E-Book, Deutsch, 780 Seiten
Loos / Opel Gesammelte Schriften
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-99100-372-4
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 780 Seiten
ISBN: 978-3-99100-372-4
Verlag: Braumüller Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schon zu Lebzeiten von Adolf Loos bestand der Plan einer Gesamtausgabe seiner Schriften. Im Laufe von Jahrzehnten in diversen Zeitschriften und Tageszeitungen erschienen, als Vorträge gehalten und erst nachträglich publiziert oder von Zuhörern und seinen Schülern mitgeschrieben, waren diese einzigartigen Dokumente lange Zeit kaum zugänglich. Selbst Loos' bekanntestes Pamphlet Ornament und Verbrechen gelangte zunächst als Vortrag an die Öffentlichkeit. Damals wie heute ungebrochen ist die polarisierende Wirkung von Loos' radikalen Postulaten.
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VORWORT DES HERAUSGEBERS
„Dies aber weiß ich: daß der Ruf nach Freiheit und nach Form, den Loos in seinen Schriften erhoben und in seinem Werk bestätigt hat, heute gehört wird.“ (Julius Posener, 1983) Im Zuge der Aufarbeitung und Sichtbarmachung der Wurzeln unseres heutigen Kulturverständnisses in der westlichen Welt hat man Adolf Loos in zunehmenden Maße nicht nur als einen der Wortführer der Moderne um 1900 und auch noch der Zwischenkriegszeit erkannt, sondern auch als weitblickenden und evolutionären Denker, der in Österreich und Mitteleuropa seinesgleichen sucht. Die großen Loos-Ausstellungen in Berlin (1983/84), Wien (1889/90) und in Rom (2007) und die umfassenden Wien-Retrospektiven, die in den letzten Jahrzehnten in New York und Paris, in Brüssel, Venedig oder Tokio zu sehen waren (und in denen das Werk von Adolf Loos stets als einer der Schlüssel zum Verständnis einer ganzen Epoche im Zentrum stand), bezeugen gerade in der Konfrontation mit seinen Zeitgenossen und dem Zeitgenössischen die Bedeutung dieser singulären Erscheinung: sie stemmt sich wie ein erratischer Block gegen gleichzeitige „modische“ Strömungen und verfolgt – unbeirrt von allen Anfechtungen und Schmähungen – den für richtig erkannten Kurs, der konsequenterweise in unsere heutige Gegenwart weist. Seine Zeitgenossen sahen und lasen ihren Loos (falls sie ihn überhaupt lasen) freilich anders: die Titel, die er selber für die beiden zu seinen Lebzeiten publizierten Sammelbände mit seinen Aufsätzen und Vorträgen ausgewählt hatte – INS LEERE GESPROCHEN (1921) und TROTZDEM (1931) – zeigen seine Resignation in jenen Jahren an und auch sein Aufbegehren dagegen, ignoriert, mißverstanden oder angegriffen, aber auch kopiert und verfälscht zu werden. Adolf Loos, der „Revolutionär gegen die Revolutionäre“ – wie ihn sein Schüler und Mitarbeiter Paul Engelmann nannte – hatte es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, in Mode gekommene Scheinwerte mit von ihm als echt erkannten Werten zu bekämpfen. „Für mich ist die Tradition alles, das freie Walten der Phantasie kommt bei mir erst in zweiter Linie“, schreibt Loos bereits 1898 in einer seiner ersten Veröffentlichungen. Und das in einer Zeit, als der „Jugendstil“ in voller Blüte stand. So war Loos zeit seines Lebens ein Garant für Polemiken, Auseinandersetzungen, Kontroversen mit der öffentlichen Meinung und auch für handfeste Skandale. Schon die ersten eigenen Arbeiten des jungen Wiener Architekten und Innenraum-Gestalters um die Jahrhundertwende – als sich ihm die Gelegenheit bot, seine Thesen und Lebensanschauungen in der Praxis zu erproben – lösten meist ablehnende Reaktionen aus; aber auch Zustimmung einiger Gleichgesinnter wie Karl Kraus oder Richard Schaukal. Schon sein „Café Museum“ (1899) in der Wiener Operngasse – in unmittelbarer Nähe des zur gleichen Zeit von Josef Maria Olbrich gebauten Ausstellungsgebäudes für die „Wiener Secession“ mit seiner vergoldeten Blätterkuppel – wurde von mißgünstigen Kritikern angesichts seiner Kargheit und Schmucklosigkeit als „Café Nihilismus“ abgetan. Vor allem aber sein Geschäfts- und Wohnhaus am Michaelerplatz – das „Loos-Haus“ (1910/11) gegenüber der Wiener Hofburg, das vielgeschmähte „Scheusal von einem Haus“ (das dem Vernehmen nach Kaiser Franz Joseph den Ausblick aus seinen Gemächern vergällte …) löste einen Skandal und eine Polemik aus, die weit über die Sphäre der Haupt- und Residenzstadt hinausreichten und den Namen LOOS zu einem festen, wenn auch etwas dubiosen Begriff werden ließen. Seinen „Überfall auf das Wiener Kunstgewerbe“ – die gnadenlose Abkanzelung der Hervorbringungen der „Wiener Werkstätte“ und seines lebenslangen Rivalen Josef Hoffmann – im Jahre 1927, formuliert in seinen polemischen Vorträgen über das „Wiener Weh“, und seinen spektakulären Verstoß gegen den bürgerlichen Moralkodex im