Lorenz | Kriegskinder | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Lorenz Kriegskinder

Das Schicksal einer Generation
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0186-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das Schicksal einer Generation

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0186-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sie waren noch Kinder, und die Schrecken des Krieges waren ihr Alltag: Mit großem Einfühlungsvermögen schildert Hilke Lorenz das Aufwachsen inmitten von Flucht, Vertreibung, Bombennächten, Hunger und Tod. Ein wichtiges Buch zu einem Tabuthema, das eine ganze Generation und ihre Kinder und Kindeskinder prägte.

Hilke Lorenz, Jahrgang 1962, ist Redakteurin der Stuttgarter Zeitung. Im Ullstein Verlag sind ihr Bestseller Kriegskinder, Das Schicksal einer Generation (2003) und Heimat aus dem Koffer (2009) erschienen.
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Vorwort


Den Frieden zu bauen ist schwer. Das weiß ich nicht nur aus meiner Arbeit auf dem Balkan. Denn der Krieg zerstört Infrastruktur – auch die seelische. Es ist eine langwierige Arbeit, diese Wunden zu heilen und wieder Strukturen für das Weiterleben zu schaffen. Mit diesem Wissen aus meiner langjährigen politischen Arbeit und der eigenen Lebensgeschichte schreibe ich dieses Vorwort. Ich will dabei nicht verhehlen, dass es für mich erst problematisch erschien, über die Lebensentwürfe anderer, nicht so stark in Anspruch genommener Altersgenossen, glaubwürdig zu schreiben. Schließlich hatten sie doch nicht die gleichen Chancen wie ich. Gewiss würde ich meine Sachkunde nicht verneinen, und auch die spezifischen Erfahrungen mit einer belastenden Vergangenheit und einer schwierigen Gegenwart kann ich nicht leugnen. Doch genügt das wirklich, um über die Situation eines anderen sachgerecht und nicht nur gefühlsorientiert zu urteilen? Ich bin da nicht sicher. Deshalb sind die folgenden Zeilen als ein Versuch und nicht so sehr als eine Bekundung von Gewissheiten zu verstehen.

Berichte ich also zunächst von mir. Ich bin 1929 geboren, in einer Familie aufgewachsen, die bereits Anfang 1933 in die Fänge des NS-Regimes gelangte, weil Vater wie Mutter schon vor der Machtpreisgabe der Weimarer Republik gegen Hitler Front machten (»Wer Hitler wählt, wählt den Krieg«) und deshalb sofort den Repressionsmaßnahmen der nun »braunen Führung« unterlagen. Gefängnis, Zuchthaus, Konzentrationslager waren die Konsequenzen.

Viele Jahre wuchs ich deshalb ohne die unmittelbare Einflussnahme des Vaters und eine längere Zeit auch ohne das eigentlich selbstverständliche Miteinander mit der Mutter auf. Ich wurde von den Großeltern erzogen, ohne wirklich zu begreifen, warum ich bis zu meinem zehnten Lebensjahr ohne die Fürsorge der Eltern auskommen musste. Ich war trotz alledem gut behütet, litt keine sonderliche materielle Not, sondern erfuhr, wie alle Kinder in unserem Wohnviertel, die normalen Lebensbedingungen jener Zeit. Eng war es, bescheiden ging es zu, doch auch die anderen hatten kaum besondere materielle Freuden. Für Neid auf andere wegen ungleicher Voraussetzungen gab es keinen Raum.

Kurz war dann die Zeit, in der ich mit den Eltern zusammenleben konnte, denn bald brach der Krieg aus und er bedingte wegen der damit verbundenen Belastungen wiederum eine Eingrenzung der Zeit für das jetzt möglich gewordene gemeinsame Zusammensein. Zudem stellte sich weiterer Nachwuchs ein und die Kleinen verlangten ihr Recht.

