E-Book, Deutsch, Band 2, 508 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Ben Weaver
Liss Die Falschspieler: Ein Fall für Ben Weaver - Band 2
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96148-062-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 508 Seiten
Reihe: Privatdetektiv Ben Weaver
ISBN: 978-3-96148-062-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
David Liss, geboren 1966 in New Jersey, studierte an der Columbia University über britische Literatur und Kultur im 18. Jahrhundert und widmete sich nach seinem Abschluss dem Schreiben von Romanen. Für seinen ersten historischen Krimi »Die Papierverschwörung« wurde er mit den drei bedeutendsten Preisen der Kriminalliteratur ausgezeichnet: dem Edgar-Allen-Poe-Award, dem Barry-Award und dem MacAvity-Award. David Liss im Internet: www.davidliss.com Bei dotbooks veröffentlichte David Liss seinen historischen Roman »Die Schatten von Amsterdam« sowie die drei Bände seiner spannungsgeladenen »Ben Weaver«-Reihe: »Die Papierverschwörung« »Die Falschspieler« »Die Teufelsgesellschaft«
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KAPITEL 1
Seit der Veröffentlichung des ersten Bandes meiner Memoiren bin ich auf eine Weise zum Spielball der öffentlichen Meinung geworden, wie ich es niemals vermutet hätte. Selbstverständlich habe ich weder Beschwerden noch Bedauern anzumelden, denn wer wie ich ins Licht der Öffentlichkeit tritt, hat keinen Grund, sich über die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit zu beklagen. Eher sollte er dankbar dafür sein, dass die Öffentlichkeit ihren launischen Blick auf ihn zu richten geruht. Diese Wahrheit bezeugen die zahllosen Bände, welche in der Hölle eines jeden Schreiberlings – der Nichtbeachtung – schmachten.
Offen gesagt, habe ich mich sehr über die Anteilnahme gefreut, mit der die Leser die Berichte über meine frühen Jahre aufgenommen haben. Zugleich musste ich mich jedoch ein wenig wundern – und zwar über so manche Leute, die sich nach der Lektüre nur weniger Zeilen meiner Gedanken sogleich als gute Freunde betrachten und sich die Freiheit herausnehmen, mich einfach unverfroren anzusprechen. Und so ich keinen Fehl darin sehe, wenn jemand, der meine Worte so nachhaltig gelesen hat, dass er den Wunsch verspürt, einige Bemerkungen darüber zu verlieren, muss ich meiner Bestürzung über die Anzahl von Leuten Ausdruck verleihen, die meinen, sich ohne jegliche Rücksicht auf Anstand und Sitte ungestraft über jeden Aspekt meines Lebens auslassen zu dürfen.
Einige Monate nach der Veröffentlichung meines schmalen Büchleins nahm ich an einer Abendgesellschaft teil und sprach gerade von einem besonders üblen Verbrecher, den ich der Gerechtigkeit zu übergeben beabsichtigte. Woraufhin sich ein junger Bursche, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, zu mir umdrehte und meinte, dieser Kerl sollte sich besser in Acht nehmen, sonst nähme es mit ihm noch das gleiche Ende wie mit Walter Yate. An dieser Stelle lächelte er affektiert, als hüteten er und ich ein gemeinsames Geheimnis.
Ich bekenne, dass ich derart verdutzt war, dass ich mit keinem Wort darauf einging. Schon seit geraumer Zeit hatte ich nicht mehr an Walter Yate gedacht und hätte auch nicht vermutet, dass sein Name nach all den Jahren immer noch geläufig ist. Bald schon machte ich jedoch die Erfahrung, dass, wenn schon nicht ich selbst, so doch andere sich ihre Gedanken über diesen armen Burschen machten. Kaum vierzehn Tage später bemerkte ein anderer Herr, auch er für mich kaum mehr als ein Fremder, hinsichtlich eines Problems, dem ich mich gegenübergestellt sah, ich solle die Angelegenheit doch auf die gleiche Art und Weise angehen wie damals die Sache mit Walter Yate. Den Namen sprach er mit einem Nicken und einem verstohlenen Zwinkern aus, als mache uns dieses Losungswort, einmal ausgesprochen, sofort zu den verschworensten Kumpanen.
