Linden Kinderlachen - Folge 012
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3232-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Amors kleine Assistentin
E-Book, Deutsch, Band 12, 64 Seiten
Reihe: Kinderlachen
ISBN: 978-3-7325-3232-2
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Für die kleine Lisa ist die Sache sonnenklar: Ihr Papi liebt Sabine, die junge Reiseleiterin, und Sabine hat sich in Papi verliebt. Und sie, Lisa, findet, dass die beiden das tollste Paar der Welt sind. Für die Erwachsenen allerdings scheint die Sache nicht ganz so sonnenklar zu sein. Denn obwohl sie sich angeblich so lieben, reden sie nie von einer gemeinsamen Zukunft. Und dann hört Lisa durch einen verhängnisvollen Zufall von dem 'dunklen Punkt' im Leben ihres Vaters ...
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Sabine Herzog trieb ihre kleine Herde sonnenhungriger Urlauber aus der kühlen Cafeteria des Museums in den wartenden Reisebus.
»Wir fahren gleich weiter«, sagte sie freundlich. »Bitte beeilen Sie sich.«
»Wann halten wir das nächste Mal, Frau Herzog?«, erkundigte sich ein etwas beleibter Mann. Eine Zigarette in der Hand, stand er neben dem Bus.
»Wir fahren jetzt bis nach Knossos durch, Herr Steiner«, erwiderte Sabine freundlich.
»Eine Hetzjagd ist das wieder«, schimpfte der Mann, trat die Zigarette aus und kletterte in den Bus. »Also, das nächste Mal werde ich es mir genau überlegen, bevor ich wieder eine Gruppenreise buche.«
Sabine war es gewohnt, dass es bei jeder Reise einige Leute gab, die an allem etwas auszusetzen hatten. Deshalb kümmerte sie sich auch nicht weiter um Volker Steiner, sondern setzte sich neben den Busfahrer und griff nach ihrem Mikrofon. Während sie durch Iraklion fuhren, sprach sie von der wechselvollen Geschichte der Stadt und ihrer heutigen Bedeutung.
Die meisten ihrer Schäfchen interessierten sich nicht sonderlich für Geschichte und Archäologie. Für sie gehörte es ganz einfach zu ihrer Kreta-Reise, auch die Museen in Iraklion und den Palast von Knossos gesehen zu haben, aber hin und wieder stellte doch einer der Reiseteilnehmer Fragen. Sabine bemühte sich, sie so kurz und präzise wie möglich zu beantworten.
Knossos lag von Iraklion nur fünf Kilometer entfernt. Entlang der Straße gab es unzählige Tavernen und Andenkenstände. In einigen der kleinen Läden wurden auch Obst und Gemüse verkauft. Plötzlich hatte überhaupt keiner der Reisenden mehr Interesse an dem, was sie über Knossos erzählte.
»Zu den Buden gehen wir nach unserer Besichtigungstour«, erklärte Sabine und unterdrückte ihren Ärger. »Wie ich Ihnen vorhin schon sagte, werden wir um halb drei von Herrn Michaelis erwartet. Er wird dann die Führung übernehmen.«
»Auf fünf Minuten mehr oder weniger wird es kaum ankommen«, meinte ein junges Mädchen. »Ich möchte mir nur einen dieser Hüte kaufen, die ich gerade gesehen habe.«
»Leider kommt es darauf an«, erwiderte Sabine. »Aber natürlich steht es jedem frei, an der Besichtigung von Knossos teilzunehmen oder nicht.« Als der Bus sein Ziel erreicht hatte, wies sie zu einer Taverne hinüber, auf deren Dach übergroße weiße Stierhörner angebracht waren. »Treffen wir uns dort wieder um halb fünf.«
Sechs der Reiseteilnehmer, darunter auch Volker Steiner, verabschiedeten sich, um in Ruhe einzukaufen und sich danach in die Taverne zu setzen. Mit den anderen ging die junge Frau zu dem Treffpunkt, den sie mit Herrn Michaelis ausgemacht hatte.
