E-Book, Deutsch, 102 Seiten
Linnemann Der Fluch des Chupacabra
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-3263-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 102 Seiten
ISBN: 978-3-7534-3263-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Unheimliche Dinge geschehen im Siebengebirge. Tiere werden verstümmelt. Jemand - oder etwas - versucht, in Maries Ziegenstall einzubrechen. Gemeinsam mit dem charmanten Christian versucht sie, mehr über das mysteriöse Wesen herauszufinden, das sich in der Nähe ihrer Hütte herumtreibt. Sie weiß nichts von der leeren Kiste in den Tiefen des Universitätsgebäudes, oder von dem furchtbaren Fluch, der auf einer uralten Statue liegt. Wird sie es schaffen, das Geheimnis zu lüften und ihre Ziegen vor dem Fluch zu retten?
Diandra Linnemann ist diplomierte Übersetzerin und Autorin etlicher fantastischer Bücher und Kurzgeschichten. Neuerdings erforscht sie mit "Gruftgeflüster" die unheimlichen Begebenheiten vor der eigenen Haustür. In ihren Geschichten geht es um große und kleine Themen, Menschen und Monster, Tentakel und Tee-Orakel. Diandra mag Kaffee, Katzen und ihre neuen Laufschuhe.
Autoren/Hrsg.
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ZWEI
MARIE WAR SICH der Absurdität ihrer Situation bewusst. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie in ihrem guten Angorapullover, Jogginghosen und Gummistiefeln, mit Schlammspritzern bis zur Taille, durch das Gehege stapfte, um möglichst gute Aufnahmen von ihren Ziegen zu bekommen. Der Pulli war wirklich over the top. Allerdings konzentrierten sich die Kommentare in ihrem Newsfeed, wenn sie in praktischer Bekleidung bei den Ziegen filmte, eher auf ihre unordentliche Frisur, ihre bleiche Haut oder die unvermeidlichen Löcher im Ärmel, wo Hannibal mal wieder gedankenverloren gekaut hatte. War sie angemessen aufgehübscht, interessierten die Leute sich stattdessen für das Schicksal der Ziegen. Und darum ging es schließlich. Marie versenkte ihre klammen Hände in den Hosentaschen, damit ihr die Finger nicht steiffroren, noch ehe sie mit Filmen angefangen hätte. Die Freitagsfütterung war eine der beliebtesten Rubriken bei ihren Videos. Sie ließ ihren Blick über den Waldrand schweigen. Kaum zu glauben, dass sie sich noch vor wenigen Wochen gefürchtet hatte, allein hier draußen zu sein. Inzwischen kannte sie fast alle Geräusche und Gerüche des Waldes. Dabei war sie als Kleinstadtpflanze eigentlich eher versehentlich hier gelandet. Ursprünglich hatte sie den Plan gehabt, zu studieren, in eine große Stadt zu ziehen und sich nie wieder mit der kleingeistigen Landbevölkerung auseinandersetzen zu müssen. Und dann war alles anders gekommen. Das mit den Ziegen war beispielsweise auch so ein Versehen gewesen. Mehr oder weniger. Zuerst war da diese Waldhütte gewesen, die Marie von ihrem Großvater geerbt hatte. Nicht direkt von der Stadt genehmigt, aber doch wenigstens geduldet. Mit kleinem Grundstück. Eine von diesen praktischen Nachkriegslösungen, an denen niemand hatte rütteln wollen, solange der alte Herr noch lebte. Dass er so unverfroren gewesen war, die Hütte – mit Kamin und inzwischen, dank der Hilfsbereitschaft einer alternden Hippiekommune weiter oben am Hang, sogar mit fließendem Wasser – seiner einzigen Enkelin zu vererben, damit hatte wohl niemand gerechnet. Oder damit, dass Marie