Lopez | Aus der Deckung | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Lopez Aus der Deckung

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-455-00825-8
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-455-00825-8
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Boxen, dealen, Karten spielen und ein bisschen Voltaire: In einer Kleinstadt mit endlosen Reihenhaussiedlungen irgendwo in der Provinz vertreiben sich Jonas und seine Kumpel die Zeit. Für sie ist es nicht Tristesse, sondern ihr Zuhause. Hier können sie große Töne spucken, hier werden sie respektiert. Ab und zu landet einer von ihnen im Knast. Jonas hat das Zeug zum Profiboxer, aber nicht den Elan. In der Hipster-Bar in der nahen Großstadt oder auf der Studentenparty machen er und seine Kumpel Stress, verlieben sich in Frauen, die für sie nicht infrage kommen, versuchen erst gar nicht, akzeptiert zu werden. Sie reden zwar vom Ausbruch, doch wem er gelingt, der gehört nicht mehr dazu.   Mit großer erzählerischer Kraft und voller Poesie zeichnet David Lopez das lebendige Bild einer Generation, die sich selbst abgehängt hat. Der Roman über das Erwachsenwerden in einer Welt, die nichts verspricht, hat in Frankreich einen Nerv getroffen.  

David Lopez ist 1985 in Nemours geboren, wo er auch heute noch lebt. Als Jugendlicher hat er gerappt und geboxt. Er hat in einer Psychatrie gejobbt und Kreatives Schreiben studiert. Aus der Deckung ist sein erster Roman, der in Frankreich von der Presse hochgelobt und mit dem renommierten Prix du Livre Inter ausgezeichnet wurde.
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Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
Pablo
Siebenundsechzig fünf
Seinen Garten bestellen mit Voltaire
Periskop
Ball
Ruhe finden
Komma
Eponym and Clyde
Sturm
Klumpen
Bienenstock
Barometer
Savoir-vivre
Tipi
Papillon
Zweieinhalb Runden
Todesstoss
Biographien
Impressum


Pablo


Eine Schwade schlägt mir entgegen. Als ich die Tür öffne, sehe ich einen dicken braunen Schleier unter der Decke hängen und darin eingetaucht sie alle. Ixe stört es nicht, wenn man bei ihm raucht, Hauptsache, keine Kippen. Ich schaue zu ihm rüber, kann ihn kaum erkennen. Er schwebt im Dunst. Zu dir kommt man gern, sage ich. Ohne abzuwarten, ob ich etwas hinzufügen will, stellt er mir die übliche Frage. Willst du einen drehen? Klar.

Er hat das Zimmer nie umgeräumt. Ich lasse mich also auf dem kleinen, unbequemen Hocker am Couchtisch nieder, meinem Stammplatz. Ixe sitzt an seinem Schreibtisch links von der Tür, neben seinem Bett, das stets so ordentlich gemacht ist, dass man meinen könnte, er schlafe nie darin. Dabei geht er nicht oft raus. Er wartet, dass man zu ihm kommt. Er wohnt am Ortsausgang, dahinter liegt eine Wiese, dann der Wald. Es ist ruhig. Dieses Häuschen nennt er seinen Bau. Er hätte einen guten Höhlenmenschen abgegeben, sagt er oft.

Sieht nicht gut aus, dein Auge, meint Poto hinten im Zimmer zu mir. Er mischt schon die Karten. Ich antworte erst mal nicht, denke nur, dass ich diesen Deckenstrahler nicht mag, sein kaltes Licht, dann stöhne ich, Leute, ihr wart selbst da, ihr habt es gesehen, mehr gibt es nicht zu sagen. Ist nicht um viel gegangen, meint er, und ich erwidere, es sei kein Spiel. Sie sollten mal lieber halblang machen mit den Aufmunterungen, fügt Sucré hinzu, der sich neben Poto gesetzt hat.

Bei Ixe läuft immer Musik. Poto stört das nicht, er verbringt seine Zeit damit, die Rhymes der Sänger zu zerpflücken, die wir hören. Er bittet Ixe, das Lied noch einmal abzuspielen, wegen eines mehrsilbigen Rhymes, den er gehört haben will. Hört mal hin, Jungs, habt ihr’s gecheckt, den Rhyme auf a-i-eu, nein, antworte ich, hab nicht aufgepasst. Sucré nickt, während Ixe, über seinen Schreibtisch gebeugt, nichts sagt. Er macht sich daran, eine Platte zu teilen. Sie liegt auf einem Tranchierbrett, das Metzgermesser daneben. Brauchst du ein Piece, Jonas?, fragt er mich. Okay, sage ich, gib mir ’n Fünfundzwanziger, wie immer. Ich muss brüllen, damit er mich versteht. Jeder hat seine eigene Technik, um ein Stück von dieser Größe zu schneiden. Die besonders Vorsichtigen erhitzen die Klinge. Ein anderer Kumpel, der Untel heißt und mit Shit dealt, steckt die Platte glatt in die Mikrowelle. Ixe nimmt den Föhn.