Im Allgemeinen störe ich mich nicht daran, wenn sich manche Leute auf Begebenheiten aus meiner Vergangenheit beziehen. Hingegen verwirrt es mich durchaus, wenn sie sich die Freiheit nehmen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen, und sich obendrein die plumpeste Vertraulichkeit anmaßen. Es verwundert mich über alle Maßen, dass diese Leute, mögen sie von diesem Zwischenfall halten, was sie wollen, ihn mir gegenüber überhaupt erwähnen, und das auch noch in der allervergnügtesten Stimmung. Macht man sich denn beim Besuch eines fahrenden Zirkus über die gefletschten Zähne der Tiger lustig?
Nicht zuletzt deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, einen weiteren Band meiner Erinnerungen zu Papier zu bringen – um die Welt hinsichtlich ihrer falschen Vorstellungen über dieses Kapitel in meinem persönlichen Geschichtsbuch eines Besseren zu belehren. Ich wünsche, den Namen Walter Yate nie mehr auf gehässige oder verschwörerische Art und Weise vernehmen zu müssen. Nach allem, was ich weiß, hat dieser Mann nichts getan, was ihn zum Gegenstand verstohlenen Gekichers machen müsste. Deshalb sage ich an dieser Stelle, wahrheitsgemäß und ein für alle Mal, dass ich Mr. Yate zu keiner Zeit gewalttätig gegenübergetreten bin – schon gar nicht mit jener äußersten Gewalt, die, wie ich erfahren habe, die Welt mit diesen Vorfällen in Verbindung bringt. Des Weiteren bin ich, wenn ich die Öffentlichkeit noch eines anderen Missverständnisses berauben darf, der fürchterlichen Strafe für seine Ermordung nicht deshalb entgangen, weil ich mich einflussreicher Freunde aus den Kreisen der Regierung bedient hätte. Keines dieser Märchen entspricht der Wahrheit. Ich besaß von derlei Gerüchten keinerlei Kenntnis, weil sie mir bis vor kurzem niemand zugetragen hatte. Nachdem ich aber inzwischen ein paar Zeilen über mein Leben veröffentlicht habe, bin ich plötzlich jedermanns Freund. So lassen Sie mich Ihnen allen den Freundschaftsdienst erweisen, die Wahrheit über den Vorfall aufzudecken, und sei es nur aus dem Grund, dass anschließend nie wieder darüber gesprochen werden möge.
Walter Yate starb, nachdem man ihm mit einer Eisenstange den Schädel eingeschlagen hatte. Die Tat hatte sich nur sechs Tage vor dem Zusammentreten des Obersten Strafgerichts Seiner Majestät ereignet, so dass ich nach meiner Festnahme und während ich auf den Prozess wartete glücklicherweise nur wenig Zeit hatte, mir über meine prekäre Lage Gedanken zu machen. Ich will ehrlich sein: Ich hätte diese Zeit besser nutzen können, aber ich rechnete in keinem Gedanken damit, dass man mich für ein Verbrechen verurteilen würde, das ich nicht begangen hatte – den Mord an einem Mann, von dem ich vor seinem Tod so gut wie nichts gehört hatte. Ich hätte damit rechnen sollen, aber ich tat es nicht.
Mein Vertrauen war so groß, dass ich mich des Öfteren dabei ertappte, überhaupt nicht zuzuhören, was bei meiner Verhandlung gerade gesagt wurde. Stattdessen ließ ich meine Blicke über die Gaffer schweifen, die sich am Ort der Verhandlung unter freiem Himmel drängten. An jenem Tag, von dem die Rede ist, nieselte es unaufhörlich, und die Februarluft war relativ kalt, was die Menge jedoch nicht vom Kommen abgehalten hatte, auch nicht davon, sich in die grob gezimmerten, ungehobelten Bänke zu quetschen, sich gegen die Feuchtigkeit zusammenzukauern und Augenzeugen dessen zu werden, was in den Zeitungen für einiges an Aufsehen gesorgt hatte. Die Zuschauer aßen mitgebrachte Orangen, Äpfel und kleine Lammpasteten, rauchten ihre Pfeifchen und schnupften ihre Prisen. Sie pissten in eigens dafür an den Ecken bereitgestellte Töpfe und warfen den Geschworenen ihre Austernschalen vor die Füße. Sie flüsterten und jubelten und schüttelten die Köpfe, als wäre das alles ein riesiges Kasperletheater, das allein zu ihrem Amüsement aufgeführt wurde.
