Linscheid | Das politische System der Türkei unter dem Einfluss der AKP | E-Book | sack.de
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Linscheid Das politische System der Türkei unter dem Einfluss der AKP

Autoritäre Mehrheits- oder pluralistische Konsensdemokratie?
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8288-7726-9
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Autoritäre Mehrheits- oder pluralistische Konsensdemokratie?

E-Book, Deutsch, Band 93, 328 Seiten

Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Politikwissenschaften

ISBN: 978-3-8288-7726-9
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Türkei hat sich seit der Machtübernahme der AKP im Jahr 2002 signifikant verändert. Diese Veränderungen betreffen das politische System, die politische Kultur, das Rechtssystem aber auch das Alltagsleben der Menschen. Einhergehend mit dieser Systemtransformation ist eine starke Polarisierung der Gesellschaft zu beobachten. Dabei stellt sich die Frage, ob in der Republik Türkei ein eher konsensorientiertes, pluralistisches System geschaffen wurde oder eine eher autoritäre "Mehrheitsdemokratie". Bei der Untersuchung dieser Fragen beschäftigt sich der Autor insbesondere mit den Parteien, den gesellschaftlichen Gruppen, der politischen Kultur sowie den Ursachen, Hintergründen und möglichen Lösungswegen der politischen und sozialen Konflikte.

