Lindmeier / Langenhoff | Schulassistenz bei Autismus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 284 Seiten

Lindmeier / Langenhoff Schulassistenz bei Autismus

E-Book, Deutsch, 284 Seiten

ISBN: 978-3-17-041276-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Immer mehr Schülerinnen und Schüler im Autismus-Spektrum erhalten Schulassistenz, um ihre Teilhabe am Unterricht und am sozialen Leben in der Schule zu sichern. Der dritte Band der Reihe "Pädagogik im Autismus-Spektrum" stellt die Schulassistenz bei Autismus vor und befasst sich zunächst mit deren rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen. Im Fokus stehen dann Aufgaben und Qualifikation von Schulassistenz im Kontext der pädagogischen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern im Autismus-Spektrum. Anschließend werden Kooperation und Netzwerkarbeit der verschiedenen Akteurinnen- und Akteursgruppen erklärt. Durchgehend diskutieren die Beiträge Gelingensfaktoren ebenso wie Nachteile der Schulassistenz als Organisationsform von Unterstützung für autistische Schülerinnen und Schüler; auch Schulassistenzen sowie Betroffene kommen dabei zu Wort.
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Die Organisationslogik von Schule als Rahmen für den Einsatz von Schulassistenz – nicht nur für Schüler*innen im Autismus-Spektrum
Bettina Lindmeier 1 Einleitung – Schulassistenz als Teil inklusiver Schulen?
Schulassistenz gilt inzwischen als unverzichtbar nicht nur im Kontext inklusiver Schulen, sondern auch von Förderschulen. Dies ist umso erstaunlicher, weil nahezu alle Publikationen auf die Schwierigkeiten verweisen, die angesichts der unterschiedlichen organisationalen Logiken von Schule und von Leistungen entsprechend der Sozialgesetzbücher entstehen. Entsprechend der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Sozialgesetzbücher (Sozialgesetzbuch VIII, § 35a, oder Sozialgesetzbuch IX, §112; Frese in diesem Band) werden unterschiedliche Bewilligungsgründe formuliert und unterschiedliche Qualifikationsprofile der Schulassistenzkräfte gefordert. Dennoch gibt es eine geteilte Logik innerhalb der Sozialgesetzbücher bezüglich der Form, wie Unterstützungsleistungen konzipiert sind und erbracht werden. Dazu zählen die grundsätzliche Einzelfallorientierung – trotz neuerer Möglichkeiten des Poolens –, die Zielsetzung der Teilhabe und das Verbot, die originär schulische Aufgabe der Bildung bzw. des Unterrichts zu übernehmen. Auch die Antragsteller*innenrolle der Eltern, aus der auch ihre Arbeitgeber*innenrolle im Fall der Erbringung der Leistung über ein persönliches Budget resultiert, ist charakteristisch für derartige Teilhabeleistungen. Im häufigeren Fall der Erbringung der Leistung durch einen Anbieter von Schulassistenzleistungen liegt die Arbeitgeberfunktion dort, aber ebenfalls nicht in der Schule. Der Schulassistenzanbieter, die Eltern und die Schule müssen für eine Erbringung der Leistung allerdings kooperieren (Schipp in diesem Band), und die Schulassistenzkraft selbst spielt dabei eine zentrale Rolle auf der Umsetzungsebene. Die Schule dagegen erbringt ein universalistisches, d.?h. für die gesamte Klasse konzipiertes und gültiges Bildungsangebot in der Organisationsform einer (Groß-)?Gruppe, traditionell durch jeweils eine einzige (Klassen- oder Fach-)?Lehrkraft. Diese Konstellation wurde durch die bildungspolitische Forderung der Umsetzung einer inklusiven Schule in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt. Zum einen spielt Teamarbeit von Lehrkräften mit verschiedenen