Womöglich hätte ich mich als Objekt einer derartig ausgeprägten öffentlichen Neugier geschmeichelt fühlen dürfen, aber ich konnte dieser traurigen Berühmtheit nichts abgewinnen. Nicht, wenn sie nicht dort war, sie, die ich in meinem Kummer und meiner Not am liebsten gesehen hätte. Sollte ich verurteilt werden, so malte ich mir aus (natürlich nur in den romantischsten Farben, schließlich rechnete ich ebenso wenig mit meiner Verurteilung wie damit, dass man mich zum Oberbürgermeister wählen würde), dass sie zu mir käme und zu meinen Füßen weinte und mir sagte, wie Leid ihr das alles täte. Ich wollte ihre tränennassen Küsse auf meinem Gesicht. Ich wollte, dass ihre Hände, rau und trocken vom unablässigen verzweifelten Ringen, die meinen ergriffen und dass sie um Vergebung flehte und darum, meine Liebesschwüre wieder und wieder zu hören.
Das waren, wie ich sehr wohl wusste, nur mehr Wunschvorstellungen einer überreizten Fantasie. Sie würde nicht zu meinem Prozess erscheinen, und sie würde mich auch vor meiner möglichen Hinrichtung nicht besuchen. Es war ihr schlicht und einfach nicht möglich.
Miriam, die Witwe meines Cousins, die zur Frau zu nehmen ich beabsichtigt hatte, hatte sechs Monate zuvor einen Mann namens Griffin Melbury geheiratet. Ebendieser Mann war zu der Zeit meiner Verhandlung damit beschäftigt, sich auf seine Kandidatur als Tory bei der schon bald anstehenden Wahl in Westminster vorzubereiten. Als zur anglikanischen Staatskirche Konvertierte und Ehefrau eines Mannes, der sich einen Aufstieg zum prominenten Oppositionspolitiker erhoffte, stand es Miriam Melbury schlecht an, den Prozess eines gedungenen jüdischen Schlägers zu verfolgen, dem sie nicht einmal mehr durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden war. Sich zu meinen Füßen niederzuknien und mein Gesicht mit tränennassen Küssen zu bedecken entsprach wohl kaum dem Verhalten, zu dem sie sich unter welchen Umständen auch immer hätte hinreißen lassen. Jetzt, da sie sich einem anderen Mann versprochen hatte, würde so etwas erst recht nicht passieren.
Jedenfalls kreisten meine Gedanken in meiner schicksalhaften Stunde weniger um das möglicherweise bevorstehende Verhängnis, als vielmehr um Miriam. Ich schob ihr die Schuld zu, als könnte man sie für diesen absurden Prozess verantwortlich machen. Aber hätte sie mich geheiratet, so hätte ich meine Jagd auf Langfinger womöglich sein lassen und mich nicht in die missliche Lage gebracht, die zu dieser Katastrophe geführt hatte. Mir selbst warf ich vor, ihr nicht energischer den Hof gemacht zu haben, obwohl drei Heiratsanträge nach der Definition eines jeden Mannes wohl als energisch genug betrachtet werden sollten.
Also dachte ich, während der Ankläger der Krone die Geschworenen davon zu überzeugen suchte, mich zu verurteilen, an Miriam. Außerdem dachte ich – auch wenn ich vor Sehnsucht und Melancholie vergehe, bleibe ich doch immer ein Mann – an die Frau mit den goldgelben Haaren.
Es darf nicht verwunderlich anmuten, dass meine Gedanken zu anderen Frauen abschweiften. In dem halben Jahr nach Miriams Hochzeit hatte ich sehr wohl Ablenkung...