgehen. Schließlich brauche ich Geld.“
Johnson schüttelte noch einmal den Kopf, diesmal eindeutig erzürnt. Darüber hatten sie bereits ausgiebig diskutiert, doch er war bereit, das Thema abermals durchzukauen, falls er sie dadurch umstimmen konnte. „Kitty, du musst dich nicht mehr in diesem Geschäft herumschlagen. Ich habe doch versprochen, für dich zu sorgen.“ Er klang sanftmütig, soweit es seine barsche Stimme zuließ, und meinte es von ganzem Herzen ernst. Seine Worte berührten die Frau durch eine Warmherzigkeit, die zu fühlen sie eigentlich kaum mehr in der Lage war. So distanziert sie geworden war und weiterhin bleiben wollte, empfand sie mehr für Porky. Sie wusste, er würde ihr treu sein. Als sie ihm wieder zulächelte, fragte er: „Du glaubst mir nicht?“
„Sicher glaube ich dir, aber sieh ein, dass nicht alles so laufen kann, wie du es dir ausmalst.“
Johnson wackelte mit dem Kopf. „Das gefällt mir nicht.“
„Mag sein. Aber was, wenn wir so verfahren, wie es dir vorschwebt? Du klaust weiter und riskierst dein Leben für mich. Irgendwann kommt die Polizei mitten in der Nacht und buchtet dich ein. Schlimmer noch, du könntest gehängt werden. Porky, ich verstehe deinen Groll wirklich. Du behandelst mich wie eine Prinzessin, obwohl ich es gar nicht verdiene. Du gehst auch mit niemand anderem so um, der dir entgegentritt.“
„Sag so etwas nicht!“
„Es ist nichts weniger als die Wahrheit. Ich bin eine Hure, Porky, daraus mache ich keinen Hehl, und zwar nicht erst seit gestern. Ich verdiene gutes Geld, Crowns, Sovereigns, nicht wahr?“
Johnson ließ den Kopf hängen, ihm missfielen diese Worte. Er wollte das Kind nicht beim Namen genannt hören, die Wahrheit darüber, wer und was sie beide waren, wozu sie sich heruntergewirtschaftet hatten. Alles nur wegen eines einzelnen Mannes!
„Mach dir keine Sorgen, Porky“, raunte sie. „Es ist mein Job.“
Was war nur aus ihnen geworden? Kitty arbeitete als Prostituierte, und Porky ließ sich zu Vergehen herab, die er für noch verkommener hielt. Er tat es nur für sie, da er ihr den Rücken freihalten wollte, während sie anschaffte. Die feine Gesellschaft und das Pack, das die Fäden in der Hand hielt, sprachen in diesem Zusammenhang von Vermittlung. So nannte man es jedenfalls in vornehmen Kreisen. Doch die Bezeichnungen, die man in diesem Londoner Bezirk dafür verwendete, waren weit geläufiger. Kuppelei und Zuhälterei.
„Sag, was hat er gemeint?“, fragte Kitty neugierig. Sie hatte sich vor dem Spiegel niedergelassen und machte ihr langes Haar zurecht. Es glänzte und war gewellt, aber sie benutzte Pomade und Klammern dazu, um es auf der Seite zu fixieren, damit die Verletzungen in ihrem Gesicht und am Oberkörper weniger auffielen.
„Er steht auf dich“, antwortete Johnson lapidar.
„Ach was? Sprich weiter.“
„Er will einiges lockermachen, falls er heute Abend zum Zug kommt.“
„Wie viel?“
„Fünf Pfund Sterling in Gold.“
„Du machst Sachen! Fünf?“
„In Sovereigns, also kein Papiergeld“, betonte er in der Erwartung, die Aussicht auf handfeste Goldmünzen zaubere ihr ein Strahlen ins Gesicht, weil sie sich auf diese Weise wieder begehrenswert und nützlich fühlen konnte.
„Na dann …“ Sie machte einen spöttischen Knicks. „Ich bin hingerissen, aber wo ist die Kohle?“
Johnson nickte, steckte eine Hand in die Innentasche seines Jacketts und nahm fünf funkelnde Sovereigns heraus. Das Gold klimperte und schimmerte hypnotisch. „Vorkasse oder kein Spaß heute Abend, so habe ich mich seinem Mittelsmann gegenüber ausgedrückt, und er hat zugestimmt und tatsächlich im Voraus bezahlt. Also habe ich schnell zugegriffen, ehe er es sich anders überlegen konnte. Bitte sehr.“
Er reichte Kitty das Geld, die es dankend annahm und noch eine Weile in beiden Händen wiegte. Sie betrachtete jede Münze einzeln und mit Freuden. Ihr Gesicht leuchtete auf wie das Konterfei von Queen Victoria, die auf den Sovereigns prangte.
„Ich fasse es nicht“, murmelte sie. „Gold! Sieh nur, wie es im Licht schillert!“
„Ja“, sprach Johnson zufrieden und schaute zu, wie Kitty die Stücke einzeln prüfte, indem sie auf das Metall biss, um sich seiner Echtheit zu vergewissern. Es war weich, wie nur Gold sein konnte. „Es geht aufwärts mit uns. Lass es jetzt verschwinden, Schätzchen, und behalte es im Auge. Es gibt Kerle, die hauen arme,...