Hinter dem Tor entdeckte sie einen jungen dunkelhaarigen Mann, der ein großes Schild in die Luft hielt, auf dem ihr Name stand. Überrascht ging sie auf ihn zu.
»Frau Herzog?«, fragte er und lachte. »Machen Sie nicht so ein verblüfftes Gesicht! Ich bin Marc Wagner. Andreas Michaelis hat mich gebeten, heute Ihre Gruppe zu übernehmen. Er ist leider verhindert.«
»Ja, ich bin Sabine Herzog«, bestätigte die junge Frau. Marc war ihr auf Anhieb sympathisch. »Arbeiten Sie hier?«
Marc Wagner nickte. »Ich bin Archäologe. Die minoische Kultur gehört zu meinem Spezialgebiet. Ursprünglich komme ich aus München, aber ich lebe schon seit einigen Jahren auf Kreta.«
»Mit anderen Worten, Sie sind genau der richtige Mann für uns«, stellte Sabine fest und machte Marc mit den Teilnehmern ihrer Reisegruppe bekannt.
»Ich bin bereit, Ihnen alle Fragen zu beantworten«, sagte er zu den Leuten, merkte aber etwas später, dass es nicht allzu viele Fragen geben würde. »Also, dann kommen Sie bitte.« Er wies zu dem schmalen Laubengang, der zum Palast führte.
Während der nächsten beiden Stunden führte Marc Wagner sie durch die ganze Anlage. Er verstand es, sehr interessant zu erzählen und, zu Sabines Überraschung, gelang es ihm sogar, ihre Schäfchen neugierig zu machen. Sein Interesse schien sich eher auf sie zu konzentrieren. Immer wieder sah er sie an, oder er berührte, wie zufällig, ihre Hand. Zuerst war ihr seine Aufmerksamkeit unangenehm, doch dann gestand sie sich ein, dass sie ihr wohltat. Denn dieser Mann gefiel ihr. Etwas, das lange Zeit nicht mehr vorgekommen war.
Sie standen im sogenannten Mittelhof, dem Schauplatz der minoischen Stierspiele, bei denen ein Tänzer die Hörner des Stieres packen musste, um sich dann über dessen Rücken zu schwingen.
»Viele der Tänzer werden ihren Wagemut mit dem Leben bezahlt haben«, sagte Marc. »Leider ist uns über diesen Brauch nicht allzu viel bekannt. Es steht zum Beispiel noch immer nicht hundertprozentig fest, ob diese Spiele einen religiösen Hintergrund hatten oder ob es sich einfach um eine Mutprobe gehandelt hat.«
»Religiöse Handlung oder Mutprobe, auf jeden Fall wird es eine ziemlich blutige Angelegenheit gewesen sein«, bemerkte ein Mann. »Also, ich für meinen Teil ziehe es vor, mich mit Sportarten zu begnügen, die weniger gefährlich sind.« Er schlug seiner Freundin lachend auf die Schulter.
»Wie wäre es mit ein paar Fotos?«, schlug Marc vor.
Kaum hatte er dieses Zauberwort ausgesprochen, wurden ihm schon von allen Seiten Kameras und Smartphones in die Hände gedrückt.
Während der nächsten zehn Minuten hatte er damit zu tun, die Reiseteilnehmer vor den Ruinen von Knossos zu fotografieren. Zuletzt machte er noch ein Foto mit Sabines Apparat, dann geleitete er die Gruppe quer über den Platz zu der Treppe, die in die Wohnung der königlichen Familie geführt hatte.
»Was haben Sie heute Abend vor?«, fragte er, als er mit Sabine für ein paar Minuten allein sein konnte. Die Reiseteilnehmer bewunderten gerade das Badezimmer der Königin mit dem Delfinen-Fresko und einer Badewanne, die selbst in einem heutigen Badezimmer noch gut aussehen würde. »Andreas sagte mir, dass Sie mit Ihrer Reisegruppe im Hotel Minotauros bei Malia wohnen.«
»Ja, das stimmt.« Sie blickte ihn lächelnd an. »Ich habe frei. Ab sieben kümmert sich ein Kollege um meine Gruppe.«
»Das trifft sich gut«, sagte er erfreut. »Ich würde Sie sehr gern zum Essen einladen. Ich kenne bei Malia ein kleines verträumtes Lokal mit einem wunderschönen Blick über das Meer.«
Sabine zögerte nur einen winzigen Augenblick.