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2 Das politische System der Republik Türkei 2.1 Verfassung und Staatsorgane (Polity-Ebene) 2.1.1 Die Verfassung von 1982 und ihre Änderung 2017 Die Verfassung der Republik Türkei in der aktuellen Fassung vom 16. April 2017 kodifiziert die verfassungsrechtlichen Normen des politischen Systems im Rahmen der allgemeinen rechtlichen Grundlagen.27 In der Präambel sind die Grundsätze einer nationalen, souveränen, demokratischen und rechtsstaatlichen, auf dem Prinzip der Gewaltenteilung basierenden Republik festgeschrieben: „Diese Verfassung, die die ewige Existenz des türkischen Vaterlandes und der türkischen Nation sowie die unteilbare Einheit des Großen Türkischen Staates zum Ausdruck bringt, wird, um entsprechend der Auffassung vom Nationalismus, wie sie Atatürk, der Gründer der Republik Türkei, der unsterbliche Führer und einzigartige Held, verkündet hat; mit der Entschlossenheit, die ewige Existenz, die Wohlfahrt, das materielle und geistige Glück der Republik Türkei als ehrenvolles und gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie der Welt entschlossen auf das Niveau moderner Zivilisation zu heben; in dem Gedanken, dem Glauben und der Entschlossenheit, – dass der absolute Vorrang des Volkswillens, die Souveränität uneingeschränkt und unbedingt der Türkischen Nation zustehe und keine Person oder Institution, welche diese im Namen des Volkes auszuüben zuständig ist, von der in dieser Verfassung bestimmten freiheitlichen Demokratie und der von ihren Erfordernissen bestimmten Rechtsordnung abweichen werde, – dass die Gewaltenteilung nicht eine Vorrang gewährende Reihenfolge der Staatsorgane bedeutet, sie aus dem Gebrauch bestimmter Zuständigkeiten des Staates und damit in einer begrenzten zivilisierten Arbeitsteilung und Zusammenarbeit besteht und ein Primat nur der Verfassung und den Gesetzen zukommt, dass kein Gedanke und keine Erwägung gegenüber den türkischen nationalen Interessen, der türkischen Existenz, dem Grundsatz der Unteilbarkeit des Staatsgebiets, den geschichtlichen und ideellen Werten des Türkentums und dem Nationalismus, den Prinzipien und Reformen sowie dem Zivilisationismus Atatürks geschützt wird und heilige religiöse Gefühle, wie es das Prinzip des Laizismus erfordert, auf keine Weise mit den Angelegenheiten und der Politik des Staates werden vermischt werden; – dass jeder türkische Staatsbürger gemäß den Erfordernissen der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit die Grundrechte und -freiheiten dieser Verfassung genieße und von seiner Geburt an das Recht und die Möglichkeit habe, innerhalb der nationalen Kultur-, Zivilisations- und Rechtsordnung ein würdiges Leben zu führen und seine materielle und ideelle Existenz in diesem Sinne zu entfalten; – dass die türkischen Staatsbürger insgesamt in nationalem Stolz und nationalem Leid, in nationaler Freude und nationalem Schicksal, in ihren Rechten und Pflichten gegenüber der nationalen Existenz, in Segen und Mühsal sowie in jeglicher Manifestation des Nationallebens geeint seien, in den Gefühlen der entschiedenen Achtung der Rechte und der Freiheiten des anderen und der gegenseitigen herzlichen Liebe und Brüderlichkeit sowie im Verlangen und Glauben an ‚Frieden im Lande – Frieden in der Welt‘ ein Leben voll Heil zu führen das Recht haben.“28 Damit werden in der Präambel die Souveränität des Volkes, die Gewaltenteilung, der Nationalismus, die Wahrung der Prinzipien Atatürks und der Säkularismus hervorgehoben. Artikel 6 der Verfassung legt die Ausübung der Souveränität durch die Verfassungsorgane fest: „Die Souveränität gehört uneingeschränkt und unbedingt dem Volk. Das türkische Volk übt seine Souveränität durch die zuständigen Organe gemäß den in der Verfassung festgesetzten Prinzipien aus. Das Recht zur Ausübung der Souveränität darf auf keine Weise irgendeiner Person, einer Gruppe oder einer Klasse übertragen werden. Keine Person oder Behörde darf irgendwelche staatliche Autorität ausüben, die nicht in der Verfassung gründet.“29 Dabei liegt die Zuständigkeit der Gesetzgebung bei der Türkischen Großen Nationalversammlung (Türkiye Büyük Millet Meclisi). Diese ist das nationale Parlament in Ankara, welches aus einer Kammer besteht und seit 2017 600 Abgeordnete umfasst. Dazu legt Artikel 75 der Verfassung fest. „Die Türkische Große Nationalversammlung besteht aus 600 vom Volk in allgemeiner Abstimmung gewählten Abgeordneten.“30 Eine Legislaturperiode dauert 5 Jahre. Das Parlament ist die zentrale Legislative und hat eine Kammer. Nach Artikel 87 und 88 hat die Nationalversammlung die Aufgaben und Kompetenzen, Gesetze zu erlassen, zu ändern und aufzuheben, die Gesetzentwürfe zu Haushalt und Haushaltsabrechnung zu verhandeln und anzunehmen, über den Druck von Geld und über einen eventuellen Kriegseintritt zu entscheiden, die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge zu billigen, über die Verkündung einer allgemeinen oder besonderen Amnestie zu entscheiden und die in den übrigen Vorschriften der Verfassung vorgesehenen Kompetenzen und Aufgaben auszuüben und zu erfüllen. Der Präsident der Republik hat bei der Gesetzgebung ein Veto- bzw. Redelegationsrecht. Weiterhin hat die Nationalversammlung gemäß Artikel 98 ein „Auskunftsrecht“ gegenüber dem Präsidenten und den Ministern, die es in Form einer parlamentarischen Untersuchung, einer Plenarverhandlung, einer Interpellation und eines parlamentarischen Ermittlungsverfahrens ausüben kann. Der Präsident der Republik wird seit der Verfassungsänderung vom 16. April 2017 laut Artikel 101 direkt vom Volk gewählt. Davor wurde er aus den Reihen der Nationalversammlung von dieser gewählt. Nach der Verfassungsänderung wird der Präsident „aus den Reihen der türkischen Staatsbürger, welche das vierzigste Lebensjahr vollendet, eine abgeschlossene Hochschulausbildung haben und die Voraussetzungen für die Wählbarkeit zum Parlamentsabgeordneten erfüllen, gewählt.“31 Die Amtszeit des Präsidenten beträgt 5 Jahre, wobei eine Person höchstens zwei Mal gewählt werden darf. Ein Kandidat muss in der ersten Abstimmung mindestens 50 Prozent der Stimmen erhalten. Erhält er/sie diese nicht, wird nach 2 Wochen eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen durchgeführt, bei der die einfache Mehrheit ausschlaggebend ist. Nach der Umstellung auf das Präsidialsystem erhielt der Präsident noch weitreichendere Kompetenzen (da u. a. das Amt des Ministerpräsidenten entfiel). Diese Aufgaben und Kompetenzen sind in Artikel 104 der Verfassung festgelegt. Danach ist der Präsident der Republik zugleich Staatsoberhaupt und Chef der Exekutive. Er vertritt die türkische Republik, gewährleistet die Anwendung der Verfassung und die ordnungsgemäße Tätigkeit der Staatsorgane. Der Präsident verkündet die Gesetze. Er kann Gesetze zur erneuten Verhandlung an die Nationalversammlung zurückverweisen. Er erhebt Anfechtungsklage gegen Gesetze oder die Geschäftsordnung des Parlaments oder Teile davon, wenn er diese für nicht verfassungskonform hält.32 Der Präsident ernennt und entlässt seine Stellvertreter, die Minister und die leitenden Beamten. Zu den Grundsätzen der Ernennung und Entlassung der Spitzenbeamten kann er Präsidialverordnungen erlassen. Der Präsident vertritt die Türkei im Ausland, er entsendet die diplomatischen Vertreter der Türkei ins Ausland und akkreditiert die ausländischen Diplomaten in der Türkei. Ebenso genehmigt und verkündet er die völkerrechtlichen Verträge. Die starke Position des Präsidenten wird in der Verfassung durch sein Recht, verfassungsändernde Gesetze einer Volksabstimmung zu unterziehen und zur Ausübung seiner Exekutivgewalt Präsidialverordnungen zu erlassen, bestimmt. Diese Präsidialverordnungen dürfen zwar keinen Verfassungsgeboten oder geltenden Gesetzen widersprechen, können jedoch die Ausführung der Gesetze definieren und regulieren und im Notstandsfall sogar die Freiheits- und Grundrechte einschränken. Dies war nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 für 2 Jahre der Fall. Der Präsident der Republik ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte und entscheidet über deren Einsatz. Den Verteidigungs- oder Kriegsfall ruft jedoch die Nationalversammlung aus. Durch diese Verfassungsbestimmungen erhält der Präsident der Republik sehr weitreichende Vollmachten. Er ist Staatsoberhaupt und Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, er ernennt und entlässt die stellvertretenden Präsidenten und Minister. Er kann Gesetze zurückweisen und verfassungsrechtlich überprüfen lassen und jederzeit Gesetzesvorlagen einbringen. Er ist Chef der Exekutive und somit oberster Dienstherr aller Beamten. Er kann Präsidialverordnungen erlassen, die allerdings keine Gesetze aufheben dürfen. Das Parlament kann gegen den Präsidenten ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat einleiten. Auch ein Amtsenthebungsverfahren kann durch das Parlament eingeleitet werden. Beide unterliegen jedoch hohen Hürden, darunter ein Untersuchungsausschuss und eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen.33 Ein Staatskontrollrat, der an das Präsidialamt angeschlossen ist, soll die Rechtmäßigkeit aller Verwaltungsentscheidungen überwachen. Diese Aufsicht erfolgt über die Verwaltung, die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und diejenigen Betriebe, die mehrheitlich im Staatsbesitz sind34 Das Amt des...



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