E-Book, Deutsch, Band 2, 187 Seiten
Reihe: Projektmanagement neu denken
Lomnitz Projektdiagnose
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7398-0143-8
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auch hinter die Kulissen des Projektes schauen
E-Book, Deutsch, Band 2, 187 Seiten
Reihe: Projektmanagement neu denken
ISBN: 978-3-7398-0143-8
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine fundierte Projektdiagnose geht weiter als übliche Projektreviews. Projektdiagnose bleibt nicht an Symptomen hängen, sondern der Diagnostiker:in schaut auch hinter die Kulissen des Projektes.
Hinter Symptomen wie Terminverzug oder Budgetüberschreitung stehen in der Praxis oft Probleme wie Interessenkonflikte, Machtprozesse, paradoxe Entscheidungen, schwaches Grenzmanagement, fehlendes Rollenbewusstsein, Wiederholungsmuster, By-Pass-Lösungen, verlagerte Probleme oder verschiedene Muster der Konfliktstabilisierung; gerade diese Phänomene müssen erkannt, verstanden und klar kommuniziert werden, um Probleme zu lösen.
Grundlagen, Modelle, Methoden und Instrumente der Projektdiagnose werden in diesem Buch praxisnah vermittelt. Zahlreiche Tipps und Beispiele veranschaulichen die Inhalte lebendig.
Gero Lomnitz arbeitet seit vielen Jahren als Berater, Trainer und Coach für namhafte Unternehmen und Non-Profit Organisationen im In- und Ausland. Er hat zahlreiche Beiträge über Projektmanagement veröffentlicht und Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahrgenommen.
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3.2 Auftragsklärung
Die Bedeutung eines klaren und verbindlichen Projektauftrags wird völlig zurecht sowohl in der Praxis als auch in der Projektmanagementlehre hervorgehoben. Das gilt ohne Abstriche auch für Projektdiagnosen. Die Auftragnehmer:innen müssen eine Reihe von Punkten mit dem Auftraggeber der Diagnose klären, damit diese erfolgreich durchgeführt werden kann. Die wesentlichen Inhalte der Auftragsklärung finden Sie auf den nächsten Seiten. Doch Papier ist bekanntlich geduldig, am Ende zählt, inwieweit Klarheit erreicht wurde und ob die Vereinbarung eingehalten wird. Die Auftragsklärung selbst sollte als Bestandteil der Diagnose verstanden werden, denn bereits zu diesem frühen Zeitpunkt werden Fehlentwicklungen im Projekt geschildert, Ursachen und häufig auch Verursacher:innen genannt, wobei es sich um reale oder vermeintliche handeln kann. Das wird sich erst später in der Diagnose herausstellen. Nicht selten bestehen seitens der Entscheider:in bereits mehr oder minder klare Erwartungen an die Ergebnisse, sie wissen oder glauben zu wissen, was dabei herauskommen soll und welche Lösungen anzustreben sind. Erwartungen, Vorstellungen und Vermutungen des Managements sollten aufmerksam wahrgenommen und kritisch hinterfragt werden. Unprofessionell wäre es, wenn die Auftragsklärung nach dem Motto „wer bezahlt, bestimmt die Musik“ abläuft. Die Auftraggeberin verkündet die gewünschte Lösung und der Aufragnehmer nimmt die Anweisung pflichterfüllend entgegen. Damit wäre der diagnostischen Arbeit das seriöse Fundament entzogen und beim Ergebnis dürfte es sich eher um ein Gefälligkeitsgutachten handeln. Der Auftragsklärungsprozess bietet wertvolle Informationen und sollte als Fundgrube für die Diagnose geschätzt werden. Diagnostiker:innen sind gut beraten, Ohren und Augen weit zu öffnen, um erste Eindrücke zu sammeln und Annahmen über die Situation des Projektes zu entwickeln. Grundsätzlich müssen zwei Fragen beachtet werden, um eine tragfähige Vereinbarung zu erreichen: Was muss ich klären? (Inhalte des Diagnoseauftrags) Wie muss ich klären? (Vorgehensweise, um den Auftrag zu klären) Beide Fragen werden im Folgendem erläutert. 3.2.1 Was muss ich klären?
