Lohfink | Ausgespannt zwischen Himmel und Erde | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 408 Seiten

Lohfink Ausgespannt zwischen Himmel und Erde

Große Bibeltexte neu erkundet
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82581-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Große Bibeltexte neu erkundet

E-Book, Deutsch, 408 Seiten

ISBN: 978-3-451-82581-1
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die glauben, sind ausgespannt zwischen Himmel und Erde. Sie blicken auf zum Himmel - und stehen fest auf der Erde. Sie bewundern die Unermesslichkeit des Kosmos - und bestaunen eine winzige Blume. Sie kennen die Abgründe des menschlichen Herzens - und werden getröstet von dem Lächeln eines geliebten Menschen. Sie haben erkannt, dass sie selbst alles tun müssen - und erfahren dabei ständig, dass alles Gnade ist. Sie leben ganz im Heute - und strecken sich aus nach dem, 'der kommen wird'. Sie wissen, dass sie Staub sind - und wissen sich zugleich von ihrem Schöpfer unbegreiflich geliebt.Diese Spannweite können schon Kinder und Jugendliche erahnen, aber noch nicht ermessen. Es braucht dazu ein ganzes Leben. Und es braucht dazu den lebendigen Umgang mit der Heiligen Schrift. Die Auslegungen von rund 70 zentralen biblischen Texten richten sich an Menschen, die Sehnsucht danach haben, die Bibel besser und tiefer zu verstehen.

Gerhard Lohfink, geb. 1934, bis 1986 Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen, lebt und arbeitet in der Nähe von München. Zahlreiche Bücher bei Herder, viele Übersetzungen in andere Sprachen.
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Bedeutungslos im Kosmos?


Der bekannte englische Autor Ian Mc Ewan schildert in einem seiner Romane, der den schlichten Titel »Saturday« trägt, einen einzigen Tag, einen Samstag. Es ist ein dramatischer Tag im Leben des Neurochirurgen Henry Perowne. Zu dessen Beruf gehört es, dass er immer wieder Schädel öffnet und dann tief in das Hirn, tief in die graue und weiße Hirnsubstanz eindringt. Perowne versteht sich als Materialist. Schon auf den ersten Seiten des Romans fängt er an, über die Gottgläubigen nachzudenken. Er nennt sie allerdings nicht »gottgläubig«, sondern »übernatürlich Veranlagte«. Er versucht, sie psychiatrisch zu verorten. Und das sieht dann folgendermaßen aus:

All diese »übernatürlich Veranlagten« (der Leser kann vom Zusammenhang her nur an Muslime und Christen denken) leiden an einer »gefährlich überzogenen Subjektivität«. Sie leben in einem »Beziehungswahn« und ordnen die Welt allein »nach dem Maß ihrer eigenen Bedürfnisse«. Sie sind krank, und ihre Krankheit besteht darin, dass sie die völlige »Bedeutungslosigkeit« des Menschen nicht wahrhaben wollen. Deshalb schaffen sie sich ein bombastisches Bezugssystem mit Größen wie Gott, Schöpfung, Himmelfahrt, ewiges Leben.

Dieses Bezugssystem, das genau genommen ein Wahnsystem ist, ermöglicht ihnen, sich selbst als unendlich wichtig und bedeutungsvoll zu betrachten. In Wahrheit ist der Mensch ein völlig unbedeutendes Stäubchen in einem leeren und kalten Kosmos. Doch das wollen die »übernatürlich Veranlagten« eben nicht wahrhaben. Deshalb das Wahnsystem, das sie sich entworfen haben und das sie trösten soll! Deshalb der ins Krankhafte gesteigerte Versuch, aus der völligen Bedeutungslosigkeit des Menschen metaphysische Gebirge aufzubauen! Am äußersten Ende ihres Systems und überhaupt aller religiösen Systeme wartet die Psychose.

