Littlefield | In kalter Nacht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Littlefield In kalter Nacht

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-17385-2
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-17385-2
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Söhne auf dem Weg ins Verderben - zwei Mütter auf der Suche nach der Wahrheit ...
Als Colleen Mitchell in Lawton, North Dakota, eintrifft, bereitet ihr die trostlose Stadt kein warmes Willkommen. Im Gegenteil: Es ist kalt, und es gibt weder ein Taxi noch freie Hotelzimmer. Aber Colleen lässt sich nicht abschrecken. Ihr Sohn ist hier zuletzt gesehen worden, bevor er verschwand, und sie ist fest entschlossen, alles zu tun, um ihn wiederzufinden. Dann trifft sie auf Shay, deren Sohn ebenfalls vermisst wird. Zufall? Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, in einer Stadt, in der Misstrauen und Verschwiegenheit zum Leben gehören ...

Sophie Littlefield schreibt schon seit ihrer Kindheit, und ihre Bücher wurden bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Sie lebt in Nordkalifornien, wo sie an ihrem nächsten Roman schreibt.
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Kapitel 2

Der Flughafen von Lawton sah aus, als hätte man ein paar Container zusammengeschweißt, mit billigen Sperrholzplatten verkleidet und auf einem riesigen zugefrorenen Parkplatz abgestellt. Als Colleen an der Stewardess vorbeiging, fragte sie sich flüchtig, ob sie sich deren mitleidigen Blick nur einbildete, und stieg die metallenen Stufen hinunter. Die Kälte stach ihr gnadenlos in Nase, Lunge und Ohren, und sie schlug schnell die Kapuze ihres Daunenmantels hoch. Als sie unten ankam, ließen die Männer ihr den Vortritt, sodass sie in der ersten Reihe der Gruppe stand, die auf ihr Gepäck wartete. Sie standen schweigend da, geduldig, ließen die Arme hängen; keiner trug Handschuhe. Die Hände der Männer waren Colleen schon im Flughafen aufgefallen: wettergegerbt, rau und gerötet. Vielleicht spürten sie die Kälte nicht mehr.

Da vorne kam er, ihr Rollkoffer mit dem pinkfarbenen Gepäckanhänger, den sie im Vorjahr für ihre Hochzeitstagsreise nach Italien gekauft hatte. Colleen nahm ihn vom Transportwagen und machte sich auf den Weg zum Gebäude. Eisige Schneekristalle stachen ihr ins Gesicht, durch den scharfen Wind vom Dach geweht oder vom Boden aufgewirbelt. Ihre Schritte hallten von der Eingangsrampe wider, und dann endlich war sie in einem warmen Raum, in dem ein undefinierbarer chemischer Geruch in der Luft hing.

Der Ticketschalter – der einzige – war geschlossen und dunkel. Ebenso der Schalter für Mietwagen. Der gesamte Abfertigungsbereich war kleiner als Colleens Wohnzimmer. Ein Mann in einer leuchtenden Warnweste kniete neben dem Eingang und hantierte an der unteren Angel einer der Doppeltüren. Draußen auf dem Parkplatz war die Hälfte der Autos von einer dicken Schneeschicht bedeckt. In der Ferne waren die Lichter der Stadt zu sehen; eine Fernfahrerraststätte ein Stück weit die Straße hinunter warb auf der an einem hohen Mast angebrachten Leuchtreklame, die die Benzinpreise angab, mit heißen Duschen.

»Entschuldigung«, wandte sich Colleen an den Mann, der schwerfällig aufstand, als hätte er Knieprobleme, und sich die Hände an der Hose abwischte.

»Ma’am.« Er hatte einen leichten Südstaatenakzent, was sie im ersten Moment wunderte, obwohl es eins der ersten Dinge gewesen war, die Paul ihr von hier oben erzählt hatte: Die Arbeiter kamen vorwiegend aus Arkansas, Mississippi oder Georgia.