Kompetenzprofilen eine größere Rolle. Je nach Schulstufe – die Primarstufe mit einer Klassenlehrkraft mit hohem Stundenanteil unterscheidet sich hier stark von der Sekundarstufe – sind die Rahmenbedingungen für Kooperation zwar unterschiedlich, das Selbstbild von Lehrkräften und sogar von Lehramtsstudierenden (Viermann 2022) ist allerdings noch immer dasjenige früherer Zeiten: als allein verantwortliche, autonom in der Klasse handelnde Lehrperson.2 Kooperation wird zwar als wichtig, aber als zusätzliche, neue und schwierige Aufgabe außerhalb der eigenen Handlungsroutinen und Arbeitszeiten wahrgenommen. Diese Wahrnehmung wird gestützt durch das Fehlen von institutionalisierten Teamzeiten, Besprechungsräumen und diesbezüglichen Routinen auf der Ebene der Organisation, was den Klassenteams einen erhöhten Aufwand für die Realisierung von Kooperation abverlangt (zu einem alternativen Modell Ahl in diesem Band). Zum anderen ist es notwendig, mit heterogenen Gruppen umzugehen, und zwar sowohl in der Erbringung eines hochwertigen Bildungsangebots für alle als auch der Überprüfung und Zertifizierung von Leistungen. Zwar gab und gibt es Heterogenität auch in der nicht inklusiven Jahrgangsklasse, da bereits bei Schuleintritt eine hohe (Leistungs-)?Heterogenität gegeben ist. Leistungsheterogenität bleibt auch im gegliederten System der weiterführenden Schulen bestehen. Diese Heterogenität wurde aber bisher als konstitutives Merkmal von Schule kaum zur Kenntnis genommen, sondern als von außen in die Schule hineingetragen und herausfordernd angesehen (Budde 2012) und durch Klassenwiederholungen und Abschulungen als Mittel zur Homogenisierung – weitgehend erfolglos – bekämpft. Folglich gilt Inklusion als Gefährdung des Leistungsanspruchs von Regelschulen (Arndt et al. 2021), obwohl sie eher eine Gefährdung der Homogenitätsannahmen bzw. -fiktionen der Bildungspolitik darstellt. Die derzeitigen Bedingungen des Einsatzes von Schulassistenzkräften scheinen es zu ermöglichen, das Selbstverständnis der Schule möglichst wenig zu verändern, was an manchen Schulen die folgende Entwicklung befördert: Für den Großteil der Schüler*innen und der Lehrkräfte bleibt die inklusive Schule so, wie die nicht inklusive Schule war. Der Unterricht ist gekennzeichnet durch klare und für fast die gesamte Lerngruppe gleiche Leistungsanforderungen und ein weitgehend gleichschrittiges Arbeiten der ganzen Klasse mit Ausnahme der Schüler*innen mit Schulassistenz. Rund um die Schüler*innen mit Schulassistenz etabliert sich eine »Mini-Förderschule«, die gekennzeichnet ist durch eine hohe Individualisierung, flexibleren Umgang mit Zeit, Raum, Verhaltensanforderungen und Schulleistungen, und die unterschiedlich weitgehend abgekoppelt ist von den Arbeitsformen, Leistungs- und Verhaltensstandards der Klasse. Für Schulen, die sich nicht systematisch in Richtung inklusiver Schulen verändern wollen, scheint die Schulassistenz eine relativ niedrigschwellige Entlastung von der Sorge um Schüler*innen zu bieten, die nicht ins System passen. Der Bruch zwischen den Organisationslogiken wird gelöst, indem die beiden Logiken nebeneinander existieren und sich möglichst wenig »ins Gehege kommen«. Eine vorrangig leistungsorientierte Regelschule kann so weiter existieren, setzt aber für einige ihrer Mitglieder die sonst gültigen Regeln, sprich die Verhaltens- und Leistungsstandards (Ehrenberg & Lindmeier 2020), außer Kraft, zieht sich aber zugleich aus der pädagogischen Verantwortung. Dworschak konstatiert, »dass Schüler/innen mit dem FsgE die