Allerdings formuliert unser Gehirnspezialist das alles nicht ganz so konturiert, wie es hier erscheint. Er ist kein aggressiver Atheist, sondern ein höflicher und sympathischer Wissenschaftler. Aber an seiner tiefen Skepsis ist nicht zu zweifeln. Unsere Zukunft wird nicht von »irgendwem im Himmel« bestimmt. Den »kinderliebenden Vater im Himmel« gibt es nicht, und »Verheißungen« werden hier in »dieser Welt wahr und nicht in der nächsten«. Deshalb »lieber Einkaufen als Beten«.

Das alles assoziiert Henry Perowne schon in den allerersten Stunden jenes Samstags, an dem der gesamte Roman spielt. Dieser Tag wird sich dann dramatisch entwickeln.

Ein Wahnsystem?


Wenn uns dieser Neurochirurg gegenüberstände – wie könnten wir mit ihm ins Gespräch kommen? Sollten wir ihm sagen, dass nicht diejenigen, die an Gott glauben, in einem Wahnsystem leben, sondern möglicherweise er selber? Leiden vielleicht gerade diejenigen, die Gott leugnen, unter eingeschränktem Sehvermögen, das sauberes Denken verhindert? Um nur ein einziges Beispiel zu nennen: Fliehen die dezidierten Atheisten nicht vor der Frage, wieso es den Kosmos, wieso es die Welt gibt? Wieso gibt es überhaupt Seiendes und nicht lieber das absolute Nichts? Christen haben auf diese grundlegende Frage eine vernünftige Antwort. Atheisten müssen sie ständig verdrängen oder dümmliche Antworten geben wie zum Beispiel: Der Kosmos war halt schon immer da, oder: Er ist durch einen Zufall ganz von selbst entstanden.

Könnte es vielleicht sogar sein, dass es Menschen gibt, die Gott nur deshalb leugnen, weil sie es nicht ertragen, nicht selber Gott zu sein? Ein wenig anders formuliert: Sie selbst wollen Herr sein, wollen die Macht haben, wollen ihr eigenes Gesetz sein. Und genau das hieße, in einem Wahnsystem zu leben. Als Raymond Kurzweil, Director of Engineering bei Google, einmal gefragt wurde, ob es einen Gott gäbe, antwortete er: »Noch nicht!« Die Antwort enthüllt die brennende Sehnsucht des Menschen, Gott zu spielen und alles, wirklich alles, was technisch machbar ist, auch zu machen – gleichgültig, was die Folgen sind.

Aber solches Argumentieren hätte wohl wenig Sinn. Wir würden dann nur den Stein zurückwerfen, mit dem auf uns gezielt wurde. Und wir könnten ewig darüber streiten, wer von den beiden Seiten denn nun wirklich in einem irrealen Bezugssystem lebt, das die Wirklichkeit der Welt nicht zur Kenntnis nimmt oder sie sogar pervertiert.

Die Macht Jesu


Wenn ich mich mit solchen Fragen beschäftige, hilft mir am Ende immer ein relativ einfaches Procedere: Ich schaue mir der Reihe nach die großen Menschen der Weltgeschichte an – diejenigen, die der Philosoph Karl Jaspers die »maßgebenden Menschen« genannt hat. Und dann bleibt mir am Ende immer nur Jesus übrig, der im letzten Kapitel des Matthäusevangeliums von sich selbst sagt: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde« (Mt 28,18). Worin besteht diese verborgene Macht, mit der Jesus jetzt seit fast 2000 Jahren unaufhaltsam in der Geschichte wirkt?

Es ist nicht die Macht eines Staates. Es ist nicht die Macht der Gewehre, der atomaren Rüstung oder der schnelleren Forschung. Es ist erst recht nicht die Macht des Kapitals. Es ist auch nicht die Macht der Massen, die auf den großen Plätzen protestieren. Und es ist schon gar nicht die Macht der Propaganda und der schlagkräftigen Parolen, der raffinierten Indoktrination und der Verführung.