Jahre darauf – der ihm Schlagzeilen nicht nur in den Wiener Blättern und einen Gefängnisaufenthalt einbrachte – haben ihm die ganze Nation übelgenommen. Sein bis heute immer wieder zitierter Aufsatz „Ornament und Verbrechen“ (1908) hat Widerspruch und Spottlust einer in Zierat und Accessoires verliebten Epoche hervorgerufen. „Es gehört Mut dazu, den Sinn für das Notwendige zu wecken“, schreibt Hermann Bahr – er selbst ein unermüdlicher Fechter für die „Moderne“ – in einer Würdigung zu Loos’ 60. Geburtstag. „An solchen treuen Weckern hat es uns nie gefehlt … doch den Sieg errang Adolf Loos, denn er brachte der Selbstbesinnung das Stichwort: ORNAMENT UND VERBRECHEN, da horchte Jedermann auf, das sprach Jedermann nach. Diese Schrift ist denn auch in alle Sprachen übersetzt worden, sogar ins Japanische und Hebräische. Wer unter uns kann sich einer so weiten Wirkung rühmen?“ Walter Benjamin spricht von dem „leuchtenden Blitz, der in diesem Aufsatz gezündet hat“ – den Loos auch als Vortrag immer wieder dem Publikum zu Gehör brachte – und klassifiziert ihn als wichtigstes Werk, „das dem ästhetischen Imperialismus des vergangenen Jahrhunderts, dem Goldrausch an den ‚ewigen‘ Werten der Kunst, entgegengewirkt hat.“ So nachhaltig war die Wirkung dieses Pamphlets, daß man Adolf Loos die längste Zeit lediglich als einen „Bekämpfer und Verächter des Ornaments“ gesehen und ihn somit in seiner wahren Bedeutung einschneidend reduziert hat. Für Anhänger der Psychoanalyse ist die Loos’sche These von der Verdrängung des Ornaments nichts anderes als eine Verleugnung des „Lustprinzips“ und eine Negierung jedweder Phantasie. Doch gerade bei einer Jahrhunderterscheinung wie Adolf Loos ist es erforderlich, von einer heute so weit verbreiteten reduktionistischen Betrachtungsweise abzusehen, die sich letztlich in Schlagwörtern erschöpft. Schon er Loos-Schüler Heinrich Kulka stelle 1965 – anläßlich des Erscheinens der ersten Loos-Monographie von Ludwig Münz und Gustav Künstler – mit Befriedigung fest, daß es „sachlich richtig und wichtig (ist), den Schwerpunkt der Loos-Schöpfung von seinem Kampf gegen das Ornament auf seine positive große Kontribution zu verlegen – insbesondere auf die Schöpfung seines Raumplanes und auch seine städtebaulichen Visionen. Dadurch wird Loos als großem Meister der modernen Architektur mehr Gerechtigkeit zuteil.“ Bei Betrachtung des eine Zeitspanne von mehr als dreißig Jahren umfassenden Lebenswerks des Architekten und Schriftstellers Adolf Loos wird es ersichtlich, daß der – bis heute stets mit seinem Namen assoziierte – Kampf gegen das Ornament nur eine – wenn auch prägende – Etappe auf seinem konsequent verfolgten Weg war, der ethischen, sozialen und ästhetischen Werten verpflichtet gewesen ist. Der konstante Faktor auf diesem Weg: Ökonomie als Lebensprinzip, Ökonomie in der Architektur, bis hin zu den Verrichtungen des alltäglichen Lebens. So wie das handwerklich erzeugte Ornament verschwendetes Material und vergeudete Arbeitskraft bedeutet (und dadurch – so Loos – ein Verbrechen an der Gesundheit des Menschen und am Nationalvermögen eines Landes begeht), so bedingt auch in der Architektur eine Verschwendung von Raum eine Verschwendung von Energie und Leistung und somit eine Verringerung an Lebensqualität. Auch seine „zweite große Errungenschaft“ (Heinrich Kulka), der RAUMPLAN – das Lösen des Grundrisses im Raum – beruht letztlich auf seinem Postulat der Sparsamkeit: das Loos’sche Konzept durchbricht die Stockwerkhöhen im von ihm entworfenen Haus und weist jedem Raum seine eigene, dem jeweiligen Bedarf entsprechende Höhe zu; Treppen verbinden die verschiedenen Niveaus des Hauses, führen zu den Räumen hin und erhalten eine zusätzliche Funktion. „Ich hätte durch diese Erfindung der Menschheit viel Arbeit und Zeit in ihrer Entwicklung erspart. Denn das ist die große Revolution in der Architektur“, schreibt Loos in seinem Nachruf auf den Sesseltischler Josef Veillich 1929; und setzt in seiner Anmerkung fort: „Und wie es einmal der Menschheit gelingen wird, im Kubus Schach zu spielen, so werden auch die anderen Architekten künftig den Grundriß im Raum lösen.“ Die städtebauliche Situation, die Adolf Loos um 1900 vorfand, war von Historismus und Eklektik geprägt: in pseudo-gotischem, in venezianischem oder die Renaissance kopierendem Gewand entstanden für die Wohlhabenden herrschaftliche Paläste nach dem Vorbild herrschaftlicher Prachtbauten – neben Elendsquartieren für das Gros der Armen. Nicht grundlos nannte Loos daher in einem seiner bekanntesten Pamphlete das kaiserliche Wien eine „Potemkin’sche Stadt“. Seine die Zeitgenossen provozierende These von der Ornamentlosigkeit einer Architektur, die auf der Höhe ihrer Zeit sein will, ist eine...