E-Book, Deutsch, 592 Seiten
Locher Kunsttheorie
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-406-80012-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von der Antike bis zur Gegenwart
E-Book, Deutsch, 592 Seiten
ISBN: 978-3-406-80012-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erstmals liegt mit diesem Buch eine einbändige Überblicksdarstellung zur Kunsttheorie vor: von Aristoteles und Platon über Hegel und Heidegger bis zu Walter Benjamin, Susan Sontag und den Kontroversen um die documenta fifteen. Eindrucksvoll stellt Hubert Locher dar, wie über Kunst im Laufe der Jahrhunderte reflektiert und geschrieben wurde.
Die Kunsttheorie, also das kritische Nachdenken über Kunst, hat ihr Fundament in der griechischen Antike. Die Geschichte der Kunsttheorie als Theorie der bildenden Künste allerdings beginnt erst in der Frühen Neuzeit mit Leon Battista Alberti oder Albrecht Dürer als bedeutenden Exponenten. Mit der frühen Kunstkritik des 18. Jahrhunderts und der Adressierung eines breiteren Publikums nimmt die Diskussion eine neue Richtung, die sich an der Schwelle der Moderne weiter auffächert, wenn Künstlermanifeste aufkommen und eine abstrakte, philosophisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung einsetzt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird u.a. von Theodor W. Adorno und einer neuen kritischen Theorie die politische Dimension der Kunst thematisiert. Dieses umfassende Panorama vielfältiger Positionen, Theorien und Denkweisen ist das kommende Standardwerk für alle, die sich mit Kunst beschäftigen.
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VORWORT – DIE KUNST UND IHRE THEORIE
Kann man ein Buch über Kunsttheorie schreiben? Ist es umsetzbar, auf einigen hundert Seiten diesen weitläufigen Gegenstand in vernünftiger Weise zu fassen? Das klingt nach einem uferlosen Unterfangen, beinahe als ob man sagen würde, man wolle ein Buch «über Kunst» schreiben oder eines «über die Welt». Und ist es überhaupt berechtigt, über Kunsttheorie im Singular zu sprechen? Sollte man nicht doch besser, wie dies in vielleicht vergleichbaren Unternehmungen ausdrücklich angesagt wird, von «Theorien» im Plural sprechen, da man doch gewiss nur einige und schon gar nicht «die» Kunsttheorie behandeln könnte?[1] Diese Perspektive ist ausdrücklich nicht gemeint, worauf übrigens schon das Fehlen des bestimmten Artikels hindeutet: Hier ist die Rede von Kunsttheorie im Sinne eines Überbegriffs und eines angenommenen Diskurszusammenhangs, nicht als Bezeichnung einer feststehenden Sache oder eines Lehrgebäudes. Ein Indiz dafür, dass sich ein solcher mehr oder weniger kohärenter Diskurszusammenhang beschreiben lässt, ergibt sich schon daraus, dass wir heute von Kunsttheorie gerade so sprechen können wie von Kunst: Zu beidem gibt es einen wissenschaftlichen Fachdiskurs und zugleich eine gewisse Neugier in einem breiteren Publikum, das sich, wie man so sagt, für Kunst interessiert, so wie man sich auch für Musik oder Literatur interessiert. Das heißt, man weiß schon etwas davon, hat eine vielleicht eher undifferenzierte Vorstellung davon, möchte aber gern mehr darüber wissen, auch in der Überzeugung, dass diesbezügliche Kenntnisse wichtig, interessant oder nützlich seien. An dieses Publikum richtet sich eine ganze Reihe von Büchern der letzten Jahre und Jahrzehnte, die schon in ihren Titeln Fragen stellen, von denen Autoren und Verlage vermuten (und sicherlich hoffen), dass sie im Publikum auf Anklang stoßen: «Was ist Kunst?»[2], «Was ist gute Kunst?»[3]. Man findet auch den mit Empörung und Erstaunen ausgesprochen Ausruf «Und das ist Kunst?!»[4] Bezeichnend ist, dass in den meisten dieser Bücher sowohl von «Kunst» wie auch von «Kunsttheorie» gesprochen wird. Fragt etwa das Büchlein von Cynthia Freeland auf dem Titel «But is it Art?», so zeigt der erklärende Untertitel sogleich eine «Introduction to Art Theory» an.[5] Eine in Bildern argumentierende Einführung «für Einsteiger» beginnt mit der theoretischen Einlassung, «was man unter Kunst versteht».[6] Diese große Frage steht auch im Mittelpunkt dieses Buches. Sie soll jedoch nicht durch einfache Feststellungen oder Behauptungen oder Verweise auf exemplarische, «wahre» Kunst zur Seite geschoben, sondern als Frage ernst genommen und auf dem Umweg der Erörterung dessen, was sich in den Theorien der Kunst niedergeschlagen hat, beantwortet werden. Deshalb bleibt dieses Buch – trotz seines beträchtlichen Umfanges – eine Einführung als Annäherung an eine Instanz unserer Kultur mittels einer Erläuterung wesentlicher Überlegungen, die dazu angestellt worden sind. Es kann dabei nicht darum gehen, einen komplexen Gegenstand systematisch zu erschöpfen. Vielmehr sollen einige große Linien aufgezeigt und an Schlüsselstellen in hinreichender Vertiefung zentrale Details verfolgt werden, um punktuell die Logik eines Argumentes aufzuzeigen, das Bedeutung für einen größeren Zusammenhang hat. Der westliche Kunstbegriff – historisch