Krieg, das bedeutete 1941 weg aus der von Bomben bedrohten Stadt, Kinderlandverschickung war das Ergebnis, und diese dauerte bei mir unter jeweils kürzeren Rückkehrpausen dann bis August 1944. Es war eine Zeit, in der ein Miteinander in der Familie mehr Gastspiel als wirkliche Gemeinsamkeit bedeutete. Und die dann folgende Zeit war überschüttet von Fliegeralarmen, Bunkeraufsuchen, Trümmerräumen, auch sechswöchiges »Schanzen« bei Wilhelmshaven war angeordnet, und schließlich ging es im März ’45 zum Reichsarbeitsdienst, aus dem ich nach Kampfeinsatz und folgender englischer Gefangenschaft in Belgien Ende September ’45 in die Heimat zurückkehrte. Wiederum stand meine Mutter jetzt allein vor der Aufgabe, den »Großen« und die beiden »Kleinen«, für das Leben vorzubereiten, denn mein Vater war als Angehöriger der Wehrmacht im September ’44 in Finnland gefallen. Von einer geborgenen Kindheit kann man also hier kaum sprechen. Einige wenige Jahre im umhegten Familienverband sind die guten Zeiten meines Erwachsenwerdens, in der Regel aber war es ein schlichtes Durchstehen, nicht selten auf sich allein gestellt. Das alles prägte mich in besonderer Weise und führte viel frühzeitiger als bei anderen zu der Frage nach dem Warum und Weshalb. Wie kam es zu 1933? Warum kam es zu diesen jahrelangen Inhaftierungen? Wie haben Verwandtschaft und Bekannte darauf reagiert? Nicht zuletzt, wie einsam war meine Mutter in dieser Zeit? Und dann auch wie bei vielen anderen Familien die Fragen: »Wie wurde sie mit dem Verlust des Ehemannes fertig, und welche besonderen Probleme gab es aus ihrer Sicht für die gesicherte Erziehung der Kinder? Und warum hat sie über diese Zeit nicht sprechen wollen?

Fragen über Fragen, die bei anderen Kindern der Kriegszeit gewiss auch, wenn auch mit anderen Schwerpunkten aufkamen. Auch sie erlebten, dass die Erwachsenen der Kriegszeit von sich aus gar nicht oder nur selten über diese Zeit sprachen. War es bei den damals für die Familien Verantwortlichen nur der Wunsch, ihre eingekapselten Traumata der Zeiten von Not, Vertreibung und Schrecken nicht aufbrechen zu lassen, oder wollte man den Kindern Belastungen, Kenntnisse oder Erfahrungen ersparen, die das eigene Leben so bitter beeinflusst hatten? Darauf will der vorliegende Band Antworten geben. Individuelle Antworten, subjektive Antworten, aber in der Fülle der unterschiedlichen Reflexionen ergibt sich ein beeindruckendes Resümee. Wir können jetzt besser nachvollziehen, wie viel Prägendes lange nicht sichtbar war, vielleicht aber auch, warum die Großelterngeneration eher darüber zum Sprechen und Erzählen gebracht werden konnte, als diejenigen, die damals in Verantwortung für ihre Kinder handelten.

Auf der Suche nach Antworten müssen wir deshalb auf die damals allgegenwärtige Situation der Kinder in den Kriegszeiten von 19391945 zurückgreifen. Es gilt Gemeinsames und sehr Unterschiedliches aufzuzeigen, nicht zuletzt müssen auch die keinesfalls überall gleichen Lebens- und Gefahrensituationen der vom Krieg betroffenen Kinder gesehen werden.