tatsächlich hier einziehen würde. Aber was blieb ihr anderes übrig? Zu ihren Eltern zurückkehren und sich eingestehen, dass sie versagt hatte? Nicht einmal zum Lehramtsstudium hatte es gereicht. Sie konnte sich die Reaktionen der Alten gut vorstellen. Schweigend-vorwurfsvolle Blicke von ihrem Vater, endloses Lamentieren von ihrer Mutter. Dann blieb sie doch lieber hier in ihrer Hütte, zeichnete den lieben langen Tag oder unternahm Ausflüge ins nahe Siebengebirge. Und dann waren da die Ziegen gewesen. Inzwischen waren es vier, alle vor dem unzeitigen Ende gerettet. Alle handzahm und verfressen. Auch jetzt standen sie bereits meckernd am Zaun, während Marie mit dem Handy im Anschlag in ihre Richtung ging. Sie drehte die Kamera einmal in ihre Richtung und bemühte sich um ein Lächeln. In der frischen Märzluft fühlte der Lippenstift sich an, als sei er auf ihrer Haut festgefroren. Und sie hätte wirklich lieber noch einen Parka übergezogen. »Ihr seht«, sprach sie in die Kamera, »ich werde sehnlichst erwartet.« Dann filmte sie einen Sweep über die noch karge Landschaft am Waldrand, ehe sie sich wieder auf die Ziegen konzentrierte. Die schwarzweiß gescheckte Boudicca rieb sich energisch am Torpfosten. Die inzwischen fast so breite wie hohe Ziegendame war fest davon überzeugt, dass man mit Schmuse-Attacken auch unbelebte Objekte dem eigenen Willen unterwerfen konnte. Marie filmte die Fütterung der Ziegen und bemühte sich, nicht zu stark zu zittern. Der Bildstabilisator konnte nur begrenzte Arbeit leisten. Sie achtete darauf, den guten Angora-Ärmel nicht in die Nähe von Hannibals samtigem Maul zu halten, und hoffte, dass das Mikrofon sein zufriedenes Pupsen nicht einfing. Einige Krähen fegten in stürmischem Bogen über ihren Kopf hinweg. Zwar war es in den letzten Tagen wärmer geworden, aber die heftigen Winde waren nicht gerade das, was Marie als »Verbesserung« bezeichnen würde. Als der Wind ihr das Haargummi aus ihren braunen Locken riss, gab sie auf. Sofort klebten Haare auf ihrem Lippenstift. Das Haarband war einige Schritt weiter im Matsch gelandet. Sie hob es auf, ehe die Ziegen sich darüber hermachen konnten, und stülpte es zähneknirschend über ihr Handgelenk. Vielleicht konnte sie es in warmem Wasser einweichen und so retten. Wegen des Windes hörte sie auch den sich nähernden Wagen nicht. Erst das Klappen der Fahrertür ließ sie aufschauen. Nanu? Hierhin verirrte sich doch sonst niemand – nicht einmal Förster oder Wanderer. Am Ende des schlecht befestigten Wirtschaftsweges konnte sie meistens unbehelligt ihrem Tagesablauf nachgehen. Ein junger Mann mit blondem Schopf, Drahtgestellbrille und praktischem, wetterfestem Parka stand neben einem schlammbespritzten Kombi und sah sich um, als müsse er einen Aufsatz für den Deutschunterricht schreiben. Alles an ihm schrie: Behörde! Marie beeilte sich, ihm entgegenzukommen. »Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?« Überrascht sah der junge Mann zu ihr hinüber. »Guten Tag! Sind Sie die … Besitzerin?« Er gestikulierte vage Richtung Hütte. Marie nickte, während sie sich gleichzeitig fragte, wie die Szene wohl auf ihn wirken mochte. Sie stakste in ihren Gummistiefeln, die vom Schlamm ganz schwer waren, an ihm vorbei über den Pfad zwischen den Kräuterbeeten hindurch. Drei schiefe Betonstufen führten zur Eingangstür hinauf. »Was kann ich für Sie tun?