E-Book, Deutsch, 328 Seiten
Lotter Unterschiede
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-89684-598-6
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie aus Vielfalt Gerechtigkeit wird
E-Book, Deutsch, 328 Seiten
ISBN: 978-3-89684-598-6
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolf Lotters Essay ist ein Lob der Unterschiede, die unser Leben um Vielfalt und Freiheit bereichern. Unterschiede anzuerkennen, schafft eine Welt, die gerechter wird, weil sie dem Menschen in seiner Individualität gerecht wird.
Es geht deshalb immer auch um Diversität, Divergenz, Unterscheidungsfähigkeit, Multikulturalität, Handlungsoption, Alternative und, so Lotter, »um echte Empathie, nicht nur mit anderen, sondern auch mit sich selbst. Das Mitgefühl differenziert und handelt.«
Autoren/Hrsg.
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»Bene docet, qui bene distinguit.« »Gut lehrt, wer die Unterschiede klar darlegt.« LATEINISCHES SPRICHWORT Ermutigung Wir leben in Zeiten der großen Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Manches verändert sich dabei spürbar. Der weitaus größere Teil dieser Veränderung aber schleicht sich nahezu unbemerkt in unser Leben, in unsere Arbeit, in unsere Kultur und beeinflusst so die Art, wie wir die Welt verstehen. Je bewusster wir uns all dieser Entwicklungen werden, desto erfolgreicher wird die Veränderung verlaufen. Die Verbesserung der Welt ist kein Zufall und kein Schicksal. Das Neue ist, was den Unterschied macht. Die Innovation, die Überraschung, die Unterbrechung. Es ist jene »schöpferische Zerstörung«, die der Ökonom Joseph A. Schumpeter als die treibende Kraft des Kapitalismus begriff. Aber sie ist natürlich weit mehr als nur auf dessen Varianten oder auch nur auf die Ökonomie begrenzt. »Der Mensch spürt nur den Unterschied«: Dieser Sigmund Freud zugeschriebene Satz macht klar, was wir uns vergegenwärtigen sollten: Wir sehen nicht nur den Unterschied. Wir machen ihn auch. Wir sind der Unterschied. Wir können gar nicht anders. Das ist das Wesen unseres Bewusstseins. Alles Lernen, Lieben, Verstehen erwächst aus diesem Kern. Jedes Talent und jede Qualität erklärt sich aus dem Unterschied. Wie kommt es dann, dass der Unterschied einen so schlechten Ruf hat? Vielleicht, weil aus denen, die einst angetreten waren, den Unterschied zu machen, schöpferisch zu zerstören und zu erneuern, Etablierte geworden sind. Und das Establishment sich naturgemäß in Routine übt. Weil es bewahren will, sagt es: Never change a running system, und unterschlägt dabei konsequent die eigentliche Frage: Für wen läuft das System? Für wen nicht? Auch hier verstellen verborgene Interessen und Moral den Blick. Fragen wir in der Transformation doch vernünftiger: Was soll bleiben? Was soll kommen? Jede Form von Politik lebt davon, einen Unterschied zu machen, nicht etwa in Gleichförmigkeit zu erstarren. Unterscheiden heißt Erkennen, und Erkennen ist der Anfang des Aufbruchs. Das ist der Unterschied, um den es in diesem Buch geht. Eine Ermutigung, sich nicht vor der Kompliziertheit des Neuen zu fürchten, sondern sich vielmehr klarzumachen, dass Innovationen und Erneuerungen uns helfen, ein besseres Leben zu führen. Und dass dieses bessere Leben unendlich viele Facetten birgt und eben nicht vereinheitlicht werden kann. So ist es auch gegen den furchtsamen, teils auch manipulativen Zeitgeist geschrieben, der Einheit beschwört und Einfalt