»Ich brauche ein Taxi. Können Sie mir eins empfehlen? Ein Unternehmen?«

»Ein Taxi?«

Er wirkte verblüfft. In der Hand hielt er ein Messer, wie Paul es seit seiner Pfadfinderzeit immer bei sich hatte: eigentlich kein richtiges Taschenmesser, eher eine Sammlung ausklappbarer Werkzeuge an einer Zentralachse. »Hm, wo wollen Sie denn hin?«

Colleen zuckte ungeduldig die Achseln. »Zu einem Hotel. Es soll mich zu einem Hotel bringen.«

»Zu welchem denn?«

»Ich … ich weiß nicht.« Darüber hatte sie eigentlich mit dem Taxifahrer reden wollen, aber dann musste sie wohl mit diesem Mann – der immerhin recht freundlich wirkte – vorliebnehmen. »Ich habe noch kein Zimmer. Ich weiß, dass alles ausgebucht ist, aber ich hatte gehofft … na ja, ich habe reichlich Hotelpunkte. Und Geld spielt keine Rolle.«

»Die Hotels sind voll, Ma’am. Restlos.«

»Das weiß ich. Ich habe angerufen, aber es könnte ja sein, dass jemand storniert oder im letzten Moment abgesagt hat oder einfach nicht erscheint und dass sie dann das Zimmer freigeben, da es doch schon so spät ist.« Es gab immer irgendwo ein Zimmer, aber die Bemerkung verkniff sie sich; die teuren Zimmer – die Suiten – fanden oft keinen Abnehmer, und sie war bereit zu zahlen.

Aber als der Mann sie nach wie vor mit höflicher Betroffenheit ansah, musste Colleen sich eingestehen, was sie bisher erfolgreich verdrängt hatte: dass es vielleicht tatsächlich kein freies Zimmer gab. Dasselbe Problem hatte der Privatdetektiv gehabt, den sie hatte anheuern wollen – er hatte ein Zimmer gesucht und ihr erklärt, dass es nur ein einziges gab, mehr als zwei Stunden entfernt von Lawton. Er hatte es von jetzt an für eine Woche gebucht, und Colleen hatte ihm gesagt, er solle die Reservierung aufrechterhalten. Für den Fall, dass – der Gedanke war fast unerträglich – Paul bis dahin nicht aufgetaucht war, wäre dafür gesorgt, dass er ein Zimmer hatte, wenn er nach North Dakota kam.

Andy hatte gemeint, sie sollten noch ein paar Tage warten. Er hatte sogar von »Visionssuche« geredet und Colleen daran erinnert, dass er im Sommer nach seinem ersten Studienjahr nur mit einer Gitarre und einer Garnitur Kleidung zum Wechseln losgezogen war, ohne irgendwem zu sagen, wo er hinwollte. Er habe sich fast einen Monat im Yellowstone-Nationalpark herumgetrieben, sei mit Vollbart und Filzläusen nach Hause gekommen, und seinen Eltern sei noch nicht einmal aufgefallen, dass er weg gewesen war, behauptete er.

Aber das war eine ganz andere Geschichte gewesen. Damals hatte es noch keine Handys gegeben, und Andy war – zumindest nach eigener Einschätzung – eher der künstlerische Typ gewesen, und das war Paul eindeutig nicht. Und Andy hatte damals einen Grund gehabt fortzugehen – seine Eltern steckten mitten in einer chaotischen Scheidung, und seine Mutter war dabei, tablettenabhängig zu werden –, während Paul immer betont hatte, dass ihm die Arbeit in der Ölfirma Spaß machte, also warum sollte er alles hinschmeißen und verschwinden? Es ergab einfach keinen Sinn, und jeder Tag, der verging, barg das Risiko, dass die Spur immer kälter wurde.

Nachdem Colleen ihren Entschluss gefasst hatte, war alles ganz schnell gegangen. Am Vortag hatte sie sich um die Flüge und um eine Vertretung in der Schule gekümmert. Als Andy von der Arbeit kam, sah er zu, wie sie ihren Koffer packte; er trank ein Bier aus der Flasche und sprach nur wenig. Er versuchte zwar nicht, ihr das Vorhaben auszureden, erbot sich aber auch nicht, sie zum Flughafen zu fahren. Als das Taxi früh am nächsten Morgen kam, schlief er noch.

