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E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Little Mördermädchen

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-15566-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-15566-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Janie Jenkins hat alles: Ruhm, Geld und gutes Aussehen. Doch dann wird ihre Mutter ermordet - und alle Beweise sprechen gegen sie. Das Problem: Janie kann sich selbst nicht daran erinnern, was in jener Nacht geschehen ist. Als sie zehn Jahre später aus dem Gefängnis entlassen wird, macht sie sich auf die verzweifelte Suche nach der Wahrheit. Eine Spur führt sie in die kleine Stadt Adeline in South Dakota, wo sie unter falscher Identität Stück für Stück die Vergangenheit ihrer Mutter entschlüsselt. Warum musste diese sterben - und trägt Janie tatsächlich Schuld an ihrem Tod?

Elizabeth Little ist in St. Louis geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Harvard University und veröffentlichte Artikel in der New York Times und dem Wall Street Journal. Nach zwei Sachbüchern wurde ihr Debütroman auf Anhieb ein Los Angeles Times Bestseller. Elizabeth Little lebt mit ihrer Familie in Los Angeles.
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Kapitel zwei

Sechs Wochen nach meiner Entlassung, am letzten Dienstag im Oktober, stand ich in einem Hotel in Sacramento vor dem Spiegel. Seit einer halben Ewigkeit spielte ich wie eine vorpubertäre Blödbratze an meinen Haaren herum und versuchte, meinen ganzen Mut zusammenzukratzen. Ich wollte sie abschneiden oder färben.

Im Gefängnis waren meine Haare das Einzige gewesen, was mir geblieben war, das Letzte, was ich war. Und die Pflege war scheißschwierig gewesen – ich hatte nur diese Tütchen mit wässrigem Shampoo, die nicht größer sind als die Ketchupdinger bei McDonald’s. Andere Mädchen träumten von Sex oder Drogen oder Zigaretten; ich hätte meine linke Niere für einen Klecks bekacktes Pantene gegeben. Ich hätte es mir wesentlich leichter machen können, wenn ich sie abrasiert, abgeschnitten oder abgeflammt hätte, aber das tat ich nicht. Meine Eitelkeit war schon immer meine auffälligste Schwäche gewesen.

Irgendwas wichtig zu nehmen ist ein Anfängerfehler. Aber ich konnte einfach nicht anders.

Ich kämmte die Haare mit den Fingern durch. Obwohl ich mir so viel Mühe gegeben hatte, fühlten sie sich immer noch an, als hätte eine Katze sie ausgewürgt. Verfilzt. Klebrig. Die groben Strähnen und gesplissten Enden reichten mir bis zur Taille. Ich wischte mit den verschwitzten Handflächen über mein Spiegelbild wie eine alternde Liz Taylor, die eine Kameralinse einfetten will. Half auch nicht. Ich wandte mich ab.

Weil ich mich nicht eingeengt fühlen sollte, hatte Noah mir eine dieser Edelsuiten für längere Aufenthalte besorgt. Neunzig Quadratmeter Beige an Beige, vollgestellt mit »modernen« Möbeln und voller Flyer über die Annehmlichkeiten des Hotels. Internet! Kabelfernsehen! Besteck! Es war für mich mit Abstand der netteste Ort seit Jahren.

(Und ich konnte ihn nicht ausstehen. Zu viel freier Raum. Zu viele Fenster. Zu viele Kissen. Schlafen konnte ich nur in der Badewanne, wenn überhaupt. Die Enge um mich wirkte so beruhigend wie eine Umarmung – oder vielleicht mehr wie eine Zwangsjacke.)

Ich watete durch einen ungeschickt platzierten Haufen nachgemachter Noguchi-Beistelltischchen und warf mich aufs Sofa, um mir die Nachrichten anzusehen. Seit ich hier war, lief der Fernseher durchgehend – zu jeder vollen Stunde schaltete ich auf HLN, bis ich irgendwann zu MSNBC, CNN und Fox weiterzappte. Wenn ich masochistisch drauf war, sprang ich rüber zu E!. Nach über einem Monat waren die Berichte weniger investigativ als spekulativ, aber gerade auf diese Spekulationen war ich aus. Nichts kann einen ausgefeilten Plan leichter über den Haufen werfen als ein blöder Zufall. Ich legte die Füße auf den Sofatisch.