erhält. Es ist ein Appell für echte Diversität, für die Einzelgerechtigkeit statt vereinfachender Zuschreibungen und Kategorisierungen, wie etwa männlich/weiblich/divers. Es ist ein Buch für eine Gerechtigkeit, die sich nicht durch Formalitäten, Regeln oder Verallgemeinerungen definiert. Eine menschengerechte Gerechtigkeit ist nicht buchstabentreu. Unterschiede finden sich jenseits der einfachen Antworten. Dieses Buch fordert auf, alte Regeln zu brechen und an ihre Stelle jene neuen zu setzen, die dem Individuum gerecht werden und nicht einer Ideologie. Es ist ein optimistisches Buch selbst dort, wo es die Grausamkeiten und Irrtümer totalitärer Kollektive beschreibt, denn der Autor ist fest davon überzeugt, dass nur ein realistisches Menschenbild eine bessere Entwicklung ermöglichen kann. An die Stelle des Zweckoptimismus soll hier also Ingeborg Bachmanns Wort von der Wahrheit, die dem Menschen zumutbar ist, treten. Es ist ein zuversichtliches Buch für alle, die sich nicht damit zufriedengeben, nur als Teil des Ganzen definiert zu werden. Es wird hoffentlich deutlich werden, dass jede Vereinfachung die Schönheit der Vielfalt nur verdeckt, dass das Zeitalter der grauen Einheitlichkeit überwunden werden muss – vor allem ihre Denkart und ihre Kultur. Wir werden sehen, dass es sich lohnt, anders zu sein und das Anderssein zu verteidigen, dass Grenzen nicht schlecht sind, wenn wir sie als Merkmal der Unterscheidung zu nutzen verstehen – nicht als unüberwindliche Barrieren, sondern als Leuchttürme unserer Existenz und der Schönheit der Welt. Denn das ist, was uns die Unterschiede lehren, ja der Grund, warum es sie gibt: wie schön es doch ist, wie wunderbar, sie zu bemerken. Hochauflösend Die Geschichte der menschlichen Kultur ist die ihrer Erfindungen. Dabei geht es nicht allein um Werkzeuge und Technik, Methoden oder Formeln, sondern vor allen Dingen darum, all diese Ideen und Erneuerungen, Verbesserungen und Verfeinerungen der menschlichen Natur jeweils richtig zu nutzen, aber eben auch darum, ihren Sinn zu verstehen. Es geht also nicht nur um den Zweck eines Mittels, etwa die Vereinfachung von Arbeit durch ein Werkzeug, sondern auch um den beiläufigen Sinn, also das, was uns die Kulturtechnik der Idee zu sagen hat. Es ist leichter, etwas zu benutzen, als dessen Sinn zu verstehen. Wenn die Dinge sprechen könnten, was würden sie uns heute sagen? Zum Beispiel einem Menschen, der vor einem hochauflösenden Bildschirm sitzt, der in 4- oder gar 8K-Auflösung jedes noch so feine Detail zu einem Ganzen zusammenführt? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an, was wir gelernt haben. Für die einen ist der Blick auf einen hochauflösenden Monitor am Smartphone oder Computer gerade der Beweis dafür, dass alles irgendwie eins ist – eine Einheit also, die umso fester erscheint, je brillanter ihr Bild erstrahlt. Für andere wiederum bedeutet High Definition eben nicht Amalgam und Einheit, weil sie um die Grundlage des schönen Scheins wissen: Es ist das Detail, ein jeder Bildpunkt in Abermillionen Farben, in unzähligen Varianten. Die eine Sicht auf den Bildschirm ist die von gestern, aus dem Zeitalter der Einheit, Norm und kollektiven Nivellierung. Der andere Blick macht den Unterschied. Er weiß um die Diversität und Komplexität der Welt. Sein Fokus liegt auf der Wissensgesellschaft, auf einem besseren Morgen, in dem nicht mehr Gleiches gerecht ist, sondern das, was dem Einzelnen