Die wesentlichen Inhalte auf einen Blick Ziele, inhaltliche Abgrenzung und Rahmenbedingungen Systemgrenze der Projektdiagnose Rollen im Rahmen der Diagnose Vorgehensweise Rechtliche Rahmenbedingungen Organisatorisches Abstimmungsprozesse und Informationsfluss Zeitplan Aufwandschätzung, Kosten Diese Punkte müssen mit dem Auftraggeber der Projektdiagnose geklärt werden. Er muss nicht alle Punkte kennen, sondern die Diagnostiker:innen sind dafür verantwortlich, dass die relevanten Inhalte angesprochen werden. Bereits an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass eine Checkliste für die Auftragsklärung wenig nutzt, wenn Unklarheiten oder unrealistische Erwartungen nicht offen angesprochen werden. Auf dieses zentrale Thema gehe ich unter Abschnitt 3.2.2 ein. 3.2.1.1 Ziele, inhaltliche Abgrenzung und Rahmenbedingungen der Diagnose Eine Zielklärung steht und fällt mit den richtigen Fragen. Zunächst müssen die Ziele, der Umfang und die Tiefe der Projektdiagnose geklärt werden. Was ist das Ziel der Diagnose? Was ist aus Sicht des Auftraggebers bzw. der Entscheider:innen erreicht, wenn die Projektdiagnose erfolgreich durchgeführt worden ist? Welche Erwartungen hat der Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin? Was ist dem Aufraggeber besonders wichtig? Wie kommt die Diagnose zustande? Wer hatte die Idee? Welche Themen sollen aus Sicht des Auftraggebers nicht analysiert werden? Ziele und Themen der Diagnose unterscheiden Grundsätzlich müssen im Rahmen der Auftragsklärung drei Themengebiete deutlich unterschieden werden. Darüber muss mit Auftraggebern:innen ausführlich gesprochen werden, um Missverständnisse zu vermeiden. 1. Untersuchung des Projektfortschritts Die Ergebnisse bzw. Zwischenergebnisse des Projektes sollen ermittelt, analysiert und bewertet werden. Es geht um die inhaltlichen, fachlichen, technischen Themen, die nur mit dem notwendigen Fachwissen beantwortet werden können. Hier sollte nicht von Projektdiagnose gesprochen werden, sondern von Review, Audit oder Qualitätskontrolle. Wesentliche Themen sind beispielsweise: Stand der Zwischenergebnisse (quantitativ und qualitativ) und der damit verbundenen Prognose über den weiteren Projektfortschritt Analyse von Testergebnissen Welche fachlichen, technischen Risiken gibt es? Werden Qualitätsnormen eingehalten? Kann der Endtermin angesichts der aktuellen Situation erreicht werden? Welche Auswirkungen ergeben sich aus der aktuellen Situation für das Budget? Könnten rechtliche Risiken bei Verzögerungen auftreten? Noch mal, um diese Punkte seriös zu bearbeiten, sind Fachwissen, technisches Know-how und Produktkenntnisse zwingend erforderlich. In fachlich komplexeren Projekten können diese Fragen nicht von einer Person analysiert werden, sondern nur von einem Review Team. Ich habe viele Projektdiagnosen durchgeführt und stets darauf hingewiesen, dass ich nicht in Lage bin, mich zu inhaltlichen Fragen zu äußern. In einigen Fällen mit der Konsequenz, dass ich den Auftrag nicht bekommen habe. Dennoch, diese thematische Abgrenzung ist zwingend erforderlich. 