E-Book, Deutsch, 108 Seiten
Linnemann Stille Wasser sind tödlich
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7543-5496-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 108 Seiten
ISBN: 978-3-7543-5496-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neles Job im städtischen Amt für Umweltschutz ist eigentlich reine Routine - bis ihr Praktikant Jan zugeordnet wird, und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Seit einiger Zeit tauchen rund um den Dornheckensee nämlich ungewöhnlich viele tote Wasservögel auf, und die Experten sind ratlos - ist es ein Virus? Ein Parasit? Sind Giftstoffe ins Grundwasser gelangt? Als die mysteriöse Krankheit auch badende Jugendliche befällt, spitzt die Lage sich zu. Ehe Nele und Jan herausfinden können, was die Todesfälle verursacht, wird der See plötzlich von einer privaten Forschungsfirma abgesperrt. Beiden ist klar: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu.
Diandra Linnemann ist diplomierte Übersetzerin und Autorin etlicher fantastischer Bücher und Kurzgeschichten Neuerdings erforscht sie mit Gruftgeflüster die unheimlichen Begebenheiten vor der eigenen Haustür In ihren Geschichten geht es um große und kleine Themen Menschen und Monster Tentakel und Tee Orakel. Diandra mag Kaffee Katzen und ihre neuen Laufschuhe
Autoren/Hrsg.
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ZWEI
DER BERICHT DES Veterinärs war endlich zurück. Allerdings waren die Ergebnisse wenig aufschlussreich. Mit der letzten Sendung hatten sie zwei tote Enten und ein angekautes Blesshuhn geschickt, aber woran die Vögel gestorben waren, blieb ein Geheimnis. Frustriert hieb Nele auf den Locher und heftete die Papiere in den Ordner. Dann schob sie ihn zu seiner schnell wachsenden Geschwisterzahl auf das oberste Regalbrett. Wenn es eins gab, woran es in deutschen Behörden nie fehlte, dann war es Papier. Dabei hätte sie lieber Lösungen gehabt. Es war Juli, also war es schwül, und in dem kleinen Büro im dritten Stock blieb es trotz Klimaanlage stickig. Der altersschwache Computer summte, als wolle er jeden Moment abheben. Sie speicherte die mageren Ergebnisse des Tages und fuhr ihn herunter. Brauchen würde sie ihn heute sowieso nicht mehr. Energisch schob sie ihren Stuhl zurück und griff im Aufstehen nach dem weißen Kittel, der von der Seite des Regals hing, überlegte es sich dann jedoch anders. Sie wollte nur einen kurzen Blick ins Labor werfen. Zum Teufel mit den Vorschriften. Noch eine Lage Kleidung würde sie einfach nicht ertragen. »Labor« war ein ziemlich hochtrabender Begriff für die Räumlichkeiten, in denen Neles kleiner Zweig des Amts für Umwelt- und Naturfragen die wenigen Tests durchführte, die nicht an Spezialisten außer Haus übertragen wurden. Es gab keine Fenster, und die meisten der Geräte hatten schon bessere Tage gesehen. Wenigstens die Abluftanlage war auf dem neuesten Stand, und die Temperatur konnte konstant gehalten werden. Schließlich mussten sensible Proben geschützt werden. Als Nele jetzt ihre Karte durch den Leseschlitz schob und die Tür aufdrückte, kam ihr ein Schwall kühler Luft entgegen. Sie fröstelte vor Erleichterung und wünschte sich für eine halbe Sekunde ihren Kittel her. Dann atmete sie tief durch. Herrlich! Die rot leuchtende Digitalanzeige des altmodischen Probenschrankes