Zigarettenpapier, Shit, eine Kippe. Das legt Ixe mir auf den Tisch, weil es ihm zu lange dauert, bis ich in die Gänge komme. 1-a-Stoff, wirft er mir zu, man braucht nicht viel. Das sagt er immer, er kennt mich. Ich will nicht so schnell ausgeknockt werden. Ich schiele mit meinem geschwollenen Auge zu ihm hinüber, er hat rote Augen, ist nicht mehr ganz frisch. Als ich ihm das sage, lacht er, während er gleichzeitig seine Augenringe reibt. Jetzt ist mir klar, warum ich nicht so viel reintun soll.

Also, spielen wir jetzt, oder was? Poto ist heiß darauf. Warte, ich dreh noch, und lass mich vorher mal dran ziehen, damit ich fit werde. He, Ixe, stell die Musik leiser, mir brummt der Schädel. Poto kündigt an, er werde mich beim Kartenspiel abziehen, und plötzlich höre ich eigenartigerweise seine Stimme sehr deutlich. Ich lache, während ich mit der Zigarette auf meinen Daumennagel klopfe. Dadurch klopfe ich meinen Marokk gut fest, jenes Stück der Kippe, das als Filter dienen soll. So ist es milder, angenehmer zu rauchen als mit einem Filtertip, der gar nichts filtert, denn er ist ja nur ein Stück gerollter Karton. Als ich jünger war, hielt ich Marokkraucher für Weicheier. Es war mir unbegreiflich, dass man da etwas mildern wollte. Heute ist es kein Fest mehr. Vom Filtertip zum Marokk umzusteigen heißt, ein wenig reifer zu werden.

Was ist das für ein Stoff?, frage ich Ixe. Harziger Schwarzer, wie du ihn magst, antwortet er. Oha, sage ich, und dann ziehe ich ihn kurz durch eine kleine Flamme, bevor ich ihn unter meine Nase halte. Der Stoff duftet gut. Normalerweise zerbröselt man den Shit, erwärmt und zerreibt ihn. Mit diesem geht das nicht, er ist zu klebrig. Darum knete ich ihn zu einer Kugel, die ich mit der Spitze eines herumliegenden Bleistifts aufspieße und ins Feuer halte. Wenn er gut ist, brodelt er. Das Ganze dauert drei Sekunden. Mit Tabak vermischt schmilzt der Shit, legt sich auf jeden Krümel, Tabak und Shit verbinden sich. Als würde beim Mischen eines Kartenspiels der Stapel zu einer einzigen Karte werden. Der Shit zwischen den Fingern ist geschmeidig. Er riecht gut. Poto meint, es sei nicht gut, den Stoff so anzusengen, weil die Verbrennung den Wirkstoff freisetze. Das gilt auch für Ixe und seine bescheuerte Föhnerei, fügt er hinzu. Pass auf, erwidere ich, gleich verpasst er dir eine, und er blafft zurück, er würde gleich mir eine verpassen, wenn ich mich nicht beeilte. Poto ist immer ungeduldig. Aufgedreht. Heute Abend schimpft er nicht so viel, es geht.

Ich mische lange. Brauche immer eine Ewigkeit für einen Joint. Einen schludrig gedrehten Joint finde ich vulgär. Als würde man guten Wein aus einem Wasserglas trinken. Ich werde häufig darauf angesprochen und antworte immer dasselbe, ihr seid Ferkel, ihr habt vor nichts Respekt. Poto mischt die Spielkarten seit fünf Minuten so intensiv, dass es mich nicht wundern würde, wenn sie wieder nach Farben geordnet wären. Er kündigt an, eine 8 zu ziehen, und dreht die erste Karte auf dem Stapel um. Es ist ein Karokönig. Ixe kündigt eine Dame an, es ist eine 2. Sucré spielt nicht. Ich sage König und decke den Pikkönig auf. Das ist ein Zeichen, sage ich, heute zeig ich’s euch.

Ich habe das Papier angefeuchtet, den Joint gerollt. Ich klopfe ihn auf meinem Daumennagel fest. Poto beobachtet mich aufmerksam, er muss immer lachen, weil ich so viel Sorgfalt darauf verwende. Ich halte den Spliff in der linken Hand, nehme mit der rechten mein Feuerzeug und halte es beim Anzünden nach unten, damit die Flamme an der Metallummantelung des Zündsteins hochlodert. Dadurch wird das Metall heiß. Anschließend lege ich den Joint drauf, das erhitzt den Marokk. Der darin enthaltene Tabak wird weich, und wenn er wieder erkaltet, bildet er mit dem Shit ein homogenes Amalgam, sodass der Joint nicht krümelt und keine Brösel auf den Lippen oder der Zunge kleben bleiben. Dann nehme ich ihn in den Mund, zünde ihn an, nehme einen ersten Zug und richte mich auf meinem Hocker auf. Ich habe eine Fackel gedreht. Dichter weißer Rauch. Sucré hebt fragend das Kinn. Jungs, ich bin so weit.