« »Nun, ich komme vom Ordnungsamt und muss Ihnen einige Fragen stellen. Frau Haarmann, nehme ich an?« Oh Shit. Marie zögerte. Sollte sie versuchen, ihn hier draußen abzufertigen, oder lieber hineinbitten? Sie wollte wirklich nicht länger als unbedingt nötig in der Kälte stehen. Andererseits – wohnen durfte man in der Hütte offiziell nicht, das wusste sie. Je weniger er also von ihrem Innenleben sah, desto besser. »Wird es lange dauern?« Sie bemühte sich, ihre harschen Worte mit einem Lächeln abzumildern. »Ich habe heute noch ziemlich viel zu tun.« Der junge Mann musterte sie mit deutlicher Besorgnis. »Ist es nicht ein wenig zu kalt, um ohne Jacke herumzulaufen?« Der hatte vielleicht Nerven! »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Wenn Sie jetzt also bitte zur Sache kommen könnten …« Erschrocken schlug er sich mit der Hand vor den Mund. »Entschuldigen Sie, das geht mich wirklich nichts an.« Wie er da so vor ihr stand, ein wenig schlaksig und mit verlegenem Gesichtsausdruck, tat er ihr fast schon leid. »Kein Problem«, beschwichtigte sie, »weswegen sind Sie hier?« »Nun, es ist ein wenig unangenehm, aber … es hat Ihretwegen eine Beschwerde gegeben. Oder vielmehr wegen Ihrer Ziegen. Sie haben doch Ziegen, ist das hier richtig vermerkt?« Marie ahnte, worum es ging. Nicht um die halb legal gebaute Hütte. Ihr Zuhause war für den Moment sicher. Aber das war noch kein Grund, aufzuatmen. »Ich besitze einige gerettete Ziegen«, bestätigte sie vorsichtig. Dieser verdammte Bauer! »Wäre es möglich, dass ich das Gehege besichtigen kann? Es hat eine Anzeige gegeben, dass die Tiere nicht ausreichend gesichert seien.« Und das alles nur, weil Hannibal einmal in die Himbeeren auf Hof Rittersporn entwischt war. Vor einem Monat. Als noch nichts wuchs und er nicht einmal richtigen Schaden anrichten konnte. Aber die Hütte war dem Bauern wohl schon lange ein Dorn im Auge, und die Ziegen machten es offenbar nicht besser. Marie hatte versucht, sich um gute Nachbarschaft zu bemühen, aber vergeblich. Weder ihr selbstgebackenes Brot noch der Einstandsbesuch waren gut aufgenommen worden. Inzwischen beschränkte sie sich darauf, auf ihren Spaziergängen im Vorbeigehen die Hand zu heben, damit man zu ihren zahllosen angeblichen Verfehlungen nicht auch noch hinzufügen konnte: Hat nie gegrüßt! Sie wies auf die Schuhe des Mannes vom Ordnungsamt. »Ich weiß nicht, ob Sie damit weit kommen. Die Ziegen sind dort hinten.« »Keine Sorge, das geht schon.« Er lächelte. Marie bemühte sich, seinen Grübchen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Von Männern hatte sie fürs erste genug. Vielleicht für den Rest ihres Lebens, wenn sie es sich richtig überlegte. Abrupt drehte sie sich um, bemerkte Herrn Schubert, den dicken schwarzweißen Kater ihres Großvaters, auf dem Stapel mit Brennholz und stapfte durch den Kräutergarten davon. Logischerweise war der Schlamm in den letzten Minuten nicht auf mysteriöse Weise besser geworden. Nach wenigen Schritten hörte Marie ein deftiges Platsch!, gefolgt von einem unterdrückten Fluch. Sie spürte einen Anflug von Schadenfreude und konzentrierte sich darauf, nicht zurückzuschauen. Stattdessen erklärte sie: »Hier vorne ist der Stall. Sie sehen, es gibt einen abschließbaren Teil und einen offenen Unterstand, damit die Tiere wettergeschützt sind. Da vorne ist die...