2. Analyse des Projektmanagements Bei der Projektdiagnose steht das Projektmanagement im Fokus. Dazu gehören u.a. die Analyse der Rollen im Projekt, die Entscheidungsprozesse im Steering Committee, der Einfluss des Sponsors und des Linienmanagements und die Zusammenarbeit im Projektteam. Selbstverständlich wird auch die zeitliche Verfügbarkeit der Projektmitarbeitenden, die Klarheit der Projektziele, der Informationsfluss und der Umgang mit Konflikten untersucht. Mit anderen Worten, der Einfluss von Hard- und Soft Facts ist Gegenstand der Analyse aber nicht die technischen, inhaltlichen Probleme des Projektes. 3. Untersuchung des Projektfortschritts und Analyse des Projektmanagements In manchen Fällen soll das Projekt umfassend analysiert werden, also sowohl die Fachinhalte als auch das Projektmanagement sollen untersucht werden. Dazu bedarf es mehrerer Disziplinen. Bei der Zusammenstellung eines Teams von Diagnostiker:innen müssen die Zuständigkeiten der Beteiligten, die Abstimmungsprozesse und das Vorgehen gründlich geklärt werden. Insbesondere muss der Umgang mit zwangsläufig auftretenden Überlappungen besprochen werden. Konkurrenzverhalten zwischen den Beteiligten schadet der gemeinsamen Arbeit, deshalb sind regelmäßige jour fix empfehlenswert, um die Zusammenarbeit gemeinsam zu reflektieren. Klären Sie mit dem Auftraggeber der Diagnose die Themengebiete gewissenhaft und machen Sie sehr deutlich, welche Gebiete Sie fachlich abdecken können und welche nicht. Darüber dürfen Sie weder die Auftraggebenden noch sich selbst täuschen. 3.2.1.2 Systemgrenze der Projektdiagnose Die Definition der Systemgrenze ist mit der Zielklärung unmittelbar verbunden. Sie ist von größter Bedeutung für die Projektdiagnose, denn sowohl die Durchführung als auch das Ergebnis werden durch die Systemgrenze direkt beeinflusst. Was bedeutet Systemgrenze? Mit der Festlegung der Systemgrenze wird die organisatorische Reichweite der Projektdiagnose bestimmt. Es geht konkret um die Frage, welche Subsysteme der Projektorganisation untersucht werden sollen, wer in den Diagnoseprozess einbezogen wird und welche Fragestellungen sich daraus ergeben. Sollen beispielsweise die Mitglieder des Steering Committees und der CIO (Chief Information Officer) im Rahmen der Datenerhebung interviewt werden oder nicht? Sollen die Sichtweisen der Lieferant:innen oder der Kund:innen über die Situation des Projektes ermittelt werden? Antworten auf solche Fragen sind von größter Bedeutung für die Durchführung der Diagnose. Generell gilt: Die Systemgrenze muss im Rahmen der Auftragsklärung besprochen und vereinbart werden, weil sie das Ergebnis der Diagnose entscheidend beeinflusst. Diagnostiker:innen müssen das „System Projekt“ und das „System Organisation“ verstehen, nur so kann die Systemgrenze sinnvoll, den Zielen der Diagnose entsprechend, bestimmt werden. Die Diagnostiker:innen sollten im Rahmen der Auftragsklärung allergrößten Wert darauflegen, dass die Systemgrenze den Zielen der Diagnose entspricht. Projekt und Projektteam unterscheiden Ich möchte an einem Praxisbeispiel mit einem groben Missverständnis aufräumen, das mir in meiner Arbeit immer wieder begegnet. Im Steering Committee waren alle damit einverstanden, eine Projektdiagnose durchzuführen, denn man versprach sich davon, dass die Probleme im Projektteam erkannt und beseitigt werden. Als ich erklärte, dass ich im Rahmen der Projektdiagnose nicht nur die Situation des Projektteams analysiere, sondern auch die Entscheidungsprozesse im Steering...