Es war mitten in der Nacht, und die Sender taten nicht einmal mehr so, als würden sie sich für wichtige Dinge interessieren; das Hauptthema war ich. Die Moderatorin hatte ein aggressiv symmetrisches Gesicht und setzte einen verbissenen Blick auf, was nicht zu ihrer Haltung passte. Sie saß da wie bei einem Schönheitswettbewerb. Trotz ihrer grimmigen Miene war ihre Stirn so glatt wie Glyzerinseife. Sie war mindestens zwei Jahre jünger als ich.

Ich rieb mir das Gesicht und dachte über Botox nach.

Der Fischmund der Frau bewegte sich. Ich stellte den Fernseher lauter. »Jane Jenkins wurde vor zehn Jahren wegen des Mordes an ihrer Mutter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Vor sechs Wochen kam sie frei, nachdem ein Richter ihre Verurteilung zusammen mit acht weiteren aufgehoben hatte. Der Grund für diese Entscheidung waren die laufenden Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Kriminallabors von Los Angeles, die zwischen 2001 und 2005 vorsätzlich Beweise manipuliert haben sollen. Trotzdem hält die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Öffentlichkeit Jenkins immer noch für schuldig: In einer Umfrage der McClure Post und der ABC News antworteten letzte Woche 87 Prozent der Befragten, sie seien ›überzeugt‹ davon, dass Jenkins für den Mord an ihrer Mutter verantwortlich ist.«

Eine Frau mit einer Kroko-Birkin kommentierte, die anderen 13 Prozent seien von meiner Schuld »restlos überzeugt«.

»Kein Wunder also, dass Jenkins sich seit ihrer Entlassung noch nicht in der Öffentlichkeit gezeigt hat – oder auch nur erkennen lässt, wo sie sich aufhält. Sollte sie allerdings auf einen Neuanfang hoffen, könnte sie enttäuscht werden: Heute hat Crime-Blogger Trace Kessler, der sich seit 2003 mit dem Mord beschäftigt, eine Belohnung von 50000 Dollar für Hinweise auf Jenkins’ Aufenthaltsort ausgesetzt …«

Ich griff hinter den Fernseher, zog den Stecker und wünschte, mit dem Internet könnte ich das Gleiche tun. Mit einem abgekauten Fingernagel tippte ich gegen mein Spiegelbild auf dem dunklen Bildschirm.

Trace Kessler. Weniger ein Dorn im Auge als eine Schlinge um meinen Hals. Sollte sich ihm je die Gelegenheit bieten, würde er sicher keine Sekunde zögern, diese Schlinge zuzuziehen.

Schluss jetzt. Mach es endlich.

Ich ging zu der Küchenzeile, wo ich den Dreierpack Allzweckscheren aufbewahrte, den Noah bei seinem letzten Besuch mitgebracht hatte. Die Scheren schnitten ungefähr so gut, wie ein toter Hund beißt. Als ich sie auf der Innenseite meines Arms ausprobierte, hinterließen sie nur eine trockene, schweinchenrosa Linie. Ich knirschte mit den Zähnen. Für Noah war das wahrscheinlich schon ein Kompromiss, sagte ich mir. Wie ich ihn kannte, konnte ich von Glück sagen, dass er mir keine Kinderscheren mitgebracht hatte.

Als ich ihm erzählte, dass ich mir die Haare abschneiden wollte, war er ganz starr geworden. Sogar die bläuliche Haut unter seinen Augen spannte sich, als hätte ich ihn um waffenfähiges Uran oder Zombie-Bienen-Mutanten gebeten. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, sagte er, weil Noah Washington unterm Strich doch nur eine alte Drama-Queen war.

Ich verdrehte die Augen. »Ich habe doch nicht gesagt, du sollst mir Rasierklingen mitbringen.«

»Das würdest du auch nie. Zu offensichtlich.«

»Zu wenig eindrucksvoll«, korrigierte ich ihn – unterm Strich war ich nämlich auch nur eine alte Drama-Queen.