»Schon seit Monaten gibt’s hier keine freien Zimmer. Sind alle belegt, manche sogar mit ganzen Familien.«

Colleen blinzelte und atmete tief durch. Andy hatte sie dasselbe gefragt – was würde sie machen, wenn es kein Zimmer gab? Woraufhin sie geantwortet hatte, er solle sich nicht lächerlich machen, schlimmstenfalls würde sie im Flughafen schlafen und die Zimmersuche auf den nächsten Morgen verschieben; sie war keine Sekunde davon ausgegangen, dass sie genau das tatsächlich würde tun müssen. Aber es war offensichtlich, dass sie hier nicht schlafen würde: Die anderen Passagiere hatten das Gebäude bereits verlassen, während sie sich hier unterhielt, und waren in ihren schweren Stiefeln in den Schnee hinausgestapft. Auf dem Parkplatz wurden die Pick-ups gestartet; ihre Scheinwerfer beleuchteten schmutzige Schneewehen, und die Auspuffrohre stießen Abgaswolken aus, während die Fahrer das Eis von den Scheiben kratzten.

»Ich kann es trotzdem versuchen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich werde den Taxifahrer bitten, mich herumzufahren. Und wenn es tatsächlich kein Zimmer gibt, dann soll er mich eben zu einem Restaurant fahren, das die ganze Nacht offen hat.«

»Also …« Der Mann zupfte an seinem Hemdkragen, offenbar hätte er gern noch mehr gesagt. »Rufen Sie Silver Cab an, ich warte, bis er kommt. Sollte nicht allzu lange dauern. Wählen Sie 7-0-1-5-S-I-L-V-E-R. Aber am besten sagen Sie es ihm gleich … Sie wissen schon.«

Colleen wurde immer ungeduldiger. »Wieso? Je länger er mich herumfährt, desto mehr muss ich ihm zahlen.«

»Na ja … im Buttercup, das einzige Restaurant außer den Fernfahrerkneipen, das vierundzwanzig Stunden offen hat, lassen sie einen nicht mehr die ganze Nacht verbringen, seit immer mehr Leute versucht haben, dort zu schlafen. Die haben irgendwann durchgegriffen.«

»Also, ich …« Colleen wollte erklären, dass sie nicht zu diesen Leute gehörte, die das Restaurant ausnutzen wollten. Sie zog das ohnehin nur aus Verzweiflung in Betracht. Sie würde ihnen reichlich Trinkgeld geben, Bezahlung für die Zeit, die sie da verbringen würde, für den Kaffee, die Toilette, all das. »Dann werde ich eben nicht schlafen.«

Sie tippte die Nummer ins Telefon und wartete mit einem gezwungenen Lächeln, während sie den Blick auf das Hemd des Mannes gerichtet hielt. Er trug seine Weste offen, und sie sah, dass über der Brusttasche der Name Dave aufgestickt war.

Das Telefon klingelte und klingelte. Nach dem sechsten oder siebten Mal gab Colleen es auf und sah Dave in die Augen. Er wirkte inzwischen nicht nur besorgt, sondern zutiefst beunruhigt. Vermutlich befürchtete er, dass er sie nicht mehr loswerden würde.

»Geht keiner ran, oder?« Dave wartete nicht auf ihre Antwort. »Die haben jetzt viel zu tun. Der andere Betrieb auch. Five Star. Kriegen jetzt dauernd Anrufe aus den Kneipen. Bis zur Sperrstunde. Und die ist erst um eins«, fügte er hinzu.

»Verstehe, aber …« Allmählich wurde sie von Panik erfasst. »Wäre es denn möglich … Ich meine, ich würde Sie natürlich dafür bezahlen, und ich warte auch, bis Sie hier fertig sind, aber könnten Sie mich vielleicht zu dem Restaurant fahren, das die ganze Nacht offen hat? Dann warte ich dort, bis ein Taxi frei ist.«

Auf dem Flughafengebäude herrschte bis auf das Surren der Neonröhren gespenstische Stille. Es verstrich eine Weile, und Colleens Finger verkrampften sich um den Griff ihres Koffers.

»Das kann ich gern tun«, erwiderte Dave schließlich, auch wenn es eher klang, als wäre das Gegenteil der Fall, »aber darf ich Sie fragen, was Sie hier eigentlich machen? In Lawton?«

Colleen hatte sich eine Antwort auf...


Littlefield, Sophie
Sophie Littlefield schreibt schon seit ihrer Kindheit, und ihre Bücher wurden bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Sie lebt in Nordkalifornien, wo sie an ihrem nächsten Roman schreibt.

Breuer, Charlotte
Charlotte Breuer und Norbert Möllemann übersetzen Literatur aus dem Englischen, u.a. von Chloe Benjamin, Elizabeth George und Kate Morton.



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