gerecht wird. Im Sinne dieser Transformation ist der Unterschied die Kraft hinter Innovation, Vielfalt, Wohlstand und Menschlichkeit. Selbstreflexion Zum Elend moderner Gesellschaften gehört es, auf sozialer und kultureller Ebene nicht zu verstehen, was technisch längst vollzogen ist. Unser Bewusstsein hinkt unseren Möglichkeiten, die wir selbst geschaffen haben, hinterher. Es wird Zeit, dass wir den Blick auf uns selbst in höchster Auflösung richten. Fangen wir an, Unterschiede zu sehen. Machen wir unserer Fehlsichtigkeit ein Ende. Alle reden von Vielfalt, von Diversity. Aber was ist das eigentlich? Jede einfache Antwort darauf ist falsch. Vielfalt und Diversität werden zum Paradox, wenn man versucht, sie auf Regeln, Normen und Standards festzulegen. Das gilt für Sprache und Organisationen gleichermaßen. Vielfalt lässt sich nicht einhegen, kontrollieren oder verordnen. Dieses Buch will dazu anregen, den Umgang mit der wichtigsten Kraft der Wissensgesellschaft zu kultivieren: der Unterscheidung. Unterscheidung macht uns zu Menschen, und nur wer den Unterschied spürt, kann diese Welt zum Besseren verändern. Wir haben gelernt, uns einzufügen, die Einheit zu bejubeln. Die Wissensgesellschaft braucht aber genau das Gegenteil davon: Menschen, die den Unterschied machen. Die zeigen, dass sie anders und stolz auf dieses Anderssein sind. Der Unterschied ist unser Freund. Auf den ersten Blick mag das reichlich banal klingen. Müssen wir nicht jeden Tag, jede Minute eine Sache von der anderen unterscheiden? Ist nicht alles, was wir wahrnehmen, letztlich darauf gebaut? Ist es nicht geradezu ein Merkmal bewussten Denkens, einen Gedanken vom anderen zu unterscheiden? Zweifellos. Und dennoch gehen wir in unserer Welt, die vom industrialistischen Denken – der Kultur der vergangenen 250 Jahre – geprägt ist, mit den Unterschieden schlecht um. Wir unterscheiden nicht, um mehr zu erkennen, sondern um auszugrenzen. Vielfach halten wir den Unterschied deshalb für ungerecht und unfair. Doch anstatt sich über den Sinn der jeweiligen Unterscheidung schlauzumachen, suchen wir allzu oft lieber das, was wir schon kennen – unterschiedslos immer das Gleiche, und dabei geht der Reiz des Originellen verloren. Ähnlichkeit ist gefragt, am besten in Übereinstimmung im Denken und Handeln, und längst auch im Reden. Das scheint Sicherheit zu verleihen in einer Welt, die man kompliziert nennt, weil man ihre Komplexität nicht gelernt hat zu erschließen. Das ist gefährlich und ein guter, vielleicht der beste Grund für Tyrannen und Dogmatiker, frohen Mutes in die Zukunft zu sehen. Wo sich nichts mehr unterscheidet, alles gleich ist, herrscht Gleichgültigkeit. Was heißt das in einer globalen Wirtschaft, in Gemeinschaften der Vielfalt, die heute in jeder kleineren Stadt entstanden sind? Was bedeutet das für die Suche nach Innovationen und Lösungen in unserer krisengebeutelten Welt? Das bedingungslose Festhalten an Einheit und Bekanntem kommt hier nicht nur einer Vollbremsung gleich, es bedeutet geradezu das Einlegen des Rückwärtsgangs. Aus einem Schritt vorwärts, zwei zurück – der selbstkritischen Phrase des russischen Revolutionsführers Lenin – ist ein ängstlicher Dauerlauf ins Einheitliche geworden. Zurück in ein Zeitalter, das nie wiederkommt – und das auf Unterschied verzichtete, weil sich damit schlecht kontrollieren, manipulieren und regieren ließ: zurück in den Industrialismus. Erst durch den...