verriet ihr, dass Temperatur und Luftfeuchtigkeit sich im gewünschten Bereich bewegten. Die Papiere für den Kurierfahrer waren auch schon vorbereitet. Sie klopfte ihrem früheren Ich im Geiste anerkennend auf die Schulter. Gut gemacht, vorausplanende Nele. Dafür hatte sie sich eine kalte Limo vom Kiosk im Erdgeschoss verdient. Vorsichtig machte sie einen Schritt zurück, um die Tür wieder zuzuziehen, und trat dabei schwungvoll auf einen Männerschuh, der von Alter und Stil durchaus zu den Laborgeräten der Behörde passte. »Verflixt! Entschuldigung!«, sagte sie im Umdrehen. Sie kannte den Schuh. Warum musste ihr Vorgesetzter sich auch immer so anschleichen? »Ich wollte gerade zum Kiosk, brauchen Sie auch was?« Herr Reithofer schüttelte den Kopf. Alles an ihm war irgendwie grau, aber dabei nicht langweilig. »Danke. Aber kann das noch einen Moment warten? Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen.« Er fuhr sich mit der Hand durch das schüttere, kurz geschorene Haar – ein sicheres Zeichen für Nervosität. Etwas war anders als sonst, und Nele war neugierig. Also folgte sie ihm zu seinem Eckbüro. Wieder so eine hochtrabende Vorstellung, die unter Formularen und Akten erstickte. Dabei überlegte sie, ob kürzlich eine Stelle neu besetzt worden war. Sie war nur eine einfache Mitarbeiterin – zu jung und zu unwichtig, um dem gelegentlichen hohen Besuch präsentiert zu werden. Oder sollte sie als Sündenbock für etwas herhalten? Es prickelte in ihrer Magengrube. Nein, das traute sie dem Reithofer nicht zu. Trotzdem blieb dieses unsichere Gefühl. Sie hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn etwas Unerwartetes passierte. Mit einem tiefen Atemzug bemühte sie sich, ihre Unruhe zu neutralisieren. »Darf ich vorstellen?«, fragte Herr Reithofer, nachdem sie sein Büro betreten und die Tür hinter sich zugezogen hatte. Ein leise ratternder Ventilator bewegte die warme Luft. »Das ist Jan Schüler, unser neuester Praktikant.« Er wies auf einen schlaksigen jungen Mann mit sorgfältig frisiertem rotem Haar, der um einiges älter wirkte als die üblichen Schulpraktikanten, die sie sonst so bekamen. »Freut mich«, murmelte Nele halb automatisiert. Ihr Blick glitt über seine teuren Schuhe und die Tasche, aus der die Kante eines Notebooks – nein, eines Macbooks hervorragte. Alles teuer, wenig benutzt, sehr stylisch. Vage war ihr bewusst, dass Herr Reithofer weitergeredet hatte »… Orientierungspraktikum im Rahmen seines Jurastudiums bei uns. Und ich dachte, Sie könnten sich ein wenig um ihn kümmern.« Ah. Daher wehte der Wind. Nele lächelte. »Natürlich, das mache ich doch gern.« Gelegentlich hatten sie dieses Problem. Meist mit jungen Leuten, die durch Connections ihrer Eltern einen Praktikumsplatz bei einer Behörde ergattert hatten und möglichst wenig im Weg sein sollten. Zur Betreuung wurde dann immer eines der unbedeutenderen Amtslichter abgestellt – und diesmal war die Wahl also auf sie gefallen. Sie streckte die Hand aus. »Ich bin Nele. Schön, dich kennenzulernen.« Jan ergriff sie und drückte etwas zu fest zu. Seine Zähne blitzten wie frisch gebleicht und zahnspangengerade. »Schön, dass ich hier sein darf.« »Dann … führe ich dich erst einmal ein wenig herum?«, schlug sie vor und sah zu ihrem Vorgesetzten hinüber. »Gibt es sonst etwas?