Ein solcher Versuch ist nur vom Standpunkt der Gegenwart aus möglich. Es geht also um eine Annäherung an die Bestimmung dessen, was aus heutiger Sicht Kunst und Kunsttheorie umfasst, dabei im – notwendigen – Blick auf die Tradition. Unser Begriff von «Kunst» ist zwar recht jungen Datums, er wird erst im 18. Jahrhundert im heutigen Sinn geläufig.[7] Doch lebt in der Vorstellung vom Inhalt dieses Begriffs eine Fülle von Auffassungen weit älteren Ursprungs, von Meinungen, Konzepten, Gerüchten und Vermutungen, die wir bei dem Wort «Kunst» im Sinn haben, selbst wenn wir sie vielleicht bei näherer Überlegung ablehnen würden, und die es daher zu hinterfragen lohnt. Hierzu gehört die Meinung, dass Kunst «schön» sei oder zumindest früher einmal schön sein sollte, ebenso wie die Überzeugung, dass alle Völker (oder alle Kulturen) in irgendeiner Weise Kunst schaffen, oder die romantische Vorstellung, dass man Werke der Kunst – anders als z.B. Werke der Wissenschaft – spontan und intuitiv verstehen könne, dass sie Ausdruck einer seelischen Verfassung seien, dass Künstler gleichsam aus dem Nichts schöpferisch tätig seien und vieles mehr. Bei den hier nur unvollständig aufgezählten Vorstellungen, die im Begriff der Kunst und des Künstlers enthalten sind, handelt es sich um «Topoi» [nach griech. topos, Ort]. Dieser aus der antiken Rhetorik stammende Begriff bezeichnet wichtige Gemeinplätze, die typischerweise über längere Zeit und bis in die Gegenwart mehr oder weniger geläufig sind, oftmals zu Klischees verflacht, dabei aber alles andere als selbstverständlich und häufig nur im Kontext ihrer historischen Herkunft zu erklären sind. Allerdings soll hier keine umfassendere historische Topologie der Kunsttheorie in Angriff genommen werden;[8] diese stellt ein Forschungsfeld dar, das im größeren Rahmen einer kritischen Begriffsgeschichte der Kunsttheorie und Ästhetik aufgehoben ist (auf die im Folgenden immer wieder zurückgegriffen wird), die präzise Tiefensondierungen erbringt.[9] Das vorliegende Buch will also darstellen, wie sich im Lauf der Jahrhunderte aus den komplexen Gedankenzusammenhängen das fügt, was wir heute und im Überblick als mehr oder weniger kohärente Kunsttheorie lesen können. Das Kompositum «Kunsttheorie» kann ohne ein Verständnis des Wortes «Kunst» nicht erfasst werden. Der Begriff der Kunst wird heute oft sehr unspezifisch und beiläufig verwandt. Im Singular taucht das Wort, wie bereits erwähnt, erst im 18. Jahrhundert auf. Diese spezifisch moderne Rede von «Kunst» im Singular (im Englischen: «Art with a capital A») privilegiert tendenziell den Bereich der bildenden Kunst (auch «Bildkünste», englisch: «Visual Arts»), während Musik und Literatur unter ihrem eigenen Oberbegriff oft selbständig behandelt werden und die Architektur sich bereits in frühen Jahrhunderten abgesondert hat. So kann man heute zwar von Literatur als Kunstform sprechen, von Musik als einer Kunst oder auch von der Baukunst. Spricht man jedoch von «Kunst» ohne weitere Spezifikation, so meint man zunächst und hauptsächlich das, was als mehr oder weniger «bildende Kunst» in Kunstmuseen gesammelt, in Kunstgalerien ausgestellt, auf der Documenta in Kassel und den Biennalen gezeigt und in Kunstauktionen gehandelt wird. Die Grenzen zu den anderen Künsten sind allerdings immer schon offen, zumal in der Kunst der jüngeren und jüngsten Zeit die älteren Grenzziehungen vielfach wieder relativiert werden. Ähnliches gilt für eine andere Begrenzung, die heute wohl von größerem Belang ist: Der heutige Kunstbetrieb, vor allem der Kunstmarkt, ist längst nicht nur international, sondern global geworden. Diese Globalisierung ist aber eine zwiespältige Angelegenheit: Positiv betrachtet ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts endlich jene Utopie der Verbundenheit aller Völker zumindest im Bereich der Kunst möglich geworden. Wir können bereichernde Impulse aus den nichteuropäischen Kulturkreisen empfangen und vermögen unsere eigene Tradition im Kontrast differenter Konzepte vielleicht besser zu erkennen. Andererseits stellt sich doch die Frage, ob die Globalisierung der Kunst und des Kunstbetriebs nicht zutiefst westlich geprägt ist. Ist es nicht doch die europäische, die «westliche» Konzeption, welche in den periodischen Großausstellungen und im internationalen Kunstmarkt von Shanghai bis New York, in Dakar und São Paulo nachhaltig wirkt? Ist das die Fortsetzung des Kolonialismus auf kultureller Ebene? Sind die heute unter dem Dach der großen internationalen Kunstmessen und Kunstausstellungen vertretenen Werke, selbst wenn sie von Künstlerinnen und Künstlern aller Kontinente und der verschiedensten Kulturen stammen, nicht doch zu weiten Teilen Variationen einer einheitlichen, westlich geprägten Auffassung von Kunst? Diese Fragen seien gestellt und mögen – vorerst – offen bleiben. Um auf sie eine Antwort zu finden, ist zunächst zu bestimmen, was denn diesen westlichen Kunstbegriff ausmacht. Einen solchen Versuch unternimmt die vorliegende Einführung, ausgehend von der Annahme, dass unter Kunstwerken in dieser Tradition Artefakte zu verstehen sind, die sich der sinnlichen Betrachtung darbieten und...