»Einverstanden«, sagte sie dann. »Leben Sie denn in Malia?«
»Etwas außerhalb«, erwiderte er und reichte ihr die Hand. »Ich werde Sie pünktlich um acht Uhr abholen. Werden Sie bis dahin fertig sein?«
»Auf jeden Fall«, versprach sie und schlug ein.
***
Fünf Minuten vor acht fuhr Sabine mit dem Aufzug in die Hotelhalle hinunter. Sie freute sich auf den Abend mit Marco Wagner, und zudem war sie glücklich, einmal für ein paar Stunden ihren Schäfchen entfliehen zu können. Auch wenn sie ihren Beruf liebte und oft wirklich interessante Menschen kennenlernte, fragte sie sich hin und wieder, ob sie ihn nicht endlich aufgeben sollte. Es gab Tage, da sehnte sie sich geradezu schmerzlich nach ihren eigenen vier Wänden.
Die junge Frau setzte sich in einen der bequemen Sessel und genoss es, ein paar Minuten für sich zu haben. Aber schon bald blickte sie ungeduldig auf ihrer Armbanduhr. Wo blieb Marc Wagner? Hatte er die Verabredung vergessen? Sabine spürte, wie eine tiefe Enttäuschung von ihr Besitz ergriff.
Sie überlegte bereits, ob sie sich vom Portier ihren Zimmerschlüssel zurückgeben lassen sollte, als sich die Schwingtür öffnete und der Archäologe eilig in die Hotelhalle trat.
Sabine stand auf und ging ihm entgegen.
»Guten Abend«, sagte er atemlos und ergriff ihre Hand. »Tut mir leid, dass ich nicht pünktlich bin. Bitte entschuldigen Sie.«
»Macht nichts«, wehrte sie ab.
»Wirklich nicht?« Er sah sie forschend an. »Seien Sie ehrlich, Sie hatten nicht mehr damit gerechnet, dass ich noch kommen würde.«
»Stimmt«, gab sie unumwunden zu.
»Ich habe mich den ganzen Nachmittag über auf diesen Abend gefreut und hätte um nichts auf der Welt darauf verzichtet.« Marc hakte sie unter und führte sie aus der Hotelhalle auf den Parkplatz. »Dort vorn steht mein Wagen.«
»Ich dachte, wir würden zu Fuß gehen«, sagte sie überrascht.
»Das könnten wir natürlich auch, aber ich halte es doch für bequemer, den Wagen zu nehmen.«
»Gut, ich bin einverstanden«, meinte Sabine, obwohl sie sich auf den Spaziergang am Strand entlang gefreut hatte.
Marc schloss die Beifahrertür auf, nahm eine Puppe vom Sitz und beförderte sie nach hinten. »Nicht, dass Sie denken, ich würde noch mit Puppen spielen. Sie gehört meiner kleinen Tochter.«
»Sie haben eine Tochter?«, fragte Sabine überrascht und nahm Platz.
»Ja, sie heißt Lisa und ist acht Jahre alt«, entgegnete Marc. »Ihretwegen habe ich mich auch verspätet. Sie hat mal wieder nicht den Weg nach Hause gefunden.« Er ließ den Motor an und fuhr den Wagen rückwärts vom Parkplatz.
»Sie lassen eine Achtjährige um diese Zeit noch auf die Straße?«
»Was heißt lassen?« Marc seufzte. »Lisa ist für ihr Alter sehr selbstständig, na ja, es bleibt ihr schließlich auch nichts anderes übrig. Sie sieht mich nur abends und am Wochenende. Als ich nach Hause kam, lag ein Zettel auf dem Küchentisch: ›Bin bei Danai.‹ Ich wartete und wartete, wer nicht kam, war meine Tochter! Gut, dachte ich mir, vielleicht isst sie bei Danais Eltern zu Abend. Das tut sie ab...