« Er nickte. »Nur eine Kleinigkeit. Jan, wenn Sie schon einmal vorgehen würden …« Der nickte, schulterte seine Tasche und schlenderte auf den Flur hinaus. Herr Reithofer senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Summen. »Ich habe großes Vertrauen in Sie. Wahrscheinlich ist der junge Mann nur drei Wochen hier, und seine Eltern sind … wichtig für das Amt.« Das bedeutete, sie waren wichtig für Reithofers weitere Karriere. Nele verstand. »Sorgen Sie dafür, dass er ein paar interessante Dinge sieht. Nehmen Sie ihn mit auf Außeneinsätze.« »Aber ich habe gerade gar keine …« »Diese Sache im Ennert. Wir brauchen Bodenproben vom Ufer des Dornheckensees. Nehmen Sie eines der Dienstfahrzeuge, wenn Sie möchten.« Das zeigte ihr mehr als alles andere – mehr sogar noch als sein vertraulicher Ton – wie wichtig das für ihn war. In Gedanken schob sie ihre Aufgabenliste beiseite und machte Platz für einen neuen Stapel: Das Söhnchen bespaßen. Na gut, schließlich wurde sie nicht nach Erfolgserlebnissen bezahlt. Sie nickte zustimmend und wollte sich gerade zur Tür umdrehen, als ihm noch etwas einfiel. »Ach, Nele, falls Sie weitere Kadaver finden …« »Ja?« »Kümmern Sie sich bitte selbst darum. Das ist nichts für Praktikanten. Wegen der Verunreinigungen.« Ja, ja. Es sollte aufregend sein, nicht eklig. »Natürlich.« Dann schlüpfte sie hinaus. Jan stand im Flur gegen die Wand gelehnt und musterte sie. »Hochgeheime letzte Anweisungen?« Er grinste. Irgendwas an seiner Art ging ihr jetzt schon auf den Geist. »Verlängertes Jurastudium?«, konterte sie. »Ich sehe mich ein wenig um, ehe ich mich auf einen Fachbereich festlege«, erklärte er, als sei es die natürlichste Sache der Welt, die Semester so zu vertrödeln. Nele, die sich ihr Biologiestudium hart erkämpft, komplett selbst finanziert und mit zusammengebissenen Zähnen in Rekordzeit durchgezogen hatte, mochte ihn noch ein bisschen weniger. Sie sah auf seine weißen Leinenschuhe hinab. »Wir fahren jetzt in den städtischen Wald und nehmen ein paar Proben zur Untersuchung. Herr Reithofer sagt, ich darf dich mitnehmen. Hast du Lust?« Jan sah auf seine Uhr – wer trug heutzutage noch eine Armbanduhr? – und zögerte, als warte er auf spannendere Optionen. Das würde so ätzend werden. Nach einer oder zwei Sekunden stieß er sich von der Wand ab. »Gut, dann gehen wir. Wo steht dein Schlitten?« »Komm mit.« Der Schlitten war ein klappriger Kastenwagen mit ausgeblichenen Sitzpolstern und einer umfassenden Ausstattung für Arbeit vor Ort im hinteren Teil: Eimer, Planen, Schaufeln, Kescher, ein dicker Erste-Hilfe-Kasten und mehrere festgezurrte Kisten mit Werkzeug und Behältern, die leise klapperten, als Nele ihre Tür zuzog. Die Zündung röchelte kurz, ehe der Motor ansprang. Natürlich gab es keine Klimaanlage. Vorsichtig trat Nele aufs Gas und ließ ihn aus der Tiefgarage hinaus in die Seitenstraße schlingern. Sie fuhr die Wagen des Amtes nicht oft, es stresste sie. Aber um in den Ennert zu kommen, würden sie dreimal umsteigen müssen, und dann war man in Bonn verloren. Außerdem dauerte es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens doppelt so lang, sogar im Berufsverkehr. »Und, was macht man so den ganzen Tag im Umwelt-Amt?«, fragte Jan nach einer Weile. »Kettet man sich an die weiße Flotte und protestiert gegen Autofähren?« Was für ein Großmaul. Sie dachte...