In diesem Zusammenhang muss man von der Kinderlandverschickung (KLV) sprechen. Nachdem sich schon Ende 1940 herausstellte, dass die großsprecherische Versicherung der NS-Führung »es wird kein feindliches Flugzeug in den deutschen Luftraum eindringen können, um deutsche Wohngebiete zu gefährden« sich nicht bewahrheitete und die deutschen Luftangriffe auf englische Städte (»coventrieren«) nun mit steigender Wucht vergolten wurden, entwickelte man den Plan, die Schulkinder aus den als besonders gefährdet betrachteten Großstädten in Regionen des Deutschen Reiches zu verbringen, die von den Britischen Inseln mit den damaligen Flugzeugen nicht zu erreichen waren. Man widmete in Süd- und Ostdeutschland und dem so genannten »Protektorat Böhmen und Mähren« Hotels, Jugendherbergen und Erholungsheime um. Als geeignete Gebäude für einen mehrmonatigen Daueraufenthalt von Schulen bzw. Schulklassen zu Unterbringungs- und Schulzwecken wurden sie jetzt neuen Aufgaben zugeführt, in einigen Fällen nutzte man auch Privatunterkünfte mit Familienanschluss. Die Lehrerinnen und Lehrer mussten die Klassen – häufig ihre heimatlichen Schulklassen – begleiten, und für die außerschulische Erziehung und Betreuung wurde ihnen von der Hitlerjugend eine Führungskraft aus dem Reservoir der damaligen Staatsjugend als Lagermannschaftsführer beigegeben. Fern von der Familie, gemäß dem Prinzip: Jugend soll durch Jugend geführt werden, nunmehr ganzheitlich in der Schule wie im Lageralltag der NS-Ideologie preisgegeben, haben dann fast bis zum Kriegsende Hunderttausende von Jungen und Mädchen diese verordnete Trennung von der Familie in der Regel klaglos hingenommen. Für sie war es bei allem Heimweh doch auch ein Stück Abenteuer und Bewährung, so wie sie es verstanden (jedenfalls habe ich das damals so empfunden und ich war gewiss nicht der Einzige, der so fühlte). Den Sorgen der Eltern, vor allem der Mütter, ist bei Berichten über diese Zeit selten genug Raum gegeben worden. Es wurde im Allgemeinen als kriegsbedingtes Schicksal verbucht, über das nicht viel zu klagen war. Verdrängt wurde dabei aber gar zu häufig, dass zumindest die Jungen ab 14 Jahren immer stärker im Rahmen ihrer KLV-Zeit mit vormilitärischen Ausbildungen auf ihr Ziel, in absehbarer Zeit zum Wehrdienst einberufen zu werden, vorbereitet wurden.

Auch die anderen Heranwachsenden, die nicht in die Kinderlandverschickung kamen, wurden in den Versorgungs- und Unterstützungskreislauf der Staatsmacht einbezogen. Angefangen von Ernteeinsätzen von Jungen und Mädchen ab 14 Jahren, über das Sammeln von Altmaterial und Stanniol für die Kriegswirtschaft durch die Schulen, wobei die Lehrkräfte in die Aufsichts-, Kontroll- und Berichtspflicht genommen wurden, kommt es wegen der Verschlechterung der Kriegsjahre zu einem geraden Weg spezieller Einsätze. Bei den etwas älteren Mädchen zu Krankenhaushilfsdiensten, bei den Jungen in den Städten zu Luftwaffenhelfer- (später auch Marinehelfer-) Einsätzen, bei denen die Heranwachsenden Soldaten ersetzen mussten, die an die Front verlegt wurden, später folgte die »Volkssturmverwendung«. Der Anfang zur Realisierung der Einsätze von Kindersoldaten ist hier erkennbar; Kindersoldaten sind, anders als es heute gesehen wird, also kein besonderes Merkmal der Stammes- und Bürgerkriege in den Entwicklungsländern. Deutschland bot selbst problematische Beispiele. Allerdings will ich nicht verhehlen, dass die 16/17-Jährigen sich gewiss darüber empört hätten, als Kindersoldaten bezeichnet zu werden. Wir empfanden uns schon als erwachsen, erfahren und kampffähig. Ich selbst war doch schon mit sechzehn Jahren beim Kampfverband des Arbeitsdienstes und hätte gewiss eine solche Bezeichnung damals als ehrverletzend angesehen!

Die Tatsache, dass diese Entwicklungen alle im Lichte der Öffentlichkeit vonstatten gingen und kein spürbarer Widerstand gegen den Missbrauch dieser im Übergang vom Kindesalter zum Heranwachsenden aufkam, darf nicht über die Situation der...


Lorenz, Hilke
Hilke Lorenz, Jahrgang 1962, ist Redakteurin der Stuttgarter Zeitung. Im Ullstein Verlag sind ihr Bestseller Kriegskinder, Das Schicksal einer Generation (2003) und Heimat aus dem Koffer (2009) erschienen.

Hilke Lorenz, Jahrgang 1962, ist Redakteurin der Stuttgarter Zeitung. Im Ullstein Verlag sind ihr Bestseller Kriegskinder, Das Schicksal einer Generation (2003) und Heimat aus dem Koffer (2009) erschienen.



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