In einem der Küchenschränke fand ich einen Kaffeebecher und stellte ihn umgekehrt hin, damit ich die Schere an dem unglasierten Rand auf der Unterseite schärfen konnte; diesen Trick hatte ich in der Gefängnisbibliothek gefunden, in der völlig unpassenden Abteilung für Campingratgeber. Ich zog die Klingen in beide Richtungen über die schmutzig weiße Keramik und spürte, wie die gleichmäßige Bewegung, die Schwingungen, das leise, sanfte Kratzen der Klingen meinen Groll vertrieben.

Mit der scharfen Schere ging ich zurück ins Bad, packte eine Handvoll Haare und zog sie straff. Sie waren endlich halbwegs trocken, kräuselten sich schon und standen ab, was meine Mutter immer wahnsinnig gemacht hatte. Sie hatte mich immer dazu bringen wollen, mir die Haare hochzustecken – zu einem Pferdeschwanz, einem Dutt, einem Chignon. »Du könntest richtig elegant aussehen, wenn du wolltest«, hatte sie einmal in einem seltenen Anflug von mütterlichem Optimismus gesagt. Ich starrte in den Spiegel, strich mit beiden Händen alle Haare zurück und drehte sie auf dem Kopf zusammen. Dadurch wirkte mein Hals länger, meine Kieferpartie schärfer geschnitten, meine Augen strahlender, und sogar in dem schaurigen Licht des Hotelbadezimmers konnte ich erkennen, dass sie recht gehabt hatte. Vielleicht gab es doch noch etwas Hübsches an mir.

Scheiß drauf. Das sind bloß Haare.

Am nächsten Samstag kam Noah um kurz vor fünf Uhr morgens ins Hotel, wie versprochen. Nachdem er die Tür hinter sich verriegelt hatte, sah er mich komisch an. »So kann man die Fotografen wohl auch abschrecken.«

»Alter Schmeichler.«

Er warf mir eine Tüte Donuts zu. »Das Beste, was ich zu dieser unchristlichen Zeit auftreiben konnte.«

Widerstrebend fing ich sie auf. Ich hatte versucht, so viel wie möglich zuzunehmen, aber ich konnte mir ja schlecht irgendwo Burger und Pommes holen, und Lieferdienste kamen nicht infrage. Also hatte ich mich von Ramen, diesen japanischen Nudeln, aus dem Supermarkt ernährt – Ramen mit Hähnchen, Ramen mit Sahnehähnchen, Ramen mit scharfem Chilihähnchen –, und was mir an Muskeln fehlte, wog ich allmählich mit Fett auf. Ich bildete mir ein, wenn ich ganz still dasaß, spürte ich das Salz unter meiner Haut blubbern. Was hätte ich nicht für einen netten leichten Salat oder ein Brechmittel gegeben.

Noah sah zu, wie ich den letzten Donut herunterwürgte, und beäugte kritisch meine knubbeligen Ellbogen und das hervorstehende Schlüsselbein. Das Schlimmste konnte er gar nicht sehen, das eingesunkene Brustbein, die messerscharfen Hüftknochen. Der Stoff, aus dem physiologische Grenzzustände sind, verfrühte Geburt und bevorstehender Tod. Und Gefängnisessen. »Du bist immer noch zu dünn«, meinte er.

»Und du bist immer noch zu streng.«

Sein Blick huschte zur Seite, ein typisches Ausweichmanöver. Ich redete mir gerne ein, dass er mit all seinen Klienten so umging. Er wahrte professionelle Distanz und achtete darauf, keine Antworten auf Fragen zu entdecken, die er nie stellen wollte. Aber hier war es etwas anderes: Ich war es, die keine Antworten entdecken sollte.

Noah war mein siebter Anwalt – oder schon der achte? Mein Gott, auch das habe ich vergessen. Ich weiß noch, dass ich zuerst von einem der Anwälte meines ehemaligen Stiefvaters verteidigt wurde, einem echten Pokerface, aber er sägte mich ab, als er begriff, wie viele Beweise gegen mich sprachen. Dann kam ein Hollywood-Anwalt, der gut...


Little, Elizabeth
Elizabeth Little ist in St. Louis geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Harvard University und veröffentlichte Artikel in der New York Times und dem Wall Street Journal. Nach zwei Sachbüchern wurde ihr Debütroman auf Anhieb ein Los Angeles Times Bestseller. Elizabeth Little lebt mit ihrer Familie in Los Angeles.



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