Die Macht Jesu ist anderer Art. Sie besteht darin, dass er die »Wahrheit« ist (Joh 14,6). Er ist die Wahrheit in dem Sinn, dass er allein die Lösung hat für das Leid der Menschen und die schreckliche Not der Gesellschaft. Seine Lösung sind Gemeinden, in denen Menschen in Freiheit ihr Leben miteinander verbinden und nach der Bergpredigt leben. Eine andere Lösung für das Elend in der Welt gibt es nicht. Es ist ja längst alles durch-experimentiert worden: Der Egoismus, der sich selbst zum Mittelpunkt der Welt macht und immer nur fragt: »Was ist für mich gut?« Der Hedonismus, der meint, das Glück des Menschen läge im Kitzel des Augenblicks, im Verbrauchen und Konsumieren. Der Individualismus, der sagt: »Jeder für sich allein! Vertraue niemandem!« Der Kommunismus und der Faschismus, die den Menschen in ein Kollektiv verwandeln und zu seinem Glück zwingen wollten.

Das 19. und 20. Jahrhundert waren eine Kette unablässiger Experimente, was für die Menschheit das Beste wäre – und all diese Experimente hatten schreckliche Folgen: den Tod oder das namenlose Elend vieler Millionen. Der einzige Weg dahin, dass Menschen in Frieden und Freiheit zusammenleben können, ist die Bergpredigt Jesu, gelebt in Gemeinden, die seiner Spur folgen. Jesus hat wirklich die Lösung gebracht – und das ist seine »Macht«.

Frei von sich selbst


Noch tiefer gesehen besteht die Macht Jesu aber darin, dass er nichts für sich selbst gewollt hat. Er wollte einzig und allein, dass der Plan Gottes gelingt: Er lebte ganz für die Sammlung und Erneuerung des Volkes Gottes, in dem jeder Einzelne als Einzelner kostbar und unersetzbar bleibt – und das doch ein wirkliches Volk ist. Weil Jesus frei war von sich selbst, war er frei für Gott. Und so konnte Gott durch ihn handeln und in ihm Gegenwart werden für die Welt.

Es ist eine leise, sanfte, den Menschen zu seiner Freiheit aufrichtende Macht – völlig anders als die Macht der Mächte dieser Welt. Diese Art »Macht« kann man sich nicht nehmen, nicht erkämpfen, nicht erschleichen. Sie kann nur »gegeben« werden. Deshalb sagt Jesus in jener gewaltigen Szene am Ende des Matthäusevangeliums als der Gekreuzigte und von Gott in den Himmel Erhöhte: »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.«

Wenn ich die maßgebenden Menschen dieser Welt vor meinen Augen vorüberziehen lasse, finde ich bewundernswerte Männer und Frauen, von denen ich lernen kann. Aber ich finde niemanden, der solche Macht hat, solche Wahrheit, solche Eindeutigkeit, solches Wissen über den Menschen und die Welt – und von dem zugleich eine Faszination ausgeht, die nicht verführt, sondern letzte Freiheit schenkt.

Das christliche Bezugssystem


Deshalb ist der Glaube an den Gott Jesu Christi kein Bezugssystem, das wir Christen uns erdacht hätten, um uns in der Unendlichkeit des Kosmos als bedeutungsvoll ansehen zu können. Unser Bezugssystem ist einzig und allein Jesus von Nazaret – und sind die, die ihm seit Abraham vorangegangen sind. Wir sind nicht einer Projektion gefolgt, sondern tausendfach geprüfter, erprobter, durchlittener Erfahrung mitten in der Welt und ihrer Geschichte, die in diesem Jesus ihre Summe und ihr Ziel gefunden hat.

Und wie steht es mit dem Vorwurf, wir würden die Bedeutungslosigkeit des Menschen im Kosmos nicht akzeptieren? Dieser Vorwurf hat keine Ahnung von dem, was die biblische Tradition wirklich sagt. Wir Christen bezeugen mit größter Nüchternheit, dass wir tatsächlich völlig bedeutungslos sind. Blätter im Wind sind wir, Staub im Kosmos, am Ende eine Handvoll Erde.

Bedenke, Mensch, du bist Staub,

und zum Staube kehrst du zurück –

wird uns am...


Gerhard Lohfink, geb. 1934, bis 1986 Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen, lebt und arbeitet in der Nähe von München. Zahlreiche Bücher bei Herder, viele Übersetzungen in andere Sprachen.



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