allgemeine Schule im Modell der Einzelintegration dann besuchen können, wenn sie eine Schulbegleitung mitbringen, die ihre Defizite so weit ausgleicht, dass sie in das bestehende Konzept der allgemeinen Schule ohne größere Anstrengung zu integrieren sind« (2022, 51). Für andere Schulen, die einen Schulentwicklungsprozess zu inklusiven Schulen anstreben, standen in den letzten Jahren die Themen der Kooperation von Lehrkräften mit verschiedenen Kompetenzprofilen (exemplarisch Lütje-Klose & Urban 2014) sowie ein veränderter Umgang mit Leistung und die Konzeptionierung hochwertiger Bildungsangebote in heterogenen Gruppen und einzelnen Fächern im Vordergrund. Für diese Schulen gilt, dass die Organisationslogik von Schule und die Bedingungen des Einsatzes von Schulassistenz in inklusiven Primar- und Sekundarschulen und Förderschulen so wenig miteinander zu vereinbaren sind, dass daraus nicht auflösbare Spannungsfelder entstehen. Diese müssen von den handelnden Personen bearbeitet und ausgehalten werden, da sie nicht dauerhaft auflösbar sind. Zentrale Fragen betreffen dabei die Kooperation von Schulassistenzkräften und Lehrkräften sowie die Frage der »erlaubten« und möglichen Tätigkeitsfelder, Aufgaben und Rollen (Frese in diesem Band). Auf diese Themen konzentrieren sich die folgenden Ausführungen, um abschließend Lösungsansätze mit einem besonderen Fokus auf Schulassistenz für Schüler*innen im Autismus-Spektrum zu skizzieren. Zuvor soll kurz auf den Rahmen eingegangen werden, den die Schule aus ihrer Organisationslogik heraus für Schulassistenz setzt. 2 Was kann, darf, soll Schulassistenz?
Die konkreten Aufgaben und Tätigkeiten von Schulassistenzkräften sind Thema mehrerer Beiträge dieses Bandes (Frese; Gier-Dufern & Selter in diesem Band). Die formale Aufgabenbestimmung erfolgt vorrangig über Abgrenzungen dahingehend, was Schulassistenzkräfte nicht sind und nicht tun sollen. Diese Abgrenzungen folgen der bisherigen schulischen Logik – pädagogische Aufgaben dürfen nur Lehrkräften übertragen werden – und sind angesichts der vielfältigen Überschneidungen der Aufgaben von Lehrkräften und Schulbegleitungen völlig impraktikabel. Das Festhalten an dem Ausschlusskriterium, keine im engeren Sinne pädagogischen Aufgaben übernehmen zu dürfen, erscheint eher wie ein Mantra als wie eine Kennzeichnung schulischer Praxis: »Schulbegleiter sind keine Zweitlehrkräfte, Nachhilfelehrkräfte, Hausaufgabenbetreuer oder Assistenten der Lehrkräfte bei der Vermittlung der Unterrichtsinhalte« (Bayerisches Staatsministerium für Bildung, Kultur, Wissenschaft und Kunst 2013, 6), heißt es bspw. in einer Empfehlung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung, Kultus, Wissenschaft und Kunst, die stellvertretend für viele andere Stellungnahmen oder Empfehlungen sowohl von Landesministerien als auch von Trägern der freien Wohlfahrtspflege stehen kann. Diese Aussagen sind wenig hilfreich für die handelnden Personen, sondern zielen auf makrostrukturelle, politische Zusammenhänge: Standes- bzw. berufspolitisch wird hier...


Prof. Dr. Christian Lindmeier lehrt und forscht am Institut für Rehabilitationspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Prof. Dr. Bettina Lindmeier ist Professorin für Allgemeine Behindertenpädagogik und -soziologie am Institut für Sonderpädagogik der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Johanna Langenhoff ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin und promoviert zu Schulassistenz für Jugendliche.


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