Ich habe nicht auf Ixe gehört. Habe zu viel reingepackt. Den zweiten Zug behalte ich in der Lunge und atme nicht aus. Das Zwerchfell ist gespannt, wenn ich zu schnell loslasse, bekomme ich einen Hustenanfall. Das kenne ich schon. Verziehe das Gesicht. Unglaublich, was du für eine Fresse ziehst, meint Ixe, Schnauze, antworte ich mit gepresster Stimme, denn ich kann kaum noch die Luft anhalten. Husten fördert die Wirkung von Cannabis, die kleinen Äderchen in der Kehle öffnen sich, und dann schießt es direkt ins Gehirn. Als würde man beim Gang über den roten Teppich durch die Hintertür eintreten.

Ich schlage vor, mit dem Spiel zu beginnen, denn langsam reicht es mir. Dann los, meint Sucré, recht hat er, und Poto meckert, ja, geht’s noch, wir warten schon die ganze Zeit auf dich, aber Ixe teilt mit, dass Miskine gleich kommt, also warten wir auf ihn. Ach so, er kommt auch? Ihr seid vielleicht anstrengend, sagt Poto, nachdem er die Karten ausgelegt hat. Eine 4! Nein, es war eine 8. Für mich eine 7. Die 7! Hast du ein Glück, sagt er.

Ich streiche mit der Hand über mein Gesicht. Überall Beulen. Die reinste Buckelpiste. Mein geschwollenes Lid wölbt sich über das linke Auge, ich kann damit fast nichts mehr sehen. Seine Rechte habe ich nie in den Griff bekommen. Und meine Linke war immer unten, in Höhe der Schulter. Kein Wunder. Im Auto haben wir kaum ein Wort gewechselt, aber ich erinnere mich, dass Sucré mir vorschlug, Eis daraufzulegen. Ich habe erst einmal abgewimmelt. Mit Eis auf dem Auge kann ich nicht Karten spielen. Ich will aber, dass jetzt ausgeteilt wird, jetzt sofort, dass wir spielen, die Klappe halten, rauchen.

Los, machen wir eine Partie zum Aufwärmen. Poto ist voll dabei, kurz entschlossen nimmt er Ixe das Kartenspiel aus der Hand und beginnt zu mischen wie ein Croupier, nur nicht so geschickt, wir ziehen ihn damit gern auf, deshalb teilt er gleich aus. Zur Feier nehme ich einen starken Zug. Sucré dreht sich gerade einen, bei der nächsten Partie sei er dabei, sagt er. Vier verdeckte Karten liegen vor uns, zwei unten, zwei oben. Poto legt den Kartenstoß in die Mitte des Tisches, ich schiebe ihn ein wenig zur Seite, damit wir Platz zum Spielen haben. Ixe meint, ich hätte zu viel in den Spliff gepackt, was für eine Nervensäge.

Wir schauen uns die Karten zuunterst an, nicht die, die oben liegen. 2-7. Nicht schlecht. 2-7, muss ich mir merken. 2-7. Ixe hat gegeben und sitzt rechts von mir, also beginne ich. Ich ziehe eine 7 vom Stapel. Wenn ich sie für mein Spiel gebrauchen kann, muss ich dafür eine von meinen Karten ablegen. Ich lege sie auf die andere 7, und die, die darüberlag, drehe ich um und lege sie in die Mitte. Scheiße, ein Ass. Jetzt ist Poto dran, der sie schnell nimmt und sie gegen eine seiner Karten tauscht, oben links. Das darf ich nicht aus dem Auge verlieren, wenn ich Gelegenheit zu einem Tausch habe. Gut, jetzt habe ich 2-7-7, 2-7-7. Schieb mal den Joint rüber, ich muss mir meine Karten...


Müller, Sabine
Sabine Müller, geboren 1959 in Lauffen/Neckar, ist seit 1994 Übersetzerin für französische und englische Literatur. Mit ihren beiden Kindern leben sie im Raum Heidelberg. Für Hoffmann und Campe haben sie u. a. die Autobiografie von Elie Wiesel und acht Romane von Andreï Makine übersetzt.

Lopez, David
David Lopez ist 1985 in Nemours geboren, wo er auch heute noch lebt. Als Jugendlicher hat er gerappt und geboxt. Er hat in einer Psychatrie gejobbt und Kreatives Schreiben studiert. Aus der Deckung ist sein erster Roman, der in Frankreich von der Presse hochgelobt und mit dem renommierten Prix du Livre Inter ausgezeichnet wurde.

Fock, Dr. Holger
Holger Fock, geboren 1958 in Ludwigsburg, übersetzt seit 25 Jahren französische Literatur. Sabine Müller, geboren 1959 in Lauffen/Neckar, ist seit 1994 Übersetzerin für französische und englische Literatur. Mit ihren beiden Kindern leben sie im Raum Heidelberg. Für Hoffmann und Campe haben sie u. a. die Autobiografie von Elie Wiesel und acht Romane von Andreï Makine übersetzt.

David Lopez ist 1985 in Nemours geboren, wo er auch heute noch lebt. Als Jugendlicher hat er gerappt und geboxt. Er hat in einer Psychatrie gejobbt und Kreatives Schreiben studiert. Aus der Deckung ist sein erster Roman, der in Frankreich von der Presse hochgelobt und mit dem renommierten Prix du Livre Inter ausgezeichnet wurde.



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